1/2008. Januar. DeutscherAnwaltVerlag

March 11, 2017 | Author: Annika Hertz | Category: N/A
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Aufsätze

Graf v. Westphalen: Europa + Privatrecht Staudinger: Rom I + Rom II Riedmeyer: Auslandsunfälle Schubach: VVG-Reform

1 8 17 27

Anwaltsblattgespräch

Streck/Kindermann: Gesetzentwurf zum Erfolgshonorar

33

Aus der Arbeit des DAV

TK-Überwachung

38/39

Rechtsprechung

BGH: Unterbliebene Belehrung? OLG Düsseldorf: M&A + Haftung BVerfG: PKH-Streitwert 42 Mio. DM

68 72 75

1/2008 Januar

DeutscherAnwaltVerlag

MN

Editorial „Nichts zuviel“

Hartmut Kilger Rechtsanwalt, Präsident des Deutschen Anwaltvereins.

Das war die Devise des sagenumwobenen antiken Gesetzgebers Solon. Sie stand auf dem Giebel des Apollotempels in Delphi. Manche behaupten, sie sei auch die Essenz dessen, was das Abendland, Europa also, ausmache. Das muss dem in den Sinn kommen, der die aktuelle Diskussion über die Zukunft des Anwaltsberufs verfolgt. Einer der Vorwürfe: die „Anwälte verschlafen die Zukunft“. Sicher: auch der Anwaltsberuf wird sich einer immer neuen Überprüfung zu stellen haben. Bewahrung ist kein Wert an sich. Deswegen ist bildhafte Sprache gestattet und oft notwendig. Aber sie darf nicht dazu führen, dass ins Gegenteil verfallen wird. Es muss nicht alles niedergerissen werden. Die Kunst des Lebens besteht darin, besonnen zu sortieren: was soll erhalten bleiben und wo ist neuer Aufbruch nötig? Bei der Bewältigung dieser Aufgabe verfügen wir über Erfahrung. Das Jahr 2007 endete mit zwei wichtigen Ereignissen: Zum wurde das ausführlich diskutierte Rechtsdienstleistungsgesetz fertig gestellt. Zum anderen konnten wir auf die zwanzigjährige Reise zurückblicken, auf die uns das Bundesverfassungsgericht mit den BastilleEntscheidungen vom 14. Juli 1987 geschickt hatte (bekannt wurden sie im November 1987). Weder ist – wie mancherorts prophezeit – der Anwaltsstand untergegangen, noch hat der Verlust der „Standsrichtlinien“ wirklich nachteilige Konsequenzen gehabt. Der ausgelöste Schub hat den Anwaltsberuf vielmehr kräftig modernisiert. So ist das RDG gestrickt: es ist eine erneute Aufforderung zu weiterer Anpassung, gewährleistet aber auch die Erhaltung

bewährter Grundstrukturen – im Interesse eines wirklichen Zugangs des Bürgers zum Recht. So wird auch die Zukunft zu bewältigen sein. Die vor uns liegende Zeit wird unter dem – gesetzlich schon lange geltenden – Postulat der Fortbildung stehen. Es muss gesichert sein, dass sich jeder Anwalt tatsächlich fortbildet. Um es hart zu sagen: wer das nicht leistet, ist kein Anwalt. Jedes Heft des Anwaltsblatts zeigt dies deutlich, auch dieses: bei einem neuen Versicherungsvertragsrecht, bei den Rechtsentwicklungen im Europarecht haben wir viel hinzuzulernen. Aber kann die Lösung darin bestehen, die Anwälte mit Sanktionen zur Fortbildung zu zwingen? Das wäre über das Ziel hinausgeschossen. Wir Deutschen haben nicht die elegante Art, mit Sanktionen zwar zu drohen, sie aber nicht wirklich anzuwenden. Bei der Satzungsversammlung sind kreative Lösungen gefragt, die die Sicherung der Qualität ermöglichen, aber auch der notwendigen Freiheit unseres Berufs entsprechen. Das Jahr 2008 wird ein Jahr des Rufes nach der Freiheit werden. Dieses Motto haben wir für den Anwaltstag in Berlin gewählt. So werden die Themen des abgelaufenen Jahrs aktuell bleiben: der Streit über die Online-Durchsuchung oder das vor dem Bundesverfassungsgericht erörterte Einscannen von Autokennzeichen. Es sind nur wenige Beispiele. Sie zeigen, wohin die Reise gehen könnte. Selbstverständlich muss ein wehrhafter Staat genau prüfen, wie er drohendem Terrorismus begegnet; seine Sicherheitskräfte und die Rechtspflege müssen über die not-

wendige Ausstattung verfügen. Aber dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder korrigierend eingreifen muss – Europäischer Haftbefehl und Abschuss von Zivilflugzeugen sind Stichworte –, zeigt doch, dass nur besonnenes Handeln nach der Devise „Nichts zuviel“ die Zukunft wirklich bewältigt. Die Wahrheit liegt eben in der Mitte – warum sollte falsch sein, was die Menschen schon in der Antike erkannt haben?

AnwBl 1 / 2008

I

Anwaltsblatt Jahrgang 58, 1 / 2008 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanwälten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg

Editorial I

„Nichts zuviel“ Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins

Berichte aus Berlin und Brüssel IV

Mit Expertenrat und vollem Programm ins Neue Jahr Stefan Schnorr, Berlin

VI

Was bringt das Jahr 2008 für die Anwaltschaft? Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel

VIII

Informationen

Aufsätze 1

Auslegung von Gesetzen: Vom nationalen zum europäischen Privatrecht Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln

8

17

23

Aus der Arbeit des DAV 38 39 39 41 41 41 42 43 44 45 46 47 48 48 49 49 50 50

Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II

Bundespressekonferenz AG Strafrecht: Herbstkolloquium 2007 DAV: Brügmann neuer Hauptgeschäftsführer DAV-Pressemitteilung: Neuer Onlineauftritt Deutsche Anwaltakademie: Anwalt Kompakt DAV-Gesetzgebungsausschüsse Berliner Anwaltsverein: Pro-Bono-Tätigkeit Berliner Anwaltsverein: Anwaltsessen AG Versicherungsrecht: 12. Symposium AG Anwältinnen: Präsentieren und Netzwerken AG Mediation: Mediation im Gesundheitsbereich AG Syndikusanwälte: 14. Syndikusanwaltstag AG Anwaltsnotariat: Parlamentarisches Gespräch AG Verkehrsrecht: 27. Homburger Tage AG Anwaltsnotariat: Newsletter gestartet Anwaltverein Stuttgart: Im Laufen werben Mitgliederversammlung: AG Baurecht/ AG Medizinrecht/AG Erbrecht AG Strafrecht: Ehrenpreis „pro reo“

Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Bielefeld

Mitteilungen

Praxis der Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas

Zivilverfahren

Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer, München

51

Deutsches Arbeitsrecht unter europäischem Einfluss

53

Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) Rechtsanwalt Arno Schubach, Koblenz

Europäisches Bagatellverfahren ab 2009 Rechtsanwalt Curt Engels, Hamburg

Das europäische Mahnverfahren Rechtsanwalt Curt Engels, Hamburg

Rechtsanwältin Dr. Ulrike Schweibert, Frankfurt am Main und Rechtsanwältin Andrea Caspary-Hunke, Frankfurt am Main

27

Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung) Udo Henke Rechtsanwälte

Anwaltsrecht 55

Die Hinweispflicht auf die Abrechnung nach Gegenstandswert Rechtsanwalt Professor Dr. Jörn Steike, Dachau

Kommentar 32

Das neue VVG – eine Mogelpackung?

Dokumentationszentrum 57

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln

RVG-Frage des Monats 58

Anwaltsblattgespräch 33

OLG Hamm ./. BGH: Honorare für Strafverteidiger deckeln? Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin

Es wird am Ende von den Anwälten abhängen, ob das Erfolgshonorar ein Erfolgsmodell wird Interview mit Rechtsanwalt Dr. Michael Streck und Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann zum Erfolgshonorar

Blick ins Ausland

Soldan Institut 59

Wie Anwälte die Aufmerksamkeit potenzieller Mandanten wecken Prof. Dr. Christoph Hommerrich, Bergisch Gladbach und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln

Gastkommentar 37

Wer bestimmt, was wir erinnern? Dr. Joachim Jahn, Frankfurter Allgemeine Zeitung

II

AnwBl 1 / 2008

Bücherschau 61

Von anderen Ländern lernen Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln

Haftpflichtfragen 63

Der Schadenfall in der Anwaltshaftung nach der VVG-Reform Rechtsanwalt Bertin Chab, München

Rechtsprechung Anwaltsrecht 65 66 67 68

BGH: Maklertätigkeit unvereinbar mit Anwaltsberuf BGH: Keine (leichte) Flucht in die Anstellung BGH: Beweislast beim Vermögensverfall LG Dresden: Zeugnisverweigerungsrecht für Reno Anwaltshaftung

68 70 71 72

BGH: Abrechnung nach Gegenstandswert: Anforderung an Belehrung BGH: Keine Haftung für den früheren Anwalt BGH: Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses OLG Düsseldorf: Haftungsgrundsätze für M&A-Transaktionen Anwaltsvergütung

72 73 74

BGH: Kosten der nicht existenten Partei LG Ulm: Doppelter Mehrvertretungszuschlag AG Emmerich: Übliche BGB-Vergütung Prozesskostenhilfe

76

OLG München: Verfahrensgebühr bei Beiordnung zur Einigung BVerfG: PKH-Sätze bei Streitwert von 42 Mio. DM angemessen BGH: Keine PKH trotz Zulassung der Revision

76

Fotonachweis, Impressum

XXX XXXIV

Bücher & Internet Deutsche Anwaltakademie aktuell

74 75

Schlussplädoyer XXXVI

Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service

AnwBl 1 / 2008

III

MN

Bericht aus Berlin

Mit Expertenrat und vollem Programm ins Neue Jahr Rechts- und justizpolitisch hat der Gesetzgeber im vergangenen Jahr Höchstleistungen erbracht. Wichtige Reformen wurden abgeschlossen, etliche neue Gesetze verabschiedet. Und es geht weiter. Noch ist die rechtspolitische Agenda der Bundesregierung nicht abgearbeitet, sensible Themen wie nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht, Kronzeugenregelung, Deals im Strafverfahren und Reformen im Insolvenzrecht stehen zur Entscheidung an. Zahlreiche Anhörungen Für den Bundestags-Rechtsausschuss beginnt das neue Jahr mit einer Vielzahl von Anhörungen. So werden am 23. Januar Sachverständige zum Gesetzentwurf zur Modernisierung des GmbH-Rechts gehört, bei dem vor allem die Absenkung des Mindeststammkapitals und die geplante „haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft“ umstritten sind. Im Februar folgt eine zweitägige öffentliche Anhörung zur FGG-Reform: Am 11. Februar geht es dabei um das allgemeine Verfahrensrecht und am 13. Februar um das familiengerichtliche Verfahren. Noch im Dezember erfolgte bereits die Anhörung zur Regierungsentwurf zur Vaterschaftsfeststellung und zum Bundesratentwurf über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung. Alle Vorhaben sollen in der ersten Jahreshälfte abgeschlossen werden. Vereinfachung sozial- und arbeitsgerichtlicher Verfahren Noch kurz vor Jahresschluss hat die Bundesregierung ein Gesetzespaket zur Entlastung der Sozial- und Arbeitsgerichte auf den Weg gebracht – eine Forderung, die die Länder schon seit langem erheben, auch wenn ihre Wunschliste nun nicht ganz erfüllt wird. Vor allem bei den durch die Übertragung der „Hartz-IV-Verfahren“ besonders belasteten Sozialgerichten soll es zahlreiche Vereinfachungen geben. So werden die Anforderungen an Klageschrift und -begründung erhöht, Präklusionsvorschriften verschärft und es IV

AnwBl 1 / 2008

wird eine Klagerücknahme fingiert, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung nicht betreibt. Bei mehr als zwanzig Verfahren zur selben behördlichen Maßnahme können die Sozialgerichte die Verfahren aussetzen und ein Musterverfahren durchführen. Bei einstimmigem Rechtmittelverzicht kann das Gericht vom Abfassen des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen. Die Berufungssumme wird für natürliche Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf 10.000 Euro angehoben. Die Beschwerde wird im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache keine Berufung zulässig wäre, sowie gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe aus persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen. Für Streitigkeiten über allgemeine Rechtsfragen werden erstinstanzlich die Landessozialgerichte zuständig. In der Arbeitsgerichtsbarkeit wird für Arbeitnehmer wahlweise der Gerichtsstand des Arbeitsortes eingeführt, das Verfahren der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage beschleunigt und der Rechtsweg zum Bundesarbeitsgericht eröffnet. Deutlich erweitert wird die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden, die sich künftig u.a. auch auf die Verwerfung eines unzulässigen Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil bezieht, auf die Verwerfung einer unzulässigen Berufung und die isolierte Entscheidung über Gerichtskosten. In Kraft treten sollen die Neuerungen zum 1. April 2008. Erfolgshonorare werden zulässig Ebenfalls in der ersten Jahreshälfte sollen anwaltliche Erfolgshonorare in Ausnahmefällen zulässig werden. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums greift dabei auch Vorschläge des DAV und der BRAK auf und setzt eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts um. Das hatte Ende Dezember 2006 das bestehende Verbot zwar bestätigt, aber eine Ausnahme verlangt, wenn ein Mandant sonst aus wirtschaftlichen Gründen von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Eben diese Ausnahme soll nun in einem neuen § 4 a RVG geschaffen werden. In der schriftlich abzuschließenden Vereinbarung muss die die Höhe des Erfolgszuschlags festgelegt werden und der Anwalt muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu den Erfolgsaussichten darlegen. Weiterhin unzulässig bleiben Verein-

barungen, in denen sich Anwälte zu Tragung der Gerichtskosten oder der gegnerischen Kosten verpflichten. Auch soll klargestellt werden, dass die Vereinbarung höherer Gebühren dann kein Erfolgshonorar ist, wenn die Gebühren Erfolgskomponenten beinhalten (wie bei den Gebühren 1000 bis 1007, 4141 und 5115 VV RVG) und die Vereinbarung nicht von Bedingungen wie dem Ausgang der Sache abhängig ist. Güterrecht wird reformiert Reformieren will das Bundesjustizministerium auch den Zugewinnausgleich und die Verwaltung von Girokonten betreuter Menschen. Nach dem Referentenentwurf soll es zwar dabei bleiben, dass während der Ehe erworbene Vermögenswerte zu gleichen Teilen an die Ehepartner gehen. Gleichzeitig soll aber sichergestellt werden, dass der wirtschaftliche Erfolg aus der Ehezeit auch tatsächlich hälftig verteilt wird. So soll etwa bei der Berechnung des Ausgleichsbetrags berücksichtigt werden, wenn in der Ehe voreheliche Schulden getilgt werden, da dies auch einen wirtschaftlichen Erfolg darstellt. Zum Schutz vor Vermögensmanipulationen soll für die Berechnung des Zugewinns der Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags maßgeblich sein. Besteht die Gefahr, dass Vermögen beiseite geschafft wird, kann der Zugewinn auch im vorläufigen Rechtsschutz geltend gemacht werden. Darüber hinaus soll ein Betreuer künftig über ein von ihm treuhänderisch verwaltetes Girokonto ohne gerichtliche Genehmigung verfügen können; das dürfen derzeit nur nahe Angehörige. Damit soll der automatisierte Zahlungsverkehr vereinfacht werden. Zum Schutz des Betreuten bleibt es aber bei der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts, sodass der Betreuer alle Einnahmen und Ausgaben genau abrechnen und Kontobelege einreichen muss.

Stefan Schnorr, Berlin Der Autor ist Leitender Ministerialrat und Leiter des Referats Justiz der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und der Europäischen Union.

MN

Bericht aus Brssel

Was bringt das Jahr 2008 für die Anwaltschaft? Schon 2007 hat es sich angekündigt auch 2008 wird aus europäischer Sicht ein Jahr der Verbraucher werden. Insbesondere Mechanismen zur kollektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten, werden in Brüssel heftig diskutiert. Sammelklagen: Neues Feld für Anwälte? Innerhalb der Kommission beschäftigen sich gleich zwei Generaldirektionen (Wettbewerb und Verbraucherschutz) mit dem Thema. Man möchte das Fehlverhalten von Unternehmen nicht nur durch staatlich auferlegte Geldbußen sanktionieren. Vielmehr soll der Verbraucher Schadenersatz direkt einklagen können und danach dann, wenn im Fall einer Einzelklage die Kosten der Rechtsdurchsetzung den dem einzelnen entstandenen Schaden übersteigt. Während die Generaldirektion Wettbewerb nun schon erste konkrete Schritte in einem Anfang des Jahres erscheinenden Weißbuch in Aussicht stellen möchte, prüft die Generaldirektion Verbraucherschutz noch die einschlägigen Formen kollektiver Rechtsdurchsetzung (Gruppenklagen, Vertreterklagen wie die Verbandsklage sowie Musterverfahren entsprechend dem deutschen) in verschiedenen Studien und möchte erst Ende des Jahres 2008 eine Mitteilung vorlegen. Die Generaldirektion Wettbewerb beschäftigt sich nur mit der privatrechtlichen Durchsetzung von Wettbewerbsverstößen der Unternehmen mittels kollektiver Schadenersatzklagen. Darüber hinaus prüft die Generaldirektion Verbraucherschutz den Anwendungsbereich in Produkthaftungsfällen oder Verstößen gegen das UWG. Beide Generaldirektionen möchten Hand-in-Hand arbeiten. Betont wird auf europäischer Ebene von allen Beteiligten eines: Es soll keine Class-Action nach amerikanischem Vorbild geben. So sind derzeit nicht angedacht: Erfolgshonorar (zumindest nicht wie im amerikanischen System) und Strafschadenersatz. Die Frage der Finanzierung von möglichem kollektivem Rechtschutz VI

AnwBl 1 / 2008

durch die Kläger ist jedoch eine der zentralen Fragen, die die Generaldirektion Verbraucherschutz im ersten Halbjahr 2008 abfragen möchte. Ein anderes Problem ist, inwieweit Unternehmen durch Schadenersatzklagen bzw. Gewinnabschöpfung der durch Fehlverhalten erlangten Unternehmensgewinne von zukünftigem Fehlverhalten abgehalten werden können. Hierbei ist allerdings auch der den Unternehmen durch unbegründete Klagen entstehende Schaden zu bedenken. Es sollte keinerlei Anreize für offensichtlich unbegründete Klagen geben. In der wie oben erwähnt für Ende 2008 erwarteten Mitteilung der Generaldirektion Verbraucherschutz wird ausgeführt werden, ob die Kommission ein bindendes Rechtsinstrument oder aber nur reine Empfehlungen in diesem Bereich vorschlagen wird. Binnenmarkt: Stärkung der Verbraucherrechte Den Binnenmarkt fit machen für das 21. Jahrhundert – dies möchte die Kommission in einer Ende vergangenen Jahres vorgestellten Mitteilung, die von verschiedenen Arbeitspapieren der Kommissionsdienststellen flankiert wird. Die Kommission hat 23 in Bezug auf den Binnenmarkt schlecht funktionierende Sektoren ermittelt, darunter auch die Freien Berufe als Teil von „Other Business Services“. Vor allem Verbraucher und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollen gefördert werden, damit sie vom Binnenmarkt besser profitieren können. Seitens der KMU ist für Mitte 2008 ein Gesetzgebungsvorschlag für die sogenannte Europäische Privatgesellschaft, eine europäische GmbH, angekündigt. Den Verbrauchern sollen neben Mechanismen der kollektiven Rechtsdurchsetzung insbesondere durch Vorschläge zur weiteren Vertiefung des europäischen Verbrauchervertragsrechts Anreize geboten werden, stärker grenzüberschreitend zu konsumieren. In Fortsetzung ihrer Arbeiten zum Grünbuch Verbraucheracquis wird die Kommission 2008 eine Rahmenrichtlinie vorschlagen, mittels derer horizontale Fragen durch Vollharmonisierung vereinfacht werden sollen. Deregulierung der freien Berufe Raum für Verbesserungen sieht die Kommission weiterhin auch bei den Freien Berufen. Durch Anwendung des Wettbewerbsrechts und der Regeln des Freien Dienstleistungsverkehrs sollen

verbleibende Schranken beseitigt werden, u. a. beim Zugang zum Beruf. Beim Thema „Europa und die Freien Berufe“ hat bereits 2007 gezeigt, dass sich die Schwerpunkte innerhalb der Kommission von der Generaldirektion Wettbewerb hin zur Generaldirektion Binnenmarkt verschoben haben. So ist beispielsweise das Gebührenthema seit der Cipolla-Entscheidung (verbundene Rechtsachen C-94/04 und C-202/04) des europäischen Gerichtshofs im Dezember 2006 keine wettbewerbsrechtliche Frage, sondern eine des Binnenmarkts, die sich nun in Deutschland ganz konkret bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie stellen wird. Auch die Frage des im DocMorris-Verfahren für die Apotheken diskutierten Fremdbesitzes wird nun für die Rechtsanwälte relevant. Freiheit, Sicherheit und Recht Die EU wird uns überdies in zahlreichen rechtspolitischen Bereichen in diesem neuen Jahr wieder beschäftigen. Vor dem Hintergrund der im Lissabon-Vertrag enthaltenen Änderungen in diesem Bereich hat die Kommission eine Mitteilung zu den Gesetzgebungsprioritäten in den Gebieten der Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen angekündigt. Konkrete rechtspolitische Gesetzgebungsvorschläge sind u.a. im Bereich Erb- und Testamentsrecht zu erwarten. Präsidentschaft des CCBE Ende 2007 ist auf der Herbstvollversammlung des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) die Präsidentschaft für 2008 gewählt worden. Diese setzt sich in diesem Jahr zusammen aus dem ungarischen CCBE-Präsidenten Peter Köves (aus der Kanzlei Clifford Chance, Budapest), der dänischen Anwältin Anne Birgitte Gammeljord (1. Vizepräsidentin) sowie dem Spanier José-Maria Davo (2. Vizepräsident).

Eva Schriever, LL. M., Berlin/ Brüssel Die Autorin ist Rechtsanwältin und Geschäftsführerin des DAV.

MN

Informationen

Telekommunikationsüberwachung _______________________________________

Hamburgischer Anwaltverein _______________________________________

DAV-Anwaltausbildung _______________________________________

DAV lehnt Gesetz weiter ab

Bachelor und Master in der deutschen Juristenausbildung

Zinslose Darlehen der Elze-Hilfe

Der Deutsche Anwaltverein hat sich gegen die am 29. November 2007 Freitag im Bundesrat erfolgte Verabschiedung des Gesetzes zur Telekommunikationsüberwachung gewandt. In einem Schreiben an die Justizminister der Länder warb der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Rechtsanwalt Hartmut Kilger, im Vorfeld mit Nachdruck für eine grundlegende Überarbeitung des § 160 a StPO. Dieser sieht vor, dass neben Geistlichen und Abgeordneten nur Strafverteidiger, nicht aber die übrige Anwaltschaft, vor Überwachungsmaßnahmen durch die Ermittlungsbehörden geschützt ist. Eine solche Aufspaltung der Anwaltschaft und der Berufsgeheimnisträger im Besonderen wird vom DAV strikt abgelehnt.

Unter dem Titel „Lücken im Pflichtversicherungsrecht der VVG-Reform“ wurden von mir im Dezember-Heft des Anwaltsblatts systematische Brüche aufgezeigt, die durch die Rückführung des ursprünglich vorgesehenen allgemeinen Direktanspruchs auf die in § 115 Abs. 1 VVG n. F. genannten Ausnahmefälle im Pflichtversicherungsrecht des neuen VVG entstanden sind. Diese Lücken hat der Gesetzgeber bereits erkannt. Sie werden durch das „Zweite Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften“ beseitigt. Nach Art. 3 dieses Gesetzes wird insbesondere § 117 VVG n. F. dahin geändert, dass die Vorschrift auch zugunsten des geschädigten Dritten gilt, der keinen Direktanspruch hat. Durch Einfügung eines 5. Abs. in § 117 wird der entfallene Übergang der Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer auf den Versicherer wieder eingeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf BT-Drucks. 16/6627 und BR-Drucks. 707/07 verwiesen.

Im Rahmen eines Zweiten Hamburger Symposiums zur Juristenausbildung diskutierten im November 2007 Vertreter aller juristischen Berufe, wie sich die unter dem Stichwort „Bologna-Prozess“ stattfindende Umstellung des Universitätsstudiums auf Bachelor- und Master-Studiengänge in der deutschen Juristenausbildung realisieren lässt. Der Einladung des Hamburgischen Anwaltvereins und der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ) Hamburg folgten über 130 Fachleute aus Justiz, Verwaltung, Hochschulen und Anwaltschaft. Während die Präsidentin des OLG Hamburg Erika Andreß und der Vorsitzende des Deutschen-Juristenfakultätentages Prof. Dr. Peter M. Huber Zweifel am Bachelor-Master-System äußerten, schien für die Teilnehmer der Bologna-Prozess nicht mehr aufhaltbar. In vier Fachgruppen (Zivilrecht, Öffentliches Recht, Strafrecht und „Struktur“) wurde über Wege der Umstellung und die Inhalte eines juristischen Bachelor- oder Master-Studiums diskutiert. Die Foren kamen nahezu einhellig zu dem Ergebnis, dass der Bologna-Prozess zu keinem Qualitätsverlust führen müsse. Vielmehr liege in der Umstellung des Studiums eine Chance, die Qualität gegenüber der jetzigen Ausbildung zu steigern. Das Bachelor-Studium könne auf den vielfältigeren juristischen Arbeitsmarkt vorbereiten. Der Bologna-Prozess muss nicht zur Abschaffung einer staatlichen Prüfung führen. Die Teilnehmer waren sich weitgehend einig, das ein staatliches Examen als Eingangsprüfung für den juristischen Vorbereitungsdienst für reglementierte Berufe (wie zum Beispiel Anwalt oder Richter) sinnvoll sei. Die Diskussionen entzündeten sich dann jedoch an der Frage, wie der juristische Vorbereitungsdienst künftig aussehen könne. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Oberstaatsanwalt Christoph Frank wies darauf hin, dass das heutige Referendariat nicht mehr angemessen auf den Beruf vorbereite. Damit zeigte sich: Der Teufel steckt letztendlich wieder im Detail.

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Stobbe, Hannover

Rechtsanwa¨ltin Ulrike Guckes, Berlin

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 43/07

Anwaltshaftung _______________________________________

VVG-Reform: Gesetz zur Lückenbeseitigung

VIII

AnwBl 1 / 2008

DAV-Anwaltreferendaren finanziert die Elze-Hilfe der Deutschen Anwalt- und Notarversicherung (DANV) unter bestimmte Voraussetzungen die Kosten für die DAV-Anwaltausbildung von etwas über 2.000 Euro. Die DANV wurde 1907 aufgrund einer Entscheidung auf dem Deutschen Anwaltstag 1905 als „Ruhegehalts-, Witwen- und Waisenkasse für deutsche Rechtsanwälte und Notare“ gegründet. Sie feierte im Oktober 2007 ihren 100. Geburtstag. Im Beirat der Versicherung, die heute eine Sonderabteilung der zur Ergo-Gruppe gehörenden HamburgMannheimer Versicherungs-AG ist, ist der DAV seit 1956 vertreten. Delegierter des DAV ist zurzeit Rechtsanwalt Felix Busse (Troisdorf).

AG Insolvenzrecht und Sanierung _______________________________________

Veranstaltung Februar 2008 Die Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung in der AG Insolvenzrecht und Sanierung des DAV veranstaltet am 15. Februar 2008 in Frankfurt/Main ihr 13. Treffen. Die Arbeitsgruppe, 2001 als Untergruppierung der AG Insolvenzrecht und Sanierung gegründet, bietet Schuldner- und Gläubigervertretern, Insolvenzverwaltern und Treuhändern ein Diskussions- und Fortbildungsforum zu Fragen der Insolvenzverfahren natürlicher Personen. Prof. Dr. Martin Ahrens, Göttingen trägt vor über Rspr. und aktuelle Entwicklungen in den Verfahren natürlicher Personen. Mit den aktuellen Problemen aus Verwaltersicht in diesen Verfahren beschäftigt sich Rechtsanwalt Matthias Hofmann, Bayreuth. Rechtsanwalt Stephan Ries, Wuppertal referiert zur Selbstständigkeit des Schuldners im eröffneten Verfahren und zum neuen § 35 Abs. 2/3 InsO und Rechtsanwältin Katrin Wedekind, Lüneburg wird über die geplanten Änderungen der InsO und den Stand des Gesetzgebungsverfahrens berichten. Anmeldungen über Deutsche Anwaltakademie, Anja Hoffmann, Littenstr. 11, 10179 Berlin, Tel. 030/726153 – 183, Fax – 188, hoffmann @anwaltakademie.de. Eine Teilnahmebescheinigung zur Vorlage gem. § 15 FAO wird erteilt.

MN

Informationen

AG Verkehrsrecht _______________________________________

Leserreaktion _______________________________________

Veranstaltungen Februar 2008

Rechtsanwälte bei Spams Freiwild?

9 Verkehrsrecht für junge Kollegen RA Elsner LL.M.(Hagen), RA Dr. Burmann (Erfurt), RA Dr. Hess LL.M. (Bochum): 29.03.2008 / Bispingen 9 Verkehrsunfallflucht und Nötigung im Straßenverkehr RA Michael Bücken (Köln): 16.2.2008/ Bad Bramstedt 9 Verteidigungstaktik bei Verkehrsordnungswidrigkeiten JR RA Gebhardt (Homburg/Saar): 16.2.2008 / Erfurt; 23.2.2008/ Stuttgart 9 Der Verkehrsunfall mit mehreren Beteiligten Haftungsprobleme Vors.RiOLG a.D. Lemcke (Münster): 16.2.2008 / Freiburg 9 Wahrheitsfindung und Technik der Befragung von Zeugen/Innen RiOLG Wendler (Filderstadt): 16.2.2008 / Hannover 9 Die Verteidigung in Verkehrssachen mit Blick auf Revision und Rechtsbeschwerde Prof. Dr. Dencker (Münster): 1.3.2008 / München

Anmerkung zu dem Beitrag „Kostenerstattung bei Selbstbeauftragung“ von Rechtsanwalt Dr. Mirko Möller, LLM im Juli-Heft des Anwaltsblatts (AnwBl 2007, 526):

Anmeldungen (bitte schriftlich) an: Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht, Veranstaltungsorganisation, Gansweide 21, 53359 Rheinbach, Tel: 02226/ 91 20-91, Fax: -95. Weitere Informationen und Veranstaltungshinweise finden Sie unter www.verkehrsanwaelte.de

Anwaltsblatt

______________________________ Berichtigung Im Beitrag „Das Ende der Rechtsberatung durch jüdische Juristen“ (AnwBl 2007, 801) ist in Fußnote 1 die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als Herausgeberin der Werke „Anwalt ohne Recht. Schicksal jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“ und „Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin“ benannt. Das zweite Werk ist jedoch nicht von der BRAK, sondern von der Rechtsanwaltskammer Berlin herausgegeben worden. Wir bitten um Entschuldigung. Die Redaktion

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AnwBl 1 / 2008

Grundsätzlich ist Anspruchsgrundlage für die Erstattungspflicht der Abmahnkosten die Geschäftsführung ohne Auftrag (BGH GRUR 1973, 384; 1984, 131; 1991, 550; 1991, 680). Die Kostenerstattungspflicht ergibt sich auch unter den Gesichtspunkten des Schadensersatzes. Nach diesem Rechtsgrundsatz ist der Mandant berechtigt, den Störungszustand, den der Spamer durch sein Verhalten geschaffen hat, durch eine Abmahnung zu beseitigen und den dafür erforderlichen Aufwand, nämlich die Kosten der anwaltlichen Tätigkeit, erstattet zu verlangen. Im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag erstreckt sich der Aufwendungsersatzanspruch nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung grundsätzlich auch auf eigene Tätigkeiten, sofern diese zum Beruf oder Gewerbe des Geschäftsführers gehören (statt vieler Palandt-Sprau, BGB, § 683 Rdnr. 8, m. w. N.). So ist einem seinen Wandschaden reparierenden Maurer die übliche Vergütung zu leisten. Gleiches galt bislang selbstverständlich auch für den selbst seinen Schaden regulierenden Rechtsanwalt und auch für den sich gegen Belästigungen selbst wehrenden Anwalt. Noch im Jahr 2004 hat der VI. Zivilsenat mit Beschluss vom 30.11.2004, AZ: VI ZR 65/04, nicht beanstandet, dass auch ein Rechtsanwalt für eigene Tätigkeit in Sachen Spam-Abwehr Gebührenersatz verlangen kann. Dieser Beschluss hat sich schon unheilvoll auf die Streitwertentwicklung ausgewirkt. (Ausnahmen sind selten und hauptsächlich in Berlin zu finden). Nunmehr hat der BGH jedoch mit zwei Urteilen Rechtsanwälte zu Freiwild erklärt. Die Urteile haben durchaus das Potential zu „Spamer’s best friend“ zu werden. Der BGH scheint sich der der Spam-Problematik nicht ganz bewusst zu sein und schlägt den Gerichten und engagierten Anwälten eine Waffe nach der anderen aus der Hand. Solange Spam in Deutschland

nicht strafbar ist, sind die Abmahnung und deren Kostenfolgen die einzige Sanktion, die Spamer zu fürchten haben. Meist wagen nur entsprechend spezialisierte Anwälte, wegen Spam vor Gericht zu ziehen, da der „normale Mandant“ sich mit 50–300 Spam-Mails täglich abgefunden hat und das Kostenund Vollstreckungsrisiko scheut. Erstaunlich ist jedoch, dass Spamer, die sonst die Rechtsprechung mit Nichtachtung strafen, ausgerechnet diese Urteile nahezu im Schlaf aufsagen können. Diese zweifelhafte Ehre war zuletzt dem Amtsgericht Dresden (AZ: 114 C 2008/05) zu Teil geworden. Problematisch finde ich die Einteilung in „Missbrauchsfälle“ und legitime Verteidigung. Es mag ja sein, dass manche Anwälte eher gegen Spam klagen, und auch nicht gerade niedrige Fallzahlen produzieren, vielleicht so auch einen nicht unerheblichen Anteil ihres Umsatzes erwirtschaften. Doch: Schon das OLG München (WRP 2007, 349 bzw. GRUR-RR 2007, 55) hat klargestellt, dass die Häufigkeit von Abmahnungen allein für sich nur Zeugnis ablegt über die Anzahl der Verstöße. Im Bereich Spam-Abwehr von „Missbrauchsfällen“ zu sprechen, hieße, den Belästigten zu verpflichten, einen gewissen Prozentsatz zu dulden, um nicht zu oft zu klagen, oder ihm zu unterstellen, die Spam-Zusendungen herausgefordert oder provoziert zu haben, nur um „Abmahnfutter“ zu haben. Dem Verfasser fallen keine Konstellationen ein, in denen von „Missbrauchsfällen“ zu sprechen wäre. Hier ist der große Unterschied zu den AGB- oder Impressums-Abmahnungen. Denn diese Verstöße gegen BGB und TMG muss der Abmahnende eigenständig suchen. Spam oder Cold Calls bekommt er geliefert, er kann derartige Verstöße nicht per Suchmaschine im Internet suchen, sondern – außerhalb des Wettbewerbsrechts, also in den hier in Rede stehenden Fällen – nur den abmahnen, der ihm persönlich Spam geschickt hat. Die beiden Entscheidungen sind daher als katastrophal falsch und – auch – rechtspolitisch verfehlt zu bezeichnen. Rechtsanwalt Frank Richter, Heidelberg

Anwaltsblatt Jahrgang 58 , 1 / 2008 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanwälten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg

Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung) Udo Henke Rechtsanwälte

Auslegung von Gesetzen: Vom nationalen zum europäischen Privatrecht Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Ko¨ln

Das europäische Recht überlagert nicht nur das nationale Recht, es kann – wie beim Verbraucherrecht bereits geschehen – zu einem Abschied vom nationalen Recht führen. Die Konsequenzen reichen weit. Sie erfassen auch die Auslegungsmethoden. Der Beitrag stellt die Unterschiede zwischen der Auslegung nationalen Rechts und des europäischen Rechts (am Beispiel von Richtlinien) mit Blick auf die anwaltliche Praxis dar. Der Autor erinnert zugleich daran, dass jede Auslegung auch ihre Grenzen hat. Damit wird der Leser aufgefordert, auch einen Blick auf die eigene anwaltliche Tätigkeit zu werfen. Das Thema gliedert sich wie von selbst in zwei zu beleuchtende Aspekte. Zunächst wird es darum gehen, in einigen kurzen Strichen die wesentlichen Gesichtspunkte herauszugreifen, die für die Auslegung von Gesetzen – freilich: begrenzt auf den deutschen Rechtskreis – maßgebend sind (unter I). Sodann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, wie denn das deutsche Recht gegenüber dem immer mehr vordringenden europäischen Recht bei Auslegungsfragen, insbesondere aber auch bei Defiziten in der Umsetzung europäischen Richtlinien-Rechts zu reagieren verpflichtet ist (unter II). Während die auf der ersten Stufe zu findende Antwort immer eine rein nationale, also strikt deutsche ist und auch sein muss, ist es auf der zweiten Stufe genau anders: Hier beherrscht das Diktat des europäischen Rechts mit einiger Rigidität, wie wir sehen werden, die Szene.

verfasste, mittlerweile in fünfter Auflage vorliegende Werk über „Die unbegrenzte Auslegung“.1 Die Arbeit zielt darauf, „eine Analyse des interpretativen Inhaltswandels einer ganzen Privatrechtsordnung unter gewandelten politischen Verhältnissen“ zu versuchen,2 indem sie den Wandel der Privatrechtsordnung von der Weimarer Zeit zum Nationalsozialismus hin unter Auswertung immensen Quellenmaterials unter die Lupe nimmt und dabei konstatiert, dass es in der Sache immer die im wesentlichen gleichen Interpretationstechniken sind, welche die Richter – trotz oder gerade wegen völlig unterschiedlicher gesellschaftlich-wirtschaftlicher Verhältnisse – zur Anwendung bringen. Rüthers zeigt dabei eindringlich, wie zunächst – zu Beginn der Weimarer Zeit mit all ihren wirtschaftlichen Umwälzungen – das Auseinanderfallen von privatautonom gestalteter Vertragsrechtsordnung und Wirklichkeit bewältigt wurde, indem auf die vorhandenen Instrumente der Unzumutbarkeit, der Unmöglichkeit, des Fortfalls oder auch nur der Störung der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen wurde, bevor dann während der Zeit des Nationalsozialismus die gleichen Interpretationstechniken wegen der geänderten politischen Wirklichkeit auf die gesamte Privatrechtsordnung ausgedehnt wurden.3 Dabei hat sich der Wortlaut der Gesetze weitgehend nicht geändert. Ja, man darf anfügen, dass es auch dann nachfolgende in der Zeit der „Bonner Republik“ wiederum die gleichen Gesetze waren, die jetzt – unter Beachtung des Wertekatalogs des Grundgesetzes – einen wertebezogenen Inhalt erhielten. Und nichts anderes gilt in der Sache für die Zeit nach dem Fortfall von Mauer und Stacheldraht, soweit in der ehemaligen „DDR“ die dort bestehenden Gesetze weiterhin galten. Das markanteste Beispiel für die dann sich vollziehende – wertebezogene – Umdeutung der ehemaligen Gesetze in der „DDR“ lässt sich an den Beispiel der sogenannten „Mauerschützen-Prozesse“ exemplifizieren: Die für die Todesschüsse an Mauer und Stacheldraht Verantwortlichen

I. Auslegungsparameter nach deutschem Recht 1. Ausgangspunkt Kaum ein juristisches Werk hat – jedenfalls in meinen Augen – eine so herausragende Bedeutung in methologischer und systematischer Sicht erreicht, wie das von Bernd Rüthers Vom nationalen zum europäischen Privatrecht, Graf von Westphalen

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Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 5. Aufl., Heidelberg 1997. Rüthers, aaO S. 4. Rüthers aaO S. 13ff.; S. 91 ff.

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wurden deswegen verurteilt, weil ihre Taten – und vor allem auch: die diese Taten rechtfertigenden Gesetze – gegen die Menschenrechte verstießen.4 In dem bekannten Beschluss gegen den ehemaligen Mitglieder des „Nationalen Verteidigungsrats“ der „DDR“ erklärte das Verfassungsgericht ausdrücklich, dass das Gebot des Grundgesetzes, dass keine Straftat vorliege, der kein formelles Gesetz vorausgeht (Art. 103 Abs. 2 GG) nur dann und nur insoweit als Grundrecht anzuerkennen ist, als ein demokratisch legitimierter Gesetzgeber tätig geworden sei, nicht aber dann, wenn der Träger der Staatsmacht für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts die Strafbarkeit ausschließt und stattdessen Rechtfertigungsgründe vorsieht.5 Unter dieser Voraussetzung aber muss – so das BVerfG – der aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete und jeden Straftäter schützende Grundsatz des „nulla poene sine lege“ zurücktreten. Damit setzte das höchste deutsche Gericht eine lange Linie der Rechtsprechung des BGH fort.6 In diesen die Regierungskriminalität der „DDR“ betreffenden Fällen hatte der BGH bereits entschieden, es sei unter Beachtung der elementaren Menschenrechte schlicht nicht zu rechtfertigen, dass Menschen auf Befehl eines Staates erschossen werden, die nichts anderes wollen, als dem betreffenden Staat durch Flucht den Rücken zu kehren. 2. Geltender Auslegungskanon a) Eindeutigkeitsregel Gegenläufig zu den hiermit apostrophierten Beispielen steht die immer wieder vertretene sogenannte Eindeutigkeitsregel. Sie besagt, eine eindeutige, klare und damit auch einsichtige Rechtsregel sei ihrerseits der Auslegung nicht zugänglich, weil das, was klar und eindeutig ist, eben nicht mehr durch welche juristische Argumentationstechnik auch immer, wieder in Zweifel gezogen und für die Begründung eines abweichenden Ergebnisses herangezogen werden darf.7 Doch es besteht inzwischen fast einhelliges Einvernehmen darüber, dass die simple Feststellung, eine Rechtsregel sei klar und eindeutig wiederum keineswegs so klar und eindeutig ist, sondern nichts anderes als das Ergebnis einer – vorgeschalteten – Auslegung.8 b) Erforschung des objektiven Willens Es ist hier nicht der Platz, den methodischen Streit aus im einzelnen aufzufächern, inwieweit die sich „objektiv“ nennende Methode der Auslegung9 in Wirklichkeit als das erweist, was sie immer sein muss, nämlich: den wirklichen, den realen Willen des Gesetzgebers zu erforschen, um ihm bei der dann stattfindenden Auslegung der jeweiligen Norm auch entsprechend Rechnung zu tragen. Man mag diese Methode als „objektiv“ bezeichnen,10 darf aber nicht übersehen, dass auch sie immer ihre Stütze in Äußerungen des Gesetzgebers suchen muss und auch zu finden verpflichtet ist, weil es ja darum geht, sich an dem wirklichen Willen des Gesetzgebers auszurichten.11 Freilich ist sogleich ein Einwand zur Hand: Wenn und soweit sich nämlich die zu beurteilenden Lebenssachverhalte, sozusagen der Horizont auf dem und dem gegenüber der Gesetzgeber die Norm verfasst hat, ändern,12 wird man bei der Auslegung der betreffenden Norm diese Änderung zu berücksichtigen haben. Diese Gedankenoperation führt dann konsequent dazu, die fall- und zeitgemäß geprägte Norm kritisch zu hinterfragen, so dass auf diesem Umweg 2

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dann die auf den „objektiven“ Willen des Gesetzgebers abstellende Auslegung wiederum ihre Begrenzung wie auch ihre Relativierung erfährt.13 Die wiederum ist nichts anderes als der Versuch, die immer aufzufindenden tatsächlichen – subjektiven – Äußerungen des Gesetzgebers in den Kontext des jeweiligen Empfängerhorizonts einzubinden, weil es ja bei jeder Norm um die sich aus ihr ableitende Regelbefolgung – um den Gehorsam des Bürgers – geht.14 Diese Sicht entspricht auch den Grundsätzen der modernen Kommunikationstheorie, weil es nicht nur auf den geäußerten Willen des Erklärenden ankommt, sondern vor allem auch darauf, was der Empfänger der jeweiligen Erklärung als Adressat der Norm unter dem so ausgesprochenen Gesetzesbefehl verstehen kann, darf und vor allem soll. In einer sich immer weiter und immer neu verändernden Gesellschaft umschreibt der damit aufgezeigte Kontext auch die Rolle des Richters. Er ist nicht mehr, wie von Montesquieu gefordert „la bouche des lois“, sondern der Gesetzgeber und mit ihm der Richter wird zum „Spiegel der Gesellschaft“.15 So einsichtig dieser theoretische und im Ergebnis natürlich auch praktische Ansatz ist, so gefahrvoll erweist er sich, wenn man zum einen bedenkt, dass eine fixierende Bindung an Werte – zumal an vorgegebene, gleichsam prä-dispositive – Werte von Gesetz und Rechtsprechung so nicht mehr zu begründen ist. Noch deutlicher wird dies, wenn man zum anderen nur kurz an den Ausgangspunkt unserer Erörterungen zurückkehrt: Wenn nämlich und weil Gesetzgebung und Rechtsprechung nichts anderes mehr sind als nur noch der „Spiegel der Gesellschaft“,16 dann ist im Ergebnis auch die von Rüthers beklagte „unbegrenzte Auslegung“17 auch heute wieder und dies wohl auch genauso, was Gott freilich verhüten möge, möglich wie in der Schreckenszeit der NS-Herrschaft. aa) Logisch-grammatikalische Auslegung Dieser durchaus pessimistisch klingende Grundansatz soll indessen nicht den Blick dafür verstellen, dass weithin Einvernehmen über die einzelnen methodischen Schritte der Auslegung eines Gesetzes besteht. Denn an erster Stelle geht es darum, von der Wortbedeutung eines vom Gesetzgeber verwendeten Begriffs auszugehen.18 Zu fragen ist also, was

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BVerfG NJW 1997, 929 ff. BVerfG NJW 1997, 929, 931 f. BGH NJW 1993, 141; BGH NJW 1994, 2703; BGH NJW 1994, 2708. BGH NJW 1956, 1553; vgl. auch MünchKomm./Säcker, BGB, 4. Aufl. München 2001, Einl. Rdnr. 97. MünchKomm./Säcker aaO; vgl. auch für die Auslegung von Rechtsgeschäften, wo die gleiche Feststellung getroffen wird Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. München 2007, § 133 Rdnr. 6; pointierter Erman/Palm, BGB, 11. Aufl. Münster/Köln 2004, § 133 Rdnr. 11; MünchKomm./Mayer-Maly/Busche, BGB, 4. Aufl. § 133 Rdnr. 45. BGH NJW 2003, 2601, 2603 – auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers abstellend; demgegenüber Paland/Heinrichs Einl. Rdnr. 40; MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 106 jeweils m. w. N. So Palandt/Heinrichs aaO Vgl. auch Erman/Palm § 133 Rdnr. 23. So ausdrücklih Palandt/Heinrichs aaO mit der darauf aufbauenden Absage an die „subjektive“ Methode einer Gesetzesauslegung, die am geäußerten Willen des Gesetzgebers festmacht. Hierzu im einzelnen MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 108. Im einzelnen MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 110. Hierzu Hirsch ZIP 2002, 501ff. S. Fn. 15. S. Fn. 1. Hierzu Palandt/Heinrichs Einl. Rdnr. 41.

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der Gesetzgeber tatsächlich gemeint hat.19 Unweigerlich führt dies zu einem mehr oder weniger aussagekräftigen Blick in die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens.20 Doch es geht dabei in der Regel nicht um die Auslegung bestimmter Worte oder von einzelnen Wortverbindungen; vielmehr steht die Auslegung von Begriffskomplexen21 im Vordergrund, weil ja der Gesetzgeber seinen Normbefehl immer zum einen auf der Tatbestandsebene, zum anderen auf der Ebene der angeordneten Rechtsfolgen aufbaut. Folglich steht die Verknüpfung beider Elemente als notwendigen und konstitutiven Bestandteilen einer Norm im Mittelpunkt der Auslegung. Diese aber kann ihrerseits kaum an der grundlegenden Erkenntnis der Sprach- und Kommunikationswissenschaften vorbeisehen, welche von dem sicherlich im einzelnen auch sehr umstrittenen Wort des Wiener Philosophen Wittgenstein geprägt ist: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“.22 Diese Aussage führt dann allerdings – dieser Einschub sie mir gestattet – auf der Ebene des metaphysischen Denkens zu der radikalen Aussage: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“.23 bb) Systematische Auslegung Verbleiben auf der Ebene einer sprachlich-grammatikalischen Auslegung Zweifel oder Unklarheiten, dann geht der nächste Schritt bei der Auslegung einer gesetzlichen Norm dahin, nach ihrem systematischen Zusammenhang zu fragen, also nach der Antwort zu suchen, wie denn der betreffende Rechtssatz in der Gesamtheit der Rechtsordnung zu verstehen ist.24 Das führt dann mehr oder weniger rasch zum Gebot einer verfassungskonformen Auslegung, weil es sich ja bei der Verfassung zuzurechnenden Rechtssätzen immer um höherrangiges Recht25 handelt.26 cc) Auffinden der ratio legis Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass der Zweck des jeweiligen Gesetzes, die ratio legis, letzter und auch verbindlicher Maßstab der Auslegung sein muss.27 Es ist also – mit anderen Worten formuliert – die teleologische Auslegung, die hier eingefordert wird. Subsumiert also der Richter einen bestimmten Lebenssachverhalt unter eine von ihm anzuwendende Norm, dann muss er im Sinn einer teleologischen Auslegung sicherstellen, dass das von ihm gefundene und von der Norm auch vorgegebene Ergebnis nicht widersinnig ist.28 Stets geht es dabei um den Widerstreit, den jede Subsumption zu bewältigen hat, weil sie ja aufgerufen ist, einen konkret-individuellen Lebenssachverhalt einer allgemein-abstrakten Norm mit ihrer jeweiligen Rechtsfolgenanordnung zu unterwerfen. Dieses Spannungsverhältnis fordert, nach Sinn und Tragweite der jeweiligen Norm zu fragen, stellt aber auch häufig die Frage nach Sinn und Zweck des gefundenen Resultats, ob es denn ein wirtschaftlich angemessenes Ergebnis auf Grund einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ ist.29 3. Fallrecht a) Offene Rechtsnormen Man kann schlechthin nicht an der Tatsache vorbeisehen, dass der Gesetzgeber immer weniger in der Lage ist vorausschauend Regelungen zu treffen, die mit hinreichend sicherer Prognose künftige Entwicklungen in der Gesellschaft erfassen. Oft hat man daher von der Flucht des ZivilgesetzVom nationalen zum europäischen Privatrecht, Graf von Westphalen

gebers in die Generalklausel gesprochen. Diese sind ja dadurch charakterisiert, dass sie nur allgemeine Grundsätze aufstellen. Prototypisch sei an den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB erinnert, wo es heißt, dass der Schuldner verpflichtet ist, die ihm obliegende Leistung so nach den Geboten von Treu und Glauben zu erbringen, wie dies mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erforderlich ist. Doch der dann zur Entscheidung des Streitfalls berufene Richter muss nicht nur ein Urteil fällen, sondern er wird dabei gleichzeitig auch das Recht fortbilden.30 Dabei soll gar nicht in Frage gestellt werden, dass der Gesetzgeber – schon wegen des raschen Wandels in Staat und Gesellschaft – oft darauf angewiesen ist, in einer Generalklausel nur allgemeine Richtungen vorzugeben, ohne das Spezifische einer Rechtsnorm widerzuspiegeln, dass sie nämlich einen Tatbestand im Sachverhalt erfasst und daran anknüpfend eine Rechtsfolgenanordnung vorsieht.31 Dennoch sind Generalklauseln Rechtsnormen und werden zutreffend als eine offene Rechtsnorm bezeichnet.32 Ihr Anliegen ist es, mit der sich ändernden Lebenswirklichkeit Schritt zu halten. Damit wird, wie nicht oft genug im Rahmen von § 242 BGB betont werden kann, ein rechtsethisches Moment in die Kodifikation eingebunden, weil vor allem Verlässlichkeit und Redlichkeit als Tugend der rechtschaffenen Bürger ein unverzichtbarer Teil der Rechtsordnung werden.33 Die je herrschenden und anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen werden damit als Rechtssatz verankert.34 b) § 307 Abs. 1 BGB Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man die Norm des § 307 Abs. 1 BGB ins Auge fasst. Danach sind Allgemeine Geschäftsbedingungen immer dann unwirksam, wenn sie gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen und dadurch den Kunden unangemessen benachteiligen. Die besondere praktische Bedeutung dieser Norm liegt vor allem darin, dass sie im Verkehr zwischen zwei Unternehmern überragende Auswirkungen entfaltet und im Ergebnis dazu führt, dass zahlreiche Klauseln nicht nur im Verkehr zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, sondern auch im Verkehr zwischen Kaufleuten als unwirksam angesehen werden. Der dadurch bewirkte Schutz hängt letztlich damit zusammen, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen schon immer dann vorliegen, wenn der Verwender die

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Hierzu BGH NJW 1984, 1236. BGH NJW 2003, 2601, 2603. MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 120. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, S. 43. Zitiert nach Kasper, Der Gott Jesu Christi, 3. Aufl., Mainz 1995, S. 117. Palandt/Heinrichs Einl. Rdnr. 42; MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 125 f. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 228 ff. BVerfG NJW 1994, 2749, 2750 – Auslegung und gleichzeitig Begrenzung der allgemeinen Vertragsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Hierzu MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 128. Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., München 1991, S. 333 ff.; auch MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 128 m. w. N. Sandrock, Die Einheit der Wirtschaftsordnung, 1971, S. 43 ff. Hierzu auch MünchKomm./Roth § 242 Rdnr. 3f. Vgl. MünchKomm./Roth § 242 Rdnr. 2. Erman/Hohloch § 242 Rdnr. 2. Erman/Hohloch § 242 Rdnr. 3. Palandt/Heinrichs § 242 Rdnr. 3.

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Absicht hat, die betreffende vorformulierte Klausel wieder zu verwenden.35 Denn dann nimmt er die Vertragsfreiheit einseitig für sich selbst in Anspruch, so dass er dem anderen Vertragsteil nur die Möglichkeit belässt, den Vertrag – so wie er von ihm vorformuliert wurde – zu akzeptieren oder ihn anzunehmen.36 Mit anderen Worten: In diesen Fällen beschränkt der Verwender der AGB die eigentlich beiden Vertragspartnern zustehende Vertragsfreiheit auf die Abschlussfreiheit, während er selbst – für sich allein – die Vertragsgestaltungsfreiheit in Anspruch nimmt. Daher gilt im Rahmen von § 307 Abs. 1 BGB auch eine generell-abstrakte Bewertung.37 Ohne Rücksicht auf den konkreten Einzelfall entscheidet der Richter also darüber, ob die betreffende Klausel deswegen unwirksam ist, weil sie den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, weil sie den Schluss gestattet, der Verwender habe missbräuchlich bei der Abfassung der Klausel seine eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt und auch die Interessen des anderen keine hinreichende Rücksicht genommen.38 Für den Richter bedeutet dies, dass er bei der Entscheidung über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Klausel zwar eine generell-abstrakte Bewertung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien vornehmen muss.39 Aber er findet hierbei im Gesetz kaum einen verlässlichen Halt. Gewiss, nach unserem Verfassungsverständnis ist der Richter immer an Recht und Gesetz gebunden,40 doch ist ihm auch die Aufgabe der Fortbildung des Rechts anvertraut. Dieser kann er allerdings in diesen Fällen nur gerecht werden, wenn er sich an den jeweils schon vorhandenen Präjudizien ausrichtet. Denn nur dann ist dem Erfordernis hinreichender Rechtsicherheit ausreichend Rechnung getragen, weil eben – entsprechen der Typizität von Fallrecht – Gleiches gleich zu entscheiden ist. Nur diese Rücksichtnahme schützt den Richter davor, ausschließlich auf Grund autonomer Dezision zu entscheiden, ohne hinreichend durch heteronome Elemente in seiner Entscheidungsfindung abgestützt zu sein.41 c) Gefahrenpotential Wenn es also im Rahmen unseres Themas um die Prinzipien der Auslegung eines Gesetzes geht, dann wird man nicht daran vorbeisehen dürfen, dass zum einen die Existenz von wertungsoffenen Generalklauseln eine ebenso große Herausforderung an den Richter ist wie die durch diese Klauseln zwangsläufig bewirkte, oft nicht mehr zu übersehende fallspezifische Judikatur. Sie lässt, wie immer man die Dinge im Detail bewerten mag, das Konkret-Individuelle in den Vordergrund treten. Es ist – anders gewendet – der Tatbestand des Sachverhalts, der hier dominiert, nicht aber der in einer Norm verankerte Tatbestand, dem eine konkrete Rechtsfolge unmittelbar zugeordnet ist. Das damit aufgezeigte Gefahrenpotenzial liegt auf der Hand. Von einer Auslegung, wie wir sie im Vorstehenden beleuchtet haben, kann unter dem Regime eines Fallrechts schwerlich die Rede sein, weil es einen konkret zu ermittelnden und dann auch anzuwendenden Willen des Gesetzgebers nicht mehr gibt. Weil an die Stelle des Allgemeinen in der Norm das Konkrete tritt, herrscht weithin das Gesetz der Differenzierung im Rahmen des Tatbestandes, weil ja die entscheidende Frage nur dahin geht, ob denn der zu entscheidende Tatbestand eines Sachverhalts mit demjenigen in seinen entscheidungsrelevanten, weil wesentlichen Punkten 4

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übereinstimmt, der schon einmal im Horizont gleicher Lebensverhältnisse entschieden wurde, also im Sinn der Gerechtigkeit auch in diesem Fall gleich zu beurteilen ist. Mit Recht wird gesagt, es sei das Schicksal aller späten Kulturen, dass sie das Normative, weil Allgemeine nicht mehr in den Blick nehmen können, sondern sich nur noch am Konkret-Individuellen ausrichten. Es ist dann der Einzelfall, der seine Gesetzmäßigkeiten erzeugt. Philosophisch bewertet tritt damit die induktive Methode in ihr Recht und verdrängt die auf das Allgemein-Abstrakte gerichteten Vorzüge der deduktiven Analyse, der der Rechtsanwendung eigentümlichen Subsumption des konkreten Sachverhalts unter eine allgemein gültige Norm. Leicht führt dies zu einer Zersplitterung, zu fehlender Rechtssicherheit oder – man kann es auch anders wenden – zu einer weitreichenden Angleichung des deutschen Rechts an anglo-amerikanische Vorbilder des Präjudizienrechts, welches statutarisches Recht verdrängt. Diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Vielmehr beherrscht sie ganz wesentliche Bereiche des geltenden – nationalen – Wirtschaftsrechts. Zu denken ist an das Kartellrecht, an das Recht der unlauteren Werbung, vor allem aber auch an den weiten Bereich des Verbraucherschutzrechts, nicht zuletzt auch an das Recht betreffend die Verwendung von Allgemeinen Vertragsbedingungen nach den §§ 307 ff. BGB, worauf bereits verwiesen wurde.

II. Europäisches Recht Nimmt man – sozusagen im Wege einer freien Assoziation – das Stichwort vom nationalen Verbraucherschutzrecht auf, dann führt der Weg unmittelbar in den weiten Bereich des Europäischen Rechts. Im Rahmen des gestellten Themas ist also die Frage zu beantworten, nach welchem Auslegungsinstrumentarium Richter und Rechtsanwender Bestimmungen behandeln müssen, welche dem Bereich des Europäischen Rechts zuzurechnen sind, aber auf diesem Weg Teil des nationalen Rechts geworden sind. Dabei geht es nicht darum, einen weit ausholenden Exkurs zum Europäischen Recht vorzutragen, obwohl das oft deswegen Not täte, weil die Kenntnis der spezifischen Besonderheiten des auf europäischen Quellen beruhenden nationalen Rechts kaum sehr weit verbreitet ist, so dass ich mich hier – auch aus Zeitgründen – auf den Bereich beschränke, in dem europäische Richtlinien als wesentlicher Teil des sekundären Gemeinschaftsrechts in nationales Recht umgesetzt worden sind. 1. Richtlinien Nach Art. 249 Abs. 3 EG besteht das Wesensmerkmal einer Richtlinie darin: Sie richtet sich an die Mitgliedstaaten und verpflichtet dies, den Inhalt der betreffenden Richtlinie

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Palandt/Heinrichs § 305 Rdnr. 9. Vgl. Erman/Roloff § 305 Rdnr. 12 m. w. N. BGH NJW 2001, 3406. BGH NJW 2000, 1110, 1111. Erman/Roloff § 307 Rdnr. 10. Hierzu auch MünchKomm/Säcker Einl. Rdnr. 137 m. w. N. Vgl. auch MünchKomm/Säcker Einl. Rdnr. 83.

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innerhalb einer in der Richtlinie angegebenen Zeit in nationales Recht zu transformieren. In aller Regel enthalten die Richtlinien einen Mindeststandard, der bei der nationalen Umsetzung zwingend einzuhalten ist, weil nur auf diese Weise die von den Richtlinien angestrebte Harmonisierung des internen europäischen Rechts erreicht werden kann.42 Im übrigen enthalten sie auch immer wieder in bestimmten Details Vorgaben, welche den Mitgliedstaaten einen gewissen Handlungsspielraum einräumen, was sie auf das nachhaltigste von den unmittelbar geltenden Verordnungen nach Art. 249 Abs. 2 EG unterscheidet.43 a) Grundsätze der Auslegung Die Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts folgt eigenen Regeln. Maßgebend hierfür ist zunächst die Einsicht, dass es sich bei der Auslegung von bestimmten Begriffen und begrifflichen Zusammenhängen stets um eine Norm des Völkerrechts handelt. Das bedingt, dass in erster Linie die am Wortlaut ausgerichtete Auslegung entscheidet.44 Dabei sind alle amtlichen Fassungen, in denen europäisches Recht im Amtsblatt veröffentlicht wird, im Range gleich. Dass mitunter dies zu nicht unbeträchtlichen Problemen der Übersetzung und der Stimmigkeit im Blick auf das jeweils – nach der Transformation betroffene – nationale Recht nach sich zieht, sei der Vollständigkeit halber erwähnt An zweiter Stelle rangiert die teleologische Auslegung.45 Ziel und Zweck der jeweiligen Richtlinie geben also Maß.46 Doch dabei ist sogleich eine ganz wesentliche Einschränkung gegenüber dem Prinzip der teleologischen Auslegung einer rein nationalen Rechtsregel angezeigt: Da es immer Ziel der europäischen Richtlinien ist, innerhalb der Mitgliedstaaten einheitliches Recht zu schaffen, muss die jeweilige Auslegung des nationalen Transformationsgesetzes auch einheitlich erfolgen.47 Dabeit ist davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber die Absicht verfolgt hat, die sich aus der betreffenden Richtlinie ergebende Verpflichtung in vollem Umfang umzusetzen.48 Dies ist auch durch das Gebot der Gemeinschaftstreue gem. Art. 10 EG geboten.49 Es wäre (und ist) ein schwerer systematischer Fehler, würde man derart vereinheitlichtes Recht, nachdem es in nationales Recht umgesetzt worden ist, genauso auslegen und behandeln wie dies den Regeln entspricht, die wir traditionell für unser jeweiliges nationales Recht zur Anwendung berufen. b) Lehre des „effet utile“ Transformiertes Gemeinschaftsrecht – und das ist der springende Punkt – muss daher so umgesetzt werden, dass die verbindliche Geltung des Richtlinieninhalts innerstaatlichen Rechts für den Einzelnen und für die nationalen Organe zweifelsfrei gesichert ist.50 In der Worten des EuGH bedeutet diese Regel: „Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Umsetzung einer Richtlinie zwar nicht notwendig in jedem Mitgliedstaat ein Tätigwerden des Gesetzgebers, es ist jedoch unerlässlich, dass das fragliche nationale Recht tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationalen Behörden gewährleistet, dass die sich aus diesem Recht ergebende Rechtslage hinreichend bestimmt und klar ist und dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von all ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese ggfs. vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.“51 Also reicht es nicht aus, wenn das nationale Recht nur eine bestimmte Judikatur aufweist, die zu den gleichen praktischen Ergebnissen führt, welche Ziel und Zweck der RichtVom nationalen zum europäischen Privatrecht, Graf von Westphalen

linie entsprechen.52 Grundsätzlich ist vielmehr also ein eigener legislatorischer Akt erforderlich.53 Diese eindeutiger, aber durchaus rigide Rechtsprechung des EuGH hat daher auch dazu geführt, dass in Deutschland das Transparenzgebot für Allgemeine Geschäftsbedingungen ausdrücklich im Rahmen der Reform des Schuldrechts in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB inkorporiert wurde, obwohl die früher von der Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätze zu keinem anderen Resultat in der Sache führen.54 c) Richtlinienkonforme Auslegung Von diesem Ansatz des „effet utile“, dass einer Richtlinie stets eine größtmögliche Wirkung zugunsten des Einzelnen und der Organe verschafft werden muss, erklärt sich auch das Instrument der richtlinienkonformen Auslegung. Wenn nämlich eine Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist, dann besagt dieser Grundsatz: Soweit bei den nationalen Transformationsgesetzen im Einzelfall ein Auslegungsspielraum besteht, dann ist er so auszunutzen, dass der Auslegung zwingend der Vorrang einzuräumen ist, welcher am meisten Sinn und Zweck der entsprechenden Richtlinie entspricht.55 Erweist sich also der Wortlaut der betreffenden Norm des nationalen Rechts als auslegungsfähig, dann ist eine richtlinienkonforme Auslegung selbst dann geboten, wenn der – historische – Wille des nationalen Gesetzgebers dem entgegensteht.56 Denn dem Gesetzgeber kann und darf nicht unterstellt werden, er habe sehenden Auges ein Gesetz erlassen, welches gegen Sinn und Zweck einer umzusetzenden Richtlinie gerichtet ist.57 Dabei ist freilich zu bedenken, dass der nationale Richter das Instrument der richtlinienkonformen Auslegung – „soweit wie möglich“ – stets das gesamte nationale, also das je eigene Recht berücksichtigen muss, um es anhand des Wortlauts sowie des Sinn und Zwecks der Richtlinie auszulegen.58 Denn der nationale Richter hat immer nur, aber auch nur sein je eigenes nationales Recht als Instrument der Auslegung zur Hand, und dies geschieht dann notwendigerweise im Rahmen des insoweit verfassungsrechtlich Zulässigen und auch des nach dieser Rechtsordnung methodisch Möglichen.59 Anders gewendet und in den Worten des EuGH zitiert: Es geht bei der richtlinienkonformen

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EuGH NJW 2006, 2465, 2467. Hierzu Herdegen, Europarecht, 6. Aufl. München 2004, Rdnr. 176 ff. Herdegen Rdnr. 200. Herdegen aaO EuGH NJW 2006, 2465, 2467; BGH NJW 2002, 1881, 1882. EuGH NJW 2004, 3547, 3549. EuGH aaO EuGH NJW 1984, 2021 – Rdnr. 26,28; BGH NJW 2002, 1881, 1882 m. w. N. Herdegen Rdnr. 180. EuGH NJW 2001, 2244 – Kommission ./. Königreich der Niederlande. EuGH aaO Herdegen Rdnr. 181. Hierzu Palandt/Heinrichs § 307 Rdnr. 16. EuGH NJW 1997, 3365, 3367 – Dorsch Consult; BGH NJW 2002, 1881, 1882; BGH NJW 2002, 1881, 1883. BGH aaO Hierzu EuGH NJW 2004, 3547, 3549; Thüsing ZIP 2004, 2301, 2304. Franzen JZ 2003, 321, 343 ff.; Thüsing aaO.

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Auslegung in Wirklichkeit um eine „gemeinschaftsrechtskonforme“ Auslegung des nationalen Rechts, welche dem „EG-Vertrag immanent“ ist.60 Denn nur so wird den nationalen Gerichten die Möglichkeit eröffnet, „die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.“61 Aber eine Auslegung contra legem ist gleichwohl nicht statthaft.62 Doch ist mittlerweile eine wichtige Detailfrage virulent geworden: Während der EuGH in der Vergangenheit, wie hier auch angeführt, immer davon ausgegangen ist, das nationale Gericht müsse „soweit wie möglich“63 das gesamte nationale Recht berücksichtigen und zur Anwendung bringen, um dem Zweck der Richtlinie zu entsprechen, formuliert der EuGH in einer ganz jungen Entscheidung, das angerufene nationale Gericht müsse „alles“ tun, um dieses Ziel zu erreichen.64 Das ist möglicherweise nur ein lapsus linguae, möglicherweise aber mehr, weil dieses Urteil sich auf die in der Vergangenheit durchaus umstrittene Frage nach einer horizontalen Wirkung einer EU-Richtlinie bezieht65 und damit, wie mit guten Gründen angemerkt wurde, auch die Trennlinie zu einer richtlinienkonformen Auslegung verwischt.66 Die Kehrseite dieser Medaille ist auch zu beachten. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat die umzusetzende Richtlinie im Übermaß erfüllt, dann ist für diesen – überschießenden – Bereich das Instrument einer richtlinienkonformen Auslegung nicht mehr zu beachten.67 Dies ist zwanglos dadurch zu erklären, dass in diesem Bereich die Harmonisierungsfunktion der Richtlinie nicht mehr berührt wird.68 Doch hat der BGH diesen Ansatz jedenfalls insoweit verworfen, als er unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festgestellt hat, dass eine derart „gespaltene“ Auslegung zur unüberwindbaren Problem der Rechtsanwendung führen würde, wäre doch in jedem Einzelfall eine Abgrenzung vorzunehmen, ob im konkreten Fall ein Hausturgeschäft in den Bereich der Richtlinie fällt oder sich schon außerhalb derselben bewegt, weil ja alle Haustürgeschäfte dadurch charakterisiert sind, dass der ungebeten Anbieter von Waren an der Hautür Einfluss auf die Willensbildung des Verbrauchers nimmt.69 d) Unmittelbare Wirkung Es entspricht der kurz dargestellten Lehre vom „effet utile“, dass der EuGH unter engen, aber durchaus nicht selten gegebenen Voraussetzungen einer Richtlinie eine Direktwirkung zuweist. Das ist immer dann zu bejahen, wenn eine Richtlinie – trotz Ablauf der in ihr vorgesehenen Frist zur Umsetzung – nicht umgesetzt worden ist und wenn sie von ihrem Inhalt her unbedingt und hinreichend bestimmt dem Einzelnen gegenüber dem Staat oder seinen Behörden ein ihn begünstigendes Recht begründet.70 Das führt dann unmittelbar zu der weiteren Erkenntnis, dass nämlich der so begünstigte Einzelne auch berechtigt ist, vom Staat im Rahmen eines geeigneten nationalen Verfahrens Ersatz des Schadens zu verlangen, der dadurch entstanden ist, dass die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt worden ist.71 Freilich hat die hier apostrophierte unmittelbare Wirkung einer EU-Richtlinie, wenn sie denn nicht rechtzeitig umgesetzt worden ist, auch eine andere Facette. Es stellt sich nämlich die weitere Frage, ob denn eine – umgesetzte – Richtlinie im Rahmen des nationalen Rechts auch insoweit unmittelbare Wirkung entfaltet, als sie nur zwischen Privaten wirkt, was als „horizontale Wirkung“ der Richtlinie umschrieben wird.72 Diese hat der EuGH bekanntlich in sei6

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ner neuen Entscheidung in Sachen „Pfeiffer“ bejaht.73 Wenn nämlich eine Auseinandersetzung allein zwischen privaten Personen anhängig ist – hier ging es um die nach einer EURichtlinie höchstzulässige Arbeitszeit eines Rettungssanitäters des Deutschen Roten Kreuzes – dann ist das nationale Gericht verpflichtet, das zur Umsetzung der Richtlinie transformierte nationale Recht, aber auch alle anderen Normen des nationalen Rechts zur Anwendung zu berufen, um es „soweit wie möglich“ anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie „auszulegen, um zu einem Ziel zu gelangen, welches mit dem von der Richtlinie verfolgten Zweck vereinbar ist“.74

III. Rolle der Gerichte Man kann und darf nicht übersehen, dass alle Fragen der Auslegung – gleichgültig, ob nach nationalem oder nach europäischem Recht – unmittelbar auf die Rolle der jeweils zuständigen Gerichte verweisen, weil ja jede neu gewonnene Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift gleichbedeutend ist mit einer Weiterbildung des Rechts. Notwendig ist es daher, einen kurzen Blick auch auf die von den Gerichten wahrgenommene Rolle der Rechtsfortbildung zu werfen. 1. Im nationalen Rahmen Es besteht im Rahmen des deutschen Rechts völliges Einvernehmen darüber, dass die Gerichte nicht daran gehindert sind, das Recht fortzuentwickeln, weil es ja keinem Gesetzgeber heute mehr möglich ist, alle künftigen Entwicklungen in Staat und Gesellschaft vorauszusagen und entsprechende Rechtsregeln zu setzen.75 Rechtsfortbildung ist sogar eine Pflicht der obersten Gerichte des Bundes, nicht auch der unteren Instanzen.76 Sie ist nicht etwa deswegen untersagt, weil es von Verfassungswegen den Vorrang des Gesetzes gibt, der allerdings immer dann zwingend zu beachten ist, wenn der Wille des Gesetzgebers abschließend ist und ein geschlossenes gesetzliches Konzept erkennen lässt.77 Daraus resultiert dann die Kompetenz der obersten Gerichte, das Recht jedenfalls immer dann fortzubilden, wenn sich eine Lücke auftut, welche dann entsprechend den allgemeinen Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen zu füllen ist.78 Voraussetzung ist allerdings, dass die Rechtsordnung

60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

EuGH ZIP 2004, 2342, 2344 – Pfeiffer. EuGH aaO EuGH NJW 2006, 2465, 2467. F. 56. EuGH ZIP 2004, 2342, 2344 – Pfeiffer. Hierzu Herdegen Rdnr. 185. Thüsing ZIP 2004, 2301, 2305. EuGH EuZW 1999, 20, 23. Palandt/Heinrichs Einl. Rdnr. 44. BGH NJW 2002, 1881, 1884; a. M. Habersack WM 2000, 981, 991. Herdegen Rdnr. 183 m. w. N.; vgl. auch EuGH NJW 1997, 3365 – Dorsch Consult. EuGH NJW 1996, 3141 – Dillenkofer; EuGH NJW 1997, 3365, 3367 – Dorsch Consult. Hierzu Thüsing ZIP 2004, 2301 ff.; vgl. auch Herdegen Rdnr. 185. EuGH ZIP 2004, 2342 ff. – Pfeiffer. EuGH ZIP 2004, 2342, 2343. BGH NJW 2003, 1588, 1592 m.w.N. BVerrfGE 34, 269, 87 ff. BGH NJW 2003, 1588, 1592. Statt aller Palandt/Heinrichs Einl. Rdnr. 55 f.

Vom nationalen zum europäischen Privatrecht, Graf von Westphalen

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Aufsätze

für die jeweilige konkrete Lückenfüllung – ausgehend von der ratio legis – gewisse Wertentscheidungen enthält, auf die dann die Gerichte aufsetzen können, um die je entstandene Lücke zu füllen79 oder auch nur den Anwendungsbereich des Gesetzes zu erweitern. Denn die anzuwendende Norm steht in einem ständigen Kontext der gesellschaftlich-sozialen Verhältnisse, auf die sie wirken soll; und je weiter das Datum der Entstehung der Norm von dem Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Anwendung entfernt ist, umso mehr muss die Feststellung beachtet werden, dass sich die Umstände eben gewandelt haben, so dass auch die Wertentscheidungen und die sie tragenden Gerechtigkeitsvorstellungen je andere geworden sind.80 2. Im europäischen Rahmen Wendet man sich der europäischen Ebene zu, dann muss sogleich die tragende und prägende Rolle in den Blick genommen werden, welche die Rechtsprechung des EuGH als Motor der europäischen Integration bewirkt hat. Es ist eine der ganz entscheidenden historischen Verdienste, dass die Gründungsväter der Römischen Verträge darauf insistierten, dass jede Integration von Wirtschafts- und Rechtsordnung innerhalb einer zu schaffenden Union sinnlos ist, wenn es nicht gelingt, eine für eben diesen Zweck zu schaffende – supranationale – Gerichtsbarkeit zu begründen. Dies kommt in den Worten von Art. 220 EG deutlich zum Ausdruck, wo die Aufgabe des EuGH dahin umschrieben wird, dass die „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages“ den Richtern in Luxemburg an die Hand gegeben ist. Erfasst wird damit auch die Aufgabe der Fortbildung des europäischen Gemeinschaftsrechts.81 Man kann nun nicht an der simplen Tatsache vorbeisehen, dass der EuGH diese ihm zugewiesene Aufgabe in besonders dynamischer Weise auch wahrgenommen hat. Er hat, um dies nur kurz wieder in die Blick zu rücken, im Wege der Rechtsfortbildung festgelegt, dass europäisches Recht Vorrang vor dem nationalen Recht hat, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind, wenn sie eine Richtlinie nicht fristgerecht umsetzen und wenn dem Einzelnen – Direktwirkung – infolgedessen ein Recht nicht gewährt, sondern verweigert wird, welches die Richtlinie ihm gewährt hätte, was erstmals, wie allgemein bekannt, in der Francovich-Entscheidung des EuGH geschah.82 Es ging darum, dass eine Richtlinie – Italien hatte sie nicht rechtzeitig umgesetzt – einem Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers Ansprüche insoweit verlieh, als der Arbeitgeber sie noch nicht erfüllt hatte. In diese Linie wird man auch die inzwischen in der Entscheidung Pfeiffer festgelegte horizontale Wirkung einer Richtlinie zählen müssen, die also nicht nur den Staat, sondern auch Private untereinander bindet.83 Und an die Adresse der deutschen Teilnehmer sei hinzugefügt, dass auch die leidige Debatte um die Umsetzung der Anti-DiskriminierungsRichtlinie ebenfalls das Vehikel einer horizontalen Erstreckung der Richtlinie auf den Bereich des Privatrechts enthält, 79 Wesentlich BGH aaO – Kompetenz des Vormundschaftsgerichts zur Entscheidung über die Zulässigkeit lebensverlängernder oder verkürzender Maßnahmen. 80 MünchKomm./Säcker Einl. Rdnr. 138. 81 Herdegen Rdnr. 168. 82 EuGH Slg. 1991, I-5357 83 EuGH ZIP 2004, 2342. 84 EuGH NJW 2006, 2465, 2467. 85 EuGH aaO. 86 Hierzu im einzelnen Graf von Westphalen AnwBl 2005, 53 ff.

Vom nationalen zum europäischen Privatrecht, Graf von Westphalen

indem sie auch einen Schadensersatzanspruch für den Fall einer nachgewiesenen Diskriminierung eines „Privaten“ gegenüber einem anderen Privaten wegen ethnischer, religiöser, rassischer oder einer Diskriminierung wegen Alters, Behinderung oder Geschlecht gewährt. Motor für diese Rechtsfortbildung ist stets das Bemühen des EuGH, dem Gemeinschaftsrecht eine möglichst weite und effiziente Wirkung im Bereich des nationalen Rechts zu vermitteln.84

IV. Summe Es ist nunmehr Zeit, die Summe aus den vorgetragenen Erkenntnissen zu ziehen. Sie hat nicht das Gemeinsame zu betonen, sondern die Unterschiede zu beleuchten. Das führt zu folgenden Ergebnissen: Es ist zwingend, dass nationale Gerichte und Rechtsanwender jede nationale Norm, welche aus der Umsetzung einer EU-Richtlinie resultiert und damit den „acquis communautaire“ umschreibt, primär und maßgeblich im Licht der betreffenden EU-Richtlinie auslegen und anwenden, ausgerichtet an ihrem Zweck, eine weitreichende Integration zu erreichen und gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen. Dafür ist das gesamte nationale Recht, d. h. alle Rechtsvorschriften „soweit wie möglich“ zu mobilisieren.85 Das heißt konkret: Sie sind insoweit dem Zweck der europäischen Richtlinie unterzuordnen; auf nationale Gesetzmäßigkeit bei Methodik und Systematik der Auslegung ist keine Rücksicht zu nehmen. Das freilich hat inzwischen zu recht weitreichenden Disharmonien in der Anwendung der umzusetzenden Richtlinien im nationalen Recht geführt. Daher bemüht sich die europäische Kommission, einen „Common Frame of Reference“ zu schaffen, also das bislang durch Richtlinien geschaffene Recht wieder zu harmonisieren. Am Ende des Vorgangs könnte dann nicht mehr nur ein einheitlicher Anwendungs-Rahmen für das nationale Zivilrecht zur Verfügung stehen, sondern sogar ein einheitliches europäisches Zivilgesetzbuch. Der Abschied vom nationalen Recht ist bereits zu einem großen Teil Wirklichkeit, wie ein Blick in das Verbraucherschutzrecht lehrt. Doch ist das Ziel noch nicht erreicht. Ob es wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt, weil ja das Recht auch kulturelle Identität stiftet, beruhend auf einer oft weit zurückreichenden Rechtstradition.86

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Europäisches Vertragsrecht. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

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Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Bielefeld

Gleiche Anknüpfungsregeln für grenzüberschreitende Sachverhalte: Das ist das Ziel der Europäisierung des Kollisionsrechts. Was früher Staatsverträge leisteten, ist demnächst Aufgabe unmittelbar anwendbarer EG-Verordnungen. Rom I wird das auf vertragliche Schuldverhältnisse, Rom II das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht bestimmen. Rom II gelangt ab 11. Januar 2009 in den EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks zur Anwendung und schließt intertemporal wohl Sachverhalte seit ihrem Inkrafttreten am 20. August 2007 ein. Auf die aktuellen Entwicklungen bei der Verordnung Rom I – der Rat hat den vom Europäischen Parlament verabschiedeten Verordnungstext am 7. Dezember 2007 gebilligt – geht der Beitrag in einem Postskriptum ein.

I. Einleitung Rom I und II sind Chiffren für einen Paradigmenwechsel sowie eine stärkere Rechtsvereinheitlichung in Form von unmittelbar geltenden Sekundärrechtsakten. Denn der Staatsvertrag scheint auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts ein Auslaufmodell zu sein. So werden wohl etwa das Römische Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ)1 in modifizierter Form in eine Verordnung Rom I2 überführt und der Quellenpluralismus insofern ein Stück weit beseitigt, als kollisionsrechtliche Regelungsgebote in Verbraucherschutzrichtlinien entfallen. Überdies nimmt sich der Gemeinschaftsgesetzgeber im Zuge der Verordnung Rom II3 vor allem des bislang weitgehend unvereinheitlichten Internationalen Deliktsrechts an.

II. Europäisches Kollisionsrecht de lege ferenda

staatenrecht berufen wird. Er differenziert vom Grundsatz her ebenso wenig zwischen intrakommunitären und anderen Fallkonstellationen. Auch Sachverhalte, in denen etwa nur ein geringer oder letztlich allein durch die Klageerhebung vermittelter Binnenmarktbezug besteht, unterfallen der VO und nicht der jeweiligen mitgliedstaatlichen Regelungsautonomie. Für diesen Ansatz des geplanten Sekundärrechtsakts als „loi uniforme“ spricht, dass ein gespaltenes Anknüpfungsregime mit kollisionsrechtlichen Grundsätzen kaum vereinbar erscheint und mit der Tradition des EVÜ gebrochen hätte. Erfasste und andere Sachverhalte hätten sich nur schwer voneinander abgrenzen lassen. Eine Zweispurigkeit im IPR wäre also weder praxistauglich noch mit der Rechtssicherheit vereinbar gewesen. Schließlich ist ein einheitliches Anknüpfungsregime gerade im Internationalen Schuldvertragsrecht deshalb unerlässlich, weil die Brüssel I VO sowie die Verordnung über den europäischen Vollstreckungstitel7 die Titelfreizügigkeit garantieren. Diese basiert aber auf der Annahme der Vergleichbarkeit der Rechtssysteme. Die automatische Anerkennung von Titeln aus anderen Mitgliedstaaten, die erleichterte Vollstreckbarerklärung bis hin zur Aufgabe des Exequaturs sind letztlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Entscheidungsgrundlage auf Kollisionsrechtsebene übereinstimmt. Damit ist auch grob verkürzt natürlich die Antwort auf die Frage gegeben, ob Art. 65 EGV als Kompetenztitel eine Rom I VO mit einem derart weiten territorialen Anwendungsbereich trägt. Gerade in Anbetracht der Titelzirkulation lässt sich die Binnenmarktrelevanz der Rechtsetzungsmaßnahme nicht bestreiten. Demzufolge ist davon auszugehen, dass dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des geplanten Rechtsakts zusteht.

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1. Verordnungsentwurf Rom I Im Nachgang zu einem Grünbuch4 hat die Kommission Ende 2005 einen Vorschlag unterbreitet, wonach das kaum noch zeitgemäße EVÜ modernisiert und nicht zuletzt in Anbetracht zeitraubender Ratifikationsverfahren für die neuen Beitrittsstaaten in die Rom I VO eingekleidet werden soll. Damit vollzieht der Sekundärrechtsgeber im Anschluss an die Brüssel I VO5, die Brüssel IIa VO6 sowie die Rom II VO einen weiteren Schritt hin zur Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts in Form eines gemeinschaftsrechtlichen Instruments. Obwohl sich der Entwurf der Rom I VO grds. an das EVÜ anlehnt, enthält er gerade im Bereich des Internationalen Verbrauchervertragsrechts die nachfolgend dargestellten, teilweise erheblichen Abweichungen von der Vorgängerregelung.

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1.1. Kompetenztitel Der Rom I VO-E greift unabhängig davon ein, ob kraft subjektiver oder objektiver Anknüpfung ein Mitglied- oder Dritt-

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Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19. Juni 1980 (EVÜ), BGBl. 1986 II, S. 810, i. d. F. des 3. Beitrittsübereinkommens vom 29. November 1996, BGBl. 1999 II, S. 7. Zur Geltung in den Beitrittsstaaten siehe Staudinger, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 22 Rn. 2. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) vom 15. Dezember 2005 KOM(2005) 650 endg. abgedruckt in IPRax 2006, 193 ff. Zum aktuellen Stand siehe Rat der Europäischen Union, 25.6.2007, Interinstitutionelles Dossier: 2005/0261 (COD). Nach zwei Verordnungsvorschlägen von Seiten der Kommission [Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), KOM(2003) 427 endg. abgedruckt in IPRax 2005, 174 ff. und geänderter Kommissionsvorschlag KOM(2006) 83 endg. abgedruckt in IPRax 2006, 404 ff.] erließ der Rat gem. Art. 251 Abs. 2 Unterabs. 2 EGV einen Gemeinsamen Standpunkt Nr. 22/2006 vom 25. September 2006, hinsichtlich dessen im anschließenden Vermittlungsverfahren eine politische Einigung erzielt werden konnte: vgl. Pressemitteilung der Kommission IP/07/679; zum endgültigen Inhalt des Gemeinschaftrechtsaktes siehe: Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. EG 2007, Nr. L 199, S. 40; hierzu Leible/Lehmann, RIW 2007, 721. Grünbuch über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung KOM(2002) 654 endg. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000, ABl. EG 2001, Nr. L 12, S. 1, die das Brüsseler EWGÜbereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. Dezember 1968, (BGBl. 1972 II, S. 774) i. d. F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29. November 1996 (BGBl. 1998 II, S. 1412) im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks ersetzt. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27. November 2003, ABl. EG 2003, Nr. L 338, S. 1. Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EG 2004, Nr. L 143, S. 15.

Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

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Aufsätze

Nun soll in Bezug auf die territoriale Reichweite der geplanten Rom I VO eine Schutzlücke nicht verschwiegen werden. Dänemark dürfte sich wohl wie im Europäischen Zivilverfahrensrecht gegen ein „opt-in“ aussprechen. Gerüchte halber könnte dies auch für England gelten. Damit droht, dass sich die Schieflage zwischen Dänemark (England) und den übrigen Mitgliedstaaten wie bei der Brüssel I VO wiederholt und besondere Schwierigkeiten ergeben, wenn ein neuer Beitrittsstaat nicht zuvor das EVÜ ratifiziert hat. Abhilfe vermag allenfalls – wie auf dem Gebiet des Europäischen Zivilverfahrensrechts8 – eine völkervertragsrechtliche Lösung zu bieten, indem die EG ein Abkommen mit Dänemark schließt. Sofern Dänemark nicht für die Geltung des Sekundärrechtsakts optiert, verbleibt es zwischen Deutschland und jenem Staat gegenüber wohl angesichts der völkervertragsrechtlichen Bindung bei der Anwendbarkeit des EVÜ, so dass diesbezüglich auch an den Art. 27 ff. EGBGB festzuhalten ist. 1.2. Kollisionsrechtliches System a) Parteiautonomie Die Verordnung Rom I wird im Einklang mit dem EVÜ auf dem Grundsatz der Rechtswahlfreiheit basieren. Dies kommt in Art. 3 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs zum Ausdruck. Allerdings ist derzeit die Reichweite der vorrangigen subjektiven Anknüpfung in Art. 3 Abs. 1 EVÜ bzw. Art. 27 Abs. 1 EGBGB umstritten9. So muss es sich nach vorherrschender Ansicht um ein geltendes (staatliches) Recht handeln; die Wahl allgemeiner Rechtsgrundsätze, etwa lex mercatoria, UNIDROIT Principles bzw. Principles of European Contract Law scheidet demzufolge aus. Danach kann in der Bezugnahme der Parteien auf etwaige Principles allenfalls eine materiellrechtliche Verweisung zu sehen sein, mit der Folge, dass ihr Aussagegehalt zum Vertragsinhalt wird. Dieser bleibt wiederum denjenigen Schranken unterworfen, die sich aus den zwingenden Vorschriften des jeweiligen objektiven Vertragsstatuts ergeben. Die Praxisrelevanz der Streitfrage wird dadurch deutlich, dass die Kommission in ihrem Grünbuch zur Umwandlung der Konvention in einen Gemeinschaftsrechtsakt die Frage der Wählbarkeit etwa von Principles selbst aufwirft und zur Diskussion stellt. Nun hatte die Kommission in Art. 3 Abs. 2 S. 1 ihres Verordnungsvorschlags vom 15.12.200510 zur Stärkung der Parteiautonomie noch die Wahl eines nichtstaatlichen Rechts wie der Unidroit Principles bzw. der Principles of European Contract Law sowie eines etwaigen künftigen fakultativen EU-Instruments vorgesehen. Der Europäische Wirtschaftsund Sozialausschuss11 begrüßte diesen Ausbau der Rechtswahlfreiheit insbesondere vor dem Hintergrund eines supranationalen (Verbraucher)Vertragsrechts in Gestalt eines optionalen Instrumentes und forderte sogar weitergehend, eine Durchbrechung durch Eingriffsnormen und eine Korrektur mit Hilfe der ordre public-Klausel auszuschließen. In dem interinstitutionellen Dossier des Rates der Europäischen Union vom 25.6.200712 scheint der betreffende Absatz 2 gestrichen zu sein. Sollte Art. 3 Rom I VO-E zu der Frage tatsächlich schweigen, müsste dies wohl angesichts der Gesetzgebungsgeschichte methodisch als ein beredtes Schweigen gelten mit der Folge, dass bloße Principles demnächst nicht kraft Rechtswahl zur Anwendung berufen werden können. Sind sie hingegen integraler Bestandteil einer Empfehlung gemäß Art. 249 Abs. 5 EGV erscheint ihre kolliRechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

sionsrechtliche Wahl angesichts der sekundärrechtlichen Einkleidung zwar de lege lata zulässig. Ob dies in Zukunft ebenso für die Rom I VO gilt, muss indes im Lichte der Genese des Sekundärechtsakts bezweifelt werden. Da die EU kein Staat im Sinne des Völkerrechts ist, scheidet jedenfalls derzeit eine objektive Anknüpfung nach Art. 4 EVÜ bzw. 28 EGBGB aus und ebenso zukünftig nach der Rom I VO. Wie auch immer sich der Sekundärrechtsgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahren entscheidet, er sollte jedenfalls die Kohärenz zwischen den Rechtssetzungsmaßnahmen und mithin einen Gleichlauf bei den Verordnungen Rom I und II wahren. b) Anknüpfung von Verbraucherverträgen (mit Ausnahme der Versicherungsgeschäfte) aa) Teilweise Aufgabe des Richtlinienkollisionsrechts Der Entwurf für eine Rom I VO normiert den Bereich der Sonderkollisionsnormen auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts in Art. 22 lit. a) Rom I VO-E. Danach berührt der Rom I VO-E nicht die besonderen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse auf dem Gebiet des Kulturgüterschutzes, der Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, der Schadensund der Lebensversicherung. Die vorgeschlagene Lösung geht zwar nicht so weit, dass sie aus Gründen der Rechtsklarheit die speziellen kollisionsrechtlichen Regelungsgebote der Verbraucherschutzrichtlinien aufhebt. Sie enthält dessen ungeachtet eine grundlegende Neuerung. Auch wenn die Begründung zu Art. 22 lit. a) Rom I VO-E keine Anhaltshaltspunkte für das zukünftige Konkurrenzverhältnis vorsieht, lässt sich für die in Annex I der Rom I VO-E nicht aufgeführten Harmonisierungsmaßnahmen ableiten, dass Art. 5 Rom I VO-E für Verbraucherverträge den Rückgriff auf sie versperrt. Dieses folgt einerseits aus dem Wortlaut von Art. 22 lit. a) Rom I VO-E, andererseits aus der Erläuterung zu Art. 5 Rom I VO-E. Die Kollisionsnorm soll der Rechtsklarheit dienen und insbesondere ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten. Diese Ziele können angesichts der bisherigen Kritik an der fehlenden Harmonisierung des Kollisionsrechts allein dadurch verwirklicht werden, dass Art. 5 Rom I VO-E als die maßgebliche Anknüpfungsregel die kollisionsrechtlichen (ungeschriebenen) Regelungsgebote in den Verbraucherschutzrichtlinien verdrängt. Wegen des Anwendungsvorrangs ist demzufolge Art. 29 a EGBGB aufzuheben, sofern nicht durch ein fehlendes „opt-in“ seitens Dänemarks ein Regelungsbereich für diese Kollisionsnorm verbleibt.

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Siehe das Abkommen vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005, Nr. L 299, S. 62, welches infolge der Notifizierungen am 2. Mai 2006 seitens der EG und am 18. Januar 2007 auf Seiten Dänemarks nach dessen Art. 12 Abs. 2 am 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist. Beachte ferner das Abkommen vom 19. Oktober 2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005, Nr. L 300, S. 55, welches infolge der Notifizierungen nach dessen Art. 10 Abs. 2 ebenfalls am 1. Juli 2007 in Kraft getreten ist. 9 Hk-BGB/Staudinger 5. Aufl. 2007, Art. 27 EGBGB Rn. 2. 10 KOM(2005) 650 endg. S. 5 f., 16. 11 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Kommissionsvorschlag, ABl. EG 2006, Nr. C 318, S. 56, 59. 12 Interinstitutionelles Dossier: 2005/0261 (COD).

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Die angedachte Rom I VO wird somit zwar voraussichtlich nicht für Versicherungs-, wohl aber die übrigen Verbraucherverträge dazu führen, dass der Wildwuchs an Rechtsquellen ein Stück weit eingedämmt wird. Der Sekundärrechtsgeber läutet damit nicht nur die Abendstunde der Staatsverträge ein, sondern nimmt ebenso Abstand vom Modell des Richtlinienkollisionsrechts. Die infolge der (strengeren, wenn dies überhaupt von den Optionsklauseln ausgehend zulässig war) Umsetzung der Regelungsgebote entstandene Rechtszersplitterung wird mithin abgelöst durch ein striktes Anknüpfungssystem im Gewande einer Verordnung. Zu bedenken ist allerdings, dass ein solcher Paradigmenwechsel einhergeht mit einem veränderten Vorabentscheidungsverfahren. Für die Rom I VO wird Art. 68 EGV die Reichweite der Dialogfähigkeit bzw. -pflicht der nationalen Spruchkörper bestimmen. Diese Sondervorschrift sieht im Vergleich zu Art. 234 EGV eine eingeschränkte, im Verhältnis zu den Brüsseler Protokollen hingegen erweiterte Vorlagebefugnis und wohl auch -pflicht letztinstanzlicher Spruchkörper vor. Angesichts etwaiger prozessökonomischer und hiermit verbundener wirtschaftlicher Nachteile bedarf Art. 68 EGV dringend einer Korrektur. Nun könnte das vorangehende Zwischenergebnis zu dem Schluss verleiten, Art. 5 Rom I VO-E schaffe für Verbraucherverträge ein kohärentes Anknüpfungsregime und gewährleiste – wie von der Kommission ausgeführt – ein hohes kollisionsrechtliches Schutzniveau. Ob dies tatsächlich der Fall ist, bedarf eingehender Untersuchung. So müsste in Bezug auf den letzten Aspekt ja zumindest der bisherige status quo des EVÜ sowie Richtlinienkollisionsrechts in eine Verordnung überführt worden sein. bb) Sachlicher Anwendungsbereich In Übereinstimmung mit Art. 15 Brüssel I VO erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich des Art. 5 Rom I VO-E grds. auf alle Vertragstypen. Ihm unterfallen damit auch zweifelsohne die bislang in ihrer Anknüpfung umstrittenen Verbraucherkreditgeschäfte. Abs. 3 enthält demgegenüber die vom Regelungsbereich ausgenommenen Verträge, zu welchen insbesondere nach lit. c) solche zählen, die ein dingliches Recht an einem Grundstück oder ein Recht zur Nutzung eines Grundstücks zum Gegenstand haben, mit Ausnahme von Time-Sharing-Verträgen. Eine Divergenz zwischen Brüssel I VO und der angedachten Rom I VO ergibt sich für Verträge über eine ausschließlich im Ausland zu erbringende Dienstleistung, welche wie in Art. 5 Abs. 4 lit. b) EVÜ auch in Art. 5 Abs. 3 lit. a) Rom I VO-E von der Sonderanknüpfung ausgenommen bleiben. Zu bemängeln ist, dass der Sekundärrechtsgeber wohl Beförderungsverträge nicht in den sachlichen Schutzbereich einbezieht. Eine derartige Korrektur ist gleichermaßen im Hinblick auf Art. 15 Abs. 3 Brüssel I VO angezeigt. Unklar erscheint, ob im Lichte der Judikatur des Gerichtshofs13 zum EuGVÜ in der Rechtssache Engler einseitig verpflichtende Verträge wie etwa Bürgschaften ausgenommen bleiben. Dies bedeutete eine Schutzverkürzung gegenüber dem EVÜ sowie dem richtliniengeprägten Kollisionsrecht. Zweifelsohne sind – nicht zuletzt in Anbetracht des Erwägungsgrundes 10 Rom I VO-E – die Grundsätze in der Rechtssache Gruber14 zu übertragen, so dass bei gemischten Verträgen kein favor consumatoris Platz greift. Vielmehr ist im Anbetracht der Judikatur eine restriktive Interpretation der Anknüpfungsregel geboten. In Anlehnung an diese 10

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Rechtssache schließt ebenfalls ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Verbrauchers die Sonderanknüpfung aus. Für die Übertragbarkeit dieser Judikatur lässt sich der Erkennbarkeitstest anführen. So wird der Unternehmer nach Art. 5 Abs. 2 Rom I VO-E geschützt, wenn ihm der gewöhnliche Aufenthalt des Verbrauchers nicht bekannt war und die Unkenntnis nicht auf Fahrlässigkeit beruht. cc) Räumlich-situativer Anwendungsbereich Hinsichtlich der Umstände des Vertragsschlusses orientiert sich der Entwurf an Art. 15 Abs. 1 lit. c) Brüssel I VO. Abweichend von Art. 15 Abs. 1 lit. a) und b) Brüssel I VO unterscheidet die Kommission nicht zwischen den einzelnen Vertragstypen, so dass Teilzahlungsgeschäfte und Ratenlieferungsverträge keiner besonderen Regelung unterliegen. Demnach muss der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Mitgliedsstaat, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ausüben oder eine solche in irgendeiner Weise auf dieses Land oder mehrere Staaten, einschließlich des betreffenden Mitgliedsstaats, ausrichten und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fallen. Damit findet ein streitbefrachtetes Tatbestandsmerkmal aus dem Europäischen Verfahrensrecht Eingang in das Kollisionsrecht. Allerdings ist die Harmonie nur vordergründig, da das Kriterium des „Ausrichtens“ noch mit einem Erkennbarkeitstest verbunden wird. dd) Ausschluss der Rechtswahlfreiheit Im Unterschied zu Art. 6 nimmt Art. 5 Rom I VO-E keinen Bezug auf die Parteiautonomie in Art. 3 Rom I VO-E. Dieser ausdrückliche Verweis im Bereich der individuellen Arbeitsverträge und die augenscheinliche Abweichung vom Wortlaut der Vorgängerregel des Art. 5 Abs. 2 EVÜ lassen e contrario darauf schließen, dass Art. 5 Rom I VO-E ausschließlich eine objektive Anknüpfung vorsieht. Der Rechtsanwendungsbefehl erfasst dabei sämtliche (verbraucherschützende) Vorschriften, auch sofern sie über den Mindeststandard einer Richtlinie hinausgehen. Mithin versagt der Sekundärrechtsgeber bei bestimmten Verbraucherverträgen jegliche Rechtswahlfreiheit. Dieser Lesart steht nicht entgegen, dass dahingehende Angaben in der Begründung zum Entwurf fehlen. Für einen solchen von der Kommission angedachten radikalen Schritt – die Aufgabe des Grundsatzes der Parteiautonomie – lässt sich insbesondere bei Rechtsprodukten wie Versicherungsverträgen zumindest ins Feld führen, dass die Rechtswahlfreiheit im Zusammenspiel mit einer Sonderanknüpfung und einem Günstigkeitsvergleich zu einem in der Praxis schwer handhabbaren „Rechtsmix“ führen. Der mit dem auch primärrechtlich bedenklichen Ausschluss der Parteiautonomie einhergehende Paternalismus vermag indes nicht in sämtlichen Sachverhaltskonstellationen zu überzeugen. So schießt der jetzige Vorschlag über den Ansatz der

13 EuGH, Rs. C-27/02 (Petra Engler gegen Janus Versand GmbH), Slg. 2005, I-481 ff. 14 EuGH, Rs. C-464/01 (Johann Gruber gegen Bay Wa AG), Slg. 2005, I-439 ff.

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kollisionsrechtlichen Regelungsgebote in den Richtlinien wie auch Art. 29 a EGBGB und insofern über das Ziel hinaus, als im Falle der Sachrechtsangleichung (vor allem bei Vollharmonisierung) kein Anlass besteht, Rechtswahlfreiheit zu entziehen. Denn sofern der Unternehmer ein Mitgliedsstaatenals (sein) Sitzrecht vereinbart, mangelt es auf Seiten des Verbrauchers diesbezüglich an einem Schutzbedürfnis. Auf Bedenken stößt ferner der infolge des Ausschlusses jedweder Parteiautonomie verfehlte Gleichlauf mit anderen Gemeinschaftsrechtsakten. Sowohl die nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 17 Nr. 1 Brüssel I VO als auch die Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses in Art. 14 Abs. 1 lit. a) Rom II VO sind nämlich Ausfluss des Grundsatzes der Pro- bzw. Derogationsfreiheit sowie Parteiautonomie. Überdies hätte eine derart ausgestaltete Sonderanknüpfung zur Folge, dass ebenso ein etwaiges supranationales (Verbraucher)Vertragsrecht in Gestalt eines optionalen Instrumentes, zu dem der Gemeinsame Referenzrahmen eine Vorstufe bilden könnte, nicht kraft Rechtswahl zur Anwendung berufen werden kann. ee) Persönlicher Schutzbereich Auf Bedenken stößt Art. 5 Abs. 2 Rom I VO-E insofern, als lediglich Verträge von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat erfasst werden. Um den systematischen Bruch zwischen Art. 5 Abs. 2 EVÜ und Art. 6 Rom I VO-E zu vermeiden, treten Stimmen im Schrifttum dafür ein, die Anknüpfungsregel allseitig auszugestalten. Allerdings ist zu beachten, dass der Sekundärrechtsgeber bei den kollisionsrechtlichen Regelungsgeboten in den Verbraucherschutzrichtlinien – abgesehen vom Sonderfall der Pauschalreiserichtlinie – wohl davon ausgeht, dass lediglich Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat vor der Abwahl des binnenmarktweit geltendenden Mindeststandards zu schützen sind. Ausgenommen bleiben demgegenüber Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat. Dies gilt um so mehr, als andernfalls Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der EU-Anbieter drohen. So wie das in einem Drittstaat angesiedeltes Unternehmen bei hinreichendem Binnenmarktbezug – dies entspricht von der Wertung her wiederum Art. 15 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 Brüssel I VO – dem intrakommunitären Verbraucherschutzstandard unterworfen bleibt, steht spiegelbildlich einem EU-Anbieter das Recht eines Drittstaates kraft Rechtswahl offen, wenn er mit einem dort domizilierten Verbraucher kontrahiert. Folglich stellt die Regelung in Abs. 2 kein Redaktionsversehen, sondern vielmehr eine mit dem Richtlinienkollisionsrecht sowie Art. 15 Abs. 1 Brüssel I VO übereinstimmende Kollisionsnorm dar, welche den Grundfreiheiten mitgliedsstaatlicher Unternehmen Rechnung trägt. Im Ergebnis führt der Verordnungsentwurf allerdings – entgegen allgemeiner kollisionsrechtlicher Grundsätze und abweichend von Art. 5 EVÜ – zu einem zweigeteilten Schutzregime. Hiernach begünstigt Art. 5 Rom I VO-E mit seiner unvollkommen allseitigen, nämlich derzeit sechsundzwanzigseitigen Anknüpfung allein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat, während anderen gegenüber Art. 3 und 4 Rom I VO-E eingreifen, obschon die Informationsdefizite auf ihrer Seite nicht wegen eines Anbahnungsmarktes außerhalb der EG geringer ausfallen. Hinzu kommt, dass sich der Verordnungsentwurf einerseits ebenso auf Drittstaatensachverhalte erstreckt und als loi uniforme die Diskriminierung eines Drittstaatenrechts verbietet, andererseits die Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

Schlechterstellung von Drittstaatenverbrauchern zulässt. Ein wenig stimmiges Gesamtbild ergibt sich zudem deshalb, weil der Entwurf keine derartige Einschränkung des persönlichen Regelungsbereichs für Arbeitsverträge vorsieht. In der Gesamtschau erscheint zweifelhaft, ob der Sekundärrechtsgeber mit Art. 5 Rom I VO-E das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts fördert, da sich für Betreiber von E-Shops mangels Rechtswahl das Dilemma einer Vielzahl divergierender Rechtsordnungen ergeben könnte, soweit sie mit Verbrauchern innerhalb des Binnenmarkts kontrahieren. Nicht auszuschließen ist, dass Art. 5 Rom I VO-E einen Anreiz bieten könnte, Drittstaaten und deren Märkte zu nutzen. Auf die drohenden Nachteile für die europaweit operierenden Unternehmer weist jüngst Luxemburg in seiner Stellungnahme15 hin. Trotz der berechtigten Kritik an der systemwidrigen Zweiteilung des Anknüpfungsregimes und hinsichtlich seiner etwaigen diskriminierenden Wirkung16 darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass Art. 5 EVÜ es bereits in seiner jetzigen Fassung einem Unternehmer nicht uneingeschränkt gestattet, sein Sitzrecht gegenüber sämtlichen Verbrauchern europaweit qua Rechtswahl durchzusetzen. ff) Vergleichbarer oder sogar erhöhter Schutz für EU-Verbraucher? Setzt man die Mosaiksteine zusammen, so stellt sich die Frage, ob der Rom I VO-E tatsächlich zu einem erhöhten Schutz für die Gruppe der Verbraucher insgesamt führt. Dies ist schon bereits deshalb mit einem klaren Nein zu beantworten, weil die Nicht-EU-Verbraucher vom Schutzbereich ausgenommen bleiben. Nun hat das Schrifttum17 jüngst die Primärrechtskonformität von Art. 5 Abs. 2 Rom I VO-E in Zweifel gezogen, weil ein fehlendes „opt-in“ zu einer versteckten Diskriminierung von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in Dänemark – folglich zumeist mit dänischer Staatsangehörigkeit – führe. Diese Einschätzung vermag jedoch weder für die geplante Rom I VO noch für die bisherigen Verordnungen auf dem Gebiet der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen überzeugen, da der Kompetenztitel in Art. 61 lit. c), 65 EGV infolge der dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolle über die Position Dänemarks auf dem Gebiet des Titels IV des EG-Vertrages ansonsten leer liefe. Doch selbst im Hinblick auf die Gruppe der EU-Verbraucher ist zu konstatieren, dass die Rom I VO, wie von der Kommission vorgeschlagen, nicht zwangsläufig zu einem vergleichbaren und erst recht nicht höheren Schutzniveau führen muss. Zwar deuten der tatbestandliche Ausbau des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 5 Rom I VO-E sowie die Aufgabe eines abschließenden Katalogs von Vertragsschlussmodalitäten darauf hin, dass die Vergemeinschaftung des EVÜ im Ergebnis eine Schutzverstärkung im Internationalen Schuldvertragsrecht bedeutet.

15 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Kommissionsvorschlag, ABl. EG 2006, Nr. C 318, S. 56, 59. 16 Lagarde, Rev. crit. dr. int. pr. 95 (2006) 331, 342. 17 Heiss, JBl 2006, 750, 764.

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Dennoch mag die Ausgestaltung des Art. 5 Rom I VO-E zur Folge haben, dass das bisherige Schutzniveau teilweise (un)mittelbar unterschritten wird: So entfällt das Günstigkeitsprinzip und erfasst das Tatbestandsmerkmal „Ausrichten“ nicht zwingend sämtliche Sachverhaltskonstellationen, die sich unter den Begriff des „engen Zusammenhangs“ in den kollisionsrechtlichen Regelungsgeboten der Verbraucherschutzrichtlinien und entsprechend in Art. 29 a Abs. 1 EGBGB subsumieren lassen. Dies gilt etwa für passive Websites mit Produktinformationen, die zwar weltweit an Verbraucher adressiert sind, aber für den Vertragsschluss an einen örtlichen Vertragshändler oder Vertreter verweisen. Hier wird man wegen des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers, der Vertragsanbahnung und der -erfüllung einen engen Zusammenhang zum Binnenmarkt wohl nicht bestreiten können. Nach der eigenen Einschätzung der Kommission18 soll dieser Vorgang aber kein „Ausrichten“ im Sinne des Art. 5 Rom I VO-E darstellen. Derartige Fallgestaltungen unterliegen vielmehr zukünftig den Art. 3 und 4 Rom I VO-E und begünstigen insofern die Unternehmer. Überdies enthält Art. 5 Abs. 2 aE Rom I VO-E – entgegen dem beabsichtigten Gleichlauf mit dem Europäischen Zivilverfahrensrecht – eine auf die Kenntnis des Unternehmers von dem gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers abstellende Einschränkung, welche von der Brüssel I VO nicht vorausgesetzt wird und damit ebenfalls den Unternehmer privilegiert. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Entwurf für eine Rom I VO den bisherigen kollisionsrechtlichen aquis communautaire nicht umfassend abbildet und insbesondere bei aktiven Verbrauchern im Einzelfall unmittelbar zu einer Schutzverkürzung führen mag. Ein weiterer mittelbarer Nachteil kann sich etwa beim Lieferantenregress ergeben. Art. 5 Rom I VO-E erfasst zwar auf der Rechtsfolgenseite auch strengere Transformationsnormen, greift seinem klaren Wortlaut nach aber nur zugunsten von EU-Verbrauchern ein. Bezieht nun der Letztverkäufer mit Sitz etwa in Deutschland seine Ware von einem Drittstaatenunternehmer und untersteht deren Lieferbeziehung qua subjektiver Anknüpfung dem Drittstaatenrecht, greift § 478 BGB demnächst weder zwangsläufig über Art. 3 Abs. 5 noch 4 Rom I VO-E ein. Dies mag sich im Ergebnis negativ auf die Bereitschaft des Letztverkäufers auswirken, berechtigten Forderungen des Verbrauchers nachzukommen. c) International zwingende Bestimmungen Eine weitere Neuregelung des Reformvorhabens besteht darin, dass der Entwurf der Rom I VO – abweichend von Art. 22 EVÜ – den Mitgliedsstaaten nicht das Recht gewährt, einen Vorbehalt gegenüber der Geltung ausländischer Eingriffsnormen nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 3 Rom I VO-E zu erklären. Nach dieser Vorschrift verbleibt dem Richter die Entscheidung darüber, die ausländischen international zwingenden Regeln zu berücksichtigen, wenn der Sachverhalt trotz Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung einen engen Bezug zu einem anderen Staat aufweist und die Interessen des Forums eine derartige Durchbrechung des an sich maßgeblichen Statuts gestatten. Ob dieser Ansatz im Laufe des Gesetzgebungsverfahren auf Konsens stoßen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls muss sich der Sekundärrechtsgeber auch an dieser Stelle um Kohärenz zwischen den Verordnungen Rom I und II bemühen. So ist augenfällig, dass 12

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sich die Formulierungen zu den inländischen Eingriffsnormen in beiden Sekundärrechtsakten unterscheiden, überdies in der Rom II VO die Vorschrift über eine etwaige Anwendbarkeit einer ausländischen international zwingenden Bestimmungen im Laufe des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens gestrichen wurde. Dies muss auf Bedenken stoßen. So wird teilweise im Schrifttum19 die Auffassung vertreten, aus Art. 10 Abs. 2 EGV folge die primärrechtlich verankerte Pflicht, mitgliedstaatliche Eingriffsnormen im Wege einer solchen Anknüpfung zu berücksichtigen. Zumindest ergibt sich die Schieflage, dass ein Staat, vor dessen Gericht prozessiert wird, für sich proklamiert, seine eigenen inländischen Eingriffsnormen heranzuziehen, nicht aber diejenigen eines benachbarten Mitgliedstaates. In Bezug auf drittstaatliche Eingriffsnormen erscheint ungereimt, dass die Rom II VO an sich Drittstaatensachverhalte einbezieht und als „loi uniforme“ auf der Rechtsfolgenseite nicht zwischen Mitgliedund Drittstaatenrecht differenziert, wohl aber in Bezug auf Eingriffsnormen. Jedenfalls wäre es vorschnell, der Beschränkung keinen Regelungsgehalt zuzuschreiben. Zwar ist in Deutschland ungeachtet des nach Art. 22 lit. a) EVÜ gegen die Übernahme des Art. 7 Abs. 1 EVÜ eingelegten Vorbehalts ganz allgemeine Ansicht20, die Rechtsprechung dürfe ebenso ausländischen Eingriffsnormen bei hinreichendem Inlandsbezug eine Wirkung zumessen. Die Verordnungen Rom I und II sehen demnächst aber ein abschließendes System von Anknüpfungsregeln vor, welches kraft des Anwendungsvorrangs gleichermaßen Legislative wie Judikatur im Sinne einer Sperrwirkung binden könnte. 2. Verordnungsentwurf Rom II 2.1. Sachlicher Anwendungsbereich a) Außervertragliches Schuldverhältnis Abgrenzungsfragen wirft insbesondere der Begriff des „außervertraglichen“ Schuldverhältnisses in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II VO auf. Dies betrifft etwa die Qualifikation der culpa in contrahendo21. Diese wird de lege lata teils vertraglich – so auch vom BGH –, teils deliktisch eingeordnet. Nach einer weiteren Ansicht ist zwischen Verkehrs- und Schutzpflichtverletzung einerseits sowie der Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzung andererseits zu differenzieren. Der Sekundärrechtsgeber sieht in der Rom II VO keine Legaldefinition des außervertraglichen Schuldverhältnisses vor, verweist allerdings in deren Erwägungsgrund Nr. 11 S. 2 darauf, es handele sich um einen autonomen Begriff. Im Lichte der Rechtssache Tacconi22 sieht Art. 12 Rom II VO zudem eine

18 Vgl. Grünbuch der Kommission über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie seine Aktualisierung, KOM(2002) 654 endg., S. 38. 19 Hierzu Freitag, in: Leible, Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht, 2004, 184 ff.; W.-H. Roth, FS Immenga, 2004, 346 f. Siehe auch Thorn, in Ferrari/Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, 2007, S. 129, 147. Die Kommission scheint indes gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu verneinen, KOM(2006), 566 endg., S. 1, 4. 20 Hk-BGB/Staudinger, (Fn. 9), Art. 34 EGBGB Rn. 9 f. 21 Hk-BGB/Staudinger, (Fn. 9), Art. 32 EGBGB Rn. 10. 22 EuGH, Rs. C-334/00 (Officine Meccaniche Tacconi SpA gegen gegen Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS)), Slg. 2002, I-7357 ff.

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besondere Anknüpfungsregel für das „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ vor. Hierauf nimmt auch Art. 1 Abs. 2 lit. i) Rom I VO-E Bezug. Unabhängig von einer ins Detail gehenden Analyse jener Kollisionsnorm muss dem unzutreffenden Umkehrschluss vorgebeugt werden, andere Fallgestaltungen der culpa in contrahendo unterfielen der Rom I VO und demzufolge dem Vertragsstatut. So wird ein Verstoß gegen das Integritätsinteresse infolge einer vorvertraglichen Verletzung einer Schutz- oder Verkehrspflicht deliktisch zu qualifizieren und Art. 4 Rom II VO zuzuordnen sein. Dies folgt mittelbar ebenso aus Erwägungsgrund Nr. 30 S. 4 Rom II VO-E sowie Art. 1 Abs. 2 lit. i) Rom I VO-E. Für den deutschen Rechtsanwender bedeutet die Europäisierung des Kollisionsrechts damit eine deutliche Verschiebung hin zu einer deliktischen Qualifikation von vorvertraglichen bzw. gesetzlichen Schuldverhältnissen. Über den eigenen nationalen focus hinaus wird dies wohl ebenso für unmittelbare Ansprüche Dritter gegen Produkthersteller gelten, etwa für die verschiedenen Spielarten der action directe im französischen Sachrecht. Ihre Zuordnung zur Sonderkollisionsnorm in Art. 5 Rom II VO über die Produkthaftung hat dann wiederum Bedeutung für das Verhältnis zum UNKaufrecht. b) Anwendungsvorrang unter Einschluss der Schiedsgerichtsbarkeit Aus Erwägungsgrund Nr. 8 Rom II VO folgt, dass die Kollisionsnormen dieses Sekundärrechtsakts ebenso innerhalb der Schiedsgerichtsbarkeit Vorrang vor abweichenden nationalen Anknüpfungsregeln zukommt. c) Ausnahmen vom Anwendungsbereich Vom Regelungsbereich ausgenommen bleiben kraft Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II VO außervertragliche Schuldverhältnisse, welche aus der Verletzung der Privatsphäre sowie der Persönlichkeitsrechte resultieren. Dabei spielt es – über den geänderten Kommissionsvorschlag hinausgehend – keine Rolle, ob das Delikt durch „die Medien“ verübt wurde. Für diesen Ausschnitt der unerlaubten Handlungen verbleibt es demzufolge beim Rückgriff auf die Art. 40 ff. EGBGB. Dass sich der Sekundärrechtsgeber zumindest mittelfristig mit dem Gedanken trägt, den Rechtsakt nachzubessern, folgt aus der Revisionsklausel in Art. 30 Rom II VO. Das Europäische Parlament23 forderte demgegenüber die Aufnahme einer speziellen Kollisionsnorm. 2.2. Territorialer Anwendungsbereich Der räumliche Regelungsbereich des Rom II VO folgt aus Art. 1 Abs. 4 Rom II VO sowie dessen Erwägungsgrund Nr. 40. Danach gilt der Sekundärrechtsakt mit Ausnahme Dänemarks binnenmarktweit. Deutschland scheint in einer deutsch-dänischen Fallkonstellation mangels etwaiger völkervertragsrechtlicher Bindungen an den Anknüpfungsregeln in den Art. 40 ff. EGBGB festhalten zu können. Vorzugswürdig erscheint es jedoch, Dänemark gegenüber auf die Kollisionsnormen der Rom II VO abzustellen. Hierfür spricht nicht zuletzt der effet utile des Gemeinschaftsrechts. 2.3. Kollisionsrechtliches System Kapitel II betrifft unerlaubte Handlungen, Kapitel III die ungerechtfertigte Bereicherung, GoA sowie das Verschulden Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

bei Vertragsverhandlungen, Kapitel IV die Rechtswahl. Kapitel V enthält die gemeinsamen Vorschriften. a) Überblick zu den Grundsätzen der Anknüpfung bei unerlaubten Handlungen Die allgemeine Kollisionsnorm in Art. 4 Rom II VO greift ein, soweit keine vorrangig zu prüfende Rechtswahl nach Maßgabe von Art. 14 oder eine Sonderanknüpfung wie etwa im Falle der Produkthaftung laut Art. 5 Rom II VO in Betracht kommt. Innerhalb des Art. 4 Rom II VO genießt wiederum das gemeinsame Aufenthaltsstatut zum Zeitpunkt des Schadenseintritts in Abs. 2 Vorrang vor der Regelanknüpfung in Abs. 1. In beiden Fällen ist die Auflockerung in Abs. 3 zu beachten, welche eines der Grundprinzipien im Kollisionsrecht widerspiegelt, nämlich dasjenige der engsten Verbindung. Nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II VO kann insbesondere eine akzessorische Anknüpfung bei einem Vertragsverhältnis zwischen Schädiger und Opfer Platz greifen. Dies deckt sich mit Grundsätzen im Europäischen Zivilverfahrensrecht, wonach unter Umständen etwa auch am (Verbraucher)Vertragsgerichtsstand konkurrierende deliktische Ansprüche bei hinreichend enger Verbindung geltend gemacht werden können. Jedenfalls unterstreicht der Grundsatz der Akzessorietät in Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II VO die Zulässigkeit eines Gerichtsstandes des Sachzusammenhangs in der Brüssel I VO. b) Regelanknüpfung gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II VO Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II VO ist das Recht desjenigen Staates maßgeblich, in dem der Schaden eintritt. Im Ergebnis wird damit das Erfolgsortrecht zur Anwendung berufen. Art. 4 Abs. 1 Rom II VO stimmt mit der Rechtslage in den meisten Mitgliedstaaten überein, bedeutet indes eine Abkehr von dem jedenfalls in Deutschland geltenden Ubiquitätsprinzip. Nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB greift das Handlungsortrecht, sofern der Geschädigte nicht nach Maßgabe von Art. 40 Abs. 1 S. 2 und 3 EGBGB für das Erfolgsortrecht optiert hat. Bedeutung erlangt dies zwar nicht bei einem Platz-, wohl aber bei Distanz- und Streudelikten, da hier Handlungs- und Erfolgsort(e) typischerweise auseinanderfallen. Sicherlich mag man den fehlenden Gleichlauf von Art. 4 Abs. 1 VO mit Art. 5 Nr. 3 Brüssel I VO monieren, da der Tatortgerichtsstand dem Kläger in der zuletzt genannten Vorschrift die Wahl zwischen Handlungs- und Erfolgsort eröffnet. Dennoch ist auch das Argument der Kommission nicht von der Hand zu weisen, die Maßgeblichkeit allein des Erfolgsorts nach Art. 4 Abs. 1 Rom II VO solle die Möglichkeit des forum shoppings im Interesse der Rechtssicherheit einschränken. Zu bedenken ist überdies, dass sich ein Gleichlauf zwischen Verfahrens- und materiellem Recht ohnehin selbst dann nicht erzielen ließe, wenn man Art. 4 Abs. 1 Rom II VO um den Anknüpfungspunkt des Handlungsortes erweiterte.

23 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Gemeinsamen Standpunkt A6-0481/2006, Abänderung 9, 15, 19; hiergegen die Stellungnahme der Kommission zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments: KOM(2007) 126 endg., S. 5.

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c) Sonderkollisionsnormen Die Art. 5 bis 9 Rom II VO sehen besondere Anknüpfungsregeln für spezielle unerlaubte Handlungen vor. In Art. 5 Rom II VO schafft der Gemeinschaftsgesetzgeber für die Produkthaftung eine Anknüpfungsleiter. In seiner Entscheidung vom 10.1.2006 hat der EuGH24 auf Vorlage des dänischen Vestre Landsret ausgeführt, die Ersatzpflicht nach der Produkthaftungsrichtlinie25 stelle eine „verschuldensunabhängige Haftung“ dar. Damit bezieht er erstmals eindeutig Stellung und schlägt sich auf die Seite derjenigen, welche das Regime der Harmonisierungsmaßnahme als Gefährdungshaftung qualifizieren. Dies gilt entsprechend für die jeweiligen Transformationsnormen in den Mitgliedstaaten wie das ProdHaftG in Deutschland. Daraus folgt, dass die Ersatzpflicht des Herstellers nach dem ProdHaftG in grenzüberschreitenden Sachverhalten deliktisch zu qualifizieren ist und mangels einer tatbestandlichen Einschränkung Art. 5 Rom II VO unterliegt. Fraglich erscheint, ob diese Sonderkollisionsnorm gleichermaßen eine Haftung des Produzenten aus § 823 Abs. 1, 2 BGB erfasst. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof26 in seiner Entscheidung vom 10.1.2006 weiter ausführt, der Sekundärrechtsgeber habe mit der Produkthaftungsrichtlinie allein einen Ausschnitt, nämlich die Gefährdungshaftung geregelt, diesen aber mit vollharmonisierender Wirkung. Demgegenüber entfaltet sie keine Bindungs- bzw. Sperrwirkung, sofern die Ersatzpflicht auf anderen Haftungsgründen, etwa Vertrag oder Verschulden gestützt wird. Insofern verbleibt der Legislative wie Judikative auch in Deutschland die Gestaltungsfreiheit27. Angesichts des Erwägungsgrundes Nr. 11 S. 3 des Sekundärrechtsakts sowie wegen der fehlenden Differenzierung zwischen der Regelanknüpfung für unerlaubte Handlungen in Art. 4 Rom II VO und der Sonderkollisionsnorm für die Produkthaftung ist davon auszugehen, dass Letztere sowohl verschuldensabhängige als auch -unabhängige Haftungstatbestände erfasst. Dies entspricht dem Europäischen Zivilverfahrensrecht. So sieht die Brüssel I VO in ihrem Art. 5 Nr. 3 einen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für grenzüberschreitende Sachverhalte vor. Dieser schließt ebenso sämtliche deliktische Haftungsklagen gegen Hersteller ein, ungeachtet davon, ob dessen Ersatzpflicht auf einer Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung beruht. Demzufolge unterfällt gleichermaßen die auf Verschulden basierende Ersatzpflicht des Produzenten gemäß § 823 Abs. 1, 2 BGB dieser Sonderkollisionsnorm. d) Rechtswahl gemäß Art. 14 Rom II VO Abweichend von der derzeitigen Rechtslage in Art. 42 EGBGB eröffnet Art. 14 Abs. 1 lit. b) Rom II VO Parteien, welche einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, Parteiautonomie im Vorfeld eines schadensbegründenden Ereignisses. Der Ausbau der Parteiautonomie erscheint vor dem Hintergrund der Einbeziehung „vorvertraglicher“ Rechtsverhältnisse konsequent. Zweifel bestehen indes bei der nachträglichen Rechtswahl zwischen Unternehmer und Verbraucher. Diese ist abgesehen von Abs. 2 und 3 dieser Vorschrift uneingeschränkt zulässig. Eine Parallele lässt sich zweifelsohne zu Art. 17 Nr. 1 Brüssel I VO ziehen. Zu bedenken ist allerdings, dass der Sekundärrechtsgeber bei Verbraucherverträgen nach Maßgabe von Art. 5 Rom I VO überhaupt keine Parteiautonomie gewährt, sondern allein eine objektive 14

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Anknüpfung vorsieht. Mithin droht zwischen beiden Sekundärrechtsakten ein Widerspruch, der vor allem bei konkurrierenden Forderungen aus Vertrag und unerlaubter Handlung offensichtlich wird, da in diesem Fall eine akzessorische Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II VO ausscheidet. Wie bereits zuvor dargelegt muss der Gemeinschaftsgesetzgeber überdies auf einen Gleichlauf im Hinblick auf die Wählbarkeit von Principles (in Form einer Harmonisierungsmaßnahme) achten. e) Direktklage gegen den Versicherer des Ersatzpflichtigen Die Direktklage gegen den Versicherer des Ersatzpflichtigen berührt zunächst die Frage der internationalen Zuständigkeit. Aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, übergreifenden Systematik sowie teleologischen Interpretation von Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit 9 Abs. 1 lit. b) Brüssel I VO folgt, dass ein Verletzter einen etwaigen Direktanspruch an seinem Heimatforum gegen den Versicherer klageweise geltend machen kann. Diese Ansicht teilt im Ergebnis auch der BGH28, der allerdings diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Das OLG Wien29 bejaht ebenfalls einen derartigen Klägergerichtsstand. Den gegen dieses Urteil eingelegte Revisionsrekurs hat der OGH, ohne das Instrument der Vorlage zu nutzen, durch Beschluss vom 30.11.2006 zurückgewiesen, so dass das Urteil des OLG Wien Rechtskraft erlangt hat. Von der internationalen Zuständigkeit zu unterscheiden bleibt die Frage, ob ein solcher Direktanspruch auf der Sachrechtsebene besteht. In grenzüberschreitenden Sachverhalten ist zunächst das anwendbare Recht mit Hilfe der einschlägigen Kollisionsnormen zu ermitteln. Art. 18 Rom II VO räumt dabei dem Geschädigten – im Ergebnis überzeugend – eine Wahl zwischen Delikts- und Versicherungsvertragsstatut ein. Im Hinblick auf Art. 18 2. Alt Rom II VO ergibt sich das Dilemma, dass derzeit und wohl auch zukünftig das Internationale Versicherungsvertragsrecht durch ein „Anknüpfungswirrwarr“30 geprägt wird. Sofern das Deliktsbzw. Versicherungsvertragsstatut dem deutschen Sachrecht unterliegt, ist zu beachten, dass die VVG-Reform31 zu einem Ausbau des Direktanspruchs führen wird.

24 EuGH, Rs. C-402/03 (Skov Æg gegen Bilka Lavprisvarehus A/S und Bilka Lavprisvarehus A/S gegen Jette Mikkelsen und Michael Due Nielsen), Slg. 2006, I-199 ff. 25 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG 1985, Nr. L 210, S. 29; vgl. auch Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999 zur Änderung der Richtlinie 85/374/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG 1999, Nr. L 141, S. 20. 26 Vgl. Fn. 24. 27 Magnus, GPR 2006, 121, 123. 28 BGH NJW 2007, 71 ff. m. Anm. Staudinger, NJW 2007, 73: jüngst Herrmann, VersR 2007, 1410; AG Bremen, NJW-RR 2007, 1079; abweichend Fuchs, IPRax 2007, 302; Heiss, VersR 2007, 327. 29 OLG Wien DAR 2007, 215 f. 30 Staudinger, in: Ferrari/Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa, 2007, S. 225, 233 ff. 31 Beachte § 115 VVG n. F., BGBl. I 2007, S. 2650.

Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

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f) Sachnormverweis Art. 24 Rom II VO schließt die Rück- und Weiterverweisung aus. Dies verdient uneingeschränkte Zustimmung und steht im Einklang mit Art. 19 Rom I VO-E, der ebenfalls einen renvoi verbietet. g) Allgemeine ordre public-Klausel in Art. 26 Rom II VO Die Vorbehaltsklausel in Art. 26 Rom II VO stimmt nahezu wörtlich mit derjenigen in Art. 20 Rom I VO-E überein. Danach wird in Ausnahmefällen von der Anwendung einer Sachnorm abgesehen, soweit das Ergebnis einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts begründet. Dieser Begriff, der sich auch in anderen internationalen Regelwerken wiederfindet, wird zutreffend nicht näher präzisiert. Vielmehr besitzen die Mitgliedstaaten trotz des gemeinschaftsrechtlichen Standorts der Vorschrift die Definitionshoheit und können festlegen, welche Vorschriften zum Kreis ihrer nationalen öffentlichen Ordnung zählen. Dem EuGH wächst demgegenüber die Aufgabe zu, die Grenzen aufzuzeigen, damit das Anknüpfungssystem nicht konterkariert wird. Dies entspricht der Rechtslage bei der Brüssel I VO32. Die Kommission33 hatte sich in ihrem geänderten Vorschlag dafür ausgesprochen, in Art. 23 der dortigen Fassung einen Satz 2 anzufügen, wonach der ordre public-Vorbehalt insbesondere für den Fall eingreift, dass ein ausländischer Rechtssatz den Schädiger im Ergebnis zu einer „über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehenden Entschädigung in unverhältnismäßiger Höhe“ verpflichtet. Dies erinnert an die besondere Vorbehaltsklausel in Art. 40 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB. Im Nachgang zu der Beratung über diesen Vorschlag wurde der Zusatz anfangs als Erwägungsgrund formuliert, schließlich ganz fallen gelassen. Auf den ersten Blick könnte nun der Schluss nahe liegen, die Rom II VO führe zwangsläufig zu einer Haftungsverschärfung aus dem Blickwinkel etwa eines in Deutschland ansässigen Herstellers, da ihn zwar de lege lata Art. 40 Abs. 3 Nr. 1 und 2 EGBGB als spezielle Vorbehaltsklausel vor überzogenen „multiple“ und „punitive damages“ schütze, diese hingegen nicht explizit in der Rom II VO genannt würden. Indes muss man auch im deutschen Recht Zweifel anmelden, ob die Abwehrfunktion nicht ebenso der allgemeine Notanker in Art. 6 EGBGB zu entfalten vermag. So verweist jedenfalls die Kommission34 überzeugend auf den allgemeinen Konsens, dass der ordre public-Vorbehalt in Art. 26 Rom II VO dazu ermächtigt, das Ergebnis einer Rechtsanwendung abzuwehren, wenn den Schädiger eine unverhältnismäßig hohe Ersatzpflicht oder eine solche trifft, welche offenkundig anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dient. Dies kann laut Erwägungsgrund Nr. 32 etwa beim sogenannten Strafschadensersatz der Fall sein. Dementsprechend unterliegen diese besonderen Fallgruppen auch zukünftig dem allgemeinen Notanker in Art. 26 Rom II VO. h) Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen Art. 28 Rom II VO betrifft das Konkurrenzverhältnis zu bestehenden Konventionen. Dessen Abs. 1 belässt im Zusammenspiel mit Erwägungsgrund Nr. 36 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, weiterhin die Kollisionsnormen internationaler Übereinkommen heranzuziehen, denen sie zum ZeitRechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

punkt der Annahme des Sekundärrechtsaktes angehören. Laut Abs. 2 soll dieser allerdings Vorrang in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten genießen, wenn die Konvention ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossen worden ist. Sofern sich der Kreis der Signatarstaaten jedoch nicht hierauf beschränkt, sondern etwa auch Drittstaaten – hierzu muss im Lichte des Art. 1 Abs. 4 Rom II VO streng genommen auch Dänemark gezählt werden – einbezieht, verbleibt es bei Abs. 1. Dies gilt gleichermaßen für den Fall, dass sämtliche Sachverhaltselemente ausschließlich in der Gemeinschaft angesiedelt sind. Das Europäische Parlament35 hatte sich in einer solchen Sachverhaltskonstellation für einen Vorrang der Rom II VO vor dem Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht36 ausgesprochen. In seiner Mitteilung vom 27.9.2006 betont auch die Kommission37, dass der Gemeinsame Standpunkt insoweit das Ziel verfehlt, auf Gemeinschaftsebene ein einheitliches Anknüpfungsregime zu schaffen und verweist auf die Vorzüge von Art. 24 Abs. 2 ihres geänderten Vorschlages. Nunmehr droht innerhalb des Binnenmarkts ein dreispuriger Weg: Während einige Mitglied- als Konventionsstaaten wie etwa Belgien, Frankreich, Österreich, Niederlande, Luxemburg, Spanien und Polen infolge des Art. 28 Rom II VO von den sekundärrechtlichen geltenden Kollisionsnormen freigestellt werden und die betreffende Haager Konvention heranziehen, beurteilen die übrigen Mitgliedstaaten Verkehrsunfälle nach der Rom II VO. Dabei ist der Ausschluss eines renvoi in Art. 24 Rom II VO zu bedenken. Anders als nach dem derzeitigen Internationalen Deliktsrecht (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) wendet nämlich ein deutsches Gericht zukünftig nach Maßgabe von Art. 24 Rom II VO unmittelbar das Sachrecht eines Staates an, selbst wenn dieser die Haager Konvention ratifiziert hat. Dänemark schließlich wird weiterhin auf sein rein nationales Anknüpfungssystem abstellen. Ähnliche Friktionen drohen im Hinblick auf das Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht38. Für Straßenverkehrsunfälle sowie die Produkthaftung und somit zwei Kernbereiche des Internationalen Deliktsrechts verfehlt die Kommission mithin das von ihr selbst gesteckte Ziel, nämlich über eine Vereinheitlichung des IPR die Anreize zum „forum shopping“ zu mindern und zur Rechtssicherheit beizutragen. Den Handlungsbedarf illustriert insbesondere die Aufnahme der Verkehrsunfälle in die Revisionsklausel des Art. 30 Rom II VO.

III. Resumee Im Europäischen Zivilverfahrens- und nunmehr auch Kollisionsrecht werden Staatsverträge sowie Vorgaben in Richtlinien durch das Instrument der Verordnung abgelöst. Dies führt auf nationaler Ebene zu einem immer geringeren 32 33 34 35

Staudinger, NJW 2006, 2433, 2437. KOM(2006) 83 endg. KOM(2006) 566 endg., S. 1, 4. Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Kommissionsvorschlag, A6-0211/2005, Änderungsantrag 53. 36 Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971, abgedruckt bei Staudinger/von Hoffmann, Art. 38-42 EGBG, Neubearbeitung 2001, Art. 40 Rn. 178; hierzu jüngst Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624. 37 KOM(2006) 566 endg, S. 2, 5. 38 Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht vom 2.10.1973, abgedruckt bei Staudinger/von Hoffmann, (Fn. 36), Art. 40 Rn. 80.

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Gestaltungsspielraum für die Legislative und Judikative. Überdies schwindet mit der Vergemeinschaftung die Abschlusskompetenz der Mitgliedstaaten im Außenverhältnis. So liegt mittlerweile die vom Rat nach Art. 300 Abs. 6 EGV erbetene Stellungnahme des EuGH39 vor. Nach dessen Gutachten 1/03 vom 7.2.2006 besitzt die Europäische Gemeinschaft eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano. Im übertragenen Sinne wird ebenso zunehmend Unternehmern und Verbrauchern ihre Gestaltungsmacht entzogen. So wie die Brüssel I VO die Pro- und Derogationsfreiheit zumindest in bestimmten Fallgestaltungen negiert, will die Kommission die Parteiautonomie zwischen Unternehmern und EU-Verbrauchern im Internationalen Schuldvertragsrecht gänzlich aufheben. Damit sieht sich die Europäische Rechtsetzungspolitik teils zu Recht dem Paternalismusvorwurf ausgesetzt. Hingegen erscheint der Vorwurf nicht mehr überzeugend, der Sekundärrechtsgeber entscheide stets in dubio pro consumatore. Zwar spricht sich die Kommission dafür aus, den sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich in Art. 5 Rom I VO-E im Verhältnis zum EVÜ zu erweitern. Indem aber Verbraucher in Drittstaaten gänzlich von einer Sonderanknüpfung ausgenommen bleiben, keine Rechtswahlfreiheit mit Günstigkeitsprinzip mehr besteht und das Tatbestandsmerkmal „Ausrichten“ gegebenenfalls restriktiver auszulegen ist als der „enge Zusammenhang zum Binnenmarkt“, stützt der angedachte Sekundärrechtsakt jedenfalls nicht in allen Einzelheiten die These vom favor consumatoris. In der Gesamtschau muss ferner das ernüchternde Resümee gezogen werden, dass sich auf supranationaler Ebene kein in sich stimmiges Bild im Kollisionsrecht ergibt. So droht eine erste Schieflage durch die mangelnde Beteiligung jedenfalls von Dänemark. Natürlich liegt hier der schwarze Peter bei dem betreffenden Mitgliedsstaat. Kritik gefallen lassen muss sich die Kommission aber aus folgenden Gründen: So wird wohl die Zweispurigkeit im Internationalen Versicherungsvertragsrecht und die damit verbundene Rechtszersplitterung beibehalten. Hinzu tritt eine weitere Spaltung des Anknüpfungsregimes bei Verbraucherverträgen, indem diejenigen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Binnenmarkt privilegiert, die anderen vom Schutzbereich der Sonderkollisionsnorm ausgenommen werden. Die Differenzierung zwischen einem binnenmarktspezifischen Kollisionsrecht und einem solchen für bestimmte Drittstaatensachverhalte bedeutet einen Bruch mit dem EVÜ. Weitere Ungereimtheiten entstehen dadurch, dass in der Brüssel I VO der Versicherungs-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz weithin übereinstimmend ausgestaltet ist, der Rom I VO-E hingegen keinen derartigen Gleichlauf schafft. Hinzu kommt, dass die Kommission einerseits eine Harmonie zwischen Brüssel I und Rom I VO anstrebt, andererseits in dem derzeitigen Entwurf das Kriterium des „Ausrichtens“ mit einem Erkennbarkeitstest flankiert, bestimmte Dienstleistungsverträge ausklammert und ein striktes Verbot der Rechtswahlfreiheit vorsieht, nämlich selbst nach Entstehen der Streitigkeit.

Ein fehlender Gleichlauf ist überdies hinsichtlich der Ausgestaltung des Rom I VO-E einerseits sowie des Rom II VO andererseits zu monieren. Dies betrifft etwa den Bereich der Parteiautonomie, der in- und ausländischen Eingriffsnormen sowie das Verhältnis von sekundärem Gemeinschaftsrecht zu bereits bestehenden Konventionen. Zudem besteht die Gefahr, dass die angestrebten Verordnungen wie Rom I und II nicht hinreichend miteinander verzahnt werden. Dies betrifft beispielsweise den Ausschnitt der vorvertraglichen Schuldverhältnisse. Es bleibt abzuwarten, ob der europäische Gesetzgeber die systematisierende Kraft aufbringt, die Verordnungen Rom I, II sowie weitere Sekundärrechtsakte mittelfristig in eine Gesamtkodifikation einzustellen, zumindest aber aufeinander abzustimmen und das Konkurrenzverhältnis von Sekundärrecht und bestehenden Konventionen sachgerecht zu bestimmen. Ansonsten könnte der Gewinn, der voraussichtlich darin besteht, dass die Rom I VO im Hinblick auf das Richtlinienkollisionsrecht zumindest ein Stück weit zum Abbau der Rechtsquellenvielfalt führt, schnell verspielt sowie das Ziel der Rechtssicherheit und -einheit im Binnenmarkt verfehlt werden.

IV. Postskriptum Am 7. Dezember hat der Rat den vom Europäischen Parlament am 29. November 2007 verabschiedeten Verordnungstext inhaltlich gebilligt. Mithin wird ein Vermittlungsverfahren entbehrlich. Es ist zu erwarten, dass der Rat die Verordnung zu Beginn des Jahres 2008 förmlich annimmt. In Anlehnung an die zuvor in dem Aufsatz geäußerte Kritik sollen zukünftig Versicherungsverträge in den Anwendungsbereich der Verordnung einbezogen werden. Die Sonderkollisionsnorm zum Schutze von Verbrauchern (voraussichtlich Art. 6) erfährt im Vergleich zum staatsvertraglichen Vorläufer wie zuvor beschrieben in sachlicher und räumlich-situativer Hinsicht eine Erweiterung. Indes entfällt nicht die Schieflage, dass Beförderungsverträge nicht der Verbraucherschutzkollisionsnorm unterliegen. Indes soll eine spezielle Anknüpfungsregel geschaffen werden. Bestimmte Friktionen zwischen der Brüssel I-VO und dem angedachten Art. 6 Rom I-VO entfallen. Dies betrifft etwa die Aufgabe des Erkennbarkeitstests. Nach dem begrüßenswerten Konsens soll im Einklang mit dem Schuldvertragsübereinkommen auch weiterhin jeder Verbraucher und nicht nur derjenige kollisionsrechtlichen Schutz erfahren, welcher seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Binnenmarkt hat. Gleichermaßen verbleibt es bei dem Grundsatz, dass in Verbraucherverträgen Rechtswahlfreiheit besteht und im Wege eines konkreten Günstigkeitsvergleichs der Schutzstandard im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers als Minimum nicht qua subjektiver Anknüpfung entzogen werden kann. Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Bielefeld Der Autor ist Professor an der Universität Bielefeld. Er ist Inhaber des Lehstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privat-, Verfahrens- und Wirtschaftsrecht. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

39 Gutachten 1/03 des Gerichtshofes (Plenum) vom 7. Februar 2006 „Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“, Slg. 2006, I-1145 ff.

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Rechtsvereinheitlichung innerhalb Europas: Rom I und Rom II, Staudinger

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Praxis der Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas Der Umgang mit dem Europarecht im verkehrsrechtlichen Mandat* Rechtsanwalt Oskar Riedmeyer, Mu¨nchen

Ein in Deutschland zugelassenes Fahrzeug, Fahrer und Geschädigter ein Deutscher sowie Unfallort im Inland: Das ist der Standard-Verkehrsunfall. Doch wie sieht die Abwicklung aus, wenn ein Deutscher oder ein in Deutschland lebender Ausländer im europäischen Ausland geschädigt wird? Die Antwort gibt auch das Europarecht. Die Bedeutung der Regulierung von Auslandsunfällen hat in der täglichen Praxis des im Verkehrsrecht spezialisierten Anwalts in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Mit der wachsenden Internationalisierung des Straßenverkehrs häufen sich auch die Probleme, die sich aus der jeweils nationalen Ausrichtung des Verkehrsrechts ergeben. Der Beitrag stellt die Regulierung von Verkehrsunfällen im Ausland nach dem System der 4. Kraftfahrthaftpflicht-Richtlinie der EU (KH-Richtlinie) sowie die Änderungen durch die 5. KH-Richtlinie aus Anwaltssicht dar.

I. Einführung Durch die zum 1. Januar 2003 umgesetzte1 4. KH-Richtlinie der EU2 wurde ein System eingeführt, das vorsieht, dass die Regulierung von Unfällen, die sich in einem EU-Staat ereignen, im Wohnsitzstaat des Geschädigten von einen dort ansässigen Schadensregulierungsbeauftragten in der Landessprache des Geschädigten vorgenommen wird. Dem Regulierungsbeauftragten ist dabei ein Zeitrahmen von drei Monaten ab Zugang des Bezifferungsschreibens vorgegeben, innerhalb dem er begründet Stellung nehmen und den anerkannten Betrag an den Geschädigten auszahlen muss. Kann ein Versicherer nicht ermittelt werden, hat er keinen Regulierungsbeauftragten im Inland bestimmt oder wird der Zeitrahmen verletzt, kann sich der Geschädigte an den Verein Verkehrsopferhilfe e. V. wenden, der die Ansprüche dann auf der Grundlage der ausländischen Rechtsordnung prüft und gegebenenfalls reguliert. Das Regulierungssystem hat die Regulierung von Verkehrsunfällen, die sich innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes3 sowie in der Schweiz4 ereignen, erheblich vereinfacht. Zwischenzeitlich erfasst das System auch die neu beigetretenen EU-Staaten. Mit dem Inkrafttreten der 5. KH-Richtlinie am 12. Juni 2005 hat der EU-Gesetzgeber nunmehr auch die gerichtliche Geltendmachung am Wohnsitz des Geschädigten vorgesehen. Die deutschen Instanzgerichte haben diese Wertung des EU-Gesetzgebers bereits nachvollzogen. Der BGH hat sie auch bejaht, die Sache aber zur abschließenden Entscheidung dem EuGH vorgelegt. Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas, Riedmeyer

II. Einzelheiten der Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas 1. Anwendungsbereich der Regelung Der sachliche Anwendungsbereich des Systems der Regulierung von Unfällen im Ausland ist in § 12 a Abs. 1, 4 PflVG geregelt: Demnach wird von der Regelung jeder Sach- oder Personenschaden erfasst, der durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursacht wird und eine Person betrifft, die ihren Wohnsitz in Deutschland hat, 9 wenn sich der Unfall außerhalb Deutschlands jedoch innerhalb der EU oder des EWR ereignete (§ 12 a Abs. 1 PflVG) 9 oder wenn sich der Unfall zwar außerhalb des EU-/EWRGebietes ereignete, das verursachende Fahrzeug jedoch in einem EU-/EWR-Staat versichert ist, dort auch seinen gewöhnlichen Standort hat und das nationale Versicherungsbüro des Landes, in dem sich der Unfall ereignete, dem System der Grünen Karte beigetreten ist (§ 12 a Abs. 4 PflVG). Nachfolgende Beispiele zeigen den weiten Anwendungsbereich der Regelung: 9 Ein Unfall in Rom, den ein italienischer Kraftfahrer mit seinem in Italien zugelassenen und versicherten Fahrzeug verursacht und bei dem ein deutscher Tourist geschädigt wird. 9 Ein Unfall in Madrid, den ein Brite mit seinem in Großbritannien zugelassenen Fahrzeug verursacht und bei dem ein in Deutschland lebender türkischer Staatsangehöriger geschädigt wird. 9 Ein Unfall in Palma, den ein Niederländer mit einem in Spanien zugelassenen Mietwagen schuldhaft verursacht, bei dem ein deutscher Tourist als Beifahrer verletzt wird. 9 Ein Unfall in Kopenhagen, den ein russischer Staatsangehöriger mit seinem in Russland zugelassenen Lkw verursacht, bei dem ein in Frankfurt/Main wohnender Deutscher geschädigt wird. 9 Verletzung eines deutschen Touristen bei einem Unfall in Paris, den ein nicht identifiziertes Fahrzeug verursacht, dessen Fahrer Unfallflucht begeht. 9 Ein Unfall in Kiew (Ukraine), den ein Österreicher mit seinem in Österreich zugelassenen Fahrzeug verursacht und bei dem ein in Berlin lebender Deutscher geschädigt wird. 2. Überblick über das System Das System zur Regulierung von Auslandsunfällen besteht im Wesentlichen aus drei Pfeilern und einem festen Zeitrahmen für die Regulierung. Die drei Säulen des Systems sind: 9 die Einrichtung von nationalen Auskunftsstellen zur Ermittlung des verantwortlichen Versicherers (in Deutschland hat diese Funktion der Zentralruf der Autoversicherer in Hamburg übernommen, § 8 a PflVG);

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Der Aufsatz geht auf einen Vortrag des Verfassers auf dem 58. Deutschen Anwaltstag am 18. Mai 2007 zurük. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung.

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Die Umsetzung der 4. KH-Richtlinie erfolgte im Wesentlichen durch die Ergänzung des Pflichtversicherungsgesetzes, BGBl I 2002, 2586. Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000, Amtsblatt Nr. L 181 vom 20.7.2000, S. 0065–0074, abgedruckt bei Feyock/ Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 2. Auflage 2002, S. 1098 ff. Island, Norwegen und Liechtenstein, Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung 2. Aufl. S. 823. Botschaft des Bundesrates vom 10.4.2002 betreffend Änderung des StVG und des VAG.

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9 die Verpflichtung zur Benennung von Schadensregulierungsbeauftragten in jedem Staat der Europäischen Union und des EWR (für Versicherungen, die in Deutschland KfzHaftpflichtpolicen ausgeben, ergibt sich die Verpflichtung aus § 7 b VAG); 9 die Einrichtung einer Entschädigungsstelle, die tätig wird, wenn das System nicht funktioniert (in Deutschland ist dies der Verein Verkehrsopferhilfe e. V. in Hamburg, § 13 a PflVG).

3. Zentralruf der Autoversicherer als EU-weite Auskunftsstelle Ein wesentliches Anliegen der 4. KH-Richtlinie war die Vereinfachung der Informationsbeschaffung für den Geschädigten.5 Er soll in die Lage versetzt werden, in einfacher Weise von seinem Wohnsitzstaat aus den Kfz-Haftpflichtversicherer und dessen inländischen Schadensregulierungsbeauftragten anhand des ausländischen Kfz-Kennzeichens zu ermitteln. Dies erwies sich in der Vergangenheit als besonders schwierig und verhinderte oft schon im Ansatz die Regulierung von Unfallschäden, die im Ausland eingetreten waren. Durch die 4. KH-Richtlinie wird jeder Staat zur Einrichtung einer nationalen Auskunftsstelle verpflichtet, die die notwendigen Daten zu allen Kraftfahrzeugen besitzt, die in diesem Staat ihren gewöhnlichen Standort haben (dort zugelassen sind).6 Die Daten müssen über einen Zeitraum von sieben Jahren gespeichert werden.7 Dies bedeutet, dass z. B. für einen Unfall der sich am 1. Juli 2006 ereignete, die Daten bis zum 1. Juili 2013 abgefragt werden können. Die deutsche Auskunftsstelle ist der Zentralruf der Versicherer in Hamburg. Der Geschädigte bzw. sein anwaltlicher Vertreter können dort wie bei einem Unfall in Deutschland die notwendigen Daten über jedes Kraftfahrzeug abfragen, das in einem EU- oder EWR-Staat zugelassen ist.8 Auf die Angabe des Kennzeichens hin ermittelt der Zentralruf der Autoversicherer gemäß § 8 a PflVG folgende Informationen: 9 den Namen und die Anschrift des ausländischen Versicherungsunternehmens, 9 die Nummer der Versicherungspolice und den Ablauf des Versicherungsschutzes, falls der Vertrag beendet ist, 9 den Namen und die Anschrift des Schadenregulierungsbeauftragten, 9 den Namen und die Anschrift des Fahrzeughalters oder – sofern solche Informationen gespeichert sind, die Daten des Eigentümers oder des gewöhnlichen Fahrers des Fahrzeuges. Der Zentralruf hat dabei die Daten der ausländischen Fahrzeuge nicht selbst gespeichert, sondern die nationalen Auskunftsstellen sind zur gegenseitigen Zusammenarbeit verpflichtet. Der Zentralruf lässt sich daher von der jeweiligen nationalen Auskunftsstelle des Staates, der das Kennzeichen ausgegeben hat, die notwendigen Daten geben und leitet sie an den Geschädigten bzw. seinem anwaltlichen Vertreter weiter. Zur Feststellung des Versicherers sowie dessen Schadenregulierungsbeauftragten ist nur noch das Auto-Kennzeichen erforderlich. Können vom Geschädigten bei der Anfrage neben dem Kfz-Kennzeichen noch zusätzliche Informationen gegeben werden (z. B. die ausländische Versicherung), beschleunigt dies die Informationsbeschaffung (es muss im vorgenannten Beispiel dann nur noch der deutsche Schadensregulierungsbeauftragte ermittelt werden). 18

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Die Abwicklung über den Zentralruf garantiert, dass für den Geschädigten und seinen anwaltlichen Vertreter keine Sprachprobleme auftreten können. Kann der Zentralruf der Versicherer binnen eines Zeitraums von zwei Monaten ab Eingang der Anfrage die KfzHaftpflichtversicherung des Fahrzeuges nicht ermitteln, kann sich der Geschädigte gemäß § 12 a Abs. 1 Nr. 3 PflVG an die Verkehrsopferhilfe e. V. als Entschädigungsstelle wenden. Weil die Richtlinie durch die Einrichtung der Entschädigungsstellen sicherstellen will, dass der Geschädigte den ihm zustehenden Schadensersatz erhält,9 muss der Begriff der „Nichtermittlung“ im umfassenden Sinne verstanden werden. Als Nichtermittlung muss auch der Fall gelten, dass der Zentralruf der Versicherer zu einem bestimmten KfzKennzeichen zwar ein Versicherungsunternehmen benennt, dieses jedoch die Regulierung mit der Begründung ablehnt, das Fahrzeug sei dort nicht (mehr) versichert.10 4. Schadensregulierungsbeauftragter Kernstück der 4. KH-Richtlinie war die Einführung von Schadensregulierungsbeauftragten im Wohnsitzstaat des Geschädigten, damit dieser seinen Direktanspruch gegen den ausländischen Kfz-Haftpflichtversicherer auch wirksam durchsetzen kann.11 Jedes Versicherungsunternehmen, das im Bereich eines EU- oder EWR-Staates eine Kfz-Haftpflichtversicherung anbietet, muss in Deutschland sowie in allen anderen EU- und EWR-Staaten einen Schadenregulierungsbeauftragten benennen.12 Diese Funktion können Versicherungsunternehmen, Regulierungsbüros oder auch Rechtsanwälte übernehmen. Der in Deutschland tätige Schadenregulierungsbeauftragte muss in deutscher Sprache korrespondieren. Er muss über ausreichende Befugnisse verfügen, um das Versicherungsunternehmen gegenüber dem Geschädigten zu vertreten und dessen begründete Ansprüche in vollem Umfang befriedigen zu können.13 Der Schadenregulierungsbeauftragte ist der inländische Ansprechpartner des Geschädigten und seines anwaltlichen Vertreters. Er muss die Informationen über den Verkehrsunfall zusammentragen und sichten. Er muss dafür Sorge tragen, das die das von ihm repräsentierte Versicherungsunternehmen so rechtzeitig die Schadenmeldung des Versicherungsnehmers und gegebenenfalls die behördlichen Ermittlungsakten einholt, dass er innerhalb der Dreimonatsfrist den Schaden regulieren kann oder eine begründete Stellungnahme zu den geltend gemachten Ansprüchen abgeben kann. Ausdrücklich geregelt wurde in der 4. KH-Richtlinie, dass die Beauftragung des Schadensregulierungsbeauftragten alleine keine Niederlassung im Sinne des internationalen Zivilprozessrechts begründet.14 Allerdings wird damit auch nicht ausgeschlossen, dass der inländische Gerichtsstand der Niederlassung dennoch herangezogen werden kann, wenn

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Erwägungen 21, 22 der Richtlinie 2000/26/EG. Art. 5 Richtlinie 2000/26/EG. Art 5 Abs. 3 Richtlinie 2000/26/EG. Zum Verfahren allgemein; Ziegert Mittbl. der ARGE Verkehrsrecht 2002, 91 ff. Erwägung 25 der Richtlinie 2000/26/EG. Riedmeyer, zfs 2006, 132, 133. Erwägungen 11 ff der Richtlinie 2000/26/EG. Art. 4 Richtlinie 2000/26/EG. Art 4 Abs. 5 Richtlinie 2000/26/EG. Erwägung 16 der Richtlinie 2000/26/EG.

Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas, Riedmeyer

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eine rechtlich unselbständige deutsche Niederlassung eines ausländischen Versicherungsunternehmens als Regulierungsbeauftragter tätig wird.15 5. Verkehrsopferhilfe e.V. als Entschädigungsstelle Durch § 12 a PflVG wurde das Aufgabengebiet der Verkehrsopferhilfe e. V. in Hamburg für den Bereich der Auslandsunfälle wesentlich ausgeweitet. Wurde sie bisher nur als inländischer Nothelfer bei Unfallfluchtfällen mit Personenschäden und bei Unfällen mit nicht versicherten Fahrzeugen tätig, hat der Gesetzgeber bei der Umsetzung der 4. KH-Richtlinie der Verkehrsopferhilfe e. V. auch die Funktion der Entschädigungsstelle übertragen, die jeder Mitgliedsstaat einrichten musste.16 Der Geschädigte kann sich bei einem Unfall, den er im räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie erlitten hat, an die Verkehrsopferhilfe e. V. wenden, 9 wenn ein ausländisches Versicherungsunternehmen keinen Schadenregulierungsbeauftragten benannt hat (§ 12 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PflVG), 9 wenn weder das ausländische Versicherungsunternehmen, noch sein deutscher Schadenregulierungsbeauftragter binnen drei Monaten ab Anmeldung des Schadens ein Regulierungsangebot machen oder den Anspruch mit Begründung zurückweisen (§ 12 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PflVG), 9 wenn das unfallbeteiligte Kraftfahrzeug nicht innerhalb von zwei Monaten ermittelt werden kann (§ 12 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 1. Alt. PflVG) oder 9 wenn das verantwortliche Versicherungsunternehmen nicht innerhalb von zwei Monaten benannt werden kann (§ 12 a Abs. 1 S. Nr. 3, 2. Alt. PflVG) Aus der amtlichen Begründung der 4. KH-Richtlinie ergibt sich, dass sich der Regress nehmende Sozialversicherungsträger oder Kaskoversicherer nicht an die Verkehrsopferhilfe e. V. wenden kann17. Darin wird ausdrücklich ausgeschlossen, dass sich juristische Personen, auf die die Ansprüche kraft Gesetzes übergegangen sind, an die Entschädigungsstelle wenden können. Fraglich ist, ob diese Zweimonatsfrist eine Ausschlussfrist darstellt, nach deren Ablauf das ausländische Versicherungsunternehmen die Regulierung nicht mehr zurückholen kann. Mit Ablauf der Frist wäre dann ausschließlich die Verkehrsopferhilfe e.V. zur Regulierung berufen. Diese Ansicht wird von der Mehrzahl der Stimmen in der Literatur befürwortet.18 Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Der Wortlaut des § 12 a Abs. 3 PflVG („in dieser Zeit“) spricht für diese Auslegung. Zudem wird die Verkehrsopferhilfe e. V. nicht als Vertreter des ausländischen Versicherers oder des ausländischen Garantiefonds tätig, sondern in eigener Kompetenz. Die Frage ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil ohne Rückholkompetenz die Verkehrsopferhilfe e.V. passivlegitimiert wird und dadurch an ihrem Sitz in Hamburg nach den allgemeinen Regeln des internationalen Zivilprozessrechts durch den allgemeinen Gerichtsstand die internationale Zuständigkeit begründet wird. Unbedingt zu beachten ist, dass die Verkehrsopferhilfe e. V. gemäß § 12 a Abs. 1 S. 2 PflVG nicht mehr angerufen werden kann, wenn der Geschädigte unmittelbar gegen das Versicherungsunternehmen gerichtliche Schritte eingeleitet hat. Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas, Riedmeyer

6. Verkehrsopferhilfe e. V. als Vertreter ausländischer Garantiefonds Die Verkehrsopferhilfe e. V. übernimmt auch die Regulierung der Ansprüche, wenn das ausländische Fahrzeug Unfallflucht begangen hat oder eine Kfz-Haftpflichtversicherung für das ermittelte Fahrzeug nicht besteht (oder nicht ermittelt werden kann). Sie vertritt damit den jeweiligen Garantiefonds des Mitgliedsstaates, in dem sich die Unfallflucht ereignete, oder in dem das festgestellte Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat. Jeder EU-Staat muss einen Garantiefonds vergleichbar mit dem deutschen Verein Verkehrsopferhilfe e. V. eingerichtet haben.19 Dieser Garantiefonds ist eintrittspflichtig wenn der Unfallverursacher wegen Unfallflucht nicht ermittelt werden kann, oder das unfallbeteiligte Fahrzeug zwar festgestellt werden kann, aber nicht versichert ist oder der Haftpflichtversicherer nicht binnen zwei Monaten ermittelt werden kann. Inwieweit bei Unfallflucht eine Selbstbeteiligung besteht (in Deutschland ist dies der gesamte Sachschaden), ist nach dem jeweiligen für die Unfallregulierung anwendbaren materiellen Recht zu entscheiden. Die Verkehrsopferhilfe e. V. muss sich auch dann mit der Regulierung befassen, wenn das Fahrzeug aus einem Drittland stammt, der Unfall sich jedoch in einem EU-/ EWR-Staat ereignete. Ebenfalls zuständig ist die Verkehrsopferhilfe e. V., wenn sich der Unfall in einem Staat außerhalb des EU-/EWR-Raumes ereignete, der Unfall jedoch von einem Kraftfahrzeug verursacht wurde, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-/EWR-Mitgliedsstaat hat (§ 12 a Abs. 4 PflVG), sofern der Staat, in dem sich der Unfall ereignete, dem System der Grünen Karte beigetreten ist. 7. Zeitrahmen der Regulierung Um eine zeitnahe Regulierung zu gewährleisten, legt § 3 a PflVG richtlinienkonform20 einen Zeitrahmen für die Regulierung fest. Wird dieser Zeitrahmen vom ausländischen Versicherungsunternehmen bzw. seinem Schadensregulierungsbeauftragten nicht eingehalten, kann sich der Geschädigte an die Verkehrsopferhilfe e. V. wenden, die dann in der oben beschriebenen Vorgehensweise in die Regulierungsverhandlungen eintritt. Nebenbei sei bemerkt, dass der deutsche Gesetzgeber die Anwendung des Zeitrahmens nicht auf Auslandsunfälle beschränkt hat, so dass dieser als Maximalfrist auch bei inländischen Unfällen gilt. Der erste Zeitrahmen gilt für die Ermittlung des zuständigen Versicherungsunternehmens und seines deutschen Regulierungsbeauftragten. Der Zentralruf der Versicherer hat hierzu zwei Monate ab Eingang der Anfrage Zeit (§ 12 a Abs. 1 Nr. 3 PflVG). Nach Ablauf dieser Frist kann sich der Geschädigte an die Verkehrsopferhilfe e. V. wenden. Der Schadenregulierungsbeauftragte oder das ausländische Versicherungsunternehmen müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Anmeldung der Ansprüche ein mit Gründen versehenes Schadensersatzangebot in deutscher Sprache vorlegen, wenn die Eintrittspflicht unstreitig ist und der Schaden beziffert wurde (§ 3 a PflVG). Sollen die Ansprüche ganz oder teilweise zurückgewiesen werden, weil 15 16 17 18 19 20

Siehe hierzu unten Ziffer I. 8. Art. 6 Richtlinie 2000/26/EG. Erwägung 27 der Richtlinie 2000/26/EG. Backu, DAR 2003, 149; Lemor DAR 2001, 540 ff; Riedmeyer, zfs 2006, 132, 134. Art. 1 Abs. 4 Richtlinie 84/5/EWG. Art. 4 Abs. 6 Richtlinie 2000/26/EG.

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sie dem Grunde oder der Höhe nach streitig sind, muss eine in der Sache liegende Begründung für die Zurückweisung gegeben werden. Welche Anforderungen diese begründete Stellungnahme erfüllen muss, ist nicht definiert. Der Gesetzgeber hat bewusst auf eine allgemeine Definition verzichtet. Die Anforderungen sollen jeweils im Einzelfall festgelegt werden.21 In jedem Falle wird man jedoch davon ausgehen können, dass konkrete Ausführungen zur Sach- und Rechtslage notwendig sind. Der Hinweis auf fehlende Information durch den Versicherungsnehmer oder der Verweis auf mangelnde Entscheidungskompetenz des Schadenregulierungsbeauftragten können keine begründete Stellungnahme darstellen, weil der Schadenregulierungsbeauftragte ausreichende Kompetenz zur Regulierung des Schadens besitzen muss.22 Reagiert der Schadenregulierungsbeauftragte oder der Versicherer innerhalb dieser Dreimonatsfrist überhaupt nicht oder ist seine Antwort nicht oder nicht ausreichend begründet, kann der Geschädigte nach Ablauf der Frist die Verkehrsopferhilfe e.V. anrufen. Außerdem ist der Anspruch – unbeschadet weitergehender Ansprüche – ab diesem Zeitpunkt mit dem gesetzlichen Zinssatz gemäß § 288 Abs. 1 S. 2 BGB zu verzinsen. Die Verkehrsopferhilfe e. V. tritt dann als Entschädigungsstelle im Sinne der Richtlinie nach einer weiteren Frist von zwei Monaten in die Regulierung ein. Hieraus wird ersichtlich, dass der Frage, wann eine Stellungnahme „begründet“ ist, erhebliche, wenn nicht sogar zentrale Bedeutung beikommt. 8. Gerichtliche Geltendmachung Die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen23 aus dem Direktanspruch gegen den Versicherer wurde in der 4. KH-Richtlinie explizit nicht geregelt. Zwischenzeitlich ist durch die 5. KH-Richtlinie24 eine Möglichkeit eröffnet worden, dass der Geschädigte eine Klage gegen den ausländischen Versicherer am seinem allgemeinen Gerichtsstand erheben kann. a) Begriff und Rechtsgrundlagen der internationalen Zuständigkeit Gelingt keine außergerichtliche Einigung mit der Versicherung (z. B. weil jede Seite den Unfallhergang anders darstellt) stellt sich die Frage, wo die gerichtliche Klärung herbeigeführt werden kann. Die internationale Zuständigkeit ist eine Prozessvoraussetzung, die das angerufene Gericht in jeder Lage von Amts wegen zu prüfen hat. Dies gilt auch in der höheren Instanz. Fehlt die internationale Zuständigkeit ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Wird das Problem in erster Instanz übersehen, muss die Klage in der höheren Instanz abgewiesen werden. Anders als bei der fehlenden örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit kann das international unzuständige deutsche Gericht die Sache nicht gemäß § 281 ZPO an das zuständige ausländische Gericht verweisen.25 Reicht der Anwalt die Klage beim international unzuständigen Gericht ein, ist die Belastung der eigenen Partei mit den Verfahrenskosten unvermeidlich. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich allgemein aus den Regeln der ZPO über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12–37 ZPO), so dass grundsätzlich ein örtlich zuständiges deutsches Gericht auch international zuständig ist.26 Zu beachten ist, dass diese allgemeine Regelung jedoch nur dann zur Anwendung gelangt, wenn keine besonderen Regelungen durch vorrangiges EU-Recht oder internationale Abkommen getroffen wurden. 20

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Folgende EU-Verordnungen und internationale Übereinkommen sind bei Klagen aufgrund von Verkehrsunfällen von Bedeutung: 9 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), in Kraft getreten am 1.3.200127: Sie gilt für Klagen gegen alle Beklagten, die in einem EU-Mitgliedsstaat mit Ausnahme von Dänemark ihren Wohn- /Geschäftssitz haben28. Es handelt sich um unmittelbares Gemeinschaftsrecht, das nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss. 9 Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ)29: Dieses Übereinkommen gilt nur noch für Klagen gegen Beklagte, die ihren Wohn-/Geschäftssitz in Dänemark haben 9 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16.9.1988 (LuganoÜ)30: Dieses Übereinkommen gilt im Verhältnis zu Island, Norwegen, Liechtenstein und der Schweiz. b) Allgemeiner internationaler Gerichtsstand Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten ist sowohl in der EuGVVO, als auch im LuganoÜ und im EuGVÜ identisch geregelt. International zuständig sind die Gerichte des Staates, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Geschäftssitz hat. Dies deckt sich mit der deutschen Grundregel, wonach gemäß §§ 13, 17 ZPO der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten (der auch die internationale Zuständigkeit begründet) durch den Wohn- bzw. Geschäftssitz bestimmt wird. Zu beachten ist, dass alle drei Regelungswerke vorsehen, dass bei mehreren Beklagten am allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten gegen jeden anderen die Klage erhoben werden kann, wenn zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.31 Diese Voraussetzungen dürften vorliegen, wenn sich die Klage gegen den Fahrer und/oder Halter eines Kraftfahrzeuges sowie – aus dem Direktanspruch – gegen den Haftpflichtversicherer richtet. Anders als im Falle des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verlangen die Regelwerke nicht, dass kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Wegen dieser Einschränkung hat § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO 21 Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 20.7.2003, zu § 3 a Nr. 1 PflVG. 22 Riedmeyer, zfs 2006, 132, 134. 23 Siehe hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter Ziffer IX. 24 Richtlinie 2005/14/EG vom 11.5.2005, Amtsblatt der Europäischen Union v. 11.6.2005, 149/14. 25 OLG Düsseldorf WM 2000, 2192; Thomas/Putzo § 281 RN 1. 26 St. Rspr. z. B. BGH NJW 1991, 3092 m. w. N.; Thomas/Putzo ZPO, 24. Aufl. Vor § 1 RN 6. 27 abgedruckt in Thomas/Putzo, ZPO 24. Auflage. 28 Dänemark hat sich gemäß Art. 1, 2 des EU-Vertrages nicht an der Annahme der Verordnung beteiligt, Erwägung 21 der VO 44/2001. 29 abgedruckt in Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 10. Auflage Nr. 150. 30 abgedruckt in Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 10. Auflage Nr. 160. 31 Jeweils gleich lautend Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, EuGVÜ, LuganoÜ.

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in Klagen aufgrund eines Verkehrsunfalls keine Bedeutung. Der besondere Gerichtsstand des Unfallortes ist nämlich praktisch immer gegeben. Folgt man der Ansicht,32 dass die Verkehrsopferhilfe e. V. mit Ablauf der verlängerten Regulierungsfrist in eigener Kompetenz tätig wird, ist an ihrem Sitz (in Hamburg) auch ein allgemeiner Gerichtsstand begründet. Die Verkehrsopferhilfe e. V. ist als Entschädigungsstelle in diesen Fällen auch passivlegitimiert.33 Wegen des Gerichtsstandes des Sachzusammenhangs kann dann vor dem zuständigen Hamburger Gericht auch der Fahrer verklagt werden. c) Besonderer Gerichtsstand des Unfallorts, der Niederlassung und kraft Vereinbarung Ebenso wie § 32 ZPO sehen die drei Regelungswerke bei einem Anspruch aus unerlaubter Handlung als besonderen Gerichtsstand den Ort vor, an dem die unerlaubte Handlung begangen wurde, oder an dem der Schaden eingetreten ist.34 Der Ort des Schadenseintritts umfasst dabei nur den Erstschaden, nicht aber den möglicherweise daraus resultierenden Folgeschaden.35 Bei Straßenverkehrsunfällen ist damit regelmäßig am Unfallort der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung begründet. Als weiteren besonderen Gerichtsstand sehen die drei Regelungswerke den internationalen Gerichtsstand der Niederlassung entsprechend § 21 ZPO vor.36 Zu beachten ist, dass alleine durch die Beauftragung des Schadensregulierungsbeauftragten kein inländischer Gerichtsstand begründet wird. Dies wird in der amtlichen Begründung zur Richtlinie ausdrücklich ausgeschlossen.37 Der mit dem Versicherungsunternehmen nicht verbundene Regulierungsbeauftragte wird dementsprechend nicht alleine durch seine Einschaltung zur Niederlassung i. S. v. § 21 ZPO, Art. 5 Nr. 5 EuGVVO, EuGVÜ, LuganoÜ. Wird jedoch eine deutsche Niederlassung des ausländischen Versicherungsunternehmens mit der Schadensregulierung beauftragt, wird am Sitz dieser Niederlassung ein besonderer Gerichtsstand begründet. Im Anwendungsbereich der drei genannten Regelungswerke sind Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich zugelassen.38 Sie müssen schriftlich abgeschlossen oder bei mündlicher Vereinbarung schriftlich bestätigt werden. Hinsichtlich der Klage aus dem Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer ist jedoch die Besonderheit zu beachten, dass die Gerichtsstandsvereinbarung erst nach dem Entstehen der Streitigkeit getroffen werden kann oder, wenn sie vorher getroffen wurde, nur wirksam ist, wenn sie einseitig dem Geschädigten einen Gerichtsstand eröffnet, der ihm andernfalls nicht zur Verfügung steht.39 d) Der Wohnsitz des Geschädigten als besonderer Gerichtsstand Zumindest für den Geltungsbereich der EuGVVO ist ein weiterer besonderer Gerichtsstand für Klagen aufgrund eines Direktanspruches gegen einen ausländischen Versicherer ist am Wohnsitz des Geschädigten begründet.40 Der Gerichtsstand wird durch eine Rechtsfolgeverweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO eröffnet. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Geschädigte bei einer Klage, die er aufgrund eines Direktanspruches unmittelbar gegen einen Haftpflichtversicherer erhebt, die besonderen Gerichtsstände wählen kann, die dem Versicherungsnehmer bei Klagen gegen den Versicherer nach Art. 8 bis 10 EuGVVO zur VerfüRegulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas, Riedmeyer

gung stehen. Die Frage ob der Geschädigte durch diese Verweisung berechtigt wird, an seinem eigenen allgemeinen Gerichtsstand zu klagen oder nur den allgemeinen Gerichtsstand des Versicherungsnehmers (seines Unfallgegners) wählen kann, war bisher stark umstritten. Eine gutachterliche Stellungnahme des Rechtsdienstes des Europäischen Parlaments stützte die geschädigtenfreundliche Auslegung.41 Um explizit zum Ausdruck zu bringen, dass der Opferschutz besondere Priorität besitzt42 wurde mit Art. 5 Nr. 1 der 5. KH-Richtlinie43, der mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU wirksam wurde und keiner Umsetzung bedarf, klar gestellt, dass es sich nach der Ansicht des Europäischen Normgebers um eine Rechtsfolgeverweisung handelt. Dabei wurde mit Art. 5 Nr. 1 der 5. KH-Richtlinie ein weiterer Erwägungsgrund (Teil der amtlichen Begründung) zur Auslegung der EuGVVO eingefügt. Diese Ergänzung der amtlichen Begründung der EuGVVO bedarf keiner Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten, weil die EuGVVO als primäres Gemeinschaftsrecht unmittelbar Geltung besitzt.44 Das OLG Köln45 hat diesen Gesichtspunkt bei der Auslegung von Art. 11 EuGVVO herangezogen und die deutsche internationale Zuständigkeit am Wohnsitz des Geschädigten für die Klage gegen den Haftpflichtversicherer bejaht. Die dagegen eingelegte Revision wurde vom BGH46 dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Der BGH vertritt zwar auch die Ansicht, dass der Gerichtsstand am Wohnsitz des Geschädigten gegeben ist, sieht sich aber gehindert, Art 11 EuGVVO, der primäres Gemeinschaftsrecht darstellt, abschließend auszulegen. Wie dies zuvor bereits durch das Gutachten des Rechtsdienstes des Europäischen Parlaments47 dargelegt worden war, deuten auch der Wortlaut und die systematische Gestaltung der Regelung darauf hin, dass es sich um eine Rechtsfolgeverweisung handelt. Das Gutachten befasste sich mit der Frage, ob der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein „Begünstigter“ im Sinne des Art 9 Abs. 2 EuGVVO anzusehen ist. Dann stünde ihm ohne weiteres sein Wohnsitzgericht als besonderer Gerichtsstand zur Verfügung. Das Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass dies nicht der Fall ist, weil sich Art 9 EuGVVO nur auf versicherungsvertragliche Ansprüche (wie z. B. Ansprüche aus Lebensversicherungen) bezieht. Das Gutachten sicherte diese Erkenntnis dadurch ab, dass Art. 11 Abs. 2 EuGVVO überflüssig wäre, würde der Geschädigte bereits als „Begünstigter“ unter Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 EuGVVO fallen. Andererseits stellt das Gutachten unmissverständlich klar, dass Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auch den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer umfasst, 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Siehe oben Ziffer VI. Feyock/Jacobsen/Lemor S. 837, 838. Jeweils gleich lautend Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, EuGVÜ, LuganoÜ. EuGH EuZW 1995, 765; BGH NJW 1987, 592; Thomas/Putzo, Art 5 EuGVVO RN 19. Jeweils gleich lautend Art. 5 Nr. 5 EuGVVO, EuGVÜ, LuganoÜ. Erwägung 16 der Richtlinie 2000/26/EG. Art. 23 EuGVVO, Art. 17 EuGVÜ, LuganoÜ. Art. 13 EuGVVO, Art. 12 EuGVÜ, LuganoÜ. OLG Köln 12.9.2005, 16 U 36/05; Riedmeyer, DAR 2004, 205. Argumentation des Rechtsdienstes des EP zitiert bei Riedmeyer DAR 2004, 205. Meier-van Laak, DAR 2006, 235, 236. Richtlinie 2005/14/EG vom 11.5.2005, Amtsblatt der Europäischen Union vom 11.6.2005, 149/14. Meier-van Laak, DAR 2006, 235, 236. OLG Köln, 12.9.2005, 16 U 36/05, DAR 2006, 212. BGH, 26.9.2006, VI ZR 200/05, DAR 2007, 19. Zitiert bei Riedmeyer, DAR 2004, 205.

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der für den Geschädigten eines Kfz-Unfalls nach Art 3 der 4. KH-Richtlinie besteht. Folgt der EuGH dieser Ansicht, kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls gemäß Art. 11, 9 Abs. 1 Nr. 2 EuGVVO einen Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht des Ortes verklagen, an dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat. Dies bedeutet, dass der in Deutschland lebende Geschädigte seinen Direktanspruch gegen das ausländische Versicherungsunternehmen an dem für ihn (dem Geschädigten) zuständigen Amts- oder Landgericht geltend machen kann.48 Da sich Art 11 EuGVVO nur auf den Direktanspruch bezieht, kann nur das ausländische Versicherungsunternehmen am Wohnsitz des Geschädigten verklagt werden. Die internationale Zuständigkeit für eine Klage gegen den Geschädigten kann aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden. Der Fahrer kann an diesem Gericht auch nicht im Wege der Annexzuständigkeit gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO mitverklagt werden, weil es sich um einen besonderen Gerichtsstand handelt. Dringend zu beachten ist auch, dass nur das ausländische Versicherungsunternehmen verklagt werden kann. Der Schadensregulierungsbeauftragte ist nicht passivlegitimiert. Der europäische Verordnungsgeber kann nur zur EuGVVO Auslegungshinweise geben. Die Klarstellung in der 5. KH. Richtlinie zur Auslegung von Art 11 EuGVVO gilt daher nicht direkt für die beiden Vertragswerke EuGVÜ und LuganoÜ. Das EuGVÜ und das LuganoÜ sehen jedoch die gleiche Verweisungskette wie die EuGVVO vor (Art. 10 Abs. 2 EuGVÜ, Lugano Übereinkommen verweisen auf die jeweiligen Art. 7–9). Zwar ist der Wortlaut dieser Bestimmungen nicht so eindeutig, wie in der EuGVVO, er steht dieser Auslegung aber auch nicht entgegen. Es erscheint daher sachgerecht, auch insoweit der geschädigtenfreundlichen Auslegung zu folgen. Voraussetzung für die Verweisung ist jedoch, dass die nach dem deutschen Kollisionsrecht maßgebliche Rechtsordnung eine Direktklage des Geschädigten gegen die Versicherung zulässt.49 Dies ist im Bereich der EU, des EWR50 und der Schweiz der Fall. Art. 3 der 4. KH-Richtlinie verpflichtet alle Staaten der EU und des EWR zur Einführung eines Direktanspruches des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer. Eine direkte Klage gegen das Versicherungsunternehmen ist damit nach den Rechtsordnungen aller EU-/EWR-Staaten zulässig. 9. Nach dem IPR anwendbares Recht In der 4. KH-Richtlinie wurde ausdrücklich klargestellt, dass sich die Schadensregulierung auch dann, wenn sie über den Schadensregulierungsbeauftragten erfolgt, nach dem Recht richtet, das nach den Regeln des allgemeinen Internationalen Privatrechts anwendbar ist.51 Eine Regelung des IPR ist damit nicht getroffen worden. 48 49 50 51 52 53

OLG Köln, aaO. Thomas/Putzo Art. 11 EuGVVO RN 2. Island, Norwegen, Liechtenstein. Erwägung 13 der Richtlinie 2000/26/EG. Siehe dazu ausführlich Staudinger, AnwBl 2008, S. 8 (in diesem Heft). Dieses Stufensystem soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission auch in die Rom-II-Verordnung übernommen werden. 54 Darstellung der wichtigsten ausländischen Schadensersatzrechte bei Neidhart, Unfall im Ausland, ADAC Handbuch und bei Feyock/Jacobsen/Lemor Kraftfahrtversicherung.

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Das auf die Unfallregulierung anwendbare Recht bestimmt weiterhin das IPR des Staates, dessen Gerichte angerufen werden. Eine EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom-II-Verordnung) ist beschlossen, in der die Frage des anwendbaren Rechts bei unerlaubten Handlungen für alle EU-Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme von Dänemark) einheitlich geregelt wird. Die ROM II-Verordnung wird ab 11. Januar 2009 Anwendung finden.52 Im deutschen IPR ist das auf die Regulierung von Straßenverkehrsunfällen relevante Deliktsrecht in den Art. 40 bis 42 EGBGB geregelt. Das System ist dabei wie folgt stufenweise geregelt:53 9 Das anzuwendende Recht kann von den Parteien nach Eintritt des Unfalles gewählt werden (Art. 42 EGBGB). 9 Mangels Rechtswahl gilt das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der beteiligten Parteien; auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit oder den gemeinsamen Staat der Zulassung des Fahrzeuges kommt es nicht an (Art. 40 Abs. 2 EGBEG). 9 Haben die Parteien keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gilt das Tatortprinzip (Art. 40 Abs. 1 EGBGBG). 9 Art 41 EGBGB kann eine wesentlich engere Beziehung zu einer Rechtsordnung das oben genannte System korrigieren. Es ist daher davon auszugehen, dass bei einem Unfall im Ausland, an dem nicht nur deutsche Fahrzeuge und Insassen beteiligt waren, das jeweilige ausländische Schadensrecht bei der Regulierung berücksichtigt werden muss.54

III. Fazit Das Europarecht ist eine wichtige Komponente des Verkehrsrechts geworden. Die vielen noch ungeklärten Fragen aus der Umsetzung des europäischen Rechts in die nationalen Rechtsvorschriften schaffen einen hohen Bedarf an Rechtsberatung in diesem Bereich. Andererseits ergeben sie auch immer wieder neue Erkenntnisse, die sich nicht selten zugunsten der Autofahrer auswirken. Abschließend kann man auch als Fachanwalt für Verkehrsrecht sagen: Europarecht ist spannend!

Oskar Riedmeyer, München Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht. Er ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und Mitglied des DAV-Gesetzgebungsausschusses Verkehrsrecht und des geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des DAV. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

Regulierung von Auslandsunfällen innerhalb Europas, Riedmeyer

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Deutsches Arbeitsrecht unter europäischem Einfluss Rechtsanwa¨ltin Dr. Ulrike Schweibert, Frankfurt am Main und Rechtsanwa¨ltin Andrea Caspary-Hunke, Frankfurt am Main

Europäische Richtlinien und andere Vorgaben, die ihren Ursprung im Europarecht haben, beeinflussen mehr und mehr nationales Arbeitsrecht. So gibt es mittlerweile eine Vielzahl von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die einen europarechtlichen Ursprung haben. Auch die deutschen Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung nationalen Rechts zunehmend Europarecht zu beachten. Dies führt immer wieder zu Vorlagen an den Europäischen Gerichtshof. Die anwaltliche Beratungspraxis wird hiervon zunehmend geprägt. Ein im Arbeitsrecht beratender Anwalt muss die Rechtsentwicklung auch insoweit zwingend im Blick behalten, will er nicht nur Haftungsrisiken ausschalten, sondern auch eine gute Beratungsleistung erbringen.

I. Europarecht als Stolperfalle im Arbeitsrecht Nach deutschem Recht nicht zu beanstandende Arbeitsrechts-Fälle werden bisweilen nach europarechtlichen Grundsätzen anders beurteilt. Ist zum Beispiel eine nach dem deutschen Kündigungsschutz zulässige Kündigung wegen des Verstoßes gegen Diskriminierungsverbote nach europäischem Recht nicht mehr haltbar? Ist eine Betriebsrentenregelung wegen Diskriminierung unwirksam, so dass benachteiligte Rentner ein Recht auf Nachforderungen haben? Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf dem Gebiet des Arbeitsrechts einige aufsehenerregende Entscheidungen gefällt hat, können Anwälte es sich nicht mehr erlauben, ausschließlich das nationale Recht anzuwenden. Europarecht kann dazu führen, dass einzelne deutsche Vorschriften europarechtskonform auszulegen sind oder gar nicht angewendet werden dürfen. Dies macht die anwaltliche Beratung sehr viel komplexer und führt nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen. Nachfolgend einige Beispiele aus der Rechtsprechung: 1. EuGH zwingt zum Umdenken bei Massenentlassungen Der EuGH hat klargestellt, dass entgegen der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht die rechtliche Beendigung der Anstellungsverhältnisse, sondern der Ausspruch der Kündigung eine Entlassung im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG ist.1 Das war zum einen für die Frage entscheidend, ob der Schwellenwert mit der Anzahl der ausscheidenden Arbeitnehmer erreicht ist und eine Massenentlassung vorliegt, zum anderen für die Festlegung des Zeitpunkts, in dem der Arbeitgeber bei Massenentlassungen den Betriebsrat und die Agentur für Arbeit gemäß §§ 17, 18 KSchG zu informieren hat. Arbeitgeber müssen der Agentur die Anzeige erstatten, bevor sie eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen entlassen. Nach einer längeren Phase der Rechtsunsicherheit hat das BAG mit den Entscheidungen vom 23. März 20062 und vom 13. Juli 20063 etwas Klarheit in die verwor-

rene Rechtslage gebracht und seine Rechtsprechung an die Vorgaben des EuGH angepasst. Danach ist nun zu prüfen, ob auf der Basis der Beschäftigungsstärke zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigungen bzw. Aufhebungen die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschritten sind und damit eine anzeigepflichtige Massenentlassung vorliegt. Aufgrund der gesetzlich verordneten Sperrfrist von ein bzw. zwei Monaten wirkt die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige de facto nunmehr nur noch wie eine Mindestkündigungsfrist. Da Kündigungsfristen jedoch oftmals die Sperrfrist übersteigen, ist diese Einschränkung nur von geringer praktischer Relevanz. Aufgrund einiger weiterhin bestehenden systematischen Ungereimtheiten besteht gleichwohl nach wie vor dringender Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Die Junk-Entscheidung des EuGH hat in der Praxis und damit auch in der anwaltlichen Beratungspraxis große Schwierigkeiten aufgeworfen.4 Ohne genaue Kenntnis des Diskussionsstandes drohten Anwälten erhebliche Beratungsfehler mit entsprechend hohen Haftungsrisiken. 2. Europarechtliches Verbot der Altersdiskriminierung In der Rechtssache Mangold ./. Helm hat der EuGH ein allgemeines europarechtliches Verbot der Altersdiskriminierung manifestiert.5 Er hat die deutsche Vorschrift zur Möglichkeit einer Altersbefristung für Arbeitnehmer über 52 Jahre (§ 14 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 4 TzBfG)6 als für die nationalen Gerichte unanwendbar erklärt, weil sie gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße. Dies ist deshalb brisant, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung eine europäische Richtlinie das Verbot der Altersdiskriminierung zwar konkret begründet hat, jedoch noch nicht in nationales Recht transformiert war.7 Europäische Richtlinien sind im Verhältnis zwischen Privatpersonen nicht unmittelbar anwendbar, sondern müssen zunächst in nationales Recht gegossen werden.8 Genau das war aber bei der Antidiskriminierungsrichtlinie noch nicht geschehen, denn die Umsetzung der vier Europäischen Richtlinien zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und

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EuGH, 27. Februar 2005, Rs. C-188/03 Junk ./. Kühnel, NZA 2005, 213 ff. Bei der Richtlinie handelt es sich um die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABlEG Nr. L 225, 16 ff. v. 12.8.1998. BAG, 23. März 2006, 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971. BAG, 13. Juli 2006, 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25. Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445 ff.; Bauer, FA 2005, 290 ff.; Schiek, AuR 2006, 41 ff.; Wolter, AuR 2005, 135 ff.; Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593 ff.; Nicolai, NZA 2005, 206 ff.; Dornbusch/Wolff, BB 2005, 885 ff.; Osnabrügge, NJW 2005, 1 093 ff.; Riesenhuber/Domröse, NZA 2005, 568 ff.; Wolter, AuR 2005, 135 ff.; nach der BAG-Entscheidung vom 23.3.2006: Bauer/Krieger/Powietzka, BB 2006, 2023 ff.; Dzida/Hohenstatt, DB 2006, 1897 ff.; Jacobs/Naber, SAE 2/2006, 61 ff.; Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721 ff.; Nicolai, SAE 2/2006, 72 ff. Rs. C-144/04, EuGH, 22. November 2005, NZA 2005, 1345 ff. § 14 Abs. 3 TzBfG a. F. lautete: „(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrags bedarf keines sachlichen Grundes, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 58. Lebensjahr vollendet hat. [...] (4) Bis zum 31. Dezember 2006 ist Satz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des 58. Lebensjahres das 52. Lebensjahr tritt.“ Richtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABlEG L 303 v. 2.12.2000, 16. Das ergibt sich aus Artikel 249 Abs. 3 EGV: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstattlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“

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Beruf ließ noch auf sich warten.9 Die Frist, die Deutschland für die Transformation der Altersdiskriminierung in deutsches Recht hatte, war noch nicht einmal abgelaufen.10 Ob der EuGH tatsächlich einen eigenen europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz, auf den sich Arbeitnehmer unabhängig von der Umsetzung von Diskriminierungsrichtlinien in nationales Recht berufen können, begründen wollte, bleibt abzuwarten. In der Rechtssache Palacios de la Villa ./. Cortefiel Servicios SA geben die Schlussanträge des Generalanwalts vom 15. Februar 2007 Anlass zur Hoffnung.11 Hier wird aufgrund der Kritik an der Mangold/HelmEntscheidung die Postulierung eines allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenso hinterfragt, wie die Auswirkungen eines angeblichen Verstoßes nationalen Rechts gegen dieses Verbot.12 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) ist dem EuGH in einem dem Mangold ./. Helm-Fall vergleichbaren Sachverhalt zum Befristungsrecht gefolgt.13 Hier hat das BAG entschieden, die Arbeitgeberin könne sich nicht auf eine sachgrundlose Befristung gem. § 14 Abs. 3 S. 1 und 4 TzBfG berufen. Dies wird damit begründet, dass die Vorschrift wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nach Maßgabe des EuGH auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Europäischen Richtlinie nicht anwendbar sei. Selbst einen Vertrauensschutz der Parteien lehnte das BAG ab, weil im arbeitsrechtlichen Schrifttum schon früh die Europarechtskonformität des § 14 Abs. 3 S. 1 und 4 TzBfG bezweifelt wurde.14 Mittlerweile wurde § 14 Abs. 3 TzBfG auf die Kritik des EuGH hin geändert. § 14 Abs. 3 TzBfG ist in seiner neuen Fassung am 1. Mai 2007 in Kraft getreten. Ziel der Gesetzesänderung war es, die Vorschrift unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung gemeinschaftsrechtskonform auszugestalten.15 § 14 Abs. 3 TzBfG sieht nun vor, dass sachgrundlose Befristungen mit 52jährigen und Älteren nur zulässig sind, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung mindestens vier Monate beschäftigungslos waren oder sonst an öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen teilgenommen haben. Es ist davon auszugehen, dass die mit dieser Norm bezweckte berufliche Eingliederung älterer Arbeitnehmer in das Berufsleben ein legitimes, objektives und angemessenes Ziel im Sinne der europäischen Richtlinien ist, das die Ungleichbehandlung rechtfertigt.16 Im Gegensatz zur Vorgängerregelung erscheinen daher die Risiken gering und die den Arbeitgebern teilweise angeratene Zurückhaltung beim Gebrauch dieser Regelung17 unberechtigt. 3. Diskriminierungsschutz und betriebliche Altersversorgung Inwieweit ein europarechtliches Verbot der Altersdiskriminierung den nationalen Diskriminierungsschutz bei der betrieblichen Altersversorgung beeinflusst, wird der Europäische Gerichtshof bald zu entscheiden haben.18 Das BAG hat dem EuGH einen Fall zur Vorabentscheidung vorgelegt, der nach bisheriger Rechtsprechung des BAG zu Lasten der klagenden Witwe zu entscheiden wäre. Die streitbefangene Regelung in der Versorgungszusage, wonach Witwen/Witwer, die mehr als 15 Jahre jünger sind als der verstorbene versorgungsberechtigte Mitarbeiter, keinen Versorgungsanspruch haben (sog. Altersabstandsklausel), knüpft an ein bestimmtes Lebensalter an. Das BAG will daher geklärt haben, ob europäisches Recht dem entgegensteht. Nach deutschem Recht waren Altersabstandsklauseln bislang rechtlich zulässig. Nach Auffassung des BAG lässt sich 24

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die Ungleichbehandlung dadurch rechtfertigen, dass der Arbeitgeber Risiken, für die er eine Versorgung gewährt, begrenzen und besser kalkulierbar machen darf. Genau dies ist hier anhand demografischer Kriterien geschehen.19 Auch nach Inkrafttreten des AGG dürfte sich aus Sicht des BAG daran nichts geändert haben, denn die Risikobegrenzung lässt sich als objektiv angemessenes Mittel mit legitimem Ziel rechtfertigen. Ob der EuGH diese Sichtweise bestätigt, bleibt abzuwarten. Im übrigen bleibt zu hoffen, dass der EuGH in der zu erwartenden Entscheidung nochmals mit der notwendigen Klarheit zu einem etwaigen, dem Primärrecht der EU immanenten Verbot der Altersdiskriminierung Stellung nimmt. 4. Diskriminierungsschutz auch bei Kündigungen? Bereits vor Inkrafttreten des AGG hoch umstritten waren die Auswirkungen des Verbots der Altersdiskriminierung auf das nationale Kündigungsschutzrecht.20 Hauptproblem in diesem Kontext war die Frage, ob die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes, die z. T. eine Differenzierung wegen des Alters verlangen, weiter in der bisherigen Weise Bestand haben können. Nachdem der Gesetzgeber mit der Regelung in § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum Kündigungsschutz gelten sollen, das Problem nicht auflöst, sondern perpetuiert hat, ist die Verunsicherung in der Beratungspraxis weiter gewachsen.

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Richtlinie 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABlEG L 180, 22 ff. v. 19.7.2000; Richtlinie 2000/78/EG, aaO; Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG vom 23.9.2002 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf Arbeitsbedingungen, ABlEG 2002 L269, 15 ff. v. 5.10.2002; Richtlinie 2004/113/EG vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABlEG 2004 L373, 37 ff. v. 21.12.2004. Deutschland hatte wegen des Diskriminierungsmerkmals Alter von der Möglichkeit der Fristverlängerung nach Artikel 18 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG Gebrauch gemacht und aufgrund dessen Zeit bis zum 2.12.2006, die Richtlinie insoweit umzusetzen. Rs. C-411/05. Schlussanträge, RZ 75 ff., siehe auch Reich, EuZW 2007, 198 f. BAG, 26. April 2006, 7 AZR 500/04, NZA 2006, 1162 ff. BAG, aaO S. 1169. Vgl. BT-Drs. 16/3793 v. 12.12.2006, S. 2, 7 ff. So auch Bauer, NZA 2007, 544 (545); Koch, jurisPR-ArbR 20/2007, Anm. 6; Schiefer, DB 2007, 1081 (1086); a. A: Kohte, AuR 2007, 168 f. Zurückhaltenden Gebrauch sagt Bayreuther voraus, BB 2007, 1113 f. Rechtssache C-427/06, Bartsch ./. Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH) Altersfürsorge GmbH, Vorlagebeschluss des BAG vom 27. Juni 2006, Az. 3 AZR 352/05 (A). Termin für mündliche Verhandlung/Schlussanträge bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Vgl. BAG, 27. Juni 2006, 3 AZR 352/05 (A) Rz. 15 f. Gleichbehandlungsgesetz bringt schon wieder Ärger, FAZ vom 29.6.2006, S. 11; Thüsing: Gegen Diskriminierung und ein schlechtes Gesetz, Süddeutsche Zeitung v. 30.6.2006, Bayreuther, DB 2006, 1842 ff., Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887, 889 f.; Wisskirchen, DB 2006, 1491, 1495.

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In einer Entscheidung vom 5. Februar 2007 hat nun das Arbeitsgericht Osnabrück in mehreren Parallelverfahren die Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG wegen Verstoßes gegen die Regelungszwecke der Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG) für unwirksam erklärt.21 Eine Sozialauswahl nach Altersgruppen, die bislang unter bestimmten Voraussetzungen möglich war, soll europarechtswidrig sein. In dem Sozialplan und Interessenausgleich wurden innerhalb verschiedener Altersgruppen die zu kündigenden Mitarbeiter ausgewählt, wobei die Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung anhand eines Punktesystems berücksichtigt wurden. Durch die Bildung von Altersgruppen werden ältere Arbeitnehmer entgegen § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt. Dies führt nach Auffassung des ArbG Osnabrück gem. § 7 Abs. 2 AGG zur Unwirksamkeit sowohl der Kündigungen als auch des Interessenausgleichs. Dass die Richtlinie 2000/78/EG u. a. auch vor Diskriminierung in Bezug auf Entlassungsbedingungen schützt, hat der EuGH in einem Kündigungsfall, in dem es um die Benachteiligung wegen einer Behinderung oder Krankheit ging, entschieden.22 Es sprechen veritable Argumente dafür, dass § 2 Abs. 4 AGG europarechtswidrig ist, indem es den Diskriminierungsschutz bei Kündigungen gerade versagt.23 Zur Frage, ob dies in der Konsequenz dazu führt, dass § 2 Abs. 4 AGG von deutschen Gerichten nicht angewandt werden darf, ist das letzte Wort allerdings noch lange nicht gesprochen: Gegen das Urteil vom 5. Februar 2007 ist bereits Berufung eingelegt worden. Eine höchstrichterliche Entscheidung wird mit Spannung erwartet. Bis dahin bleibt eine große Rechtsunsicherheit und ein hohes Beratungsrisiko für Anwälte bzgl. der Vorgehensweise bei einer anzustellenden komplexen Sozialauswahl. Bedenkt man zudem, dass vom EuGH ebenso wie vom BAG Vertrauensschutz typischerweise dann nicht gewährt wird, wenn schon früh Zweifel an der Vereinbarkeit einer bestimmten Vorschrift mit Europarecht bestanden hat,24 ist dies besonders brisant. Schließlich war die Europarechtskonformität des § 2 Abs. 4 AGG vom ersten Tag an höchst umstritten und Gegenstand intensiver Diskussionen.25

zugleich aber die Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl verlangt? Kann eine Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG, die auf Altersgruppen basiert, Bestand haben? Inwiefern darf bzw. muss das Alter berücksichtigt werden? Welche Rolle spielt das Ziel einer ausgewogenen Personalstruktur im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG? Auch bei der Berechnung von Kündigungsfristen gibt es in bestimmten Konstellationen Unklarheiten. Sind Kündigungsfristen, die auf das Alter und/oder die Beschäftigungsdauer abstellen, weiterhin haltbar? Wie werden die verlängerten Kündigungsfristen im Sinne des § 622 Abs. 2 BGB berechnet, die sich nach der Beschäftigungsdauer bemessen? Nach dem Gesetzeswortlaut bleiben Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres unbeachtet. Dass in dieser Regelung eine Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer liegen kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Fehlt es an einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, ist § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen Verstoßes gegen Europarecht unwirksam. Dies muss gleichermaßen für tarifliche Bestimmungen gelten, die bezüglich der Länge der Kündigungsfristen u. a. nach dem Lebensalter differenzieren. 2. Abfindungsformel Nicht geklärt ist ferner, welche Abfindungsformeln in Sozialplänen zukünftig rechtlich haltbar sind. Die bislang gängige Formel [(Betriebszugehörigkeit x Lebensalter x Monatsgehalt) : Divisor] berücksichtigt das Alter doppelt. Darin liegt eine Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer, die jedoch nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sein kann. Als zulässige unterschiedliche Behandlungen erkennt das Gesetz Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen an, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind. Ob eine doppelte Berücksichtigung des Alters jedoch noch angemessen und erforderlich ist, muss bezweifelt werden.27

II. Aktuelle europarechtliche Minenfelder in der arbeitsrechtlichen Beratung Wie bereits der Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung mit europarechtlichem Bezug aus den letzten Monaten zeigt, beeinflusst Europarecht die nationale Rechtsentwicklung immer wieder in unterschiedlichsten Bereichen. Würde man weiter in die Vergangenheit gehen, ließe sich die Liste eindrucksvoll erweitern.26 Aber auch in Zukunft ist zu erwarten, dass das Europarecht weiter unser Rechtssystem beeinflussen wird. Es gibt insbesondere im Hinblick auf das europäisch geprägte Antidiskriminierungsrecht eine Vielzahl von Bereichen, die sorgfältiger Beobachtung bedürfen. Einige Beispiele mögen die Brisanz verdeutlichen: 1. Entlassungen Wie bereits erwähnt, ist ein zentraler Problembereich derzeit die richtige Vorgehensweise bei Kündigungen. Wie wirkt sich das Verbot der Altersdiskriminierung auf die Sozialauswahl aus? Wie ist der Widerspruch aufzulösen, dass das AGG Diskriminierungen wegen Alters verbietet, das KSchG

21 ArbG Osnabrück, 5. Februar 2007, 3 Ca 724/06, NZA 2007, 626 ff., Parallelverfahren mit den Az. 3 Ca 677/06, 721/06 und 778/06, siehe auch Handelsblatt vom 2. Mai 2007, „Gleichbehandlungsgesetz ist europarechtswidrig“, FAZ vom 3.5.2007 „Gleichbehandlungsgesetz verstößt gegen Europarecht“. 22 EuGH, 11. Juli 2006, Rs. C-13/05 Chacón Navas, JZ 2007 194 (195) Rz. 36. 23 Teilweise wird von der offensichtlichen Richtlinienwidrigkeit der Vorschrift ausgegangen, vgl. Reichold/Heinrich, Anm. zu EuGH-Urteil v. 11.7.2006, Rs. C-13/05, JZ 2007, 196 (197). 24 BAG, 26. April 2006, 7 AZR 500/04, NZA 2006, 1162 ff., EuGH, 22. November 2005, Rs. C-144/04, NZA 2005, 1345 ff. 25 Willemsen/Schweibert, NJW 2006, Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887, 889 f., Bayreuther, DB 2006, 1842 ff., Wisskirchen, DB 2006, 1491, 1495. 26 EuGH, 13. Mai 1986, Rs. 170/84, NZA 1986, 599 ff., statt vieler Urteile zum Betriebsübergang: EuGH, 14. April 1994, Rs. C-392/92 (Christel Schmidt), NZA 1994, 545 ff. 27 Schweibert, Alter als Differenzierungskriterium in Sozialplänen in: Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, Festschrift zum 25jährigen Bestehen, S. 1001 (1008).

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Auch ist zweifelhaft, ob es gerechtfertigt sein kann, bei im übrigen identischen Parametern einer 30jährigen Person eine höhere Abfindung als einer 28jährigen zu gewähren. Hier wird man zur Begründung kaum auf sich peu á peu verschlechternde Chancen auf dem Arbeitsmarkt abstellen können. Umgekehrt wird es nicht zu beanstanden sein, Arbeitnehmer über 45 oder 50 vergleichsweise höhere Abfindungen zu zahlen, da diese typischerweise zunehmend mit Vermittlungsproblemen zu kämpfen haben und da ihnen insgesamt höhere Einbußen drohen. Werden Altersgruppen gebildet, ist daher strikt darauf zu achten, dass diese am Arbeitsmarkt tatsächlich jeweils unterschiedliche Chancen haben.28 3. Versorgungsordnungen der betrieblichen Altersversorgung Offen ist hier die Frage, ob der nach deutschen Rechtsgrundsätzen entwickelte Gleichbehandlungsgrundsatz unter Einbeziehung des Europarechts weiter modifiziert werden muss. Das Verbot der Altersdiskriminierung lässt es beispielsweise fraglich erscheinen, ob Altersabstandsklauseln in Versorgungsordnungen Bestand haben können. Aber auch Regelungen, die Versorgungszusagen von dem Erreichen eines bestimmten Lebensalter abhängig machen, werden hinterfragt werden müssen.

III. Ausblick Es liegt auf der Hand, dass der EuGH einen immer größeren Einfluss auf die Anwendung nationalen Rechts ausübt, wenn das nationale Recht immer mehr auf europäischen Richtlinien beruht. Dass auf der Ebene der Gesetzgebung noch mehr Einfluss aus Europa zu erwarten ist, zeigt die Initiative der Europäischen Kommission für ein Grünbuch zum Arbeitsrecht „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (,Flexicurity‘)“. Das Grünbuch stellt zur Diskussion, ob auf europäischer Ebene Vorschriften nötig sind, die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten unabhängig von der Form ihres Vertrags regeln. Braucht man zum Beispiel einen einheitlichen europäischen Arbeitnehmerbegriff? Das Ende November 2006 veröffentlichte Grünbuch stieß jedoch auf erheblichen Widerstand.30 Dieses und weitere gesetzgeberische Initiativen aus Brüssel zeigen, dass wir künftig noch stärker auf die rechtlichen Maßstäbe aus Europa zu achten haben. Dass mit jeder gesetzgebungstechnischen Vorgabe auch eine verstärkte Einbindung des EuGH einhergeht, ist keine Überraschung.

4. Altersgrenzen Ob vom gesetzlichen Rentenalter abweichende Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand zulässig sind, bedarf ebenfalls noch der abschließenden Klärung. Für eine tarifliche Altersbefristungsregelung im Alter von 60 für Piloten hat das Arbeitsgericht Frankfurt in erster Instanz die Altersgrenze auch im Lichte des AGG kürzlich für zulässig erachtet.29 5. Vertragliche oder tarifliche Vergütungsgefüge Spannende Fragen werden bei der Beurteilung alters- oder dienstalterbezogener Vergütungsregelungen auftreten. So gibt es beispielsweise durchaus häufig Regelungen in Kollektiv- und Einzelarbeitsverträgen, die die Gewährung bestimmter Leistungen, wie beispielsweise zusätzlicher Urlaubstage, Jahressonderleistungen, Prämien etc. vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters oder einer bestimmten Betriebszugehörigkeit abhängig machen. Zwar kommt im letzteren Fall nur eine mittelbare Diskriminierung in Betracht. Dass eine solche vorliegen kann, ist allerdings keinesfalls auszuschließen. Auch ist es fraglich, ob automatische Gehaltssteigerungen nach Erreichung bestimmter Dienstalterstufen zukünftig einer gerichtlichen Überprüfung standhalten können. Ist dies nicht der Fall, könnten bestehende Vergütungsgefüge aus den Angeln gehoben werden.

Dr. Ulrike Schweibert, Frankfurt am Main Die Autorin ist Rechtsanwältin. Sie ist Partnerin der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer. Die Autorin erreichen Sie unter [email protected].

Andrea Caspary-Hunke, Frankfurt am Main Die Autorin ist Rechtsanwältin. Sie ist Syndikusanwältin bei der Kion Group GmbH. Die Autorin erreichen Sie unter [email protected]. 28 Schweibert, aaO S. 1012. 29 ArbG Frankfurt am Main 14. März 2007, 6 Ca 7405/06, AuA 2007, 304. 30 Vgl. die Stellungnahmen zum Grünbuch: Stellungnahme der BDA, des Ausschusses für Arbeitsrecht des DAV und der Bundesregierung. Vgl. auch FAZ-Artikel „Furcht vor Brüsseler Überregulierung im Arbeitsrecht“ vom 28. Februar 2007.

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Die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) Verbraucherschutz, Einzelfallgerechtigkeit und offene Fragen Rechtsanwalt Arno Schubach, Koblenz

Wenn zum 1. Januar 2008 die VVG-Reform in Kraft tritt, endet nicht nur die 100jährige Ära des alten VVG, sondern auch ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren von rund sieben Jahren Dauer. In seinem Verlauf wurden neben Versicherungs- und Versicherungsrechtsexperten auch immer wieder interessierte Gruppen und Verbände beteiligt. Dass das neue Gesetz nicht nur Lob bekommt, hat einen Grund: Der Gesetzgeber kann es nicht allen Interessengruppen recht machen. Die aktuellen Bewertungen lassen sich am besten auf den gemeinsamen Nenner bringen, dass zwar nicht der große Wurf gelungen ist, aber ein Gesetz, das trotz einiger Schwächen dem Bedürfnis nach verlässlichen und praktikablen Regelungen für die Zukunft gerecht wird. Der Beitrag gibt nicht nur einen Überblick zu wichtigen Änderungen, sondern weist auch auf Punkte hin, die gerade für die anwaltliche Praxis von Bedeutung sind (wie insbesondere auch die Übergangsvorschriften). Das neue VVG wird dem Rechtsanwender (insbesondere den Gerichten, Rechtsanwälten und Versicherern) noch über Jahre viel Arbeit bescheren. Dass es der Klärung vieler Einzelfragen in der praktischen Rechtsanwendung bedarf, ist allerdings weniger gesetzgeberischen Fehlern geschuldet, sondern liegt in der wesentlichen Intention der Reform begründet, mehr Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Wer sich von einfachen, holzschnittartigen Regelungen verabschiedet, um differenzierte Lösungen zu suchen, die dem modernen Verbraucherschutz Rechnung tragen, muss kompliziertere Normen und ein feineres System von Rechtsfolgen schaffen, welche zwangsläufig die Rechtsanwendung erschweren. Und ebenso selbstverständlich ist, dass Einzelfallgerechtigkeit nur in der Weise geschaffen werden kann, dass der Gesetzgeber zwar die Systematik vorgibt, aber zugleich genügend Freiräume lässt, welche die Rechtsprechung benötigt, um dem Einzelfall tatsächlich gerecht werden zu können.

1. Beratungs- und Informationspflichten, Dokumentation Das neue VVG integriert die bereits umgesetzte EU-Vermittlerrichtlinie und schreibt nun umfassende Beratungs- und Informationspflichten sowie die Dokumentation deren Erfüllung sowohl für den Versicherer (§§ 6, 7 VVG) als auch den Versicherungsvermittler (§§ 59–73 VVG) vor. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, dass der Versicherungsnehmer schriftlich hierauf verzichten kann (§§ 6 Abs. 3, 61 Abs. 2 VVG), ist unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes problematisch. Es bleibt zu hoffen, dass die Versicherer in ihrem eigenen Interesse ihren Außendienst dazu anhalten, von dieser Möglichkeit nur in den seltenen Fällen Gebrauch zu machen, in denen der Versicherungsnehmer Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), Schubach

tatsächlich erkennbar über die entsprechende eigene Beurteilungskompetenz verfügt, und es nicht der Rechtsprechung überlassen wird, Missbrauch mit der Verzichtsmöglichkeit zu bekämpfen. Für den im Versicherungsrecht tätigen Rechtsanwalt wird in der Praxis besonders die Pflicht zur Dokumentation wichtig werden, deren schuldhafte Verletzung zum Schadensersatz verpflichtet (§§ 6 Abs. 5, 63 VVG). Ergeben sich im versicherungsrechtlichen Mandat Anhaltspunkte dafür, dass die Beratungs- und Informationspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt wurden, muss der beauftragte Rechtsanwalt zunächst Einsicht in die Dokumentation verlangen.

2. Vertragsschluss Bislang hatten die Versicherer gemäß § 5 a des bisherigen VVG die Möglichkeit, abweichend von § 305 BGB die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Versicherungsbedingungen) sowie weitere wichtige Informationen dem Versicherungsnehmer erst zur Kenntnis zu bringen, nachdem dieser bereits seine Vertragserklärung abgegeben, also den Versicherungsantrag unterschrieben hatte. Dieses sogenannte Policenmodell wird durch die VVG-Reform abgeschafft, nicht zuletzt auch wegen der Auffassung der EU-Kommission, dass es gegen die Richtlinien 2002/83/EG und 92/49/EWG verstößt1. Nicht alle Versicherer werden hierauf in der praktischen Umsetzung in gleicher Weise reagieren. Derzeit werden verschiedene Modelle diskutiert, die, wie z. B. das sogenannte Invitatio-Modell, teilweise nicht den neuen Vorschriften entsprechen dürften. Zudem dürften viele der diskutierten Modelle mehr Probleme schaffen, als sie lösen. Klarheit besteht darüber, dass der Aufwand bei der Vermittlung einer Versicherung größer wird und das Bedürfnis der Versicherungsvermittler nach möglichst schnellen und unkomplizierten Vertragsabschlüssen nicht mehr der Maßstab für ein den Interessen des Verbrauchers gerecht werdendes Akquisitionsverfahren sein kann. Bezweifelt werden darf allerdings, dass der Verbraucher im Regelfall tatsächlich die Unterlagen, die er rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung erhält, auch inhaltlich zur Kenntnis nimmt. Der Versicherungsnehmer, der vor Abgabe seines Versicherungsantrages die Versicherungsbedingungen durchliest, wird wohl weitgehend Wunschdenken bleiben. Es wird wohl in der Regel bei der bloßen, aber nicht tatsächlich genutzten Möglichkeit bleiben, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (§ 305 Abs. 2 Ziffer 2 BGB). Leider wird diese Tendenz bei Versicherungsverträgen sogar noch zusätzlich dadurch verstärkt, dass den Versicherer weitere umfangreiche Informationspflichten treffen. Dies führt dazu, dass der Versicherungsnehmer nicht selten mit einem solchen Umfang von Unterlagen konfrontiert wird, dass auch der Gutwilligste die Lust verliert, diese wirklich zu lesen. Die Erkenntnis, dass weniger Information, die dann aber tatsächlich auch einen lesbaren Umfang hat, mehr ist, hat sich leider nicht durchgesetzt, wie insbesondere die aktuellen Vorstellungen des Bundesjustizministeriums zur Informationspflichtenverordnung zeigen. Statt dessen werden möglichst umfangreiche Informationen gefordert, die einen solchen Umfang haben, dass sie überhaupt nicht gelesen werden. Der auf dem Papier perfekt ausgedachte 1

Siehe: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/06/1380 &format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=de

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Verbraucherschutz wird so in der Praxis den Verbraucher kaum davor schützen, übereilt und ohne Kenntnis der für ihn wichtigen Informationen Versicherungsverträge zu schließen.

3. Widerrufsrecht Neu eingeführt wird im VVG ein allgemeines Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers (§ 8 VVG) für nahezu alle Versicherungsverträge unabhängig von deren Inhalt und der Art und Weise ihres Zustandekommens. Damit kann der Versicherungsnehmer von dem Vertrag binnen 2 Wochen, nachdem ihm der Versicherungsschein und weitere gesetzlich in § 8 Abs. 2 VVG geregelten Unterlagen zugegangen sind, ohne Begründung noch Abstand nehmen.

4. Verjährung Die Verjährung von Versicherungsansprüchen hat immer wieder zu Haftungsfällen bei Rechtsanwälten geführt, weil die besonderen Regelungen der Verjährung im VVG nicht bekannt waren. Diese Sonderregelungen werden nun weitgehend abgeschafft. Zukünftig unterliegen auch Ansprüche aus Versicherungsverträgen den allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB. Damit bekommen auch im Versicherungsrecht subjektive Komponenten für den Beginn der Verjährungsfrist Bedeutung. Bestehen bleibt als Sondervorschrift nur der besondere Hemmungstatbestand des bisherigen § 12 Abs. 2 VVG a. F., der sich nun in § 15 VVG findet. Besondere Vorsicht ist bei der Prüfung der Verjährung wegen der Übergangsvorschriften erforderlich. Gemäß Artikel 3 Abs. 1 EGVVG ist § 195 BGB auf Ansprüche anzuwenden ist, die am 1.1.2008 noch nicht verjährt sind. Ist jedoch die sich danach ergebende Verjährungsfrist länger als die Frist des § 12 Abs. 1 VVG a. F. , so bleibt es bei dessen kürzerer Frist (Artikel 3 Abs. 2 EGVVG). Dies ist aufgrund der in § 12 Abs. 1 VVG a. F. geregelten Frist von 2 Jahren immer der Fall, soweit es sich nicht um Ansprüche aus der Lebensversicherung und der Berufsunfähigkeitversicherung handelt. Nur bei Ansprüchen aus diesen Versicherungszweigen, für die gemäß § 12 Abs. 1 VVG a. F. eine Verjährungsfrist von 5 Jahren gilt, kann es passieren, dass die Verjährungsfrist des § 195 BGB kürzer ist, so dass diese dann, berechnet ab dem 1.1.2008, gilt (Artikel 3 Abs. 3 S. 1 EGVVG). Läuft allerdings die längere Frist des bisherigen § 12 Abs. 1 VVG früher ab, so ist die Verjährung mit dem Ablauf dieser Frist vollendet (Artikel 3 Abs. 3 S. 2 EGVVG). Hat also beispielsweise die Verjährungsfrist für einen Anspruch aus einer Lebensversicherung am 1.1.2005 begonnen hat, so endet die Frist mit Ablauf des 31.12.2009, während die ab dem 1.1.2008 berechnete Frist des § 195 BGB erst mit Ablauf des 31.12.2010 enden würde. Die Verjährung tritt in diesem Beispielsfall nach der Übergangsvorschrift des Artikel 3 Abs. 3 EGVVG mit Ablauf des 31.12.2009 ein. Uneingeschränkt zu begrüßen ist die längst überfällige Streichung der sechsmonatigen Ausschlussfrist des bisherigen § 12 Absatz 3 VVG, der noch immer in vielen Fällen zu einem Leistungsverlust der Versicherten führte. Nicht selten war es dann der Berufshaftpflichtversicherer des mandatierten Rechtsanwaltes, der die Ansprüche des Versicherungsnehmers letztendlich erfüllt hat. 28

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5. Verletzung vorvertragliche Anzeigepflichten Deutliche Veränderungen zugunsten des Versicherungsnehmers bringt die Neuregelung der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten in den §§ 19 ff. VVG. Die Anzeigepflicht gilt ausschließlich nur noch für Umstände, nach denen der Versicherer in Textform fragt (§ 19 Abs. 1 S. 1 VVG). Die sogenannte spontane Anzeigepflicht, besonders gravierende Umstände auch dann anzuzeigen zu müssen, wenn der Versicherer nicht nach ihnen gefragt hat, ist ersatzlos entfallen. Zudem gilt die Anzeigepflicht nun nur noch bis zur Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, danach gibt es keine Verpflichtung mehr, bis zum wirksamen Vertragsschluss eingetretene Umstände nachzumelden. Etwas anderes gilt nur, soweit der Versicherer Nachfragen stellt. Noch gravierender sind die Änderungen bei den Rechtsfolgen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten. So kann der Versicherer bei der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nur noch zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer mindestens grob fahrlässig gehandelt hat (§ 19 Abs. 3 S. 1 VVG). Erfolgte die Fristverletzung leicht fahrlässig oder schuldlos, so gibt es nur ein Kündigungsrecht mit einer Frist von 1 Monat, so dass in diesen Fällen die Leistungspflicht für bereits eingetretene Versicherungsfälle in jedem Fall bestehen bleibt (§ 19 Abs. 3 S. 2 VVG). Für die Krankenversicherung ist durch die Sonderregelung des § 194 Abs. 1 S. 3 VVG die Kündigung sogar ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Aber selbst wenn vorvertragliche Anzeigepflichten grob fahrlässig verletzt wurden, hat dies in Zukunft nicht zwangsläufig zur Folge, dass der Versicherer vom Vertrag zurücktreten kann. Nach dem alten VVG bestand das Rücktrittsrecht stets, wenn der Versicherer in Kenntnis des verschwiegenen Umstandes den Versicherungsvertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätte. Nach neuem Recht sind Rücktritt oder Kündigung aber nur noch dann möglich, wenn der Versicherer bei Kenntnis den Vertrag überhaupt nicht geschlossen hätte (§ 19 Abs. 4 S. 1 VVG). Hätte der Versicherer, was sehr häufig der Fall ist, bei Kenntnis des verschwiegenen Umstandes den Vertrag zu anderen Bedingungen geschlossen, so hat er nur das Recht, den Vertrag entsprechend anzupassen, also insbesondere je nach seinen Risikoprüfungsgrundsätzen einen Risikoausschluss oder einen Prämienzuschlag zum Vertragsinhalt zu machen (§ 19 Abs. 4 S. 2 VVG). Es liegt dann am Versicherungsnehmer, über den Fortbestand des Vertrages zu entscheiden. Bei einer Prämieerhöhung um mehr als 10 % oder Einbeziehung eines Leistungsausschlusses kann er den Vertrag fristlos kündigen (§ 19 Abs. 6 S. 1 VVG). Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen bei grob fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten wird zukünftig in Prozessen vermehrt die Frage von Bedeutung sein, ob nicht sogar Vorsatz vorliegt, der den Versicherer immer zum Rücktritt berechtigt. Auch wenn die Beweislast hierfür der Versicherer trägt, muss beachtet werden, dass bei der Nichtanzeige von dem Versicherungsnehmer bekannten Gefahrumständen, nach denen in Textform gefragt wurde, der Schluss auf Vorsatz häufig sehr nahe liegt. Dennoch muss der Versicherer, dem für die Ausübung der Gestaltungsrechte nur eine Frist von 1 Monat ab Kenntniserlangung der Anzeigepflichtverletzung bleibt (§ 21 Abs. 1 VVG), erwägen, dass er möglicherweise Vorsatz nicht wird beweisen können. Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), Schubach

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Es ist daher damit zu rechnen, dass der Versicherer zukünftig vorsorglich alle möglichen Reaktionen vornimmt. Dabei muss er jeweils auch die Umstände angeben, auf die er seine Erklärung stützt, denn ein Nachschieben ist nach Ablauf der Monatsfrist nicht mehr möglich (§ 21 Abs. 1 VVG). Deshalb wird wohl auch wieder häufiger standardmäßig zugleich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt werden, denn hier bleibt alles beim Alten (§ 22 VVG). Bei erfolgreicher Anfechtung ist der Versicherungsvertrag von Anfang an nichtig mit der Folge, dass ein bereits eingetretener Versicherungsfall keine Leistungspflicht begründet, auch wenn er in keiner Weise mit nicht angezeigten Gefahrumständen zusammenhängt. Weiteren Streitstoff bietet die Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer auf die Folgen der Verletzung der Anzeigepflichten hinzuweisen (§ 19 Abs. 5 VVG). Während der Entwurf der VVG-Kommission lediglich Textform für den Hinweis vorsah, muss dieser nach dem nun Gesetz werdenden Text „durch gesonderte Mitteilung in Textform“ erfolgen. Ein bloß drucktechnisch hervorgehobener Hinweis im Antragsformular wird daher nicht ausreichen. Versteht man die gesetzliche Vorgabe so, dass ein separates Blatt erforderlich ist, sollte der Versicherer in geeigneter Form (z. B. Empfangsbestätigung des Versicherungsnehmers) sicherstellen, dass er nicht im Streitfall mit der Behauptung konfrontiert wird, der Versicherungsnehmer habe das gesonderte Hinweisblatt nicht erhalten.

6. Obliegenheiten, Gefahrerhöhung Das Recht der Obliegenheiten hat nun in § 28 VVG eine Neuregelung mit erheblichen Änderungen erfahren. So begründet die nur leicht fahrlässige Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit zukünftig keine Leistungsfreiheit mehr. Bei allen Obliegenheiten, seien sie vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen, schadet nur noch ein mindestens grob fahrlässiges Verhalten. Für die forensische Praxis positiv ist, dass der Gesetzgeber in das Gesetz eine ausdrückliche Beweislastregelung aufgenommen hat. Das Gesetz geht, wenn eine objektive Obliegenheitsverletzung feststeht, was der Versicherer zu beweisen hat, vom Vorliegen grober Fahrlässigkeit aus. Der Versicherungsnehmer muss dann beweisen, dass keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt (§ 28 Abs. 2 VVG). Will der Versicherer Vorsatz geltend machen, so liegt die Beweislast hierfür bei ihm. Ein Eckpunkt der VVG-Reform ist die Aufgabe des Allesoder-Nichts-Prinzips in Fällen grob fahrlässigen Verhaltens. Die grob fahrlässige Verletzung einer Obliegenheit führt nicht mehr zur vollständigen Leistungsfreiheit (§ 28 Abs. 2 VVG). Vielmehr wird die Leistung in einem dem Verschulden des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis gekürzt, was allerdings nicht ausschließt, dass bei besonders gravierendem grob fahrlässigem Verhalten eine Kürzung um 100 % erfolgen kann, also faktisch Leistungsfreiheit eintritt. Ebenso kann, wenn die Grenze zur groben Fahrlässigkeit nur wenig überschritten ist, die Leistungskürzung mit 0 % zu bemessen sein, so dass der Versicherungsnehmer die volle Leistung erhält. Wie genau die Quoten zu bilden sind, wird die Rechtsprechung der nächsten Jahre ausarbeiten müssen. Dabei gilt es beispielsweise zu klären, welche konkreten Umstände des Einzelfalles in die Abwägung einflieReform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), Schubach

ßen dürfen. Ebenso bedarf es der Klärung, wie rechnerisch die Kürzung durchzuführen ist, wenn mehrere mindestens grob fahrlässig begangene Obliegenheitsverletzungen vorliegen. Auch die Frage, in welchen Abstufungen die Leistungskürzung erfolgt, wird die Praxis herausarbeiten müssen. Vieles dürfte dafür sprechen, in Schritten von 5 Prozentpunkten vorzugehen. Auch für die Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) hat der Gesetzgeber die Rechtslage in gleicher Weise für den Versicherungsnehmer verbessert, indem zukünftig bei grob fahrlässigem Verhalten keine vollständige Leistungsfreiheit mehr eintritt, sondern der Versicherer nur seine Leistung in einem dem Verschulden des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis kürzen kann (§ 26 Abs. 1 S. 2 VVG).

7. Vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles § 81 VVG regelt nun die früher in § 61 VVG a. F. geregelten Folgen der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles in der Sachversicherung. Auch hier gibt der Gesetzgeber konsequenter Weise das Alles-oderNichts-Prinzip bei grober Fahrlässigkeit auf. Bei einer vorsätzlichen Herbeiführung bleibt es bei der Leistungsfreiheit des Versicherers, im Falle der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles darf dieser jedoch wie bei den Obliegenheiten und der Gefahrerhöhung nur seine Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers kürzen. Auch hier gilt aber, dass es in Grenzfällen ebenso zu einer Kürzung um 100 % wie um eine solche um 0 % kommen kann

8. Direktanspruch in der Haftpflichtversicherung In letzter Minute nun doch aus dem Gesetz genommen wurde der ursprünglich vorgesehene Direktanspruch gegen den Versicherer für alle Haftpflichtversicherungen, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht (Pflichtversicherung). Das neue VVG schafft über den gemäß Pflichtversicherungsgesetz bereits bestehenden Direktanspruch die Möglichkeit, den Haftpflichtversicherer unmittelbar zu verklagen, nur für die Fälle, in denen die Rechtsverfolgung für den Geschädigten sonst erheblich erschwert wäre. Es handelt sich um die Fälle, in denen der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist bzw. über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist (§ 115 Abs. 1 VVG)

9. Schutz des Hypothekengläubigers Von vielen bislang unbemerkt lässt das neue VVG den besonderen Schutz des Hypothekengläubigers in der Feuerversicherung (§ 102 VVG a. F.) entfallen. Zukünftig muss der Versicherer, wenn er wegen eines Verhaltens des Versicherungsnehmers leistungsfrei ist (z. B. Herbeiführung des Versicherungsfalles, Obliegenheitsverletzung), auch gegenüber dem Hypothekengläubiger nicht leisten. Kreditinstitute werden deshalb zukünftig vermehrt eine Absicherung durch auf dem Markt bereits angebotene Ausfallversicherungen suchen müssen. AnwBl 1 / 2008

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10. Lebensversicherung

12. Unfallversicherung

Besonders heftige Diskussionen gab es bis zuletzt bei der Neureglung der Lebensversicherung, insbesondere bezüglich der Überschussbeteiligung und des Rückkaufswertes. Der Gesetzgeber hat dabei die Vorgaben aus den Entscheidungen des BGH vom 12.10.20052 und des BVerfG vom 26.7.20053 umgesetzt, die die VVG-Kommission bei Erstattung ihres Abschlussberichtes vom 19.4.2004 noch nicht berücksichtigen konnte. Ausgehend von der „typischen“ Kapitallebensversicherung sieht der Gesetzgeber die Beteiligung am Überschuss in § 153 Abs. 1 VVG als Regelfall an. Der Versicherer hat allerdings die Möglichkeit, im Versicherungsvertrag die Beteiligung am Überschuss durch eine ausdrückliche Vereinbarung auszuschließen. Problematisch dürfte sein, dass der Gesetzgeber in die Produktgestaltung dadurch eingreift, dass er den Ausschluss der Überschussbeteiligung nur insgesamt zulässt. Ob dies mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist, erscheint zweifelhaft. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26.7.2005 bei der Frage der Beteiligung an den Bewertungsreserven Art. 14 GG berührt sieht4, hat der Gesetzgeber nun vorgesehen, dass der Versicherungsnehmer entsprechend an 50 % der Bewertungsreserven beteiligt wird, die zum Zeitpunkt der Beendigung seines Vertrages vorhanden sind. Nach den erheblichen Streitigkeiten um die Berechnung des Rückkaufswertes, die zu den Entscheidungen des BGH vom 12.10.20055 geführt haben, sollen nun eindeutige gesetzliche Regelungen für die Zukunft Klarheit schaffen. Der Versicherungsnehmer erhält zukünftig mindestens den Betrag des Deckungskapitals, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der angesetzten Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt. Der Versicherer darf also nicht mehr die Abschluss- und Vertriebskosten gleich zu Vertragsbeginn vollständig abziehen (Zillmerung). Im Ergebnis werden dadurch vor allem die Versicherungsnehmer besser gestellt, die innerhalb der ersten Jahre den Versicherungsvertrag bereits beenden.

Für die Unfallversicherung hat der Gesetzgeber in § 186 VVG nun geregelt, dass der Versicherer, wenn der Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall angezeigt hat, auf Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hinweisen muss. Geschieht dies nicht, kann sich der Versicherer auf Fristversäumnis nicht berufen. Hintergrund dieser Regelung sind insbesondere die regelmäßig in den Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung vorgesehenen materiell-rechtlichen Ausschlussfristen zur ärztlichen Feststellung und Geltendmachung einer Invalidität (§ 7 I (1) AUB 88/94 bzw. Nr. 2.1.1.1 AUB 99). Die neu geschaffene Hinweispflicht sollte den mandatierten Rechtsanwalt jedoch nicht davon abhalten, schon bei Mandatsannahme die Fristen von sich aus zu prüfen und zu notieren. Ebenfalls neu in das VVG aufgenommen ist eine Regelung zum Nachprüfungsverfahren, die deutlich von den derzeit in den Versicherungsbedingungen gebräuchlichen Klauseln abweicht. Bisher konnte der Versicherer eine Nachprüfung nur vornehmen lassen, wenn er sich das Nachprüfungsrecht bei seiner Regulierungsentscheidung vorbehalten hat. Der Versicherungsnehmer hatte das Nachprüfungsrecht nur, wenn er gegenüber dem Versicherer einen entsprechenden Vorbehalt binnen eines Monates nach Zugang der Regulierungserklärung erklärt (§ 11 IV AUB 94) bzw. das Nachprüfungsrecht spätestens 3 Monate vor Ablauf der Nachprüfungsfrist ausübt hat (Nr. 9.4 AUB 99). Gemäß § 188 VVG können nun ohne weiteres sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer bis zum Ende der gesetzlich vorgesehenen Nachprüfungsfrist von 3 Jahren – die Vereinbarung einer längeren Frist ist für die Kinderunfallversicherung möglich – die Neubemessung verlangen.

11. Berufsunfähigkeitsversicherung Die Berufsunfähigkeitsversicherung war im alten VVG überhaupt nicht geregelt. Nun schaffen die neuen §§ 172 ff. VVG erstmals eine gesetzliche Regelung, die allerdings keine gravierenden Änderungen zum Inhalt der bislang in Deutschland üblichen Versicherungsbedingungen bringt. Aufgegriffen hat der Gesetzgeber die Problematik, dass Berufsunfähigkeitsversicherer zunehmend versuchen, ihre Leistungspflicht zunächst einmal zu befristen.6 Die neue gesetzliche Regelung schränkt diese Möglichkeit dahingehend ein, dass nur eine einmalige zeitliche Begrenzung möglich ist (§ 173 Abs. 2 VVG). Das Gesetz sagt aber nichts dazu, ob die Befristung nur aus bestimmten Gründen möglich sein soll. Man wird die Regelung aber dahingehend auslegen müssen, dass die Möglichkeit der Befristung eingeschränkt, und nicht zugleich partiell erweitert werden sollte. Deshalb wird es dabei bleiben, dass eine Befristung des Anerkenntnisses ohne tragfähigen sachlichen Grund unzulässig ist mit der Folge, dass dann ein uneingeschränkt bindendes Anerkenntnis des Versicherers vorliegt. 30

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13. Private Krankenversicherung Erhebliche Änderungen sieht die VVG-Reform im Bereich der privaten Krankenversicherung vor. So ermöglicht § 192 Abs. 3 VVG dem Krankenversicherer die Erbringung besonderer Dienstleistungen, die teils rechtsberatender Natur sind (§ 192 Abs. 3 Ziffer 3 und 4 VVG). Auch die Möglichkeit der unmittelbaren Abrechnung mit den Leistungserbringern sieht das Gesetz ausdrücklich vor (§ 192 Abs. 3 Ziffer 5 VVG), was die zukünftige Möglichkeit reiner Sachleistungstarife beinhaltet. Zum Leistungsumfang regelt § 192 Abs. 2 VVG, dass der Versicherer Aufwendungen nicht erstatten muss, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen. Die Kriterien, wann ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, wird die praktische Rechtsanwendung, also insbesondere die Rechtsprechung, herausarbeiten müssen, wobei die sprachliche Anlehnung an § 138 Abs. 2 BGB zu beachten ist. Zudem wird zu berücksichtigen sein, dass Erwägungen in den Ausschussberatungen des Bundesrates, „auffälliges Missverhältnis“ durch „unangemessenes Verhältnis“ zu ersetzen, nicht umgesetzt wurden. Verworfen hat der 2 3 4 5 6

BGH VersR 2005, 1565. BVerfG VersR 2005, 1127. BVerfG VersR 2005, 1127. BGH VersR 2005, 1565. Siehe die aktuellen Entscheidungen des BGH r+s 2007, 204; 2007, 252.

Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), Schubach

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Gesetzgeber schließlich auch den weitergehenden Vorschlag der VVG-Kommission, zur Korrektur der Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 12.3.20037 zu regeln, dass bei mehreren gleich geeigneten Maßnahmen nur die Kosten der günstigsten erstattet werden müssen. Erneut verbessert wird durch die VVG-Reform der Schutz vor dem Verlust von Versicherungen, die den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz ersetzen können (substitutive Krankenversicherung). Gemäß § 194 Abs. 2 VVG ist die bei der Anmahnung von Prämienrückständen zu setzende Zahlungsfrist auf zwei Monate verlängert. Zudem muss der Krankenversicherer über die Konsequenzen des Verlustes des Krankenversicherungsschutzes und über die Möglichkeiten beraten, unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfen die Beiträge aufzubringen. Einen für den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers häufig ärgerlichen Streitpunkt beseitigt § 202 VVG, nämlich die Weigerung von Krankenversicherern, im Leistungsfall Gutachten herauszugeben. Nun muss der Versicherer auf Verlangen des Versicherungsnehmers nicht nur einem benannten Arzt, sondern auch einem Rechtsanwalt Auskunft über und Einsicht in Gutachten zu geben, die bei der Prüfung der Leistungspflicht eingeholt worden sind. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass Einsicht nicht mit der Übersendung in Kopie verwechselt werden darf. Ärgerlich bleibt im übrigen, dass diese Regelung nur für die Krankenversicherung erfolgt ist, obwohl dieselbe Problematik auch bei der Beurteilung von medizinischen Sachverhalten in anderen Sparten der Personenversicherung auftritt, insbesondere in der Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherung.

14. Gerichtsstand Vielen Rechtsanwälten war und ist nicht bekannt, dass schon das alte VVG in § 48 einen besonderen Gerichtsstand in Versicherungssachen vorsah. Danach konnte der Versicherungsnehmer dort klagen, wo der Versicherungsagent seinen Sitz hatte. Häufig ergab sich somit ein Gerichtsstand am Wohnort des Versicherungsnehmers. Leider galt § 48 VVG a. F. jedoch nicht bei Versicherungsmaklern, was zu einer Ungleichbehandlung führte, je nachdem, ob der Vertrag von einem Versicherungsagenten oder einem Versicherungsmakler vermittelt wurde. Die VVG-Reform hebt diese Differenzierung auf und ermöglicht dem Versicherungsnehmer, zukünftig bei dem Gericht klagen, welches zur Zeit der Klageerhebung für seinen Wohnsitz zuständig ist (§ 215 Abs. 1 VVG). Da es sich nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand handelt, sollte der mandatierte Rechtsanwalt immer vor Klageerhebung prüfen, welche Gerichtsstände alternativ in Betracht kommen und inwieweit sich aus veröffentlichten Entscheidungen Tendenzen ergeben, die es ratsam erscheinen lassen, nicht von dem Gerichtsstand des § 215 VVG Gebrauch zu machen.

15. Übergangsvorschriften In 2008 wird es eine gespaltene Rechtslage geben. Für ab dem 1.1.2008 abgeschlossene Verträge gilt das neue VVG. Bei Altverträgen, die vor dem 1.1.2008 entstanden sind, wird das alte VVG noch bis zum 31.12.2008 angewendet, soweit 7

nicht die spezielleren Bestimmungen des EGVVG etwas anderes vorsehen (Artikel 1 Abs. 1 EGVVG). Dies gilt auch, wenn bei einem Altvertrag der streitige Versicherungsfall in 2008 eintritt (Art. 1 Absatz 2 EGVVG).

16. Neue Versicherungsbedingungen Den ersten Kontakt mit dem neuen VVG werden die meisten Versicherungsnehmer und beratende Rechtsanwälte bereits in Kürze haben. Artikel 1 Abs. 3 EGVVG räumt den Versicherern das Recht ein, in Altverträgen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zum 1.1.2009 einseitig, also ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers, zu ändern, soweit sie von den neuen Vorschriften des VVG abweichen. Praktisch bedeutet dies, dass jeder Versicherungsnehmer in den nächsten Monaten von seinem Versicherer neue Versicherungsbedingungen erhalten wird. Häufig wird sich dann die Frage stellen, ob der Versicherer dabei seine enge, vom Gesetz eingeräumte Änderungsbefugnis überschreitet. Ist dies der Fall, so ist allerdings zunächst noch keine Eile geboten, da die Frage, ob eine bestimmte Klausel wirksam einseitig abgeändert werden konnte, auch noch inzident in einem späteren Leistungsprozess geprüft werden kann. Anders sieht es aus, wenn der Versicherer nicht den Weg der einseitigen Anpassung der Versicherungsbedingungen geht, sondern dem Versicherungsnehmer ein Angebot unterbreitet, neue, umfassend überarbeitete Versicherungsbedingungen im Wege der einvernehmlichen Vertragsänderung zum Gegenstand des Versicherungsvertrages zu machen. Stimmt der Versicherungsnehmer zu, so ist eine nachträgliche Überprüfung nur noch einschränkt möglich, etwa im Rahmen der AGB-Inhaltskontrolle oder wegen fehlerhafter Beratung. Dabei wird das Angebot auf Vereinbarung veränderter Versicherungsbedingungen hinreichender Anlass im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 VVG und § 61 Abs. 1 S. 1 VVG sein, der die Verpflichtung des Versicherers bzw. Versicherungsvermittlers zur Beratung des Versicherungsnehmers auslöst. Ein Versicherungsnehmer, dem ein Angebot auf Änderung des Vertrages unter Einbeziehung neuer Versicherungsbedingungen gemacht wird, sollte unbedingt ausdrücklich um eine eingehende Beratung bitten und darauf achten, dass der Inhalt der Beratung, insbesondere dargestellte Vor- und Nachteile der angebotenen Vertragsänderung, in der gesetzlich geforderten Dokumentation gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 VVG bzw. § 61 Abs. 1 S. 2 VVG vollständig aufgenommen wird.

Arno Schubach, Koblenz Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht. Er ist Mitglied im Versicherungsrechtsausschuss und im Geschäftsführenden Ausschuss der AG Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins. Außerdem gehört er dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins an. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

BGH VersR 2003, 581.

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Kommentar Das neue VVG – eine Mogelpackung?

Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Rechtsanwalt, Vorsitzender der AG Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins

Das noch aus dem Kaiserreich (1908) stammende Versicherungsvertragsgesetz (VVG) hat sich grundsätzlich bewährt, ist aber seit Jahren reformbedürftig. Pünktlich zum 1. Januar 2008 tritt das neue VVG in Kraft. Es ist zwar kein „Verbraucherschutzgesetz“, es räumt den Versicherungsnehmern jedoch mehr Rechte ein, sie befinden sich nunmehr (fast) auf gleicher Augenhöhe mit den Versicherern. Die Neufassung des VVG war von einer aus 21 Mitgliedern bestehenden Expertenkommission vorbereitet worden. Im Vordergrund der Beratungen in dieser Kommission und im Gesetzgebungsverfahren stand der Wille, dem Bedürfnis nach einem modernen Verbraucherschutz Rechnung zu tragen. Die umfassende Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist in die Fassung des Gesetzes eingeflossen. Die wichtigsten Aspekte auch aus Sicht der Anwälte: 9 Kernpunkt des neuen VVG ist der Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips bei grober Fahrlässigkeit, Obliegenheitsverletzungen und Gefahrerhöhung. Nunmehr erhält der Versicherte auch dann anteiligen Versicherungsschutz wenn er sich grob fahrlässig verhalten hat. 9 Die Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG a. F. die den Versicherern die Möglichkeit gab, die Verjährungsfristen einseitig auf 6 Monate abzukürzen, ist ersatzlos gestrichen worden. In diesem Bereich hat es eine Vielzahl von Regressfällen gegen Rechtsanwälte gegeben, die diese Frist nicht gekannt oder beachtet haben. 9 Das neue VVG tritt am 1. Januar 2008 in Kraft. Es gilt dann für alle nach 32

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diesem Zeitpunkt geschlossenen Verträge. Auf laufende Verträge, die bis zum 31.12.2007 abgeschlossen werden, findet bis zum 31.12.2008 das alte VVG Anwendung. Ab 1. Januar 2009 gilt das neue VVG für alle Verträge, also auch für Altverträge. 9 Die Neuregelung der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung tritt aufgrund der Fristsetzung durch das Bundesverfassungsgericht auch für Altverträge schon ab 1.1.2008 in Kraft.

„Neue Regelungen zum Gerichtsstand – eine Chance für Anwälte.“ Die Neuregelung der Berechnung für Rückkaufswerte gilt nur für Neuverträge, also für Verträge, die nach dem 1.1.2008 geschlossen werden. 9 Die vorläufige Deckungsvereinbarung, die uns aus der Kraftfahrtversicherung bekannt ist, ist nunmehr gesetzlich im neuen VVG geregelt. Die vorläufige Deckungszusage und der spätere Versicherungsvertrag sind zwei selbständige Verträge mit einem selbständigen Rechtsschicksal. 9 Wichtig für die Praxis ist auch das Verbot des Abtretungsverbotes. Der Versicherungsnehmer kann seinen Freistellungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer an den Geschädigten abtreten, so dass dieser unmittelbar seine Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen kann, auch im Klageverfahren. Diese Regelung ist auch für Rechtsanwälte in der Berufshaftpflichtversicherung von Bedeutung: Ein Rechtsanwalt, der sich aus der Auseinandersetzung wegen eines Fehlverhaltens bei der Mandats-

bearbeitung „heraushalten“ will, kann in Zukunft seinen Freistellungsanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer an seinen Mandanten abtreten, so dass dieser sich unmittelbar mit dem Berufshaftpflichtversicherer auseinandersetzen kann. 9 Von besonderer Bedeutung für die Anwaltschaft ist der zukünftige Gerichtsstand des Versicherungsnehmers. Nicht nur Verbraucher, alle Versicherungsnehmen können Klagen gegen den Versicherer an ihrem Wohnsitzgericht erheben. Diese Regelung bietet für alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die Chance, in dem Bereich des Versicherungsvertragsrechts tätig zu werden. Während bislang die meisten Deckungsprozesse bei den Gerichten geführt wurden, in deren Bezirk die großen Versicherer ihren Sitz haben, werden nunmehr alle Verfahren gegen Versicherer über die gesamte Republik verteilt geführt werden. Fazit: Das neue VVG ist keine Mogelpackung, es ist ein ausgewogener Kompromiss zwischen den Interessen der Versicherer und der Versicherungsnehmer. Neue Gesetze führen zunächst zu einer größeren Anzahl von Rechtsstreitigkeiten, in denen das neue Gesetz ausgelegt und interpretiert wird. Auch zur groben Fahrlässigkeit, die bereits jetzt die größte Rolle bei Auseinandersetzungen mit Versicherungen spielt, wird es zu einer Vielzahl von Verfahren kommen: Während bislang der Versicherungsnehmer bei grober Fahrlässigkeit keine Leistungen erhält, kann in Zukunft die Leistung des Versicherers entsprechend dem Grad des Verschuldens gemindert werden. Die Versicherer werden voraussichtlich bei grober Fahrlässigkeit in Zukunft die Hälfte der Leistung erbringen, über die zweite Hälfte wird dann möglicherweise ein Rechtsstreit geführt werden. Auf der anderen Seite steht die Überlegung, dass Versicherungsnehmer, die bislang keinerlei Leistungen erhalten haben, sich mit der Hälfte zufrieden geben, wenn sie tatsächlich grob fahrlässig gehandelt haben. In einigen Jahren wird es sicherlich entsprechende Tabellen geben, in denen die Quoten der Rechtssprechung zusammengefasst werden, die bei grober Fahrlässigkeit zugesprochen worden sind.

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Anwaltsblattgespräch

Es wird am Ende von den Anwälten abhängen, ob das Erfolgshonorar ein Erfolgsmodell wird Die Pläne des Gesetzgebers: Moderate Lockerung des Verbots, obligatorische Schriftform und viele neue Belehrungspflichten – ob es die Anwälte freut? Es fing 1994 klein an: Erst durften nur die Gebühren beim außergerichtlichen Mandat unterschritten werden. Seit 2006 gibt es keine gesetzliche Gebühr mehr für die außergerichtliche Beratung. In diesem Jahr wird das Verbot des Erfolgshonorars gelockert. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2008 gesetzt. Die Freigabe des Erfolgshonorars soll nicht nur Sozialfälle erfassen. Feste Vergütungssätze sollen auch den vermögenden Mandanten nicht mehr von der Rechtsverfolgung abhalten (BVerfG AnwBl 2007, 297, 305f.). Gesetzesvorschläge vom Deutschen Anwaltverein (DAV) und der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) liegen ebenso wie nun der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium auf dem Tisch. Das Anwaltsblatt fragte den Vorsitzenden des Berufsrechtsausschusses und die Vorsitzende des Ausschusses RVG und Gerichtkosten des DAV zum Reformbedarf. Edith Kindermann und Dr. Michael Streck erläutern, was auf die Anwaltschaft zukommt.

Diskutieren über die Chancen und Risiken des Erfolgshonorars: Rechtsanwältin Edith Kindermann und Rechtsanwalt Dr. Michael Streck.

verfassungsgericht dem Gesetzgeber die vollständige Freigabe des Erfolgshonorars erlaubt hat. Es gibt auch einen sehr starken Teil der Anwaltschaft, der die völlige Freigabe wünscht, zumindest jedoch Vergütungsvereinbarungen mit Unternehmen frei vereinbaren will. Für solche Mandanten gibt es kein Schutzbedürfnis. Jetzt haben wir aber erst einmal die Kleinstlösung. Anwaltsblatt: Der DAV hat im Sommer 2007 für eine knappe Öffnungsklausel in der BRAO votiert. Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums will jetzt § 49 b Abs. 2 BRAO ergänzen und parallel dazu das Erfolgshonorar in einem neuen § 4 a RVG regeln. Die Kleinstlösung scheint jetzt umfangreicher als die kleine Lösung zu sein. Streck: Der DAV hat ein großes Vertrauen in die deutschen Anwältinnen und Anwälte. Deshalb hat er eine sehr flexible Lösung mit allgemeinen Begriffen vorgeschlagen. Anwälte können damit umgehen. Der Referentenentwurf hat dieses Vertrauen nicht. Er will sehr genau und im Detail regeln, wie ein Erfolgshonorar aussieht. Anwaltsblatt: Macht die Regelung im RVG Sinn? Kindermann: Die Regelung im RVG hat Charme. Sie hält das bisher noch nicht angetastete Verbot der Unterschrei-

Anwaltsblatt: Wie viel Freiheit bringt der Gesetzentwurf? Kindermann: Der Referentenentwurf bringt die so genannte kleine Lösung. Sie gab es in ähnlicher, wenn auch nicht identischer Form bereits im alten Standesrecht. Der Entwurf lockert das 1994 in die BRAO eingefügte Verbot des Erfolgshonorars nur sehr eingeschränkt. Es soll nur in Einzelfällen vereinbart werden, in denen besonderen Umständen der Angelegenheit Rechnung zu tragen ist. Das Gesetz konkretisiert wie folgt: Insbesondere wenn der Auftraggeber aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Anwaltsblatt: Das bedeutet? Kindermann: Entgegen anders lautenden Stimmen kann die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, dass nur Fälle erfasst werden, in denen der Mandant zur Zahlung einer üblichen Vergütung wirtschaftlich nicht in der Lage wäre. Die Fälle, in denen der Rechtsuchende Beratungshilfe in Anspruch nimmt, klammert der Entwurf bewusst aus. Hier ist jede Vergütungsvereinbarung nichtig. Die neue Regelung erStichwort fasst damit auch den wirtschaftlich potenten Mandanten, der _______________ ____________________________ ________ aus sonstigen Gründen heraus das Risiko nicht allein tragen möchte, sofern die Voraussetzungen der Ausnahme – wie geDer Referentenentwurf sagt – überhaupt vorliegen!

Kindermann: „Aufpassen – die Schriftform für alle Vergütungsvereinbarungen kommt.“ Streck: Die jetzige kleine Lösung hat auch der Deutsche Anwaltverein vorgeschlagen, allerdings hat das Bundesjustizministerium diese Lösung noch etwas kleiner gestrickt. Der DAV ist der Meinung, dass die völlige Freigabe nicht dem Interesse der großen Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen entspricht. Allerdings sollte uns klar sein, dass das BundesErfolgshonorar, Kindermann/Streck

Das Bundesjustizministerium hat Ende Oktober den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vorgelegt. Der Entwurf sieht in Art. 1 und Art. 2 Änderungen der BRAO und des RVG vor. Dieser Entwurf war Grundlage des Anwaltsblattgesprächs mit Rechtsanwalt Dr. Michael Streck (Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des DAV) und Rechtsanwältin Edith Kindermann (Vorsitzende des Ausschusses RVG und Gerichtskosten des DAV). Die wesentlichen Vorschriften des Referentenentwurfs dokumentiert das Anwaltsblatt unter www.anwaltsblatt.de. Bis zum Zeitpunkt der Drucklegung lag der Kabinettsentwurf noch nicht vor.

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tung der Gebühren in gerichtlichen Verfahren aufrecht. Allerdings will der Gesetzgeber einzelne Punkte jetzt erheblich überregulieren. Dafür gibt es keinen Bedarf. Streck: Ich stimme dem zu. Anwaltsblatt: Der § 49b Abs. 2 BRAO enthält weiterhin das Verbot, der § 4a RVG regelt die Ausnahmen vom Verbot des Erfolgshonorars und hat gleich drei Absätze ... Streck: ... übergehen Sie den § 3 a RVG nicht. Denn durch die Hintertür regelt der Gesetzgeber die Vergütungsvereinbarung neu. Anwaltsblatt: Der § 3 a Abs. 1 S. 1 RVG führt für alle Vergütungsvereinbarungen die Schriftform ein. Nur die GebührenverRechtsanwalt Dr. Michael Streck. einbarungen für die außergerichtliche Beratung nach § 34 RVG werden herausgenommen. Ist der § 3 a RVG ein Fortschritt? Kindermann: Diese Vorschrift werden die Anwälte ernst nehmen müssen, auch wenn sie sich für das Erfolgshonorar nicht interessieren. Die Vorteile und die Nachteile halten sich die Waage. Bislang musste nur die Erklärung des Mandanten schriftlich vorliegen. Jetzt soll das Schriftformerfordernis beiderseits gelten. Es ist die Schriftform des § 126 BGB: Jeder muss zumindest die Unterschrift des anderen haben. Das ist ein Problem. Bei Vereinbarungen, die zu einer niedrigeren als der gesetzlichen Vergütungen führten, war die Schriftform bisher nicht erforderlich. Erfreulich ist, dass jetzt die Vergütungsvereinbarung mit der Auftragserteilung zusammengefasst werden kann. Dieses Problem entfällt. Schön wäre es, wenn das Schriftformerfordernis erleichtert werden könnte. Auf jeden Fall sollte Telefaxübermittlung genügen. Anwaltsblatt: Und der Wortlaut lässt sogar zu, dass die Vollmacht in die Vergütungsvereinbarung aufgenommen wird. Kindermann: Das wird noch geändert werden. Es ist ein Redaktionsversehen. Vollmacht und Vergütungsvereinbarung haben ganz unterschiedliche Zielrichtungen. Streck: Wer über die Form der Vergütungsvereinbarung spricht, muss auch immer den derzeitigen § 4 Abs. 1 S. 3 RVG mitlesen, der sich im Gesetzentwurf in § 4 b S. 2 RVG wieder findet. Hat der Auftraggeber freiwillig und ohne Vorbehalt geleistet, kann er das Geleistete nicht deshalb zurückfordern, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Das ist eine ganz häufig gebrauchte und selten bewusst praktizierte Art der Honorarvereinbarung. Nur vom Vorschuss darf der Anwalt in solchen Fällen nicht reden. Mein Praxistipp also: Sie schlagen dem Mandanten auch ohne Honorarvereinbarung vor, für eine bestimmte Tätigkeit ein Honorar in Höhe von 750 Euro zu zahlen (und dieser Betrag ist der Höhe nach sicher erfolgsabhängig). Wenn er zahlt, ist das die Vergütungsvereinbarung. Kindermann: Das ist die Urform des angemessenen Honorars. Anwaltsblatt: Aber die Schriftform bleibt eine Verschärfung. Streck: Es passiert nichts Weltbewegendes. Sie übersenden eine Honorarvereinbarung in zwei Ausfertigungen und 34

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der Mandant schickt eine Fassung unterschrieben zurück. Das war bisher für den vorsorgenden Anwalt selbstverständlich. Jetzt wird es verpflichtend. Das muss der Anwalt wissen. Kindermann: An einer Stelle lehnen wir aber den § 3 a RVG ab. Der Anwalt muss den Mandanten, wenn eine höhere als die gesetzliche Vergütung vereinbart wird, darauf hinweisen, dass der Gegner im Falle des Unterliegens regelmäßig nur die gesetzliche Vergütung erstatten muss. Mit dieser Belehrungspflicht können wir leben, nicht aber mit der Rechtsfolge. Fehlt diese Belehrung, soll die Vereinbarung nichtig sein. Das wäre ein Novum. Bislang führen Verstöße gegen eine Belehrungspflicht nur zum Schadenersatzanspruch. Geradezu absurd wird die Rechtsfolge, wenn es überhaupt nicht zu einer Kostenerstattung kommt, weil der Mandant vielleicht unterliegt oder in dem Verfahren keine Kostenerstattung erfolgt. Streck: Es ist ein typisches Beispiel dafür, dass im RVG das Gerichtsverfahren in den Mittelpunkt gerückt wird. Diese Belehrungspflicht soll auch Anwendung im außergerichtlichen Bereich finden. Das macht keinen Sinn. Anwaltsblatt: § 4 a Abs. 1 RVG enthält die teilweise Freigabe des Erfolgshonorars. Was werden die besonderen Umstände der Angelegenheit sein, die den Weg zum Erfolgshonorar öffnen? Streck: Die besonderen Umstände werden uns noch sehr beschäftigen. Das Erfolgshonorar ist nichts Schlimmes. Der Mandant will ein Erfolgshonorar und der Anwalt sagt „Ja“. Ist es nicht ein besonderer Umstand, dass der Mandant ein Erfolgshonorar will? Ich bejahe das. Es ist wie beim Verlagsvertrag für ein Buch. Das Honorar richtet sich fast immer nach der Zahl der verkauften Exemplare. Ein klassisches Erfolgshonorar. Der mutige Anwalt, die mutige Anwältin wird

Streck: „Der mutige Anwalt wird die besonderen Umstände sehr weit auslegen.“ das sehr weit auslegen, solange eine Partei nicht besonderen Schutz benötigt. Kindermann: Die wirtschaftliche Situation des Auftraggebers ist nur ein Unterfall der besonderen Umstände. Die besonderen Umstände der Angelegenheit können sich auch aus der Art des Mandats ergeben oder aus sonstigen Umständen. Streck: Diese Flexibilität zeichnete auch den DAV-Vorschlag aus. Anwaltsblatt: Eine Ergänzung zum gerichtlichen Verfahren sieht § 4 a Abs. 2 RVG des Entwurfs vor. Wie darf man diese Vorschrift verstehen? Kindermann: Für den Erfolgsfall muss ein Zuschlag vereinbart werden, wenn beim Misserfolg die gesetzlichen Gebühren unterschritten werden. Es ist ein Unterfall des allgemeinen Erfolghonorars. Streck: In Steuerverfahren haben sie häufig einen hohen Gegenstandswert. Der Mandant will nach Zeitaufwand abrechnen. Im Erfolgsfall soll aber nach RVG abgerechnet werden, weil dann das Finanzamt die Kosten zahlen muss. Jetzt muss ich im Erfolgsfall die RVG-Gebühren verdoppeln? Wäre das angemessen? Kindermann: Sie sagen es: Ja. Spannend ist aber die Frage, was der Erfolg ist. Wenn ich den Kostenerstattungsanspruch habe oder wenn der Gegner auf den ErstattungsErfolgshonorar, Kindermann/Streck

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anspruch gezahlt hat? Bei den Finanzämtern stellt sich dieses Problem natürlich nicht. Anwaltsblatt: Wird dieser Erfolgszuschlag dem Mandanten vermittelbar sein? Kindermann: Es gilt der alte Spruch: Das Recht ist für die Hellen. Ich kann sowieso nur mit jemandem ein Erfolgshonorar vereinbaren, mit dem ich auch über die Bedingungen des Erfolgseintritts diskutieren kann. Die Definition des Erfolges ergibt sich immer im konkreten Mandat. Streck: Gerade im Steuerrecht gibt es immer wieder Regeln, die nicht mehr vermittelbar sind, es sei denn mit dem Satz: Sie haben dieses Parlament gewählt, das diese Normen geschaffen hat. Anwaltsblatt: Der neue § 4 a Abs. 3 RVG enthält einen Katalog von Belehrungs- und Dokumentationspflichten. Gehen wir die fünf Ziffern durch. Nach Ziffer 1 muss der Anwalt die voraussichtliche gesetzliche Vergütung oder die erfolgsunabhängige vertragliche Vergütung angeben, zu der der Rechtsanwalt bereit wäre, den Auftrag zu übernehmen. Kindermann: Die Regelung leidet aus meiner Sicht an der Schwäche, dass ich möglicherweise die voraussichtliche gesetzliche Vergütung nicht ermitteln kann. Die Höhe der gesetzlichen Vergütung richtet sich nach dem vom Gericht festgestellten Gegenstandswert. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen der Streitwert gar nicht vorher ermittelt werden kann. Denken Sie nur an WEG-Sachen oder § 247 AktG. Die Regelung geht auch wesentlich über das hinaus, was § 49 b Abs. 5 BRAO seit 2004 fordert. Danach muss der Anwalt nur darauf hinweisen, wenn nach Gegenstandswert abgerechnet wird. Wenn der Mandant wissen

Kindermann: „Wenn der Mandant wissen will, was der Anwalt kostet, muss er fragen.“ will, was der Anwalt kostet, muss er fragen. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Anwaltsblatt: Will die Vorschrift am Ende erreichen, dass der Anwalt ein Angebot für ein Erfolgshonorar und ein Angebot ohne Erfolgskomponente macht? Streck: Hoffentlich nicht. Wenn ich nur nach Erfolgshonorar arbeiten will, kann ich nicht gezwungen werden, eine erfolgsunabhängige Vergütung zu nennen. Anwaltsblatt: Ziffer 2 verlangt, dass die Höhe des Erfolgszuschlags genannt wird. Streck: Man will hier unterstreichen, dass das Erfolgshonorar im Grunde genommen ein „Schlag“ für den Mandanten ist. Anwaltsblatt: Nach Ziffer 3 muss die Vereinbarung eine kurze Darstellung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen enthalten, auf denen die Einschätzung der Erfolgsaussichten beruht. Eine sinnvolle Regelung? Streck: Stellen wir uns vor: Ein Mandant schuldet einem anderen Anwalt ein Erfolgshonorar, der Erfolg ist eingetreten, der Mandant kommt zu mir und sagt: „Ich möchte nicht zahlen.“ Was mache ich? Ich prüfe, ob die Belehrung falsch ist. Ich bin in einer wunderbaren Situation. Der Erfolg ist da. Wehe der Kollege hat – natürlich schon aus Haftungsgründen – zu viele Risiken aufgelistet. Die ganze Erfolgsvereinbarung ist fehlerhaft und unwirksam. Kindermann: Und das ist noch nicht alles: Wie sind die Erfolgsaussichten zu benennen? Der Bundesgerichtshof sagt im Bereich der Anwaltshaftung zum Glück noch immer, maErfolgshonorar, Kindermann/Streck

thematische Genauigkeit ist nicht notwendig. Soll der Anwalt die Erfolgsaussichten umsonst beurteilen? Von ihm wird eine aufwändige Tätigkeit erwartet, ohne dass er Geld dafür bekommt. Was wird aus dem Zusammenspiel Anwalt/ Mandant? Den Mandanten trifft die Informationspflicht im Tatsächlichen, der Anwalt muss das Recht kennen. Streck: Um das Ganze einmal plastisch zu machen: Wenn Sie Berufung beim OLG einlegen wollen, bitten Sie vorher den Anwalt um einen Honorarvorschlag für ein Erfolgshonorar. Dann kriegen Sie ihren Rechtsrat für lau ... Anwaltsblatt: ... oder wir bekommen das allgemeine Belehrungsman- Rechtsanwältin Edith Kindermann. dat ... Kindermann: ... und auch das hat seine Tücken, weil ich zuvor mit dem Mandanten eine Vereinbarung treffen muss. Die unterliegt zwar als außergerichtliche Beratung nicht den Formerfordernissen des § 3 a RVG, aber bei Verbrauchern wäre das Honorar nach § 34 RVG auf 250 Euro gedeckelt. Anwaltsblatt: Kommen wir zu Ziffer 4: Die Bedingung muss genannt werden, bei deren Eintritt die Vergütung verdient werden soll. Kindermann: Völlig in Ordnung. Das ist letztlich eine Frage der Kreativität und Klarheit im Einzelfall. Anwaltsblatt: Außerdem soll der Anwalt nach Ziffer 5 darauf hinweisen, dass im Fall des Unterliegens die Kosten des Gerichts und des Gegners getragen werden müssen. Kindermann: Wir kämpfen damit, dass das Kostenerstattungsrecht gerade im Bereich der Zivilprozessordnung auch Fälle vorsieht, in denen die obsiegende Partei auch Kosten trägt. Zum Beispiel wenn im Mietrecht die Räumungsfrist nicht gewährt oder im Familienrecht die Auskunft nicht rechtzeitig erteilt wird. Wenn ich die Belehrung exakt so vornehme, wie es der Gesetzgeber fordert, ist sie unter Umständen falsch. Anwaltsblatt: Was schlagen sie vor? Kindermann: Das gegebenenfalls Ansprüche Dritter durch dieses Erfolgshonorar nicht berührt sind und der Mandant gegebenenfalls auch im Falle des Obsiegens mit Kosten Dritter belastet bleibt. Anwaltsblatt: Die Rechtsfolgen einer fehlerhaften Belehrung regelt § 4 b RVG. Aus einer fehlerhaften Vergütungsvereinbarung kann höchstens die gesetzliche Gebühr verlangt werden. Ein scharfes Schwert? Kindermann: Ja, das Problem aller Belehrungspflichten im jetzigen Entwurf liegt in der Verknüpfung mit dieser Rechtsfolge. Alle Belehrungen müssen in der Vergütungsvereinbarung enthalten sein. Wenn irgendetwas nicht stimmt, ist sie fehlerhaft. Die Lösung des § 49 b Abs. 5 BRAO zur Belehrung bei der Abrechnung nach Gegenstandswert wäre sinnvoller. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht führt zu einem Schadensersatzanspruch. Anwaltsblatt: Was soll der Gesetzgeber machen? Kindermann: Die Vergütung soll nur dann höchstens auf das gesetzliche Honorar herabgesetzt werden, wenn das Schriftformerfordernis nicht eingehalten wird, die besondeAnwBl 1 / 2008

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ren Umstände für die Vereinbarung des Erfolgshonorars nicht vorliegen oder bei gerichtlichen Verfahren der Erfolgszuschlag nach § 4 a Abs. 2 RVG nicht vereinbart wurde. Streck: Und für die Anwälte gilt: Bei § 4 b RVG bitte auch an den Satz 2 denken: Wenn der Mandant das fehlerhaft vereinbarte Erfolgshonorar freiwillig gezahlt hat, ist das die neue Vereinbarung. Anwaltsblatt: Kommen wir zu einem allerletzten Detail. An versteckter Stelle in §49 b Absatz 2 BRAO findet sich in dem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums die Formulierung: Vereinbarungen, durch die der Rechtsanwalt sich verpflichtet, Gerichtskosten oder gegnerische Kosten zu tragen, sind unzulässig. Das läuft auf ein Verbot der Prozessfinanzierung durch Anwälte hinaus. Ein sinnvolles Verbot? Streck: Das ist nicht konsequent. Die Beschränkung will den Anwalt schützen, bestimmte finanzielle Verpflichtungen zu übernehmen. Möglicherweise steht der Gedanke dahinter, dass die Übernahme eines Mandats etwas anderes ist, als die

Streck: „Dieses Erfolgshonorar ist für den Bürger viel zu kompliziert.“ spätere Zahlung von Kostenerstattungsansprüchen. Für einen unternehmerisch denkenden Menschen ist das überhaupt kein Unterschied. Der Anwalt bringt in die Prozessfinanzierung sein Honorar ein. Warum soll er nicht mehr einbringen? Kindermann: Das sieht der Ausschuss RVG und Gerichtskosten etwas anders. Die Beschränkung macht Sinn im Mandat. Eine andere Frage ist es, ob und in welchem Ausmaß Anwälte in anderen beruflichen Positionen als Prozessfinanzierer tätig sein können. Das ist aber nicht Thema des Entwurfs. Anwaltsblatt: Wir haben auf die Details der Regelung gesehen: Wie geschickt hat der Gesetzgeber im Referentenentwurf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt? Streck: Er hat von der Freiheit des Bundesverfassungsgerichts keinen Gebrauch gemacht. Der Entwurf nimmt in einem Übermaß auf Befürchtungen der Anwältinnen und Anwälte Rücksicht. Das ist nicht erforderlich. Es dient auch nicht dem Mandantenschutz. Kindermann: Die kleine Lösung ist meine Wunschlösung. Ich will nicht ausschließen, dass sich die Anwaltschaft im Laufe der Jahre anderen Entwicklungen öffnen wird. Allerdings ist es ein Einstieg mit vielen Holpersteinen. Das Erfolgshonorar wird nur für wenige Anwälte attraktiv sein. Sie müssen mit diskussionsfähigen Mandanten gesegnet sein und den Erfolg in der Sache klar definieren können. Anwaltsblatt: Hat das Erfolgshonorar in dieser Form Vorteile für die Rechtsuchenden? Streck: Dieses Erfolgshonorar entspricht nicht dem Erfolgshonorar, das der Bürger unter Erfolgshonorar versteht. Es ist viel zu kompliziert. Beim Erfolgshonorar hat immer die Justiz im Mittelpunkt gestanden, das Kostenerstattungswesen und das Selbstverständnis der Anwälte. Der Wunsch des Mandanten war nicht die treibende Kraft. Kindermann: Die Mandanten wollen nur zahlen, wenn sie alles bekommen. Das geht aber nicht. Außerdem gibt es Fälle, in denen sich das Erfolgshonorar verbietet. Dazu gehören zum Beispiel Verfahren der elterlichen Sorge. Anwaltsblatt: Wird der Rechtsrat am Ende teurer? 36

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Kindermann: Im Erfolgsfall wird es teurer. Wenn wir es Ernst nehmen mit dem mündigen Bürger, dann weiß er dieses. Er kann den Erfolgsfall nicht zu den gesetzlichen Gebühren haben, aber den Nichterfolg ausschließlich beim Anwalt abladen. Anwaltsblatt: Dann ist das Erfolgshonorar gut für Anwälte? Streck: Das hängt davon ab, wie er zum Berufsrecht steht. Meine persönliche Meinung ist: Der Anwalt, dem das Berufsrecht eher eine Fessel ist, der ist dankbar für jede Lockerung. Der Anwalt, der Freiheitsräume fürchtet, sieht das Erfolgshonorar nicht gern. Kindermann: Das ist auch eine Frage des Verständnisses von Erfolg. Am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit ist mir mal gesagt worden, eine gute Anwältin bin ich erst dann, wenn ich gewinne, wenn ich nicht Recht habe. Diese Sicht wird sehr problematisch, wenn ich nach dem Erfolg bezahlt werde. Ich bin als Anwältin zwar einseitiger Interessenvertreter, aber es gibt immer noch Grenzen, nicht nur zur Wahrheit, sondern zum Beispiel, wenn im Familienrecht Interessen Dritter, insbesondere von Kindern, betroffen sind. Anwaltsblatt: Wird das Erfolgshonorar in den nächsten Jahren weiter liberalisiert? Kindermann: Es ist nicht ausgeschlossen. Die Anwälte machen sich erst auf den Weg. Sie lernen, dass sie sich auch um die Frage der Vergütung kümmern müssen. Streck: Die deutsche Lösung ist immer noch enger als in vielen anderen europäischen Staaten. Der Druck aus Europa wird eher zunehmen. Das Gespra¨ch fu¨hrte Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lu¨hrig, Berlin

Dr. Michael Streck, Köln Der Gesprächspartner ist Rechtsanwalt. Er ist Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Seiner Meinung nach kann das Erfolgshonorar auch eine Chance für Anwälte sein, Mandate zu angemessenen Honoraren abzuwickeln.

Edith Kindermann, Bremen Die Gesprächspartnerin ist Rechtsanwältin und Notarin. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses RVG und Gerichtskosten des Deutschen Anwaltvereins. Sie sieht das Erfolgshonorar deutlich kritischer, weil die Orientierung am Erfolg nicht immer richtig ist.

Erfolgshonorar, Kindermann/Streck

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Gastkommentar Wer bestimmt, was wir erinnern?

Dr. Joachim Jahn Frankfurter Allgemeine Zeitung

Auf die Online-Archive der deutschen Medien rollt eine Gefahr zu, die bisher noch kaum bemerkt worden ist: Rechtskräftig verurteilte Straftäter verlangen nämlich die Tilgung der Berichterstattung über sich selbst. Dabei geht es keineswegs um neue Zeitungsartikel oder Fernsehbeiträge; diese können seit der legendären „Lebach“Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1973 tatsächlich unzulässig sein, wenn sie die Resozialisierung gefährden würden. Angegriffen werden jetzt vielmehr die gespeicherten Meldungen, die früher einmal aktuell waren, inhaltlich korrekt sind – und deshalb im Einklang mit dem Presserecht publiziert wurden. Boulevard- und Qualitätszeitungen sind bereits ebenso ins Visier Krimineller geraten wie öffentlich-rechtliche und private Rundfunksender. So hat der Entführer und Mörder des jüdischen Unternehmers Jakub Fiszman zur Säuberung diverser Digitalarchive angesetzt. Während das Oberlandesgericht Frankfurt seinen Antrag abwies, gab das Landgericht Hamburg ihm im Sommer statt. Obwohl hier nicht einmal ernsthaft von einer Gefahr für die Wiedereingliederung des Genannten in die Gesellschaft gesprochen werden kann: Die Strafkammer hat den Wiederholungstäter nämlich in Sicherungsverwahrung geschickt – übrigens vor gerade einmal elf Jahren. Und dieser Fall ist keineswegs ungewöhnlich: Das Oberlandesgericht Hamburg gewährte dem Mörder des Volksschauspielers Walter Sedlmayr im Frühjahr Prozesskostenhilfe für sein Vorgehen gegen Internet-Archive. „Die Abwägung zwischen dem verfassungs-

rechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht und den Interessen des Publikationsorgans und der Öffentlichkeit an umfassender Information dürfte zu einem Überwiegen der Rechte des Antragstellers führen“, befanden die hanseatischen Oberlandesrichter allen Ernstes. Ironie des Schicksals: Auch sein eigener Verteidiger hatte bis dahin auf seiner KanzleiWebseite Presseerklärung und Zeitungsartikel dargeboten.

„Die Zeitgeschichte müsste in den Internet-Archiven umgeschrieben werden.“ Jüngst scheiterte zwar ein Ex-Bauminister mit dem Versuch, nach seiner Haftentlassung vom Oberlandesgericht Köln die Erinnerung an seine frühere Straftat ausmerzen zu lassen. Doch gleich drei ehemalige „RAF“-Mitglieder behindern derzeit erfolgreich die Aufarbeitung des Linksterrorismus, indem sie unter anderem die Wiedergabe eines früheren Fahndungsplakats untersagen ließen. Sie wollen die historische Wahrheit vor der interessierten Öffentlichkeit wegschließen lassen. Dies zeigt, welch fatale Folgen die Rechtsprechung von Land- und Oberlandesgericht in Hamburg hätte, wenn sie sich in Karlsruhe durchsetzen sollte. Die Zeitgeschichte müsste in den elektronischen Gedächtnissen der Presse – und damit der Gesellschaft – umgeschrieben werden. Schon eine bloße Anonymisierung würde bereits nach wenigen Jahrzehnten das Verständnis dieser Kapitalverbrechen und ihrer Entstehungsbedingungen erschweren. Schließlich geht es nicht

bloß um Delikte aus einer mehr oder weniger privaten Sphäre, sondern um spektakuläre Attentate, die den Staat und die Politik herausfordern sollten. Fatalerweise wenden die Rechtsprecher aus dem Stadtstaat an der Elbe ausgerechnet das gegen die digitalen Archive, was ihren großen Vorteil ausmacht: die geradezu demokratische Offenheit für breite Bevölkerungskreise. Niemand muss mehr zwischen verstaubten Regalwänden alte Zeitungsbände wälzen. Sondern dank ihrer Hilfe sind Recherchen – kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr – vom heimischen PC aus möglich, schnell und bequem mit gezielten Suchfunktionen. Wie Verlage und Sendeanstalten den Vorgaben der Hamburger Justiz gerecht werden könnten, ohne ihre Archivangebote im Internet dicht zu machen, ist schwer vorstellbar. Die Frankfurter Oberlandesrichter unterstreichen denn auch die wirtschaftliche Tragweite eines etwaigen Gebots, Archive turnusmäßig zu „durchforsten“. Überwacht werden müsste dann stets, ob eine ursprünglich zulässige Berichterstattung „nunmehr quasi durch Zeitablauf wegen des Anonymitätsinteresses eines ehemaligen Straftäters“ zu sperren und nachträglich zu löschen sei, warnen sie. Traurig, dass man einige Zivilrichter an Grundentscheidungen der Verfassung erinnern muss. Nicht nur die Presse hat die Freiheit, Informationen zu veröffentlichen – „jedermann“ hat überdies das garantierte Recht, sich dort ungehindert unterrichten zu können. Eine „vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse“ habe das Bundesverfassungsgericht nicht gemeint, schrieb es denn auch selbst im Jahr 1999 zu seinem alten „Lebach“-Urteil. Übrigens: Im Internet setzt sich ein pensionierter Physiker mit Auswüchsen presserechtlicher Urteilsfindung auseinander. Der Mann ist in der DDR aufgewachsen und versteht sein Engagement als Beitrag gegen staatliche Zensur. Die höchst lesenswerte und durchaus amüsante Webseite „www. buskeismus.de“ ist nach dem Vorsitzenden Richter einer Pressekammer benannt.

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Aus der Arbeit des DAV Anwälte und Ärzte gegen Abhören von Berufsgeheimnisträgern DAV-Präsident Kilger in der Bundespressekonferenz

Aus der Arbeit des DAV 38

Bundespressekonferenz Anwälte und Ärzte gegen Abhören von Berufsgeheimnisträgern

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AG Strafrecht Strafverteidiger sehen Vorratsdatenspeicherung und TK-Überwachung kritisch Rechtsanwältin Bettina Bachmann, Berlin

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DAV-Geschäftsführung Brügmann neuer Hauptgeschäftsführer

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DAV-Pressemitteilung Neuer Onlineauftritt des DAV

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Deutsche Anwaltakademie / LV Hessen Neue Seminarreihe Anwalt Kompakt

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DAV-Gesetzgebungsausschüsse Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben

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Berliner Anwaltsverein Welche Rolle sollte die Pro-Bono-Tätigkeit für Rechtsanwälte haben? Rechtsanwalt Stefan Heinrichs, Berlin

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Berliner Anwaltsverein Ernste Worte und festliches Essen Rechtsanwalt Christian Christiani, Berlin

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AG Versicherungsrecht Neues zum Versicherungsvertragsrecht Rechtsanwalt Dr. Christian Fitzau, Hamburg

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AG Anwältinnen Vom Präsentieren und Netzwerken Rechtsanwältin Andrea Haaser, Berlin

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AG Mediation Mediation im Gesundheitsbereich Rechtsanwältin Angelika Rüstow, Berlin

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AG Syndikusanwälte Unternehmensrecht in der Praxis Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel

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AG Anwaltsnotariat Wie den Zugang zum Anwaltsnotariat regeln? Rechtsanwalt Peter Altemeier, Berlin

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AG Verkehrsrecht 27. Homburger Tage: Mehr als Fortbildung Rechtsanwältin Bettina Bachmann, Berlin

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AG Anwaltsnotariat Newsletter gestartet Rechtsanwalt Peter Altemeier, Berlin

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DAV aktuell Deutscher Anwaltverein Italien gegründet Rechtsanwältin Heidemarie Haack-Schmahl, Berlin

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Anwaltverein Stuttgart Im Laufen werben – geht das? Rechtsanwältin Anke Haug, Stuttgart

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Mitgliederversammlung: AG Baurecht / AG Medizinrecht / AG Erbrecht

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AG Strafrecht Ehrenpreis „pro reo“ verliehen Rechtsanwältin Bettina Bachmann, Berlin

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Stellten sich den Fragen der Journalisten: Der Facharzt für Radiologie Dr. Frank Ulrich Montgomery (bisheriger 1. Vorsitzender des Marburger Bundes, l.) und Rechtsanwalt Hartmut Kilger (Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Mitte) mit einem Vertreter der Bundespressekonferenz.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben der Marburger Bund (MB) und der Deutsche Anwaltverein (DAV) am 6. November 2007 entschieden die beabsichtigten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger, wie Rechtsanwälte und Ärzte, abgelehnt. Sowohl die Beziehung zwischen Patient und Medizinern als auch zwischen Anwalt und Mandant bedürfe des besonderen Vertrauensschutzes, der sich sogar in einer berufsrechtlichen Schweigepflicht widerspiegele. „Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und dem Mandanten ist nicht teilbar und kann nicht von der ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht werden“, so Rechtsanwalt Hartmut Kilger, DAV-Präsident. Zwar sehe der Gesetzgeber den besonderen Schutz der Strafverteidiger vor, nicht jedoch der übrigen Anwaltschaft. Eine solche Aufspaltung der Anwaltschaft und der Berufsgeheimnisträger im Besonderen sei abzulehnen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz betonten beide Verbände, dass mit der Unterteilung der Freiberufler in schützenswerte und weniger schützenswerte Gruppen der Gesetz-

geber ein nicht zu rechtfertigendes Zwei-Klassen-System bei Berufsgeheimnisträgern schaffe. Die Begründung des Gesetzgebers, staatliche Überwachung zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität auszuweiten, sei kein Argument für die geplante Ungleichbehandlung von Berufsgeheimnisträgern. Ebenso lehnten beide Organisationen die beabsichtigte Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie in nationales Recht ab. Die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie verstoße gegen europäisches Recht. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht mehrfach erklärt, dass personenbezogene Daten nur angegeben werden müssten, wenn diese geeignet und erforderlich seien, einen bestimmten Zweck – wie etwa die Aufklärung einer bereits begangenen Straftat – zu erfüllen. „Der Gesetzgeber ist gut beraten, zunächst den Ausgang eines bereits anhängigen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof abzuwarten,“ so der DAV-Präsident Kilger weiter. Er solle nicht eine offenkundig rechtswidrige Richtlinie in Deutsches Recht voreilig umsetzen. Quelle: DAV-Pressemitteilung Nr. 38/07

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Aus der Arbeit des DAV

Strafverteidiger sehen Vorratsdatenspeicherung und Telekommunikationsüberwachung kritisch AG Strafrecht diskutierte über Online-Durchsuchungen Das 24. Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht am 9. und 10. November 2007 in Hamburg stand unter dem Motto „Feindbild Strafverteidigung? Von der verzerrten Wahrnehmung eines Berufs“. In den Veranstaltungen ging es jedoch um viel mehr: Die Zukunft des Strafprozesses. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht, Rechtsanwalt Werner Leitner, konnte knapp 400 Teilnehmer begrüßen. Er wies darauf hin, dass es der Arbeitsgemeinschaft wiederum gelungen sei, ein hochaktuelles Programm zusammenzustellen. Das betonte auch der Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, Otmar Kury, der das Herbstkolloquium ein Forum für die Diskussion rechtspolitisch aktueller Themen und Erkenntnisse nannte. Was darf Strafverteidigung? Die Vorträge des Freitagvormittags beschäftigten sich mit dem „Feindbild Strafverteidiger“. Detlef Burhoff, Rich1

Ein Höhepunkt war die Podiumsdiskussion „Das letzte Wort. Wieviel Heimlichkeit verträgt Strafverfahren?“. Es diskutierten: Lutz Diwell (Staatssekretär im Bundesjustizministerium), ...

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Jörg Ziercke (BKA-Präsident), ...

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Rechtsanwalt Dr. Dirk Lammer (Moderator), ...

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Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm und ...

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Ulrich Hebenstreit (Ermittlungsrichter beim BGH).

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Blick auf das Podium.

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ter am OLG Hamm, bejahte die Existenz eines solchen Feindbildes. Die aktive, engagierte Verteidigung, die rechtsstaatlich geboten sei, stoße gerade bei Untergerichten auf Widerstand. Er vertrat die Auffassung, dass „aktive Verteidigung“ nicht immer DAV-Geschäftsführung Konfliktverteidigung sein müsse. In __________________________________ seinem Statement: „Verteidigung und Cord Brügmann neuer Wahrheitspflicht“ setzte sich Gerhard Hauptgeschäftsführer Herdegen, Vorsitzender Richter am BGH a. D. mit dem Spannungsfeld Wechsel an der Spitze der Gezwischen Wahrheitssuche und Wahrschäftsführung des Deutschen Anheitsfindung sowie Wahrheitsleugnung waltvereins (DAV): Rechtsanwalt und Wahrheitssabotage auseinander. Cord Brügmann (37, Foto) wird ab Werner Leitner ging in seinem Vortrag 1. Januar 2008 neuer Hauptge„Was darf die Strafverteidigung“ auf schäftsführer des DAV. Er löst Dr. die Ethosdebatte ein, wobei er äußerst Dierk Mattik (66) ab, der 13 Jahre prägnante Beispiele anführte. Er Hauptgeschäftsführer war. In eimeinte, dass Strafverteidigung nicht alnem Empfang am 11.12.2007 im les dürfe, aber vor allem dürfe sie sich Reichstag wurde Dr. Mattik vernicht vereinnahmen lassen. abschiedet und Brügmann als Am Nachmittag wurden unter dem neuer Hauptgeschäftsführer vorTitel „Strafrechtliche Schwerpunkte im gestellt. Fokus“ aktuelle Entwicklungen in zwei Cord Brügmann trat am 1. März Sektionen vorgestellt. Am zweiten Tag 2003 in die Geschäftsführung des des Kolloquiums konnte Rechtsanwalt Deutschen Anwaltvereins ein und Dr. Dirk Lammer feststellen, dass die betreute bisher das Dezernat AusArbeitsgemeinschaft im Hinblick auf und Fortbildung. Seit dem 1. Fedie Aktualität ihrer Themenauswahl bruar 2006 ist er stellvertretender eine „Punktlandung“ hingelegt habe, Hauptgeschäftsführer des DAV gedenn am 9. November 2007 wurde das wesen. Nach seinem Zivildienst in TelekommunikationsüberwachungsgeIsrael und den USA studierte setz vom Bundestag verabschiedet und Brügmann Rechtswissenschaften bereits einen Tag später beschäftigte an der Ludwig-Maximilians-Unisich das Kolloquium mit der Frage versität in München. Das Referendariat absolvierte er in Berlin. Mattik war seit dem 1. Januar 1995 für den DAV tätig, zunächst als stellvertretender Hauptgeschäftsführer. Am 1. September 1995 folgte er Albrecht Schaich als Hauptgeschäftsführer. In seine Zeit als Hauptgeschäftsführer fällt der 3 Umzug des Deutschen Anwaltvereins von Bonn nach Berlin im Jahr 2000. Bevor Mattik zum DAV kam, war er Richter in der Hamburgischen Justiz, ab 1985 als Richter am OLG. Von 1985 bis 1995 war er Mitglied des Präsidiums des Deutschen Richterbundes. 6

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Aus der Arbeit des DAV

„Heimlich, still und leise – Wohin geht der Strafprozess?“. Dr. Lammer wies in seiner Einführung „Verdeckte Ermittlungen und Menschenwürde“ nochmals darauf hin, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unantastbar sei. Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl stellte in ihrem Vortrag zum Telekommunikationsüberwachungsgesetz die wesentlichen Eckpunkte des Gesetzentwurfes vor, sie ging dabei auch auf die Änderungen ein, die erst am Vortag vom Bundestag beschlossen worden waren. Zweiklassensystem Die Chance, das Recht der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen praktikabler und transparenter zu machen, sei vertan worden. Die Differenzierung innerhalb der Gruppe der Berufsgeheimnisträger führe nicht nur zu Wertungswidersprüchen, sondern auch zum Verlust von Freiräumen, auf die die Gesellschaft und der demokratisch verfasste Rechtsstaat angewiesen seien. Hierdurch würde ein Zweiklassensystem errichtet, dass nicht hinnehmbar sei. Sie vertrat die Auffassung, dass eine Umsetzung der sogenannten Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie nicht hätte erfolgen müssen. Es sei davon auszugehen, dass die vor dem EuGH anhängigen Klagen erfolgreich sein werden. Danach referierte Dr. Mark Zöller von der Universität Mannheim über den Bedeutungszuwachs heimlicher Ermittlungen. Aufgrund der vielen Gesetzgebungsvorhaben, die heimliche Überwachungsmaßnahmen einführen wollen, äußerte er die Befürchtung, dass nicht ein System der Heimlichkeit geschaffen werden soll, sondern vielmehr die Heimlichkeit zum System gemacht werden soll.

Wie viel Heimlichkeit tut not? Einen Höhepunkt der Veranstaltung stellte die Podiumsdiskussion „Das letzte Wort. Wieviel Heimlichkeit verträgt das Strafverfahren?“ dar. Es diskutierten der BKA-Präsident Jörg Ziercke, der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Lutz Diwell, Ulrich Hebenstreit, Ermittlungsrichter beim BGH, sowie Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, der Hessischer Datenschutzbeauftragter gewesen ist. Diwell lehnte den heimlichen Zugriff auf Gedanken, die in E-Mailentwürfen noch nicht nach außen gelangt sind und auf „geronnene Kommunikation“, also abgelegte E-Mails, die nur auf der Festplatte gespeichert sind, ab. Nicht alles was rechtlich machbar oder verfassungsrechtlich gerade noch zulässig sei, solle auch gesetzlich verankert werden. Hebenstreit äußerte sich kritisch dazu, ob die beabsichtigten Onlinedurchsuchungen überhaupt geeignet seien, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Er sprach sich für eine offene Durchsuchung aus, Computer dürften schon heute beschlagnahmt und ausgewertet werden. Ziercke meinte, im Hinblick auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus

nicht auf heimliche Durchsuchungen verzichten zu können, da nur hierdurch eine Überwachung stattfinden könne, ohne dass der Überwachte vorzeitig gewarnt würde. Professor Hamm wies darauf hin, dass das Beratungsgeheimnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt bleiben müsse. Die große Beteiligung des Plenums bei der Diskussion brachte die Sorgen der Teilnehmer im Angesicht zunehmender heimlicher Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren zum Ausdruck. Den Abschluss bildete das gut besuchte 8. Internetforum. Rechtsanwalt Dr. Stefan Beukelmann referierte über die rechtliche Legitimation und die Grenzen bei Onlinedurchsuchungen. Die Diplom-Informatikerin Constanze Kurz vom Chaos Computer Club, die vom Trojaner als „virtueller Computerwanze“ sprach, informierte darüber, wie sich der Computernutzer wirkungsvoll gegen die Spionagesoftware abschotten kann. Rechtsanwa¨ltin Bettina Bachmann, Berlin

Das nächste Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft findet am 7. und 8.11.2008 in Düsseldorf statt. Weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft finden Sie im Internet unter www.ag-strafrecht.de.

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1 Der Vorsitzende der AG Strafrecht Werner Leitner bei seinem Referat. 2 Referierte: Gerhard Herdegen (Vors. Richter am BGH a.D.). 3 Richter am OLG Detlef Burhoff hielt einen Vortrag. 4 Rechtsanwalt Dr. Stefan König (Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschuss) diskutierte mit. 5 Rechtsanwalt Michael Tsambikakis (Referent). 6 Blick in den Saal. 7 Rechtsanwalt Dr. Ulrich Sommer moderierte. 8 Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl sprach über Telekommunikationsüberwachung. 9 Referierte: Dr. Mark Zöller von der Universität Mannheim.

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DAV-Pressemitteilung

Neuer Onlineauftritt des Deutschen Anwaltvereins Der Deutsche Anwaltverein (DAV) präsentiert sich mit neuer Webseite. Unter www.anwaltverein.de erwartet den Besucher ein komplett neu gestalteter Internetauftritt, der durch modernes Layout, optimierte Technik und ein umfangreiches Serviceangebot überzeugt. Durch eine vereinfachte Navigation, vielfältige Funktionen und gesenkte Zugangsbarrieren sind Inhalte leicht auffindbar. So werden die Besucher schnell und unkompliziert zu den gesuchten Inhalten geführt. Mit der neuen Navigation kann man schnell die für sich interessanten Themen herausfinden. Ob man sich einen Überblick über den DAV verschaffen will, dessen Leistungen oder seine Tätigkeit als Interessenvertreter der deutschen Anwaltschaft. Aber auch hinsichtlich Fortbildung, der Anwaltspraxis oder für den Berufstart gibt es interessante Informationen. Hinzu kommen neue Funktionen der Webseite: Der Veranstaltungskalender informiert über Seminare und Fortbildungen im gesamten Bundesgebiet. Jobangebote für Anwälte, Referendare und Studenten lassen sich schnell und bequem im Online-Stellenmarkt finden und der DAV-Onlineshop bietet originelle Werbemittel für die Mandantenakquise. Das Recht suchende Publikum wird automatisch auf die Seite von www. anwaltauskunft.de, dem großen Anwaltsuchdienst, geleitet. Quelle: DAV-Pressemitteilung Nr. 42/07

Deutsche Anwaltakademie / Landesverband Hessen

Neue Seminarreihe Anwalt Kompakt

Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben

Die Deutsche Anwaltakademie hat zusammen mit dem DAV-Landesverband Hessen ein neues Seminarkonzept entwickelt. An vier gut erreichbaren Standorten in Hessen bieten Landesverband und Deutsche Anwaltakademie ab dem Jahr 2008 gemeinsame Seminare an. Preisgünstige Fortbildungsveranstaltungen in der Nähe des Kanzleiorts sind einer der wesentlichen Anreize für die Mitgliedschaft im Anwaltverein. Doch abseits der großen Zentren ist das Seminarangebot oft gering. Viele Anbieter konzentrieren sich auf wenige Seminarstandorte. Dem wollen Deutsche Anwaltakademie und Landesverband abhelfen. Die Bereitschaft zur Fortbildung ist zwar groß. Bei knappen zeitlichen Ressourcen scheuen Anwältinnen und Anwälte aber immer wieder lange Reisewege zum Seminar. Die Themen der neuen Seminarreihe sind vielfältig und für die Pflichtfortbildung für Fachanwälte geeignet. Gleichzeitig sind sie so gewählt, dass sie auch für breiter praktizierende Rechtsanwälte interessant sind. Die Seminare werden stattfinden in Darmstadt, Gießen, Kassel und Wiesbaden. Die Themen reichen vom Arbeitsrecht über das Bau- und Architektenrecht, das Familien- und Gesellschaftsrecht hin zum Mietrecht, Strafrecht und Verkehrsrecht. „Wir müssen preis- und zeitgünstig zu den Kolleginnen und Kollegen kommen“, sagt Rechtsanwalt und Notar Peter Schirmer, Vorsitzender des DAVLandesverbandes Hessen. Daher gehen die Anbieter preislich neue Wege. Das fünfstündige Seminar wird für das DAV-Mitglied 89,– Euro kosten. Zudem habe man mit der Akademie die Standorte so gewählt, dass sie überall aus Hessen schnell erreichbar sind. Die Abwicklung der Seminare erfolgt schnell, preisgünstig und unkompliziert per E-Mail.

Der Deutsche Anwaltverein begleitet aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und internationaler Ebene. Stellungnahmen des DAV werden von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen erarbeitet. Das Anwaltsblatt weist regelmäßig auf wichtige Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/ index.html.

Weitere Informationen zu der Seminarreihe, den Standorten und den Seminarthemen finden Sie im Internet unter www.anwalt-kompakt.de. Ab sofort werden alle Pressemitteilungen des Deutschen Anwaltvereins per RSS-Feeds angeboten, die so abonniert und automatisch herunter geladen werden können. Es gibt auch einen Link zu den verschiedenen Diskussionsforen des DAV, die exklusiv den Mitgliedern offen stehen sowie eine komfortable Suchfunktion.

DAV-Gesetzgebungsausschüsse

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Strafrechtsausschuss 9 Strafvollzug Der Strafrechtsausschuss des DAV hat zu den Gesetzesentwürfen über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung der Länder Hamburg, Bayern und Niedersachsen Stellung genommen. Nach dem Übergang der Regelzuständigkeit für den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug vom Bund auf die Länder sind dies die ersten Länder, die ein eigenes einheitliches Strafvollzugsgesetz vorlegen. Zuvor haben sich bereits neun Bundesländer auf einen gemeinsamen Entwurf zum Jugendstrafvollzug geeinigt. Der DAV will durch seine Stellungnahme der Zersplitterung von Recht und Praxis entgegenwirken. Mit Befremden stellt der Strafrechtsausschuss fest, dass die Gesetzentwürfe der Resozialisierung des Strafgefangenen nicht mehr den ausreichenden Vorrang einräumen. Zivilverfahrensrechtsausschuss 9 Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren Das Justizministerium BadenWürttemberg hat einen Vorschlag zur Reform des Kostenfestsetzungs- sowie dies Vergütungsfestsetzungsverfahren vorlegt, zu dem der Deutsche Anwaltverein Stellung nehmen konnte. Der Zivilverfahrensrechtsausschuss hält die Reform für überflüssig.

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7. Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaften

zes zum 1. Juli 2008 veranlassen die deutsche Anwaltschaft, das Thema pro-bono-Tätigkeit neu und unter geänderten Rahmenbedingungen zu diskutieren. Der Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit den europäischen Anwaltschaften hat dabei eine Positionsbestimmung ermöglicht und wichtige neue Aspekte zur Diskussion beigetragen.

Im Rahmen der Internationalen Berliner Anwaltstage 2007 fand am 2. November 2007 die 7. Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaften statt. In diesem Jahr ging es um das Thema Pro-Bono-Tätigkeit von Rechtsanwälten“. Als „pro bono publico“ wird die kostenfreie anwaltliche Tätigkeit zum Wohle der Öffentlichkeit bezeichnet. Das kann kostenlosen Rechtsrat für mittellose Menschen ebenso bedeuten wie ihre Vertretung vor Gericht oder die Unterstützung gemeinnütziger Organisationen durch kostenlose juristische Expertise. Trotz eines dichten Netzes aus Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe und öffentlichen Beratungsstellen zeigen in Deutschland immer mehr Kanzleien Interesse daran, insbesondere gemeinnützige Organisationen kostenlos zu unterstützen. Die Freigabe der anwaltlichen Vergütungsvereinbarung im außergerichtlichen Bereich durch die Änderung des RVG zum 1. Juli 2006 und das voraussichtliche Inkrafttreten des neuen Rechtsdienstleistungsgeset-

Pro Bono in Europa Nach einer Darstellung der Möglichkeiten und Perspektiven von pro-bono-Tätigkeiten in Deutschland eröffnete der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages Wien, Dr. Gerhard Benn-Ibler, die Diskussion mit einer Darstellung des österreichischen Systems der Unterstützung mittelloser Mandanten. Er hielt das österreichische Beihilfesystem für europaweit nahezu einmalig und vorbildlich. Das Besondere an diesem System, so erfuhren die Konferenzteilnehmer, sei, dass die Anwälte, die Verfahrenshilfe leisten, dafür keine direkte Vergütung erhalten. Dafür hat aber der Bund dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag für die Leistungen der Rechtsanwälte jährlich eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat die Pauschalvergütung auf die einzelnen Rechtsanwaltskammern zu verteilen und diese haben sie für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte zu ver-

Berliner Anwaltsverein

Welche Rolle sollte die Pro-Bono-Tätigkeit für Rechtsanwälte haben?

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wenden. Eine darüber hinausgehende pro-bono-Tätigkeit hielten die Vertreter Österreichs dagegen für überflüssig. Ebenso interessant waren die Hnweise des Briten Michael PatchettJoyce: „Free legal advice is worth every single penny you pay for it“, zitierte er ein englisches Sprichwort und verwies anschließend auf ein englisches Gesetz vom 2. Mai 1594, das die Pflicht der Anwaltschaft, auch ohne Vergütung zu verteidigen, begründet. Die große Bedeutung, die Pro-Bono-Tätigkeit in England hat, wird unterstrichen durch die Einrichtung der „pro-nono-unit“ der Anwaltskammer, die seit dem Jahr 1966 besteht. Sie fordert die Anwälte dazu auf, jedes Jahr bis zu drei Tage unbezahlt und freiwillig rechtlich tätig zu werden. Patchett-Joyce wies auch darauf hin, dass gerade wohlhabende Mandanten ganz offen nach dem ProBono-Engagement von Anwälten und Kanzleien fragen. Pro Bono sei daher ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für Anwälte, aber auch eine Möglichkeit, interessante Präzedenzfälle zu führen. Eckhart Mehring aus den Niederlanden erläuterte, dass das niederländische System ganz und gar nicht vergleichbar sei mit dem amerikanischen. Während in den USA die Kanzleien ihre kostenlosen Beratungsleistungen offensiv im Marketing einsetzten, würden niederländische Anwälte ihre Pro-Bono-Tätigkeit meist nicht publik machen. Sie wollen vor allem verhindern, dass kostenloser Rechtsrat, der schon immer möglich war, überhand nimmt. Schließlich gibt es in den Niederlanden keine Gebührenordnnung, die anwaltliche Vergütung sei vielmehr stets Vereinbarungssache. Staat und Anwaltschaft sind gefordert Dr. Margarete von Galen, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Berlin, wies im Verlauf der Diskussion auch darauf hin, dass die gesetzlichen Neuerungen in Deutschland nach ihrer Auffassung einen guten Ausgleich zwischen staatli-

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In den Niederlanden arbeiten Anwälte im Stillen Pro Bono, erläuterte Eckhart Mehring aus Amsterdam.

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Über die Lage im EU-Beitrittsstaat Rumänien berichtete Flavia Anastasiu-Teodosiu aus Bukarest.

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In England ist Pro-Bono-Tätigkeit ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, berichtete Michael Pattchet-Joyce aus London.

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Bereits zum 7. Mal trafen sich Anwaltsvertreterinnen und -vertreter aus ganz Europa auf Einladung des Berliner Anwaltsvereins.

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chen Beihilfen und der Freiheit der Anwaltschaft beim Abschluss von Gebührenvereinbarungen darstellen. Ihr Redebeitrag wurde dann zur Grundlage eines zweiten Diskussionsteils, der sich vertieft mit der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Anwaltschaft beschäftigte und die Frage zu klären versuchte, wer in welchem Maße für den Zugang zum Recht verantwortlich sei. Im Verlauf dieser Diskussion zeigte sich, dass die überwiegende Mehrheit es als Aufgabe des Staates ansieht, dem Bürger Zugang zum Recht zu gewähren. Anders als die Vertreter Österreichs, die der Auffassung waren, eine über das staatliche Beihilfesystem hinausgehende Verpflichtung der Anwaltschaft zu kostenfreier Tätigkeit bestehe nicht, waren die meisten anderen Konferenzteilnehmer aber der Meinung, dass auch die Anwaltschaft ihren Beitrag leisten müsse, jedermann „access to justice“ zu gewähren. Besonders hervorzuheben ist schließlich noch der Beitrag von Adam Farlow aus den Vereinigten Staaten, der drei wesentliche Beweggründe für Pro-Bono-Arbeit in den USA anführte. Der Wichtigste sei, dass die Mandanten Pro-Bono-Tätigkeit von ihrer Kanzlei verlangen. Wer als Anwalt beispielsweise um die Mandatierung durch eine Bank wirbt, muss deutlich auf sein soziales Engagement hinweisen. Weiter sei „pro bono work“ wichtig für die Einstellung junger Anwälte. Sie bekommen dadurch die Möglichkeit, der Gesellschaft etwas zurück zu geben und erhalten gleichzeitig ein Gefühl für die Wichtigkeit anwaltlicher Tätigkeit. Und schließlich führt „pro bono work“ auch dazu, dass Kanzleien den Basiskontakt nicht verlieren.

Berliner Anwaltsverein

Ernste Worte und festliches Essen Traditionelle gesellschaftliche Anlässe mögen selten geworden sein in Deutschland. Doch die Berliner Rechtsanwaltschaft pflegt eine Tradition, die bis ins Jahr 1928 zurückreicht: Das Berliner Anwaltsessen (in diesem Jahr am 2. November 2007). Wenn auf Einladung des Berliner Anwaltsvereins mehrere hundert Juristen zusammentreffen – Anwälte aus Deutschland und dem Europäischem Ausland, Ehrengäste aus der Justiz, Justizpolitik und Rechtswissenschaft – dann gilt es nicht nur dem kulinarischen Genuss, sondern auch dem Wort. Wenn sich bei den Reden dieses Jahres den Zuhörern nicht nur „Genuss“ bereitet haben, so lag das nicht an den rhetorischen Fähigkeiten der Redner, sondern an den ernsten Themen. Ulrich Schellenberg, Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins, nutzte seine Begrüßungsrede, um gleich mehrere aktuelle Kontroversen aufzugreifen. So erneuerte er die Kritik an der Neufassung des § 53 b StPO, der beim

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Schutz vor Ermittlungsmaßnahmen zwischen Strafverteidigern und sonstigen Anwälten unterscheidet. Für diese „Spaltung der Anwaltschaft“ sei kein sachlicher Grund ersichtlich. Ernste Worte auch von Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, der die Dinner Speech des diesjährigen Anwaltsessen hielt: „Recht als Spiegel der Gesellschaft? – ein Zwischenruf“. Der Vizepräsident des DAV ging der Frage nach, welche Werte – und welches Bild der Menschenwürde – der richterlichen Rechtsfortbildung und der Gesetzgebung zugrunde liegen. Diese Frage erläuterte er an den Diskussionen in Politik, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zur embryonalen Stammzellenforschung, zum Folterverbot, zum „Kind als Schaden“ im Sinne des Zivilrechts. Graf Westphalen verfolgte hierbei auch stets den Konflikt zwischen Recht und Menschenwürde auf der einen – und Mehrheitsprinzip auf der anderen Seite: es könnte nicht ernsthaft zweifelhaft sein, „dass das „Recht“ als geschriebenes und praktiziertes „Recht“ gerade nicht der „Spiegel der (jeweiligen) Gesellschaft“ sein darf.“ Rechtsanwalt Christian Christiani, Berlin

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Rechtsanwalt Stefan Heinrichs, Berlin

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Der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins Ulrich Schellenberg begrüßte Renate Künast (Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen).

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Der Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter mit DAV-Vizepräsidentin Verena Mittendorf.

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Hielt die Dinner Speech: Der DAV-Vizepräsident Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen.

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DAV-Vorstandsmitglied Svend-Gunnar Kirmes (l.). mit dem Vorsitzenden des DAV-Landesverbandes Niedersachsen Uwe Kappmeyer.

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DAV-Vorstandsmitglied Margarete von Oppen.

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Die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue mit Ulrich Schellenberg.

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Erfolgreiche Juristinnen unter sich: Die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Berlin Rechtsanwältin

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Margret Diwell (l.), die Präsidentin des Kammergerichts Monika Nöhre (M.) und Rechtsanwältin Dr. Jutta Glock (Vorsitzende der Berliner Landesgruppe des Deutschen Juristinnenbundes). 8

Der Staatssekretär im Bundesjustizministerium Lutz Diwell mit Uta Fölster (Präsidentin des Amtsgerichts Berlin-Mitte).

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AG Versicherungsrecht

Neues zum Versicherungsvertragsrecht – Teilnehmerrekord 12. Symposium in Köln Das diesjährige 12. Symposium der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht in Köln hatte im Hinblick auf das am 1. Janaur 2008 in Kraft tretende Versicherungsvertragsrecht seinen Schwerpunkt auf die Auswirkungen der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes in der praktischen Anwendung gelegt. Unter dem Eindruck des neuen Versicherungsvertragsrecht war das Symposium mit 250 angemeldeten Mitgliedern so stark besucht wie nie zuvor in der nunmehr 12-jährigen Geschichte der Arbeitsgemeinschaft. Dieser Umstand war nicht nur auf den großen Informationsbedarf der Mitglieder zurückzuführen, sondern auch auf die Zusammenstellung herausragender Referenten, die den Teilnehmern die Einzelheiten des neuen Versicherungsvertragsgesetzes facettenreich erläuterten. Die Veranstaltung wurde in diesem Jahr wieder vom Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht, Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren in seiner gewohnt souveränen und humorvollen Art geleitet. Informationen aus erster Hand Den Auftakt der Referate gab Professor Dr. Helmut Schirmer, Berlin, mit einem Referat über die „Grundzüge des neuen Versicherungsvertragsgesetzes“. Es gelang ihm, den Teilnehmern einen pragmatischen Überblick über das neue Versicherungsvertragsgesetz zu verschaffen. Er stellte das Spannungsfeld zwischen der Gestaltungsfreiheit der Versicherungsunternehmen und den nunmehr stark in das Versicherungsvertragsgesetz integrierten Verbraucherschutzgedanken dar. Vom Gesetzgeber sei zudem in zahlreichen Rechtsgebieten die bisherige versicherungsvertragsrechtliche Rechtsprechung in das neue Gesetz übernommen worden. Im Anschluss trug der Ministerialrat Volker Schöfisch aus dem Bundesministerium der Justiz, sein Referat zu den „Beratungs- und Informations44

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pflichten bei Vertragsabschluss“ vor. Der Referent gab einen detaillierten Überblick über die neuen §§ 6 ff VVG, die zur Umsetzung von Verbraucherschutzinteressen in das neue Gesetz integriert wurden. Ein weiterer Schwerpunkt des Referats war die Abschaffung des Policen-Modells. Er wies darauf hin, dass der deutsche Gesetzgeber aufgrund von europarechtlicher Vorgaben gehalten war, das in der Versicherungspraxis lang bewährte Policen-Modell abzuschaffen. Abschließend erläuterte der Referent noch das Produkt-Informationsblatt der VVG-Informationspflichteng-Verordnung. Im letzten Vortrag des ersten Tages schilderte Ministerialrat Ulrich Schönleiter aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie den Teilnehmern die Umsetzung der Versicherungsvermittlungsrichtlinie. Dieser Vortrag ergänzte die übrigen Referate zur VVG-Reform in hervorragender Weise, da Teile des Versicherungsvermittlergesetzes Eingang in das neue Versicherungsvertragsgesetz gefunden haben. Zunächst gab der Referent einen kurzen Überblick über den gesamten Gang des Gesetzgebungsverfahrens, bevor er sich mit der neuen Definition des Versicherungsvermittlers intensiv auseinandersetzte. Danach verschaffte Herr Schönleiter den Teilnehmern eine beeindruckende Übersicht über das neue Registrierungsverfahren sowie über die Neuerungen zur Berufshaftpflichtversicherung. Er schloss seinen Vortrag mit einer Darstellung der Übergangsregelungen ab. Obliegenheiten und Gefahrerhöhungen Der zweite Tag wurde mit einem Referat von Joachim Felsch, Richter am Bundesgerichtshof, eröffnet. Unterstützt durch eine eindrucksvolle visuelle Präsentation gab Felsch eine dezidierte Einführung zu den „Neuregelungen von Obliegenheiten und Gefahrerhöhungen“ und deren Sanktionssystem. Hierbei legte er seinen Schwerpunkt auf die neuen Kausalitätsregelungen sowie die Konsequenzen, die aus dem Wegfall des Allesoder-nichts-Prinzips resultierenden quotalen Leistungskürzungsrechte entstehen. Er stellte erste persönliche Überlegungen an, wie dieses Problem von der Praxis gelöst werden könnte. Anschlussreferent war Professor Wolfgang Römer, Richter am BGH a. D. und Versicherungs-Ombuds-

mann, der seinen Referatsschwerpunkt auf die Lebensversicherung legte. Der Referent kritisierte zunächst die Versicherungswirtschaft, die es nach seiner Meinung versäumt habe, das Produkt „Lebensversicherung“ an die veränderten Lebensumstände und veränderten Wertungen ihrer Kunden anzupassen. Durch die höchstrichterlichen Urteile zu den intransparenten Klauseln der Lebensversicherung und die sich daran anschließende Diskussion in den Medien, haben nach Ansicht von Römer dazu geführt, dass die Lebensversicherung zukünftig weitaus stärker gesetzgeberisch reguliert wird als in der Vergangenheit. Abschließend referierte er zu den Neuregelungen zur Überschussbeteiligung und zu den Rückkaufswerten. Den Abschluss der Referate bildete ein Vortrag des Rechtsanwalts Dr. Knut Höra aus Frankfurt. Er gab den Teilnehmern des Symposiums eine Übersicht über die „materiellen und prozessualen Klippen in der Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung“. Seinen Schwerpunkt des Referats legte er auf das Umstellungsszenario, womit er viele Anregungen für die forensisch tätigen Kollegen gab. Ehrenmitgliedschaft Die Abendveranstaltung wurde wie auch in den letzten Jahren von Rechtsanwältin Monika Maria Risch mit ihrem sicheren Gespür für außergewöhnliche Orte organisiert. Die zu einem Veranstaltungszentrum umgebaute alte Vulkanhalle bildete den Rahmen, in welchem dem Richter am BGH a.D. und Versicherungsombudsmann, Prof. Wolfgang Römer, die Ehrenmitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht überreicht wurde. Rechtsanwalt Dr. Christian Fitzau, Hamburg

DIe nächste Veranstaltung der AG Versicherungsrecht ist die 3. Berliner Fachtagung, die vom 23. bis 24. Mai 2008 stattfindet. Diese Tagung wird zusammen mit der AG Verkehrsrecht angeboten. Weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht und deren Veranstaltungen finden Sie unter www.davvers.de.

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Aus der Arbeit des DAV

AG Anwältinnen

Vom Präsentieren und Netzwerken – Anwältinnen unter sich Herbstkonferenz in Berlin Die Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen – erst 2004 auf dem Deutschen Anwaltstag gegründet – hat mit ihrer Herbstkonferenz bereits einen Klassiker im Programm. In diesem Jahr trafen sich die Anwältinnen in Berlin. Mehr als 150 Mitglieder, Teilnehmerinnen und Gäste aus dem In- und Ausland haben sich vom 18. bis 20. Oktober in Berlin zum Konferenzthema „Anwältinnen verhandeln, präsentieren und kommunizieren“ zusammengefunden. Die Konferenz wurde durch die Festrede der Präsidentin das Kammergerichts Monika Nöhre am ersten Abend eröffnet. Gleich im ersten Fachvortrag führte die Unternehmensberaterin Schifra Wittkopp mit den wichtigsten 25 „Do’s and Dont’s“ in das kleine Einmaleins des Netzwerkens ein. Mit Blick über das Regierungsviertel im neuen Berliner Hauptbahnhof konnten die Teilnehmerinnen das Erlernte gleich ausprobieren. Am ersten Konferenztag in der Kalkscheune, einem charmant umgebauten Industriebau der Jahrhundertwende in der Mitte Berlins, begrüßte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Mechtild Düsing die Teilnehmerinnen. Anschließend machte die Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Berlin, Dr. Margarete von Galen, Anwältinnen Mut, sich in den Rechtsanwaltskammern zu engagieren. Von Hollywood lernen Das hierfür (auch) erforderliche Rüstzeug vermittelte die Unternehmensberaterin und Autorin Agnes Kunkel mit dem ersten Fachvortrag „Von Hollywood lernen – weibliche Spezifika beim Verhandeln“. Im Anschluss daran gab Rechtsanwältin Dr. Auer-Reinsdorff Tipps zu Emailkommunikation und Website der Anwältin. Am Nachmittag folgten drei Workshops zum Themenbereich Präsenz und Präsentieren. Bei der Abendveranstaltung in der Friedrichstraße erwartete die Teilnehmerinnen nach einer kurzen Begrü-

ßung durch die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue eine Podiumsdiskussion. Mit Renate Künast (Rechtsanwältin und Bundestagsabgeordnete), Heidi Hetzer (Geschäftsführerin der Hetzer GmbH & Co Automobil KG) und Dr. Zümrüt Gülbay-Peischard (Professorin für Wirtschaftsrecht) konnten Repräsentantinnen verschiedener Altersstufen gewonnen werden, die lebhaft und durchaus kontrovers zu der Frage diskutierten, was hat sich getan seit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes vor 50 Jahren. Die Erfahrungen der Podiumsteilnehmerinnen, sich in einer männerdominierten Welt zu positionieren, wichen demgemäß auch voneinander ab. Während Heidi Hetzer als gelernte Kfz-Mechanikerin noch mit den Vorurteilen gegenüber Frauen in Männerberufen zu kämpfen hatte, sichert die Bildung von Allianzen das Überleben im heutigen Berufsalltag. Frau muss – auch mit dem Risiko, sich unbeliebt zu machen – schon Spaß an der Macht haben, um sich in der Männerwelt zu positionieren. Der Samstagvormittag war den Themen „Europa – eine Herausforderung für Anwältinnen“ und „Verhandeln mit Banken“ vorbehalten. Rechtsanwältin Sabine Feller berichtete über die Anforderungen an die Gründung einer Anwaltskanzlei im europäischen Ausland. Bei der anschließenden Diskussion stellten sich noch die aus Lyon, Amsterdam und Oslo angereisten Teilnehmerinnen vor, wobei schon erste Gegeneinladungen ausgesprochen wurden. Mitgliederversammlung In der anschließenden Mitgliederversammlung berichtete die 2. Vorsitzende Silvia Groppler über die Entwicklung und Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft, die Arbeit der Regionalgruppen und das Mentoring-Programm. Dr. Auer-Reinsdorff schied mit den Worten „wenn es am schönsten ist, soll man gehen“ aus dem Geschäftsführenden Ausschuss aus. Um die freigewordenen Positionen hatten sich, nicht zuletzt angestoßen durch die Konferenz, mehrere Kolleginnen beworben. Im Ergebnis wurde Ulrike Badewitz und Sandra Staber als neue Mitglieder in den Geschäftsführenden Ausschuss gewählt und mit Sabine Marx eine neue Regionalbeauftragte für Hamburg gewonnnen.

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Podiumsdiskussion mit (v. l. n. r.) Prof. Dr. Zümrüt Gülbay-Peischard, Annette Wilmes (Moderatorin und Journalistin), Heidi Hetzer (Unternehmerin), Renate Künast (Politikerin und Rechtsanwältin).

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Die Vorsitzende der AG Anwältinnen Mechtild Düsing (M.) mit der Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue (l.) und Rechtsanwältin Silvia C. Groppler (Geschäftsführender Ausschuss der AG Anwältinnen, r.).

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Der neu gewählte Geschäftsführende Ausschuss der AG Anwältinnen (v.l.n.r.): Sandra Staber, Sabine Feller, Silvia C. Groppler, Mechtild Düsing, Ulrike Badewitz und Heike Brüning-Tyrell (es fehlt Silke Stachowiak).

Das Programm hat den Geschmack der Anwältinnen getroffen: Allein aufgrund der Konferenz konnte die Arbeitsgemeinschaft neue Mitglieder gewinnen. Das ist ein schöner Erfolg. Rechtsanwa¨ltin Andrea Haaser, Berlin

Die nächsten Konferenzen der Arbeitsgemeinschaft finden im Rahmen des Deutschen Anwaltstags am 1. Mai 2008 in Berlin sowie vom 16.–18.10.2008 in Köln statt. Weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen und deren Veranstaltungen finden Sie unter www.dav-anwaeltinnen.de

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AG Mediation

Klein, aber fein: Mediation im Gesundheitsbereich Mediationstag in Hamburg Das Motto „Mediation im Gesundheitsbereich“ war bewusst gewählt. Der diesjährige Mediationstag sollte zeigen, wo – zum Beispiel – Betätigungsfelder für die Mediation zu erschließen sind. „Diagnose: Gestörtes Arzt-PatientenVerhältnis – Therapie Mediation?“, diese Frage sollte der Vortrag von Prof. Dr. jur. Christian Katzenmeier (Universität zu Köln) beantworten. Katzenmeier kritisierte den Zivilprozess, auch in Arzthaftungssachen, als langwierig, aufwendig, teuer, für die Parteien unverständlich, unpersönlich und von selektiver Wahrnehmung bestimmt und hob die Vorzüge der außergerichtlichen Konfliktbeilegung – niedrige Zugangsbarrieren, geringe Förmlichkeit, Nicht-Öffentlichkeit und umfassende, differenzierte Konfliktbeilegung – hervor. So weit, so gut. Nur: Die Regulierungsvollmacht liegt bei der Haftpflichtversicherung des Arztes. Also hat die Mediation in Arzthaftpflichtsachen wohl eher geringe Chancen, wie auch Rechtsanwalt Friedhelm Steinbusch (Aachen), meinte, der zum Thema „Management medizintechnischer Probleme“ eingeladen worden war. Umstrukturierungen Sehr viel besser sieht es für die Mediation bei „Konflikten bei der Umstrukturierung von sozialen Einrichtungen“ über die Paul Neuhäuser, der Sprecher der Geschäftsführung der St. Augustinus Kliniken gGmbH (Neuss) berichtete, aus. Ein Mediator, der selbst nicht aus dem Bereich sozialer Einrichtungen käme, müsse die Sprache der Ärzte und Verwaltungsdirektoren sprechen, in die Unternehmenskultur und deren Leitbilder hineinschauen und die Verträge richtig lesen können. Über „Erfahrungen mit Mediation im Gesundheitsbereich“ berichtete Rechtsanwalt Jörg Pahnke (Berlin). Pahnke ist es mit Hilfe eines Netzwerkes, in dem Personen mit verschiedenen Berufen aktiv sind, gelungen, Aufträge im Gesundheitsbereich zu akquirieren. Mit dem Thema „Integrationsmanagement“ befasste sich Rechtsanwältin und Mediatorin Doreen Klip46

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stein (Bonn), die ebenfalls im Gesundheitsbereich Fuß fassen konnte. Mit der „Auftragsklärung in der Mediation – das Happy End beginnt am Anfang“ interessierte Wirtschaftsmediatorin Anita v. Hertel (Hamburg) einen großen Teil der Zuhörer. Staatliche Anerkennung? Den Abschluss der Tagung bildete die Podiumsdiskussion „Staatlich anerkannter Mediator – closed shop für Mediation?“. Ist der Gesetzgeber tätig geworden, weil die Anbieter von Mediation nicht in der Lage sind, die Spielregeln für Mediation selbst aufzustellen? Das hat sich gewiss mancher gefragt, der sich in den letzten Monaten mit dem von Niedersachsen vorgelegten Gesetzentwurf befasst hatte. Mit dieser Frage eröffnete auch Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Monßen (Neuss), die von ihm glänzend moderierte Diskussion. Susanne Kirchhof war im Justizministerium Niedersachsen für den Gesetzentwurf zuständig. Sie berichtete über erste Reaktionen aus dem Landtag (vielen Abgeordneten war das Thema eher nicht vertraut) und die Reaktionen aus der Arbeitsgruppe der Justizstaatssekretäre (zuerst Staunen und Schweigen, dann: „Ihr habt es wirklich gemacht!“). Rechtsanwältin Prof. Dr. Renate Dendorfer (München), Mitglied des Ausschusses Außergerichtliche Konfliktbeilegung des DAV, hat den Gesetzentwurf – aus der Sicht der Ausbildungsanbieter – mit Erleichterung aufgenommen. Nach 15 Jahren habe sich die Mediation immer noch nicht durchgesetzt, jetzt müsse der Gesetzgeber tätig werden. Rechtsanwalt und Notar Dr. Rembert Brieske (Bremen), hielt es dagegen für falsch zu regeln, was nach seiner Auffassung nicht geregelt werden sollte. Zum einen passe eine gesetzliche Regelung nicht zu dem, was die Mediation postuliere. Zum anderen seien es einzelne Interessengruppen (Ausbildungsanbieter), die ihre Modelle durchzusetzen versuchten. Kirchhoff bestätigte, dass sich viele der Stellungnahmen, die zum Gesetzentwurf eingegangen seien, auf das Thema „Ausbildung“ konzentriert hätten ohne dass weitere Gemeinsamkeiten festzustellen gewesen seien. Zersplitterung des Marktes? Anita v. Hertel hielt eine weitere Zersplitterung des Marktes als Folge gesetzlicher Regelungen, durch die „staat-

Berichteten über die Arbeit der AG Mediation in der Mitgliederversammlung (v.l.n.r.): Angelika Rüstow (Geschäftsführerin des DAV) und die Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der AG Marcus Hehn (Vorsitzender), Rembert Müller, Dr. Rembert Brieske (auch DAV-Vizepräsident), Dr. Hans-Georg Monßen.

lich anerkannte Mediatoren“ geschaffen würden, für nicht unwahrscheinlich. Eine Stärkung des Sicherheitsgefühls bei den Verbrauchern und eine Erleichterung der Arbeitsbedingungen für die Mediatoren, die bereits im Geschäft seien, schien ihr ebenfalls möglich. Sie bestätigte als nach dem österreichischen Mediationsgesetz zugelassene Mediatorin im wesentlichen eine Prognose von Brieske: Gesetzliche Regelungen kommen grundsätzlich nicht denen zugute, die schon seit Jahren auf Fälle warten. Sie stärkten vielmehr eher die Marktsituation derer, die sich ohnehin bereits im Markt etabliert hätten. Der Entwurf Niedersachsens, der in dieser Legislaturperiode nicht mehr behandelt werden konnte, soll nach dem derzeitigen Kenntnisstand von Kirchhoff in der nächsten Legislaturperiode erneut in den Landtag eingebracht werden. Viele Verbände hätten sich allerdings gegen eine auf Niedersachsen beschränkte Regelung ausgesprochen, weshalb nicht auszuschließen sei, dass man von der Idee einer landesgesetzlichen Regelung Abstand nehmen könnte. Abwechslungsreich und lebhaft wie die Diskussionen war auch die Wetterlage: Neumond, Springflut, ein Wind, der in einzelnen Böen die Stärken 10 bis 12 erreichte, die heftigste Sturmflut seit 1999, die sich am frühen Abend ebenso plötzlich, wie sie gekommen war, wieder zurückzog. Dieses Naturschauspiel konnten die Teilnehmer vom unmittelbar am Hamburger Hafen gelegenen Tagungsort aus beobachten. Dank der eingetretenen Wetterberuhigung gelangten dann abends auch alle trockenen Fußes auf das „Feuerschiff“. Und: Keiner wurde seekrank! Rechtsanwa¨ltin Angelika Ru¨stow, Berlin

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Aus der Arbeit des DAV

AG Syndikusanwälte

Unternehmensrecht in der Praxis 14. Syndikusanwaltstag in Berlin Im Vordergrund des Jahrestreffens der Syndikusanwälte im DAV standen praktische Themen der täglichen Arbeit. Fast 200 Syndikusanwältinnen und anwälte waren Mitte November nach Berlin gekommen. Welche Rolle spielt das GmbH-Recht in der täglichen Beratungspraxis, fragte gleich zu Anfang Moderator Dr. KurtChristian Scheel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Das Meinungsbild war eindeutig: Fast jeder Syndikusanwalt betreut mindestens eine GmbH. Rechtsanwalt Dr. CordGeorg Hasselmann zeigte die wesentlichen Punkte der GmbH-Reform für die Beratungspraxis des Syndikus auf. Rechtsanwalt Dr. Gerhard Pietsch von der Mahle GmbH betonte, dass die GmbH ein Erfolgsmodell sei, dass auch in die Beratungen über die Europäische Privatgesellschaft (EPG) auf europäischer Ebene einfließen könne. Von Syndici – für Syndici Dieses Motto stand beim diesjährigen Syndikusanwaltstag im Zentrum der Veranstaltung. So berichtete Rechtsanwalt Dr. Koebke, Siemens AG, von den Schwierigkeiten, die aus einer falschen Schiedsgerichtsklausel entstehen können – nicht jedes Land eigne sich für Schiedsverfahren. Seine praktischen Ausführungen wurden eingerahmt durch den Vortrag von Prof. Dr. Ackermann zu kollisionsrechtlichen Spielräumen bei der Ausgestaltung von internationalen Verträgen. Sein erster Rat an den Syndikus: Der Wert des eigenen Rechts wird oft überschätzt. Ackermann gab in seinem Vortrag praktische Hinweise, wie gerade im B2B-Geschäft man mit der Anwendung ausländischen Rechts besser gestellt sei. Abgerundet wurde dieser Teil 1

Syndikusanwalt Dr. Siegfried Schwung.

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Rechtsanwalt Dr. Cord-Georg Hasselmann.

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Syndikusanwalt Dr. Matthias Leonardy.

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Prof. Dr. Thomas Ackermann.

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Der Vorsitzende der AG Syndikusanwälte Hans-Peter Benckendorff (r.) mit Rechtsanwalt Horst Piepenburg.

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Der Festabend fand im Bärensaal des Alten Stadthauses statt.

durch einen Vortrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf Schütze zu Gerichtsständen bei internationalen Verträgen. Die Wichtigkeit einer guten Kommunikation zwischen Syndikus und dem Insolvenzverwalter schilderten Michael Schmid, Siemens AG, Duisburg, und Rechtsanwalt Horst Piepenburg aus Düsseldorf. Piepenburg stellte in seinem sehr kurzweiligen Vortrag die Prioritäten des Insolvenzverwalters in verschiedenen Fallkonstellationen dar. Regen Zuspruch fand überdies am Ende des ersten Tages ein Vortrag zu den arbeitsrechtlichen Aspekten des AGG durch die Kollegin Dr. Ulrike Schweibert sowie die Ausführungen des Chefsyndikus von Ebay, Dr. Matthias Leonardy, zur zukünftigen rechtlichen Beratung im Bereich E-commerce. Akzo Nobel – Auf der Seite der Freiheit? Mit dieser Frage wurde der zweite Tag der Konferenz eröffnet, hervorgerufen durch das Urteil des Europäischen Gerichts Erster Instanz vom 17. September 2007. Die Syndikusanwälte zeigten sich enttäuscht über den fehlenden Mut des Gerichts, den Begriff der Unabhängigkeit tatsächlich zu definieren und dem Syndikusanwalt die Unab-

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hängigkeit in der Sache des Rechts zu attestieren, die das Berufsbild ausmacht. Es ist keine Entscheidung auf der Seite der Freiheit, so das Fazit Dr. Peter Hamachers. Kann man Verhandeln lernen? ... um auch die besseren Verhandlungen zu führen. Die brachte Rechtsanwalt Dr. Jörg Risse (Baker & McKenzie) den Teilnehmern anhand vieler praktischer Beispiele und Rollenspiele näher. „Verhandeln ist kein rationaler Prozess. Wer glaubt, es käme nur auf die besseren Argumente an, hat schon verloren.“ Der zweite Workshop am Freitagnachmittag bot Gelegenheit, die typischen Probleme einer kleinen Rechtsabteilung auszutauschen und zu überwinden. Ein Folgeworkshop vom 6. bis 8. März 2008 in Stuttgart bietet den Teilnehmern Gelegenheit sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Rechtsanwa¨ltin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Bru¨ssel

Die Vorträge des 14. Syndikusanwaltstags finden Sie auf unserer Webseite www.syndikusanwaelte.de. Am 3. Mai 2007 bietet die AG Syndikusanwälte eine Veranstaltung zum Thema „Freiheit des Unternehmers – Unabhängigkeit des Syndikusanwalts“ an.

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Aus der Arbeit des DAV

AG Anwaltsnotariat

Wie den Zugang zum Anwaltsnotariat regeln? Parlamentarisches Gespräch in Berlin Die AG Anwaltsnotariat hat Ende Oktober Bundestagabgeordnete zum Parlamentarischen Gespräch eingeladen. Mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundestag Andreas Schmidt an der Spitze kamen viele Abgeordnete in die Parlamentarische Gesellschaft. Hauptthema war der Zugang zum Anwaltsnotariat. In seiner Begrüßungsrede trug der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat, Rechtsanwalt und Notar Günter Schmaler, den anwesenden Rechtspolitikern kurz die Position der Anwaltsnotare zum eingebrachten (und inzwischen nicht weiterverfolgten) Gesetzesentwurf (Bt-Drs. 895/06) vor. Schmaler begrüßte zwar die Überlegungen zur Einführung einer notariellen Fachprüfung. Sie diene neben der Verbesserung der Bestenauslese auch der Steigerung der fachlichen Qualität

und der Wahrung der Chancengleichheit. Besonderes Anliegen des DAV sei aber die Verhinderung eines sog. 3. Staatsexamens. Um das zu erreichen, müsse die Prüfung auf notarspezifische Themen reduziert werden, unterstrich Schmaler, wobei die Anzahl der Klausuren ebenfalls zu reduzieren sei. Eine Einigung in dieser Frage sei auch mit der Bundesnotarkammer und den Niedersäschischen Notarkammern erzielt worden. Sinnvoll sei es demnach, die detaillierte Darstellung des Prüfungsstoffes einer Rechtsverordnung zu überlassen, was auch die Bundesnotarkammer unter Hinweis auf die Rechtswirklichkeit im 2. Staatsexamen bevorzuge. Insbesondere sei zu gewährleisten, dass die jungen Kollegen sich in für sie zumutbarer Weise auf das Notaramt vorbereiten können. Dass neben der Optimierung der Bestenauslese auch eine Verjüngung im Beruf stattfinden müsse, sei ein wünschenswerter Nebeneffekt, so Schmaler. Allerdings seien gerade die Kostenlost, der Zeitaufwand und vor allem die Unwägbarkeit einer späteren Bestellung oft zu beobachtende Hindernisse für die Entscheidung, sich dem Notarberuf zuzuwenden. Dies

müsse im Entwurf berücksichtigt werden. Zudem müsse die Zeit der anwaltlichen Tätigkeit weiterhin als Bewertungskriterium berücksichtigt werden. Die Parlamentarier nahmen diese Forderung der Anwaltsnotare mit Interesse auf. Notar kein Nebenberuf Besonderes Augenmerk wurde von den Bundestagsabgeordneten auf das von der Kommission erstrebte Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zur Frage der Vereinbarkeit des in § 5 BNotO normierten Staatsangehörigkeitsvorbehalts mit europarechtlichen Vorschriften gelegt. In wie weit sein Ausgang neue Fakten sowie Handlungs- und Anpassungsdruck schaffen werde, müsse abgewartet werden. Besprochen wurde zudem die Forderung des Anwaltsnotariats, die diskriminierende Formulierung des „Nebenberufs“ aus der BNotO zu streichen. Der Notarberuf stehe bei den Anwaltsnotaren vor allem auch im Zeichen der sinkenden Zahl von Notarstellen als vollwertiger Beruf neben dem Anwaltsberuf. Dies werde insbesondere auch deutlich durch die angestrebte Änderung der Zugangsregeln.

AG Verkehrsrecht

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27. Homburger Tage: Mehr als Fortbildung

ten den Fragen von Journalisten stellten.

Die Homburger Tage der AG Verkehrsrecht im Oktober sind mehr als eine Tradition. Zum 27. Mal angeboten, ist und bleibt die dreitägige Tagung der Treffpunkt für Rechtsanwälte im Verkehrsrecht. Unter den 200 Teilnehmern an der traditionsreichen, bundesweiten Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht befanden sich nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Vertreter der Versicherungswirtschaft sowie Richter zahlreicher Obergerichte. Allein 13 Richter am Bundesgerichtshof, unter ihnen die Vizepräsidentin des BGH, Dr. Gerda Müller, sowie der ehemalige Generalbundesanwalt, Kay Nehm, besuchten die Veranstaltung. Im Rahmen der Homburger Tage wurde auch ein Pressegespräch organisiert, bei dem sich die Referen-

BGH-Richter als Referenten Richter am BGH Karl-Hermann Zoll, Karlsruhe, referierte zu Fragen der Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen, die sich dem Verkehrsjuristen in seiner praktischen Arbeit permanent stellen. Er wies darauf hin, dass die Fragen der Haftungsverteilung oft aus rechtlichen, aber auch aus tatsächlichen Gründen von den Unfallbeteiligten und den Haftpflichtversicherern sowie deren Rechtsanwälten und auch von den Gerichten nicht zutreffend beurteilt werden. Der Vortrag von Richter am BGH Roland Wendt diente der vertiefenden Betrachtung von zahlreichen Problemen aus dem Bereich der Rechtschutzversicherung, mit denen der IV. Zivilsenat des BGH seit 2003 befasst worden ist. Insbesondere ging er auf die Bestimmung des Rechtschutzfalles

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ein, von der unter anderem abhängt, ob eine Rechtschutzversicherung den von dem Versicherungsnehmer zu führenden Rechtsstreit zeitlich überhaupt erfasst. Prof. Dr. Hans-Jürgen Kock von den Hochtaunuskliniken (Bad Homburg) führte in die problematische Materie der medizinischen Begutachtung von Unfallverletzungen ein. Er machte speziell auf die Problematik der Beauftragung sowie der Auswahl eines Gutachters aufmerksam. Den Abschluss bildete der Vortrag „Rechtsfragen zum Punktsystem“ von Rechtsanwalt und Notar Ulrich Ziegert (Lüneburg). Dieser wird im nächsten Heft der ZfS abgedruckt werden. Anfang 2008 werden sämtliche Vorträge der Homburger Tage 2007 in der Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht veröffentlicht werden. Rechtsanwa¨ltin Bettina Bachmann, Berlin

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Aus der Arbeit des DAV

Auch in der anschließenden Diskussion am großen Tisch zeigten die Rechtspolitiker Verständnis für die Sorgen und Nöte der Anwaltsnotare. Wichtig sei den Parlamentariern, dass die jeweiligen Interessengruppen „mit einer Stimme“ sprächen. Diese Einigung zu finden sei auch Ziel der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat. „Wir sind auf einem guten Weg“, beendete Schmaler als Fazit den gelungenen parlamentarischen Abend in Berlin. Rechtsanwalt Peter Altemeier, Berlin

AG Anwaltsnotariat

Newsletter gestartet Die Arbeitsgemeinschaft hat im November ihr Serviceangebot vergrößert. Neben der eigenen Homepage und den Fachtagungen bietet sie ihren Mitgliedern und interessierten Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotaren künftig einen Email-Newsletter. Die Arbeitsgemeinschaft informiert darin über aktuelle Fragen rund um das Anwaltsnotariat. In gebotener Kürze wird neben rechts- und europa-

politischen Themen auch die aktuelle notarspezifische Rechtsprechung aufbereitet. Darüber hinaus erhalten die Leser Einblicke in die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft und werden über Fachtagungen und Veranstaltungen informiert. Der Newsletter erscheint noch in unregelmäßigen Abständen. Geplant ist ein sechswöchiger Rhythmus. „Die Kommunikation unter den Anwaltsnotaren ist wichtig“, betonte Rechtsanwalt und Notar Günter Schmaler, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat im DAV. Das Anwaltsnotariat stehe vor großen Herausforderungen, denen man sich stellen müsse, so Schmaler in seinem Anschreiben an die knapp 5.600 Anwaltsnotare in Deutschland. Rechtsanwalt Peter Altemeier, Berlin

Informationen zur AG Anwaltsnotariat unter www.anwalts-notariat.de.

Gründungsversammlung AV Italien (v.l.n.r.): RAin Evelyn Schlick, Avv. & RAin Paola della Campa, LL.M., RA Mark Rohde, Avv. & RA Dr. Stephan Grigolli und Avv. Flaviano Fernando D’Ubaldo). Avv. Franco Lettieri war verhindert.

DAV aktuell

Deutscher Anwaltverein Italien gegründet Am 23.10.2007 ist in Mailand der Deutsche Anwaltverein Italien gegründet worden und dem Deutschen Anwaltverein zum 1.11.2007 beigetreten. Damit sind 249 örtliche Anwaltvereine Mitglied im DAV. Auslandsvereine gab es bisher in Frankreich und Großbritannien. Der Deutsche Anwaltverein Italien unter dem Vorsitz von Dr. Stephan Grigolli, Rechtsanwalt und Avvocato plant bereits die ersten Veranstaltungen seines Vereins. Wir wünschen ihm bei seinen Aktivitäten viel Erfolg. Rechtsanwa¨ltin Heidemarie Haack-Schmahl, Berlin

Anwaltverein Stuttgart

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Im Laufen werben – geht das? „Guck’ mal da, Anwälte, was machen die denn hier?“, fragte eine sportbegeisterte Zuschauerin ihre Freundin beim Stuttgarter Zeitung-Lauf im Sommer 2007, als sie auf der Mercedes-Straße vor dem Gottlieb-DaimlerStadion den Stand des Anwaltvereins Stuttgart sieht. „Und schau’ mal, da laufen sogar Anwälte im Trikot mit der Aufschrift Vertrauen ist gut – Anwalt ist besser‘ beim Halbmarathon mit“, wunderte sich die Freundin und sammelte kräftig Informationsbroschüren am Stand ein. „Selten sind wir so überrannt worden“, freute sich Rechtanwalt Klaus-Peter Hemmler. „Eine bessere Promotionaktion für den Stuttgarter Anwaltverein konnte man sich kaum vorstellen“, so sein Resümee. Der Anwaltverein Stuttgart veranstaltete in diesem Jahr erstmalig

eine Sonderwertung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Rahmen des Stuttgarter Zeitungs-Laufs – mit großem Erfolg! 35 Anwältinnen und Anwälte gingen beim Halbmarathon am 24. Juni 2007 im professionellen Lauf-Trikot des Stuttgarter Anwaltvereins an den Start. Bei herrlichem Sommerwetter erlief sich Rechtsanwalt Alexander Rilling mit der beachtenswerten Laufzeit von 01:20:32 den ersten Platz. Zum Vergleich die Zeit des Gesamtsiegers des Halbmarathons: 01:10:11. Als zweiter der Sonderwertung kam Rechtsanwalt Dr. Frank Hahn nach einer Laufzeit von 01:23:29 ins Ziel. Den dritten Platz belegte Rechtsanwalt Dr. Manfred Sohn mit einer Laufzeit von 01:36:42.

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V.l.n.r.: Rechtsanwältin Dr. Annett Böhm, Rechtsanwalt Dr. Frank Hahn, Rechtsanwalt Dr. Manfred Sohn, Rechtsanwalt Alexander Rilling, Rechtsanwalt Tobias Reyher.

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Knapp 10.000 Läufer gingen beim LBS-Halbmarathon an den Start.

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Strahlender Sieger der Sonderwertung: Rechtsanwalt Alexander Rilling.

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Unter dem Motto der DAV-Werbekampagne: Das Lauftrikot des Stuttgarter Anwaltvereins.

Rechtsanwa¨ltin Anke Haug, Stuttgart

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Aus der Arbeit des DAV

AG Baurecht

Geänderte Tagesordnung zur Mitgliederversammlung 2008 Am 8. März 2008 findet im Dorint Hotel Sanccoussi in Potsdam (Jägerallee 20, 14469 Potsdam) die Jahresmitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein statt. Eine erste Einladung zu dieser Mitgliederversammlung wurde bereits in AnwBl 12/2007, 839 veröffentlicht. Der Geschäftsführende Ausschuss der ARGE Baurecht hat auf seiner letzten Sitzung beschlossen, die Dauer der Mitgliederversammlung zu verlängern und die Tagesordnung zu ergänzen. Die Mitgliederversammlung ist nun vorgesehen von 12.45 bis 14.30 Uhr und vorgeschlagen ist folgende Tagesordnung: 1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia 2. Jahresbericht für 2007 3. Imagekampagne, Pressearbeit, Online-Präsenz, Budget 3a. Teilnahme EXPO REAL? Sonderumlage 20 E pro Mitglied für das Jahr 2009 4. Bericht des Schatzmeisters für 2007 5. Bericht der Kassenprüfer für 2007 6. Aussprache und Entlastung 7. Wahl der Kassenprüfer für 2008 8. Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss 9. Verschiedenes Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin

AG Medizinrecht

Mitgliederversammlung Der Geschäftsführende Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein lädt alle Mitglieder zur Mitgliederversammlung am Freitag, 7. März 2007, 18.00 Uhr ein. Die Mitgliederversammlung findet im Rahmen der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht statt. Vorschlag zur Tagesordnung: 1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 50

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5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers 7. Sonstiges Anträge zur Tagesordnung sind bis spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung an den Geschäftsführenden Ausschuss, unter der Anschrift: Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, Littenstraße 11, 10179 Berlin, zu richten und müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Informationen zur Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht, die vom 7. bis 8. März 2008 im Hilton Bremen stattfindet, finden Sie unter www.ag-medizinrecht-dav.de.

AG Erbrecht

Erbrechtstag und Mitgliederversammlung Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins lädt zum Dritten Deutschen Erbrechtstag vom 29.2. und 1.3.2008 und zur Mitgliederversammlung 2008 in Berlin ein. Die Mitgliederversammlung findet am Sonnabend, 1. März 2008, 15 Uhr, im Hotel Palace Berlin, Budapester Straße 45, 10787, statt. Der Geschäftsführende Ausschuss gibt die Tagesordnung bekannt: 1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers 7. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung beim Geschäftsführenden Ausschuss eingehend unter der Anschrift: Arbeitsgemeinschaft Erbrecht des DAV, Littenstraße 11, 10179 Berlin, zu stellen und müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Eine Anzeige mit dem Programm des Dritten Deutschen Erbrechtstages finden Sie in diesem Heft. Weitere Informationen zur Anmeldung erhalten Sie über die Deutsche Anwaltakademie, Tobias Hopf, Littenstr. 11, 10179 Berlin, Tel.: 030/ 72 61 53 – 180, Fax: -188, [email protected].

AG Strafrecht

Ehrenpreis „pro reo“ verliehen

Der Vorsitzende der AG Strafrecht Werner Leitner (l.) mit (v.l.n.r.) Verina Speckin (Legal Team), Martin Lemke (Laudator), Ulrike Donat (Legal Team) und Prof. Dr. Lutz Meyer-Goßner (Mitglied der Jury).

Die Arbeitsgemeinschaft Strafrecht hat anlässlich ihrer Herbsttagung am 10. November 2007 zum vierten Mal den Ehrenpreis „pro reo“ verliehen. Dieses Jahr ehrt sie das „legal team“ für seine herausragenden Verdienste um das Anwaltskonsultationsrecht und für das Angebot eines anwaltlichen Notdienstes anlässlich des G8-Gipfels in Rostock/Heiligendamm. Rechtsanwalt Werner Leitner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht, führte zur Begründung aus, dass die Anwältinnen und Anwälte vor Ort mit großem persönlichen Einsatz und ehrenamtlich Rechtsbeistand koordiniert, Demonstrationen begleitet, versammlungsrechtliche Maßnahmen geprüft, Betroffene in Gefangenensammelstellen betreut und damit Beratung und Verteidigung sichergestellt hätten. Das „legal team“ steht als Preisträger auch für die vielen anwaltlichen Notdienste, die sich in der Bundesrepublik etabliert haben. Der erste anwaltliche Notdienst wurde vor 25 Jahren in Hamburg eingerichtet (in der Stadt, in der in diesem Jahr der Preis verliehen wurde). Der Preis wurde stellvertretend für das „legal team“ von den Rechtsanwältinnen Ulrike Donat und Verina Speckin entgegengenommen. In seiner Laudatio würdigte Rechtsanwalt Martin Lemke das außerordentliche Engagement des „legal team“, dem über 100 Rechtsanwälte angehört haben. Das Team sei rund um die Uhr im Einsatz gewesen, da in der Woche des Gipfels weit über 1.000 Personen festgesetzt wurden. Rechtsanwa¨ltin Bettina Bachmann, Berlin

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Mitteilungen

Zivilverfahren _______________________________________________________

Europäisches Bagatellverfahren ab 2009 Small-Claims-Verordnung für grenzüberschreitende Forderungen bis Euro 2.000 Rechtsanwalt Curt Engels, Hamburg

Die EG-Verordnung zur Regelung des europäischen Bagatellverfahrens in Zivilsachen wird in einem Jahr, zum 1. Januar 2009, in Kraft treten. Der Beitrag stellt die Verordnung vor. Sie wird häufig zusammen dem Europäischen Mahnverfahren erwähnt. Diese EG-Verordnung rund drei Wochen vorher zum 12. Dezember 2008 in Kraft treten (siehe dazu Engels, in diesem Heft ab Seite 53). Beschlossen vom europäischen Rat der Justizminister am 13. Juni 2007, schafft die Verordnung ein einheitliches europäisches Zivilverfahren vor den Gerichten der Mitgliedstaaten der europäischen Union – mit Ausnahme Dänemarks. Sie will die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung von Forderungen bis zur Höhe von Euro 2.000 verbessern. Für Rechtsstreitigkeiten innerhalb Deutschlands gilt die Verordnung nicht. In grenzüberschreitenden Angelegenheiten kann der Kläger künftig wählen, ob er das neue Verfahren nach der Small-Claims-Verordnung oder je nach Sachlage das deutsche oder ausländische Zivilverfahren nutzen will.

1. Anwendungsbereich Im Anwendungsbereich der Verordnung können auch Gegenforderungen im Wege der Widerklage gleichfalls bis zur Höhe von Euro 2.000 erhoben werden, wenn diese sich auf dem Streitgegenstand der Klage beziehen. Überschreitet die Gegenforderung diesen Grenzwert, werden Klage und Widerklage nicht nach dem EU-Verfahren für geringfügige Forderungen, sondern nach Maßgabe des Verfahrensrechtes des Mitgliedstaats, in welchem das Verfahren durchgeführt wird, behandelt. Die Aufrechnung gegen den Klaganspruch ist nicht als Gegenforderung im Sinne einer Widerklage zu verstehen. Nach der EU-Verordnung über geringfügige Forderungen können nur Ansprüche auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts eingeklagt werden. Vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen sind u. a. öffentlichrechtliche Forderungen, Staatshaftungssachen, Forderungen aus ehelichem Güterstand und Erbrecht, Unterhaltsansprüche, arbeitsrechtsrechtliche Ansprüche, Miete und Pacht unbeweglicher Sachen, hier jedoch ausgenommen Klagen im Zusammenhang mit einer Geldforderung. Auch Ansprüche aus Verletzung der Privatsphäre oder des Persönlichkeitsrechts können im Rahmen der EU-Verordnung nicht eingeklagt werden.

2. Verfahrenseinleitung Die Klage ist zu erheben mittels eines Standardformblattes mit gut verständlichen Ausfüllungsanleitungen. Darin vorEuropäisches Bagatellverfahren, Engels

gesehen ist eine Beschreibung der Beweise zur Untermauerung der Forderung; zweckdienliche Beweisurkunden können beigefügt werden. Hat das Gericht gegen die Anwendbarkeit der EU-SmallClaims-Verordnung Bedenken, so teilt es dies dem Kläger mit und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme, ggf. zur Klagrücknahme. Bleiben Stellungnahme oder Klagrücknahme aus, weist es die Klage als unzulässig ab. Bei Lücken oder Unklarheiten im Klagvortrag kann das Gericht vom Kläger ergänzende Angaben einfordern.

3. Weiterer Verfahrensgang Die als zulässig erachtete Klage wird dem Beklagten binnen zwei Wochen nach Eingang bei Gericht zugestellt. Der Beklagte hat 30 Tage Gelegenheit, sie zu beantworten. Eine Klagbeantwortung ist wiederum innerhalb 14 Tagen nach Eingang dem Kläger zuzuleiten. Auch hier kommen Standardformulare zur Anwendung. Macht der Beklagte geltend, der Wert seiner nicht in Geld ausgedrückten Forderung übersteige den Grenzwert von Euro 2.000, so entscheidet das Gericht innerhalb von 30 Tagen darüber, ob die Gegenforderung in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Die Entscheidung hierüber kann nicht separat angefochten werden. Wo die Gegenforderung den Wert von Euro 2.000 übersteigt, wird über Klage und Widerklage nicht mehr nach dem EU-Verfahren für geringfügige Forderungen, sondern nach Maßgabe des Verfahrens des Mitgliedsstaats, in welchem das Verfahren durchgeführt wird, entschieden. Mit dem Gericht ist in seiner Sprache zu korrespondieren. Werden ihm Schriftstücke in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache vorgelegt, kann es nur dann eine Übersetzung in die Verfahrenssprache anfordern, wenn diese für die Entscheidung erforderlich erscheint. Das Verfahren wird grundsätzlich schriftlich durchgeführt werden. Eine mündliche Verhandlung findet nur statt, wenn das Gericht sie für erforderlich hält oder eine Partei sie beantragt. Den Parteien ist beim Ausfüllen der Formulare durch die Gerichte an ihrem Wohn- und Geschäftssitz Hilfestellung zu gewähren. Das Gericht unterrichtet die Parteien soweit erforderlich über Verfahrensfragen und bemüht sich im Rahmen der Angemessenheit um eine gütliche Einigung. Es gilt das Verfahrensrecht am Sitz des Gerichts, soweit die Verordnung nichts anderes bestimmt. Schriftstücke sind auf dem Postweg mit Empfangsbestätigung zuzustellen. Wo das Gericht Fristen setzt, hat es die betroffene Partei über die Auswirkungen einer Nichtbeachtung der Frist zu informieren. Die Gewährung von Fristverlängerung ist möglich. Anwaltszwang besteht im Rahmen des EU-Small-ClaimsVerfahrens nicht.

4. Entscheidung Innerhalb von 30 Tagen nach fristgerechtem Eingang der Parteierklärungen hat das Gericht eine Entscheidung zu erlassen, indem es 9 ein Urteil erlässt oder es in der Weise verfährt, dass 9 es Auskünfte von den Parteien anfordert oder 9 eine Beweisaufnahme anordnet oder AnwBl 1 / 2008

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Mitteilungen

zu einer mündlichen Verhandlung lädt, die innerhalb von 30 Tagen nach Vorladung stattfinden soll. Ein ergangenes Urteil ist ohne Rücksicht auf ein mögliches Rechtsmittel sofort vollstreckbar. Die Vollstreckung bedarf keiner vorherigen Sicherheitsleistung. Die unterlegene Partei trägt die Kosten des Verfahrens. Es werden der obsiegenden Partei jedoch solche Kosten nicht zugesprochen, die nicht notwendig waren oder in keinem Verhältnis zur Klagforderung stehen.

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5. Rechtsmittel Ob und wie weit Rechtsmittel zulässig sind, regelt sich nach dem nationalen Recht des angerufenen Gerichts.

6. Überprüfung des Urteils Die unterliegende Partei hat das Recht, fehlende Mindeststandards des im Small-Claim-Verfahren ergangenen Urteils daraufhin überprüfen zu lassen, ob 9 ihr die Klage (Antragsformblatt) oder die Ladung zur Verhandlung bei fehlender persönlicher Empfangsbestätigung (z. B. Briefkasteneinwurf) – ordnungsgemäß zugestellt wurde und 9 die Zustellung ohne eigenes Verschulden nicht so rechtzeitig geschehen ist, daß sie Vorkehrungen für ihre Verteidigung hätte treffen können oder 9 sie aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände schuldlos daran gehindert war, der Klage entgegenzutreten. Ein Überprüfungsantrag ist unverzüglich zu stellen. Er dient der Möglichkeit, im Falle der Zustellung der Klage in Abwesenheit des Beklagten und damit etwa verhinderter rechtzeitiger Rechtsverteidigung ähnlich einem Wiedereinsetzungsverfahren dem Antragsteller ein faires Verfahren zu gewährleisten. Führt das Überprüfungsverfahren zur Feststellung des Gerichts, dass ein Überprüfungsgrund nicht vorliegt, bleibt das Urteil rechtsgültig. Befindet das Gericht, dass einer der genannten Überprüfungsgründe vorliegt, so ist das im EUVerfahren ergangene Urteil kraft Gesetzes nichtig und wird dies förmlich durch Entscheidung festzustellen sein. Es handelt sich um eine Art von Kassationsverfahren.

7. Anerkennung und Vollstreckung des Urteils Im EU-Verfahren über geringfügige Forderungen ergangene Urteile werden in einem anderen Mitgliedsstaat anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarkeitserklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann, wenn die Entscheidung vom Gericht des Erkenntnisverfahrens unter Verwendung eines diesbezüglichen Formulars als europäische Entscheidung bestätigt worden ist. Die Bestätigung ist kostenlos zu erteilen. Die Vollstreckung aus einem EU-Small-Claims-Urteil geschieht in allen Mitgliedstaaten der EU unter den gleichen Bedingungen wie ein dort ergangenes Urteil. Es muss den Vollstreckungsbehörden eine Kopie des Urteils nebst einer Kopie des Formblattes über die Bestätigung als europäische Entscheidung vorgelegt werden. Ggf. wird es erforderlich sein, für die Vollstreckungsorgane eine Übersetzung in die 52

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Amtssprache des Vollstreckungsstaats durch einen anerkannten Übersetzer beizufügen. Es kann die Vollstreckung des im EU-Verfahren ergangenen Urteils auf Antrag des Schuldners ausnahmsweise verweigert werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: 9 Es ist das im EU-Verfahren ergangene Urteil mit einer früheren Entscheidung in einem Staat der EU oder in einem Drittland unvereinbar, welche zwischen denselben Parteien wegen desselben Streitgegenstandes bereits ergangen ist; 9 Es ist das frühere Urteil im Vollstreckungsmitgliedsstaat ergangen und es sind die notwendigen Voraussetzungen für dessen Anerkennung im Vollstreckungsmitgliedstaat erfüllt und 9 Es war die Unvereinbarkeit im gerichtlichen Verfahren des Ursprungsmitgliedstaats im EU-Small-Claims-Verfahren nicht geltend gemacht worden und hatte dort auch nicht geltend gemacht werden können. Ein im EU-Verfahren über geringfügige Forderungen ergangenes Urteil selbst darf im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache nicht nachgeprüft werden. Eine Vollstreckungsgegenklage aufgrund nachträglich entstandener Tatsachen, die den titulierten Anspruch berühren, ist indessen möglich wie diese gegen jeden anderen nationalen Vollstreckungstitel auch zulässig ist.

8. Vollstreckungseinstellung Wo ein im EU-Small-Claims-Verfahren ergangenes Urteil angefochten oder seine Anfechtung noch möglich oder seine Überprüfung wegen Verstoßes gegen Mindeststandards beantragt ist, können das Gericht oder die zuständige Behörde im Vollstreckungsmitgliedsstaat Vollstreckungsmaßnahmen beschränken, von einer Sicherheitsleistung abhängig machen oder in besonderen Fällen das Vollstreckungsverfahren aussetzen.

9. Anpassung des deutschen Rechts Die Bundesregierung hat im Oktober 2007 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung veröffentlicht, wonach Anpassungen der Zivilprozessordnung insbesondere im Buch 11 vorgesehen sind. In einem neu zu schaffenden Abschnitt 6 wird §§ 1097–1108 ZPO für das europäische Verfahren über geringfügige Forderung nach der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 in das nationale Recht integriert.

Curt Engels, Hamburg Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des Zivilverfahrensrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

Europäisches Bagatellverfahren, Engels

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Mitteilungen

Zivilverfahren _______________________________________________________

Das europäische Mahnverfahren EG-Verordnung tritt am 12. Dezember 2008 in Kraft Rechtsanwalt Curt Engels, Hamburg

Die Anwälte müssen sich für grenzüberschreitende Forderungen auf neue Verfahren einstellen. Noch in diesem Jahr kommt das europäische Mahnverfahren. Die EG-Verordnung wird am 12. Dezember 2008 in Kraft treten. Wenig später wird zum 1. Januar 2008 die EG-Verordnung zum Bagatellverfahren (für grenzüberschreitende Forderungen bis 2000 Euro) folgen (siehe dazu Engels, in diesem Heft ab Seite 51).

1. Anwendungsbereich Für fällige Geldforderungen, die bisher nicht bestritten worden sind und mutmaßlich auch in Zukunft unbestritten bleiben werden, bietet die Zivilprozessordnung die Möglichkeit, relativ schnell und kostengünstig einen Vollstreckungstitel zu schaffen, nämlich den im gerichtlichen Mahnverfahren ergehenden Vollstreckungsbescheid. Künftig, nämlich in Kraft tretend am 12. Dezember 2008 wird es im Bereich der europäischen Union möglich sein, grenzüberschreitend bestimmte Geldforderungen in einem neuen europäischen Mahnverfahren geltend zu machen. Daneben kann der Gläubiger wie bisher, im Wege einer ggf. im Ausland zuzustellenden Klage zu einem Vollstreckungstitel gelangen. Das europäische Mahnverfahren für grenzüberschreitende Streitigkeiten bildet somit nur eine zusätzliche Option. In räumlicher Hinsicht findet das europäische Mahnverfahren statt innerhalb der Mitgliedstaaten der europäischen Union statt, mit Ausnahme von Dänemark. In ihm können geltend gemacht werden grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen, indessen nicht solche in Steuer- und Zollsachen, Staatshaftungssachen, aus ehelichem Güterrecht und Erbrecht, in Insolvenzsachen, sowie solche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen, sofern diese nicht bereits vertraglich, etwa durch Abschluss eines Vergleichs oder durch Schuldanerkenntnis geregelt sind. Im europäischen Mahnverfahren können ausschließlich fällige Geldforderungen geltend gemacht werden.

2. Zuständigkeit und Verfahren Die gerichtliche Zuständigkeit der anzurufenden Gerichte regelt sich nach der EG-Verordnung Nr. 44/2001. Danach sind Verbraucher (§ 13 BGB) aus Verträgen, die nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können, ausschließlich vor den Gerichten desjenigen Mitgliedsstaats in Anspruch nehmen, in welchem sie ihren Wohnsitz i. S. des Artikels 59 der EG-Verordnung Nr. 44/2001 haben. Das europäische Mahnverfahren wird weitgehend formalisiert sein. Der Antrag auf Erlass des europäischen Zahlungsbefehls ist auf einem so genannten Formblatt A zu stelEuropäisches Mahnverfahren, Engels

len, worin Name und Anschrift der Parteien, die geltend gemachte Forderung, ggf. mit Zinsen, Zinslaufzeit und Kosten, der Streitgegenstand mit einer Beschreibung des Sachverhalts, Beweismittel und Zuständigkeitsgründe anzugeben sind. In den Formularen sind weitgehend Zahlencodes zur Bezeichnung notwendiger Angaben, so z. B. zum Streitgegenstand vorgegeben, wie sie bereits im nationalen Mahnverfahren der Bundesrepublik Deutschland bei dessen automatischer Bearbeitung gebräuchlich und bekannt sind. Der Antragsteller hat in seinem Antrag zu versichern, die darin enthaltenen Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Einzureichen ist der Zahlungsbefehlsantrag entweder in Papierform mit Unterschrift oder in papierloser Form mit elektronischer Signatur. Das angerufene Gericht prüft den eingegangenen Zahlungsbefehlsantrag hinsichtlich der erforderlichen Angaben. Wo Ergänzungen oder Berichtigungen angezeigt erscheinen, teilt es dies dem Antragsteller mit und setzt ihm eine angemessene Frist, um entsprechende Erklärungen abzugeben, es sei denn, der Antrag erweist sich von vornherein als formell unzulässig oder offensichtlich unbegründet und verfällt daher der Zurückweisung. Ist ein Mahnantrag nur teilweise begründet, macht das Gericht dem Antragsteller einen Vorschlag hinsichtlich eines entsprechend inhaltlich beschränkten Zahlungsbefehls. Wird der Vorschlag vom Antragsteller angenommen, so ergeht demgemäß ein Zahlungsbefehl, wenn nicht, verfällt der Mahnantrag der Zurückweisung. Zurückweisungsbeschlüsse unterliegen keinem Rechtsmittel. Es kann jedoch jederzeit ein europäischer Zahlungsbefehl erneut beantragt werden. Auch bleibt es dem Antragsteller vorbehalten, nach Maßgabe nationalem Rechts gegen den Antragsgegner, etwa im Wege der Klagerhebung vorzugehen. Es entwickelt die Zurückweisung des Zahlungsbefehlsantrags keine formelle oder materielle Rechtskraft. Über den Zahlungsbefehlsantrag soll das Gericht sobald wie möglich, d. h. in der Regel binnen 30 Tagen entscheiden. Inhaltlich lautet der Zahlungsbefehl dahin, dass der Antragsgegner entweder den geforderten Betrag zahlen oder gegen den Zahlungsbefehl Einspruch bei dem Gericht, welches ihn erlassen hat (Ursprungsgericht) einlegen kann. Für die Formalitäten der Zustellung des Zahlungsbefehls enthält die EU-Verordnung detaillierte Rahmenregelungen; das gilt auch für Zustellungsurkunden.

3. Verfahren ab Einspruch Einspruch gegen den Zahlungsbefehl kann der Antragsgegner binnen 30 Tagen ab Zustellung einlegen. Der Einspruch ist noch rechtzeitig erhoben, wenn er innerhalb der Frist nicht bei Gericht eingegangen, sondern dorthin abgesandt worden ist. Auch hier gilt Schriftform mit Unterschrift oder elektronische Übermittlung mittels Signatur. Einer Begründung bedarf der Einspruch nicht. Der Einspruch bewirkt, dass das Mahnverfahren vor dem zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats nach dessen nationalen Regeln des ordentlichen Zivilprozesses in das ordentliche Verfahren übergeleitet und dort weitergeführt wird, es sei denn, der Antragsteller habe ausdrücklich beantragt, das Verfahren im Falle eines Einspruchs zu beenden. AnwBl 1 / 2008

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Geht ein Einspruch beim Ursprungsgericht nicht rechtzeitig ein, so erklärt dieses den europäischen Zahlungsbefehl unter Verwendung eines Formblattes unverzüglich, und ohne dass es eines gesonderten Antrags bedarf, für vollstreckbar. Es übersendet dem Antragsteller die vollstreckbare Ausfertigung. Der so ergangene, mit Einspruch nicht angefochtene europäische Zahlungsbefehl wird kraft europäischen Rechts in allen Mitgliedstaaten anerkannt und ist dort vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Es kann die Anerkennung auch nicht angefochten werden.

4. Überprüfungsverfahren Nach Ablauf der Einspruchsfrist kann der Antragsgegner bei dem Ursprungsgericht eine Überprüfung des vollstreckbar gewordenen europäischen Zahlungsbefehls beantragen, falls 9 der Zahlungsbefehl ohne Nachweis des Empfangs durch den Antragsgegner selbst (etwa durch Briefeinwurf) zugestellt wurde und Zustellung ohne Verschulden des Antragsgegners nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung hätte treffen können oder 9 der Antragsgegner aufgrund höherer Gewalt oder wegen außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden Einspruch nicht hatte einlegen können. Der Überprüfungsantrag ist unverzüglich zu stellen. Er ähnelt dem Wiedereinsetzungsantrag nach deutschem Recht. Ein weiterer außerordentlicher Überprüfungsgrund ist der Vortrag des Antragsgegners, aufgrund außergewöhnlicher Umstände sei der europäische Zahlungsbefehl offensichtlich unrechtmäßig ergangen, gemessen an den Voraussetzungen der Verordnung über den europäischen Zahlungsbefehl. Die Entscheidung des Gerichts im Überprüfungsverfahren lautet entweder dahin, dass ein Überprüfungsgrund nicht vorliegt; der europäische Zahlungsbefehl bleibt in Kraft. Wird befunden, dass die Überprüfung aus den gesetzlich genannten Gründen gerechtfertigt ist, wird der europäische Zahlungsbefehl für nichtig erklärt, ähnlich einer Entscheidung im Kassationsverfahren. Schon während des Überprüfungsverfahrens kann das zuständige Gericht im Vollstreckungsmitgliedsstaat auf Antrag des Antragsgegners die Vollstreckung aus dem europäischen Zahlungsbefehls entweder auf Sicherungsmaßnahmen beschränken oder sie von der Leistung einer sie bestimmenden Sicherheit abhängig machen oder in besonderen Fällen das Vollstreckungsverfahren aussetzen.

früheren Entscheidung oder einem früheren Zahlungsbefehl unvereinbar ist, die bzw. der in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittland ergangen ist, sofern 9 die frühere Entscheidung oder der frühere Zahlungsbefehl zwischen denselben Parteien wegen desselben Streitgegenstandes ergangen ist und 9 die frühere Entscheidung oder der frühere Zahlungsbefehl die notwendigen Voraussetzungen für die Anerkennung im Vollstreckungsmitgliedstaat erfüllt (exceptio rei judicatae) und 9 die Unvereinbarkeit in gerichtlichen Verfahren des Ursprungsmitgliedstaats nicht hatte geltend gemacht werden können. Die Vollstreckung wird auch dann auf Antrag verweigert, wenn der Antragsgegner den titulierten Betrag an den Antragsteller gezahlt hat. Somit empfiehlt es sich für den Antragsgegner, gegen den europäischen Zahlungsbefehl selbst dann Einspruch einzulegen, wenn er die geltend gemachte Forderung anerkennt und unverzüglich bezahlt. Auf diese Weise wird vermieden, dass der Zahlungsbefehl nach Ablauf der Einspruchsfrist für vollstreckbar erklärt wird und der Antragsgegner zu Unrecht Vollstreckungsmaßnahmen ausgesetzt und gezwungen ist, unter Hinweis auf die Erfüllung des Anspruchs die Vollstreckungsverweigerung zu beantragen. Im Übrigen darf ein europäischer Zahlungsbefehl im Vollstreckungsstaat in der Sache selbst nicht nachgeprüft werden. Dies schließt nicht aus, dass aufgrund neuer Tatsachen eine Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO zulässig ist.

6. Gerichtsgebühren und Anpassung des deutschen Rechts Die EU-Verordnung bestimmt, dass die Gerichtsgebühren eines europäischen Mahnverfahrens sowie eines sich anschließenden ordentlichen Zivilprozesses insgesamt nicht höher sein dürfen, als die Gerichtsgebühren des Zivilprozesses ohne ein vorausgegangenes europäisches Mahnverfahren. Die Bundesregierung hat im Oktober 2007 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung den interessierten Verbänden, unter anderen dem Deutschen Anwaltsverein zur Stellungnahme übersandt. Mit ihm sind Anpassungen der Zivilprozessordnung insbesondere im Buch 11 vorgesehen. In einem neu zu schaffenden Abschnitt 5 werden §§ 1087–1096 ZPO für das europäische Verfahren über geringfügige Forderung nach der Verordnung (EG) Nr. 896/2006 in das nationale Recht integriert.

5. Vollstreckungsverfahren Für das Vollstreckungsverfahren gilt das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Es wird der europäische Zahlungsbefehl wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat vollstreckbare gewordene Entscheidung vollstreckt. Der Vollstreckungsgläubiger hat den Vollstreckungsorganen vorzulegen 9 eine Ausfertigung des vom Ursprungsgericht für vollstreckbar erklärten europäischen Zahlungsbefehls und 9 ggf. eine Übersetzung des europäischen Zahlungsbefehls in die Amtssprache des Vollstreckungsmitgliedstaats. Nach der europäischen Verordnung kann der Antragsgegner die Verweigerung der Vollstreckung beim zuständigen Vollstreckungsgericht im Vollstreckungsmitgliedstaat beantragen, wenn der europäische Zahlungsbefehl mit einer 54

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Curt Engels, Hamburg Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des Zivilverfahrensrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

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Anwaltsrecht _______________________________________________________

Die Hinweispflicht auf die Abrechnung nach Gegenstandswert Ist § 49 b Abs. 5 BRAO verfassungswidrig? Rechtsanwalt Professor Dr. Jo¨rn Steike, Dachau

Belehrungspflichten des Mandanten können sich aus dem Mandatsvertrag ergeben. Manchmal verlangt aber auch das Gesetz eine Belehrung. Seit dem 1. Juli 2004 gibt es den § 49 b Abs. 5 in der BRAO. Der BGH hat entschieden, dass ein Verstoß zu einem Schadenersatzanspruch führt (BGH AnwBl 2007, 628), die Beweis- und Darlegungslast aber für die fehlende Belehrung der Mandant trägt (BGH, in diesem Heft ab Seite 68). Der Autor stellt die Frage, ob diese Belehrungspflicht nicht einen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt.

I. Regelung und Kritik Zum 1.7.2004 wurde § 49 b BRAO um einen 5. Absatz ergänzt, der eine Pflicht des Rechtsanwaltes statuiert, vor Übernahme des Mandates einen Hinweis zu erteilen, wenn sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten1. Begründet wurde die Regelung damit, dass es zu „Unzuträglichkeiten“ geführt habe, wenn Mandanten – insbesondere bei hohen Gegenstandswerten – von der Abrechnung „überrascht“ worden seien. Durch den Hinweis darauf, dass der Anwalt nach Gegenstandswert abrechne, würde der Mandant nicht mehr von der Gebührenhöhe überrascht. Für den Fall, dass der Mandant die Folgen dieser Abrechnungsform nicht abschätzen könne, würde der Mandant den Anwalt zu ihr befragen. Mit dieser Hinweispflicht werde die allgemeine Berufspflicht des Anwaltes, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben, konkretisiert. Die Hinweispflicht stelle eine besondere Berufspflicht dar und stehe im Zusammenhang mit den allgemeinen Unterrichtungspflichten gemäß § 11 BORA2. Diese Regelung ist in mehrfacher Hinsicht kritisiert worden. Einerseits sei der Hinweis auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert für den Mandanten „relativ wertlos“, da es dem Mandanten weniger um die Frage der Abrechnungsmethode, als mehr um die konkrete Höhe der Gebühren, zumindest aber des Gegenstandswertes gehe. Selbst letzteren könne der Anwalt jedoch zum Zeitpunkt der Hinweiserteilung, also vor Übernahme des Mandates, vielfach noch gar nicht vorhersehen3. Andererseits erfasse die Regelung nicht nur die Fälle, die Anlass der Regelung gewesen sind, nämlich Mandate mit hohen Gegenstandswerten, sondern alle Mandate bis hin zur Erstberatung4. Eine Vielzahl von Mandaten mit größeren Gegenstandswerten würden dagegen von der Regelung nicht erfasst, weil bei diesen regelmäßig eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen werden würde5. Ferner wird kritisiert, dass die Hinweispflicht nicht zwingend gegenüber demjenigen bestehe, der durch die Abrechnung „überrascht“ werden könnte, beiHinweispflicht auf Abrechnung nach Gegenstandswert, Steike

spielsweise der Dritte, der nicht Mandant ist, sich aber zur Honorarzahlung verpflichtet6. Dagegen sei der Hinweis auch gegenüber solchen Mandanten zu erteilen, die kraft eigener Sachkunde des Hinweises nicht bedürfen, beispielsweise der Mandant, der selbst Anwalt ist7. Auch der Zeitpunkt, zu dem der Hinweis erteilt werden soll, nämlich vor „Übernahme des Auftrages“, wird als kritikwürdig angesehen. Hier entstehe zum einen das bereits angesprochene Problem, dass zu diesem Zeitpunkt vielfach weder der Gegenstandswert noch die Gebührenhöhe bestimmt werden kann, die gesetzgeberische Hoffnung also, dass der Mandant, der mit dem schlichten Hinweis auf die Abrechnung nach Gegenstandswert nichts anfangen kann, „seinen Anwalt hierzu befragen“8, ihn also in ein Vergütungsgespräch zwingen kann9, regelmäßig mangels tatsächlicher Anhaltspunkte über die den Mandanten allein interessierenden Vergütungshöhe ins Leere gehen wird. Andererseits sei die vorhergehende Hinweispflicht bei schriftlich an den Anwalt herangetragenen Mandaten kaum praktikabel und bei Mandaten, in denen sich erst im Laufe der Bearbeitung Anhaltspunkte für eine Abrechnung nach dem Gegenstandswert ergeben, überhaupt nicht realisierbar10. Die Regelung wird daher als „lex imperfecta“ angesehen, die „unausgegoren und letztlich wirkungslos“ sei11, von falschen Prämissen ausgehe und daher alsbald wieder aufgehoben werden sollte12. Allerdings ruft die Regelung Wirkungen auf dem Gebiet des Schadensersatzes hervor, nachdem ein Verstoß gegen § 49 b Abs. 5 BRAO als Verletzung einer vorvertraglichen Hinweispflicht Grundlage für einen Schadensersatzanspruch des Mandanten gegen den Anwalt gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB sein kann13. Die Beweis- und Darlegungslast für die fehlende Belehrung liegt allerdings beim Mandanten14.

II. Verfassungswidrigkeit der Regelung? Bei dieser massiven Kritik drängt sich die Frage auf, ob die Regelung überhaupt verfassungskonform ist. Bei der Regelung handelt es sich um einen Eingriff in die Berufsfreiheit15 (Art. 12 Abs. 1 GG), da sie dem Anwalt eine besondere Berufspflicht auferlegt16, also die Ausübung seines Berufes reglementiert und ihn daran hindert, die Mandatsbearbeitung ohne Hinweis auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert vorzunehmen. Verstöße gegen diese besondere Berufspflicht können berufsaufsichtliche Maßnahmen nach sich ziehen17. 1 2

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Art. 4, Abs. 18, lit. d. KostRMoG. Vgl. BT-DRS. 15/1971, S. 232; die dortige Verweisung auf die allgemeinen Berufspflichten gemäß § 43 a, Satz 1 BRAO ist ein Fehlzitat, richtig muss es § 43, S. 1 BRAO heißen, so schon Hartung, MDR 2004, 1092. Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1093), Völtz, BRAK-Mitt. 2004, 103 (105). Vgl. Hansens, ZAP Nr. 9 vom 4.5.2005, S. 479 (Fach 24, S. 885). Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092. Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1093). Vgl. Hansens, ZAP Nr. 9 vom 4.5.2005, S. 480 (Fach 24, S. 886). BT-DRS 15/1971, S. 232. Vgl. Hansens, ZAP Nr. 9 vom 4.5.2005, S. 481 (Fach 24, S. 887). Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1093). Hartung, MDR 2004, 1092 (1094). Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092. Vgl. BGH, AnwBl 2007, 628 (629, 630), anders noch AG Charlottenburg, BRAKMitt. 3/2007, S. 136 (137) mit Anmerkung von Seltmann, NJW-Spezial. 6/2007, S. 285 f. BGH, AnwBl 2007, 68 (in diesem Heft). Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1093). Vgl. BT-DRS 15/1971, S. 232. Vgl. Hartung, MDR 2004, 1092 (1094).

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Ein solcher Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit muss auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die ihrerseits durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein muss18. Dem Gesetzgeber ging es bei Erlass des § 49 b Abs. 5 BRAO ausdrücklich um den Schutz der Mandanten vor „Überraschungen“ durch Abrechnungen anwaltlicher Honorare vor allem bei hohen Gegenstandswerten19. Der angestrebte Mandantenschutz kann einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Rechtsanwälte legitimieren20. Weitere Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ist, dass der Eingriff verhältnismäßig ist. Er muss zur Erreichung des Eingriffszieles geeignet sein. Er darf ferner nicht weiter gehen, als die Gemeinwohlbelange, die ihn rechtfertigen, es erfordern. Im Übrigen müssen der Zweck des Eingriffes und seine Intensität in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen21. Bereits im Hinblick auf die Geeignetheit der Regelung bestehen erhebliche Zweifel. Der Schutz des Mandanten vor überraschend hohen Abrechnungen kann jedenfalls nicht unmittelbar dadurch erreicht werden, dass der Mandant auf den Modus der Abrechnung hingewiesen wird. Der Hinweis darauf, dass der Anwalt nach Gegenstandswert abrechnet, wird eine Überraschung über die Höhe der Abrechnung nicht ausschließen können. Der Gesetzgeber hat dieses Problem zwar gesehen, aber durch die Hoffnung zu überwinden versucht, dass der Mandant schon nachfragen werde, wenn er mit dem Hinweis auf den Abrechnungsmodus nichts anfangen könne. Diese Hoffnung wird allerdings regelmäßig enttäuscht werden, da der Anwalt zum Zeitpunkt, zu dem der Hinweis zu erteilen ist, zu konkreten Aussagen über die Höhe des Gegenstandswertes und die Gebührenhöhe, nicht in der Lage sein wird. Im übrigen werden Personen, die nicht weniger schutzbedürftig sind als Mandanten, von der Regelung überhaupt nicht erfasst. Selbst eine Förderung des angestrebten Zwecks, die Möglichkeit der Zweckerreichung, scheint ausgeschlossen, nachdem ein Hinweis in vielen Fällen zum vorgeschriebenen Zeitpunkt überhaupt nicht erteilt werden kann oder die eigentlich schutzbedürftige Person von der Regelung nicht erfasst ist. Bedenken bestehen ebenfalls hinsichtlich der Wahl des mildesten Mittels. Die Regelung differenziert weder danach, ob der Adressat des Hinweises schutzbedürftig ist, so dass der Hinweis auch gegenüber einem sachkundigen Mandanten zu erteilen ist, noch danach, ob ein zu Überraschungen führender (hoher) Gegenstandswert überhaupt vorliegt. Dies ist vor dem Hintergrund der ausdifferenzierten Rechtsprechung des BGH zur Aufklärungspflicht des Anwaltes über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung22 völlig unverständlich. Diese Rechtsprechung des BGH führt einerseits dazu, dass dem Mandanten unaufgefordert die Information zu geben ist, mit der er tatsächlich etwas anfangen kann, nämlich die voraussichtliche Höhe der Vergütung. Andererseits berücksichtigt sie die Schutzbedürftigkeit des Mandanten, also ob er Erfahrungen im Umgang mit Anwälten hat 18 Vgl. BVerfG, 1BvR 2576/04 vom 12.12.20006, Absatz 60, http://www.bverfg.de/ entscheidungen/rs2006_1bvr257604.html, (Erfolgshonorare) Abrufdatum 8.3.2007, m. w. N. 19 Vgl. BT-DRS 15/1971, S. 232. 20 Vgl. BVerfG, aaO (FN. 17), Abs. 67, m. w. N. 21 Vgl. BVerfG, aaO (FN. 17), Abs. 60, m. w. N. 22 BGH, NJOZ 2006, 1416 m. w. N., erneut referiert in: BGH, AnwBl 3/2007, 628 (629). 23 Vgl. BVerfG, aaO, (FN 17), Abs. 95. 24 Vgl. BVerfG, NJW 2000, 347 (349) zu § 13 BORA m. w. N. 25 Vgl. ebenda.

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oder nicht, ob er also von einer Abrechnung nach Gegenstandswert überhaupt überrascht werden kann. Ferner stellt diese Rechtsprechung auf die Höhe des Gegenstandswertes und die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten ab. Darüber hinaus wird auch hinterfragt, ob das Aufklärungsbedürfnis des Mandanten für den Anwalt überhaupt erkennbar war. Mit diesem ausdifferenzierten Instrumentarium erreicht der BGH einen effektiven Schutz des tatsächlich schutzbedürftigen Mandanten, ohne die Freiheit der Advocatur mehr einzuschränken, als es zur Zweckerreichung erforderlich ist. § 49 b, Abs. 5 BRAO ist dagegen weder geeignet, den intendierten Zweck zu erreichen, noch das zur Zweckerreichung mögliche mildeste Mittel. Auch hinsichtlich der Angemessenheit der Regelung bestehen Bedenken. Die Belastungen des Einzelnen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den erstrebten Vorteilen für die Allgemeinheit stehen23. Schon dadurch, dass auch in Fällen, in denen zum gesetzlich vorgesehen Zeitpunkt ein Hinweis auf die Gegenstandswertabrechnung unmöglich ist, die Hinweiserteilung als Berufspflicht ohne Ausnahme statuiert wird, ist die Angemessenheit nicht gewahrt. In diesen Fällen steht einer berufsaufsichtlich durchsetzbaren Belastung des Einzelnen die Unmöglichkeit der Erreichung des für die Allgemeinheit erstrebten Erfolges aufgrund tatsächlicher Unmöglichkeit der Hinweiserteilung gegenüber. Es erscheint daher zweifelhaft, ob durch § 49 b Abs. 5 BRAO der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.

III. Verfassungskonforme Auslegung? Die Bedenken gegen § 49 b Abs. 5 BRAO hinsichtlich der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit können auch nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung überwunden werden. Die Grenze der verfassungskonformen Auslegung einer Norm besteht dort, wo sie dem klaren Wortlaut der Regelung und dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers widersprechen würde24. Ferner muss die Norm bei dieser Auslegung noch sinnvoll bleiben25. Sowohl der Gesetzestext als auch die Gesetzesbegründung gehen ausdrücklich davon aus, dass auf den Abrechnungsmodus und nicht auf die voraussichtlich anfallende Vergütung hinzuweisen ist und zwar vor Übernahme des Auftrages. Ansatzpunkte dafür, dass der Gesetzgeber Ausnahmen von dieser Hinweispflicht zulassen wollte, sind nicht ersichtlich. Wollte man im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 49 b Abs. 5 BRAO die Bedenken gegen seine Verhältnismäßigkeit überwinden, so müsste man diese ausdrücklichen Vorgaben des Gesetzgebers ignorieren und eine Regelung schaffen, die den Voraussetzungen, die der BGH für die Belehrung über die Vergütungshöhe entwickelt hat, ähneln. Eine solche „Umformung“ einer Norm ist im Wege der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht zu erreichen. Professor Dr. Jörn Steike Der Autor ist Rechtsanwalt in Dachau und Mitglied des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk München. Der Beitrag gibt die Auffassung des Autors wieder, nicht die der RAK München. Der Autor dankt Frau stud.iur. Alexandra Lindner für ihre Mitarbeit. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

Hinweispflicht auf Abrechnung nach Gegenstandswert, Steike

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Dokumentationszentrum _______________________________________________________

Blick ins Ausland Das Dokumentationszentrum für Europäisches Anwaltsund Notarrecht an der Universität zu Köln informiert in einer losen Serie von Kurzbeiträgen über aktuelle Entwicklungen in den Anwaltschaften aus dem benachbarten Ausland. Belgien: Erstattung der Anwaltskosten im Zivilprozess In Belgien tritt ab dem 1. Januar 2008 das Gesetz zur Erstattungsfähigkeit von Anwaltsgebühren (loi relative à la répétibilité des frais et honoraires d’avocat) in Kraft. Seit einem Urteil der belgischen Cour de Cassation aus dem Jahr 2004, das erstmalig die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten nach materiellem Schadensrecht angeordnet hat, herrschte große Unsicherheit darüber, wie mangels gesetzlich festgelegter Anwaltsgebühren die Höhe der zu erstattenden Kosten zu bestimmen sei. Das Gericht befand die existierende streitwertabhängige prozessrechtliche Kostenersatzregelung für unzureichend, da sie Pauschalsätze vorsah, die zu den tatsächlich angefallenen Anwaltskosten in keinem Verhältnis standen. Nach der Neuregelung werden die prozessrechtlichen Pauschalsätze bedeutend angehoben: Während nach der alten Rechtslage für einen Streitwert von 50.000 EUR die obsiegende Partei von der Gegenseite 350 EUR für seine Anwaltskosten beanspruchen konnte, sind es nach der neuen Rechtslage grundsätzlich 2.500 EUR. Ein über die prozessrechtliche pauschalierte Kostenerstattung hinausgehender Anspruch auf die tatsächlich angefallenen Anwaltsgebühren nach materiellem Schadensrecht ist nunmehr ausgeschlossen. Gegen die Erhöhung der Anwaltskostenpauschalen wurde eingewandt, sie erschwere unbemittelten Bevölkerungsgruppen den Zugang zum Recht. Das Prozesskostenrisiko würde sich dadurch erhöhen, dass die unterlegene Partei neben den Gerichtskosten auch die Anwaltskosten der Gegenseite tragen müsse. Um diesen Bedenken entgegenzukommen, wurde dem Richter das Ermessen eingeräumt, auf Antrag einer Partei unangemessene Pauschalbeträge für den Einzelfall innerhalb fester, streitwertabhängiger Oberund Untergrenzen zu erhöhen oder herabzusenken. Das Gesetz, das weitestgehend auf dem Vorschlag der anwaltlichen Berufsvertretungen beruht, wurde von der belgischen Anwaltschaft positiv aufgenommen. (BD) Österreich: Universitäre Ausbildung und berufliche Fortbildung Der österreichische Gesetzgeber hat mit einer Reform der Rechtsanwaltsordnung auf die seit 2002 bestehende Autonomie österreichischer Universitäten bei der Bestimmung von Lehrinhalten und die uneinheitliche Umsetzung des Bologna-Prozesses reagiert. Das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008, das am 1. Januar 2008 in Kraft treten soll, bestimmt zeitliche und inhaltliche Mindestanforderungen an das universitäre Jurastudium, um eine national einheitliche Qualität anwaltlicher Beratungsleistungen zu gewährleisten. Voraussetzung der Zulassung zur fünfjährigen Berufsanwärterzeit ist der Abschluss eines mindestens vierjährigen Studiums des österreichischen Rechts. Damit ist klargestellt, dass ein Blick ins Ausland, Dokumentationszentrum

dreijähriges Bachelorstudium nicht ausreicht. Es müssen nachweisbare Kenntnisse in festgelegten Rechtsgebieten und auch ökonomische Fertigkeiten mit einem Arbeitsaufwand von insgesamt 240 ECTS-Punkten erworben werden. Wurde das Studium in einem anderen EWR-Mitgliedsstaat oder der Schweiz absolviert, ist eine Zulassung als Berufsanswärter nur möglich, wenn das Auslandsstudium die nach der RAO erforderlichen Wissensgebiete abdeckt und daher dem österreichischen Jurastudium gleichwertig ist. Letztere Regelung zieht die Konsequenzen aus der Morgenbesser-Entscheidung des EuGH (Rs. C-313/01), die den Absolventen eines ausländischen Universitätsstudiums im Falle der Gleichwertigkeit der Ausbildung den Zugang zum inländischen juristischen Vorbereitungsdienst gewährt. In der Praxis wird realistischerweise lediglich die Übertragung von im Ausland erworbenen ECTS-Punkten auf den Gebieten des Völker- und Europarechts und der Wirtschaftswissenschaften möglich sein. Ebenfalls neu in die RAO eingefügt wird die Fortbildungspflicht des Rechtsanwalts. Im Gegensatz zu mehreren EU-Mitgliedsstaaten, in denen eine überprüfbare Fortbildungspflicht nach einem Punkte- oder Stundensystem besteht, belässt es die österreichische Regelung – dem deutschen Beispiel in § 43 a Abs. 6 BRAO folgend – bei einer nicht-sanktionierbaren und inhaltlich unbestimmten allgemeinen Fortbildungspflicht. (BD) Schweiz: Einführung eines Fachanwaltszertifikats Der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) – ein privatrechtlich organisierter Berufsverband, dem die überwiegende Zahl der rund 8.000 schweizerischen Rechtsanwälte angehört – hat im August 2007 zum ersten Mal das Zertifikat „Fachanwalt SAV“ an 43 Anwälte und Anwältinnen verliehen. Bereits im Jahr 2003 wurde die Einführung des Zertifikats für SAV-Mitglieder beschlossen, um dem Bedürfnis der rechtsuchenden Bevölkerung nach mehr Transparenz nachzukommen und sich gegen die immer stärker werdende Beratungskonkurrenz durch Banken und Versicherungen zu behaupten. Die ersten Zertifikate wurden in den Rechtsgebieten Erbrecht und Arbeitsrecht verliehen. Darüber hinaus werden Zertifikate im Bau- und Immobilienrecht, Familienrecht und Haftpflicht- und Versicherungsrecht angeboten. Voraussetzung für die Erteilung des Zertifikats ist eine fünfjährige anwaltliche Tätigkeit als Mitglied des SAV, der Nachweis überdurchschnittlicher praktischer Erfahrung im Fachgebiet durch die Vorlage von zehn repräsentativen Fällen aus den letzten drei Jahren, die Absolvierung eines vom SAV angebotenen Fachkurses von mind. 120 Stunden samt schriftlicher Prüfung und ein Fachgespräch. Die Träger des Zertifikats unterliegen einer periodisch nachzuweisenden Fortbildungspflicht von zwei Tagen pro Jahr. Das Zertifikat wird für einen Zeitraum von zehn Jahren erteilt. Über eine Verlängerung entscheidet auf Antrag der SAV, der notfalls die Wiederholung des Qualifikationsverfahrens anordnen kann. (BD)

Dokumentationszentrum für Europäisches Anwalts- und Notarrecht an der Universität zu Köln Das Dokumentationszentrum ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Universität zu Köln, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Bundesnotarkammer. Direktor: Prof. Dr. Martin Henssler, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln, Tel. 02 21/ 470-29 35, Fax: -49 18, www.anwaltsrecht.org.

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RVG-Frage des Monats _______________________________________________________

OLG Hamm ./. BGH: Honorare für Strafverteidiger deckeln? Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin

Der BGH hatte mit einem Urteil vom 27. Januar 2005 (IX ZR 273/02, AnwBl 2005, 582 ff. mit Anm. Henke) eine für Rechtsanwälte und speziell für Strafverteidiger sehr ungünstige und kaum hinnehmbare Obergrenze für die vereinbarte Strafverteidigervergütung eingeführt. In einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des LG Leipzig und das OLG Dresden wird demnächst das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob eine solche Deckelung verfassungsgemäß ist (1 BvR 1342/07). In der BGH-Entscheidung heißt es: „Vereinbart der Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO [jetzt § 4 Abs. 4 RVG] verletzt ist.“ Eine Entkräftung dieser Vermutung einer unangemessen hohen Vergütung hat der BGH nur unter den Voraussetzungen als möglich gesehen, dass der Anwalt ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung als nicht unangemessen hoch anzusehen. Die Entscheidung hat erheblichen Widerspruch in der Literatur gefunden (eingehend Rick, RVGreport 2006, 441, 445; Lutje, NJW 2005, 2490; Madert/Schons, Vergütungsvereinbarung, 3. Aufl. 2006, Rn. 192 ff.; Henke, AGS 2005, 384 f.; Mayer, RVG-Letter 2005, 74 ff.). Auch die Rechtsprechung scheint nicht vollständig überzeugt von der Argumentation des BGH. Das OLG Hamm, nicht unbedingt bekannt für leichtfüßige Entscheidungen oder unbedachte Schnellschüsse, hat in seinem Urteil vom 5.12.2006 (28 U 31/05, BGHZ 162, 98 = AnwBl 2007, 723, nur Leitsatz, Volltext unter www.anwaltsblatt.de bei AnwBl 10/2007 = NJW 2005, 2142) den vom BGH gewiesenen Weg nicht beschritten: „Eine aufwandsangemessene Zeithonorarvereinbarung verletzt auch bei einem Strafverteidigerhonorar weder das Sittengesetz noch ist es nach § 4 Abs. 4 Satz 1 RVG (früher § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO) herabzusetzen.“ Das OLG Hamm geht bei seiner Argumentation davon aus, dass die Entscheidung des BGH auf ein reines Zeithonorar nicht übertragbar ist. Das Gericht hatte die Revision nicht zugelassen. Die Entscheidung ist inzwischen rechtskräftig. Zahlenmäßig lag die zwischen dem Strafverteidiger und seinem Mandanten vereinbarte Anwaltsvergütung mit insgesamt 23.044,56 DM knapp doppelt so hoch wie das Fünffache der gesetzlichen Gebühren (5 x 2.513,72 DM = 12.568,60 DM). In seiner Begründung macht der Senat des OLG Hamm deutlich, dass er im Hinblick auf eine generelle Vergütungs-Höchstgrenze Bedenken hat. Erweist sich das Honorar des Anwalts, das als reines Zeithonorar vereinbart wird, unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwands 58

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nicht als angemessen (also kein unangemessener Stundensatz und keine unangemessene Zahl der abgerechneten Stunden bzw. des Zeittaktes), dann besteht nach Auffassung des Gerichts in Hamm kein Anlass, die Vergütungsvereinbarung als unangemessen zu bewerten und gerichtlich herabsetzen zu lassen. Eine Herabsetzung des vereinbarten Honorars nach § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO (heute § 4 Abs. 4 Satz 1 RVG) hält das OLG Hamm nur dann für zulässig, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, den Auftraggeber an seinem Honorarversprechen festzuhalten. Maßgeblich ist dabei nicht, was bei Vertragsschluss vorauszusehen war und bei der Vereinbarung kalkuliert wurde, sondern auch die weitere Entwicklung ist einzubeziehen. Bei der Abwägung sind Schwierigkeit und Umfang der Sache, ihre Bedeutung für den Auftraggeber, das Ziel und der diesbezügliche Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit, die Stellung des Rechtsanwalts und die Vermögensverhältnisse des Auftraggebers zu berücksichtigen. Diese Bemessungskriterien hat die Rechtsprechung schon in der Vergangenheit flächendeckend bestätigt. Überschreitung der Gebühren um mehr als das Fünffache zulässig Erstaunlicherweise ging sogar der Vorstand der Rechtsanwaltskammer in seinem Gutachten noch davon aus, dass im Hinblick auf das besagte BGH-Urteil eine höhere Strafverteidigervergütung als max. das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren unangemessen sei. An dieses Kammergutachten fühlte sich das OLG Hamm – zum Glück für den Anwalt – nicht gebunden. Grundlage der gerichtlichen Überlegung ist die vielfache Kritik an der BGH-Entscheidung. Diese richtet sich in erster Linie gegen die Arbeitshypothese des BGH, dass die gesetzlichen Gebühren den ökonomischen Wert der anwaltlichen Tätigkeit zum Ausdruck bringen und von daher als tauglicher Ausgangspunkt für die Auslegung einer allgemein verbindlichen Honorargrenze fungieren können. Nach Auffassung der Kritiker der BGH-Entscheidung sind die gesetzlichen Gebühren ein ungeeigneter Vergleichsmaßstab. Seine Heranziehung gewährleistet eine angemessene Honorierung der anwaltlichen Tätigkeit nicht, was insbesondere beim Strafrecht und beim Ermittlungsverfahren gelte. Die Grenze des Fünffachen sei willkürlich und nicht rational begründbar. Außerdem ist fraglich, ob die umstrittene Entscheidung des BGH, der eine Honorarpauschale kombiniert mit einem Stundenhonorar zu Grunde lag, reine Stundenhonorarvereinbarungen überhaupt betrifft. Hält man die Entscheidung auch für reine Zeithonorare für anwendbar, besteht ein unaufgelöster Widerspruch, da die Vergütung aufwandsbemessen ist. Deshalb wird in der Literatur angenommen, ein aufwandsbezogenes Zeithonorar könne nur dann als unangemessen hoch bezeichnet werden, wenn entweder der berechnete Stundensatz zu hoch oder die Bearbeitungszeit übermäßig lang sei. Das OLG in Hamm sieht für die Festlegung einer generellen Vergütungshöchstgrenze in § 3 Abs. 3 BRAGO (bzw. § 4 Abs. 4 RVG) keine Grundlage. Mit dem Kriterium „Berücksichtigung aller Umstände“ lasse sich eine allgemein verbindliche, nur im Extremfall überwindbare Honorarhöchstgrenze nicht vereinbaren. Grundsätzlich ist die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages einschließlich der OLG Hamm ./. BGH: Honorare für Strafverteidiger deckeln?, Henke

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Mitteilungen

Bestimmung von Leistung und Gegenleistung Sache der Parteien. Dies wird durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG abgesichert. Als Ausprägung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet die Vertragsfreiheit jedem Bürger das Recht, seine Lebensverhältnisse durch Vertrag eigenverantwortlich zu gestalten. Die Ausstrahlung dieses Grundrechts wird durch die Annahme einer allgemein verbindlichen, tatsächlichen Vermutung für eine unangemessen hohe Vergütung begründende Vergütungshöchstgrenze tangiert, jedenfalls soweit der konkret betriebene Bearbeitungsaufwand des Anwalts unberücksichtigt bleibt. Fazit Die vom BGH fixierte Vergütungshöchstgrenze für anwaltliche Honorarvereinbarungen wird nicht halten. Es wäre ein nicht hinzunehmender Widerspruch, wenn man eine Vergütung, die als solche aufwandsangemessen ist (bzgl. Stundensatz und Bearbeitungsaufwand), zugleich herabsetzen müsste, weil sie aufgrund der Grenzziehung des BGH als unangemessen hoch zu bewerten wäre. Man stelle sich einmal vor, mit solchen Höchstgrenzen würden die Gehälter von prominenten Schauspielern, Fußballspielern, Rennfahrern, Opernsängern oder TOP-Managern gemessen. Eine aufwandsangemessene anwaltliche Honorarvereinbarung kann das Sittengesetz nicht verletzen. Für die Qualifizierung des Honorars als unangemessen hoch kann nichts anderes gelten. Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass es für das reine Zeithonorar keine feste Höchstgrenze gibt. Gerade das Zeithonorar trägt dem tatsächlichen Aufwand – anders als ein Pauschalhonorar – Rechnung, indem es mit dem Aufwand wächst. Ein Zeithonorar ist danach, wie der BGH in seiner Entscheidung NJW 2003, 2386, 2387 selbst ausgeführt hat, nicht zu beanstanden, wenn weder die Höhe des Stundensatzes noch die Anzahl der abgerechneten Stunden außergewöhnlich hoch ist. Und nach Auffassung des OLG Hamm ist ein Stundensatz von 500 DM (= 255,65 EUR) nicht zu beanstanden; wobei zur Beurteilung des Stundensatzes gerade in Strafsachen neben den Gemeinkosten des Anwaltsbüros auch die Reputation und die Qualifikation des Anwalts heranzuziehen ist. Fragen zum RVG und zum Thema Vergütungsvereinbarung können DAV-Mitglieder im Internet-Forum unter www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben sich seit August 2004 über 5.000 Forumsteilnehmer registriert und etwa 8.000 Beiträge eingestellt. Das DAV-Anwaltsforum „Vergütungsvereinbarung“ ist seit Anfang Februar 2006 und das DAV-Anwaltsforum „Streitwertforum“ seit August 2006 online.

Soldan Institut _______________________________________________________

Wie Anwälte die Aufmerksamkeit potenzieller Mandanten wecken Weiterempfehlungen als Schlüssel zum Erfolg Prof. Dr. Christoph Hommerich, Bergisch Gladbach und Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Ko¨ln

Über den Wert von Marketing streiten Anwälte gerne. Was bringen Einträge in den Gelben Seiten, das Kanzleischild oder die Website? Wenn es um die Mandantenakquise bei Verbrauchern geht, jedenfalls nicht viel. Auf die richtige Empfehlung kommt es an.

I. Einleitung Der im Heft 12/20071 vorgestellte Auszug aus der Studie „Mandanten und ihre Anwälte“2 des Soldan Instituts hat vermittelt, dass es Rechtsanwälten durch „Reagiblität“ und Reputation möglich wird, Mandanten an sich zu binden und darüber hinaus ein Netzwerk der Weiterempfehlung durch zufriedene Kunden aufzubauen3. Über die Hälfte der befragten Bürger (57 %) sah die Empfehlung eines Anwalts durch Dritte als wichtigen bzw. sehr wichtigen Faktor bei der Auswahl des Anwalts an, dem das zu vergebende Mandat schließlich übertragen wurde. Mit dem Befund, welche Kriterien für den Bürger bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts wichtig sind, ist die vorgeschaltete Frage, wie ein Rechtssuchender überhaupt auf einen Rechtsanwalt aufmerksam wird, den er für die Auswahlentscheidung in Betracht ziehen kann, noch nicht beantwortet. Antworten auf diese Frage lassen etwa Rückschlüsse auf die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von klassischen Marketinginstrumenten wie der Werbung zu, die seit der Deregulierung des anwaltlichen Berufsrechts Gegenstand zahlreicher theoretischer Betrachtungen ist. Im Rahmen einer Bevölkerungsumfrage4 wurden die Teilnehmer – mit der Möglichkeit von Mehrfachnennungen – daher vom Soldan Institut um Auskunft gebeten, wie sie auf den Rechtsanwalt, den sie mandatiert haben, überhaupt aufmerksam geworden sind.

II. Empfehlung, Bekanntschaft, Marketing

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt. Es ist Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins und Mitglied der Redaktion des Anwaltsblatts.

Ist ein besonders wichtiges Kriterium für die Beauftragung eine vorangegangene Empfehlung dieses Rechtsanwalts durch einen Dritten, kann der empirische Befund nicht überraschen, dass eine Weiterempfehlung in mehr als der Hälfte der Fälle (56 %) überhaupt erst die Aufmerksamkeit auf ei-

Den Autor erreichen Sie unter [email protected]. 1 2

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Marketing von Anwälten, Soldan Institut

Hommerich/Kilian, AnwBl 2007, 858. Die Gesamtstudie „Mandanten und ihre Anwälte: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage zur Inanspruchnahme und Bewertung von Rechtsdienstleistungen“ ist im Anwaltverlag veröffentlicht worden, ISBN 978-3-8240-5404-6, 15,– EUR. Vgl. bereits Hommerich, Strategisches Marketing, in: Kilian/vom Stein, Praxishandbuch für Anwaltskanzlei und Notariat, Bonn 2005, S. 242. Zum Forschungsdesign Hommerich/Kilian/Wolf, AnwBl 2007, 445 f.

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Mitteilungen

Empfehlung

56 %

... durch Freunde/Bekannte

50 %

... durch Beratungseinrichtung

3%

... durch Versicherung

2%

... durch Steuerberater, anderen Anwalt

1%

Bekanntschaft

59 %

... allgemein

30 %

... durch das private Umfeld

14 %

... durch vorangegangene Tätigkeit des Anwalts

14 %

... durch berufliche Tätigkeit für den Anwalt

1%

Außendarstellung

23 %

... Telefonbuch/Gelbe Seiten

10 %

... Türschild der Kanzlei

3%

... Internetauftritt der Kanzlei

2%

... Zeitungsanzeige / sonstige Werbung

2%

... Telefonsuchdienst

2%

... Internetsuchdienst

2%

... Vortragsveranstaltung der Kanzlei

1%

... Informationsdrucksachen der Kanzlei

1%

für die Generierung von Mandanten. Hierbei kann es sich um ein Netzwerk von Freunden und Bekannten handeln, aber auch um Aktivitäten in Vereinen, Verbänden und vergleichbaren Einrichtungen. Die Bedeutung von „Werbeaktivitäten“ für die Mandatsakquisition ist im Vergleich zu Empfehlungen Dritter oder zu persönlichen Kontakten zum Rechtsanwalt mit einem Wert von 23 % deutlich geringer. Die relativ größte Wirksamkeit haben hierbei Einträge im Telefonbuch bzw. den Gelben Seiten (10 %). Alle anderen Maßnahmen wecken nur in seltenen Fällen die Aufmerksamkeit, seien es das Kanzleischild (3 %), der Internetauftritt der Kanzlei (2 %), eine Zeitungsanzeige oder eine sonstige Form der Werbung (2 %), ein Telefon- oder Internetsuchdienst (je 2 %), gedrucktes Informationsmaterial (1 %) oder eine Vortragsveranstaltung der Kanzlei (1 %). Es zeigt sich damit, dass es im Kern drei Gründe gibt, weshalb Bürger bei Auftreten eines akuten Beratungsbedarfs einen bestimmten Rechtsanwalt kontaktieren: Entweder wird er ihnen empfohlen, sie kennen ihn bereits oder sie erinnern sich aufgrund einer Marketingmaßnahme an ihn. Das traditionelle Marketing als „Erinnerungsanker“ fällt hierbei mit einem Wert von 23 % im Vergleich zu Weiterempfehlung (56 %) und vorheriger Bekanntschaft (59 %) als Grund, eine Mandatierung zu erwägen, in seiner Bedeutung freilich deutlich ab6.

Tab. 1: Aufmerksamwerden auf mandatierten Rechtsanwalt

III. Ausblick

nen bestimmten, den letztendlich beauftragten Rechtsanwalt gelenkt hat.5 Hierbei geht die Empfehlung ganz überwiegend von Freunden, Bekannten oder Verwandten aus (50 %), untergeordnete Bedeutung haben mit jeweils 3 % Hinweise etwa einer Versicherung oder einer Beratungsstelle (Gewerkschaften, Mieterbund, ADAC etc.) sowie eines anderen Rechtsdienstleisters (1 %). Zweiter wichtiger Faktor ist die mehr oder weniger intensive „Bekanntschaft“ mit dem Anwalt: 59 % der Befragten gaben an, dass ihnen der Rechtsanwalt vor der Beauftragung in irgendeiner Weise bereits bekannt war. Die Bekanntschaft zu Rechtsanwälten rührt allerdings überwiegend nicht aus der professionellen Sphäre des Rechtsanwalts her: Auf eine vorherige anwaltliche Tätigkeit entfielen nur 14 % des vorangegangenen Kontakts. 14 % der Mandanten gaben an, dass ihnen der beauftragte Anwalt aus ihrem privaten Umfeld bekannt war, wobei sich hier erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit vom beruflichen Hintergrund ergaben: Beamte und Selbstständige kennen z. B. deutlich häufiger privat einen Rechtsanwalt als Arbeiter oder Angestellte. 30 % war der Anwalt aus einem sonstigen, nicht näher spezifizierten Grund bereits bekannt. Eine relativ kleine Gruppe von Mandanten war ihrerseits bereits einmal in ihrer beruflichen Funktion für den Rechtsanwalt tätig (1 %). Der Befund unterstreicht die relativ große Bedeutung sozialer Netzwerke

Die Ergebnisse der Untersuchung des Soldan Instituts zeigen, dass Rechtsanwälte die Aufmerksamkeit von Mandanten häufig aufgrund einer bereits erbrachten Leistung gewinnen. Weiterempfehlungen basieren stets, persönliche Kontakte nicht selten auf bereits erbrachten anwaltlichen Rechtsdienstleistungen und spielen eine entscheidende Rolle bei der (erneuten) Beauftragung, während kommunikationspolitische Faktoren vergleichsweise wenig zur Bekanntheit eines Rechtsanwalts bzw. einer Rechtsanwältin in der Bevölkerung beitragen. Das in der Vergangenheit in der berufspolitischen Diskussion gerne verwendete Argument, dass der Rechtsanwalt „primär mit seiner Leistung werbe“, hat zwar keine rechtliche Relevanz, aber intuitiv empirisch nachweisbare Gegebenheiten des Rechtsdienstleistungsmarkts richtig beschrieben. Die Untersuchung verdeutlicht die relativ geringe Bedeutung von – zumeist kostenintensiven – Werbemaßnahmen wie Anzeigen in Zeitungen und Einträge in Verzeichnissen, dem Druck von Kanzleibroschüren, dem Versand von Kanzleirundschreiben oder dem Vorhalten von Internetauftritten als Akquisitionsinstrument.

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Das Ergebnis, dass Empfehlungen wichtigster Anstoß zur Kontaktaufnahme sind, wird durch Erkenntnisse aus den USA gestützt: Dort gaben 75 % der Befragten an, bei der Suche nach einem Rechtsanwalt zunächst Freunde oder Familienangehörige zu fragen, Yankelovich & et. al., Consumer Attitudes Toward Choosing Legal Counsel, 2000. Untermauert wird dieser Befund durch Erkenntnisse aus den USA: Eine aktuelle Untersuchung zur Akquisition von Erfolgshonorarmandaten (Kritzer, Risk, Reputation And Rewards, Stanford 2004, S. 48 ff.) im US-Bundesstaat Wisconsin ergab, dass 44 % der dort erteilten Mandate nach einer Empfehlung zustande kommen, 19 % der Mandanten den Rechtsanwalt zuvor bereits kennen, 15 % auf sonstigen Kontakten („community contacts“) beruhen. Werbemaßnahmen sind hingegen nur zu 15 % für neue Mandate verantwortlich.

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Soldan Institut: Prof. Dr. Christoph Hommerich, Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Julia Heinen, M. A. und Thomas Wolf, M.A. Hommerich und Kilian sind Vorstand des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e. V.. Heinen und Wolf sind dort wissenschaftliche Mitarbeiter.

Marketing von Anwälten, Soldan Institut

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Mitteilungen

Bu¨cherschau _______________________________________________________

Von anderen Ländern lernen Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian

1. Seit dem erstmaligen Erscheinen im Jahr 1998 hat sich das Werk „Anwaltsrecht“ von Erich Feil und Fritz Wennig rasch zum Standardwerk zum österreichischen Anwaltsrecht entwickelt. Nur zwei Jahre nach der dritten Auflage ist es bereits in neuer, vierter Auflage erErich Feil / Fritz Wennig, Anwaltsrecht, schienen. Es hat seinen beLinde-Verlag, 4. Auflage, Wien 2006, währten Ansatz beibehalten, 951 S., ISBN 978-3-7073-0952-2, 125,50 EUR. die zu behandelnde Materie in einer Mischung von Kommentierung und systematischer Darstellung zu vermitteln. Während die einschlägigen Gesetze wie die Rechtsanwaltsordnung in einer Kommentierung dargestellt werden, wird das Anwaltshaftungsrecht durch eine systematische Darstellung vermittelt. Die Neuauflage des Kompendiums hat vor allem, neben der durchgängigen Aktualisierung des Rechtsprechungsapparats, drei Reformgesetze berücksichtigen müssen: Zum einen das Berufsrechtsänderungsgesetz 2006 (BRÄG 2006), zum anderen die Zivilverfahrensrechtsnovelle 2004 und schließlich das Handelsrechtsänderungsgesetz (HRÄG). Diese Gesetze haben Änderungen der Rahmenbedingungen der anwaltlichen Tätigkeit gebracht, die wertvolles Anschauungsmaterial auch für die Fortentwicklung des Berufsrechts in Deutschland sein können. So ist die Zulassung zur Anwaltschaft nach § 1 RAO mittlerweile vom Nachweis des Besuchs von mindestens sechs Halbtagen Mediationsausbildung abhängig. Ebenso musste in § 1 RAO die Novelle des Handelsrechts nachvollzogen werden, die ein Ende von berufsspezifischen Regelungen des Gesellschaftsrechts für die Angehörigen freier Berufe gebracht hat. Das vierte Buch des UGB gilt künftig auch für die freien Berufe, wobei das Berufs- und Standesrecht aufgrund der Zwangsmitgliedschaft einer Kammer nicht berührt wird. Diese interessanten Änderungen vollzieht das Werk ebenso nach wie die detailreichen gesetzlichen Regelungen zur elektronischen Signatur, die sich seit Inkrafttreten des BRÄG 2006 in § 21 RAO finden. Einen weiteren wichtigen Regelungskomplex enthält § 37 RAO, in dessen § 4 dem ÖRAK die Richtlinienkompetenz für die Aufstellung von Kriterien für die Ermittlung des angemessenen Anwaltshonorars übertragen wird. Diese Regelung tritt an die Stelle der früheren Autonomen Honorarrichtlinien (AHR), die im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Bedenken mittlerweile nicht mehr in Kraft sind. Für denjenigen, der sich mit dem österreichischen Anwaltsrecht beschäftigt, aber erst recht für jene, die grenzüberschreitend in Österreich anwaltlich tätig sind oder werden möchten, ist der Feil/Wennig ein unverzichtbarer und die Materie erschöpfend behandelnder Begleiter. Dass es für künftige Auflagen des Werkes an Stoff nicht mangeln wird, belegt die Tatsache, dass sich ein Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 bereits im Gesetzgebungsverfahren befindet (vgl. hierzu AnwBl 2008, 57). Bücherschau, Kilian

2. Während in den zurückliegenden 20 Jahren zahlreiche Dissertationen zu den Anwaltschaften bzw. den Rechtsdienstleistungsmärkten vieler europäischer und der wichtigsten überseeischen Rechtsordnungen erschienen sind (z. B. Großbritannien, Frankreich, Spanien, USA, Japan, China, Jonathan Ruff, Der Rechtsberatungsmarkt in Israel, Verlag Dr. Kovac, Australien), wagen sich viele Hamburg 2007, 203 S., ISBN 978-3-8300-2752-2, 78,– EUR. Doktoranden an „exotischere“ Untersuchungsgegenstände nicht heran, obgleich in kleineren Rechtsordnungen in berufsrechtlichen Fragen häufig eine besonders dynamische Entwicklung zu verzeichnen ist. Es ist vor diesem Hintergrund erfreulich, dass Jonathan Ruff sich mit seiner Studie „Der Rechtsberatungsmarkt in Israel“ einem Land zugewendet hat, das bislang in Deutschland aus dem Blickwinkel des Anwaltsrechts noch nicht untersucht worden ist. Das erste Viertel der Studie ist der Skizzierung der Entwicklung des Anwaltsberufs in Israel gewidmet. Während extensive historische Schilderungen in Dissertationen bisweilen ein wenig ermüdend sind, rechtfertigt sich die Einräumung breiten Raums hier vor dem Hintergrund der schwierigen Staatwerdung Israels, die nicht ohne Auswirkungen auf die Entwicklung des Anwaltsberufs blieb. Der zweite Hauptteil der Arbeit befasst sich mit der Regulierung des Anwaltsberufs in Israel. Besonders intensiv geschildert werden hier das anwaltliche Berufsgeheimnis und die Wahrheitspflicht des Anwalts, das Verbot der Vertretung widerstreitenden Interessen und das anwaltliche Werberecht. Die Regelungen des israelischen Rechts werden jeweils ausführlich geschildert, sodann mit der deutschen Rechtslage verglichen und schließlich bewertet. Leider nur sehr kurz gestreift wird das anwaltliche Gesellschaftsrecht. Vermisst hat der Rezensent ein eigenes Kapitel zu den zivilrechtlichen Fragen der anwaltlichen Tätigkeit, namentlich zum Vertrags-, Vergütungs- und Haftungsrecht, sind es doch diese Materien, die in der Praxis am häufigsten zu Berührungspunkten des deutschen Rechts mit dem Anwaltsrecht einer anderen Rechtsordnung führen. 3. Der von Hartmut-Emanuel Kayser herausgegebene Band „Anwaltsberuf im Umbruch: Tendenzen in Deutschland und Brasilien“ dokumentiert die Ergebnisse der 24. Jahrestagung der Deutsch-Brasilianischen Juristenvereinigung, die im Jahr 2005 in Potsdam stattfand. Das brasilianische Anwaltsrecht ist Hartmut-Emanuel Kayser (Hrsg.), Anwaltsberuf im Umbruch: Tendenzen in für das deutschsprachige Deutschland und Brasilien, ShakerSchrifttum erstmals im Jahr Verlag, Aachen 2007, 152 S., ISBN 978-3-8322-5781-1, 48,80 EUR. 2000 durch eine von Böker verfasste Dissertation umfassend erschlossen und aufgearbeitet worden. Der nunmehr erschienene Sammelband bietet zu ausgewählten Themen ergänzende Erkenntnisse. Reizvoll ist der gewählte Ansatz, ausgewählte Themen des Anwaltsrechts durch einen deutschen und einen brasilianischen Autor sowohl für Brasilien als auch für Deutschland zu beleuchten. So finden sich Beiträge zur Geschichte der Anwaltschaft AnwBl 1 / 2008

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Mitteilungen

in Brasilien (Sérvulo da Cunha) und in Deutschland (Kannowski), zum Rechtsdienstleistungsmarkt in beiden Ländern (Mateucci und Rabe), sowie zur Praxis der anwaltlichen Tätigkeit hier (Burtin) wie dort (Henrique do Amaral). Ein weiterer Beitrag beleuchtet die Chancen und Herausforderungen für den international tätigen brasilianischen Rechtsanwalt (Bernardes Neto). Die Beiträge der brasilianischen Autoren sind hierbei sowohl in portugiesischer als auch in deutscher Sprache abgedruckt. 4. Durch die im März 2007 veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des Verbots des anwaltlichen Erfolgshonorars sowie den im Oktober 2007 vorgelegten Referentenentwurf zur künftigen gesetzlichen Neuregelung dieser seit langem Mirko Ros (Hrsg.), Der Erfolg und das Honorar des Rechtsanwalts, DIKE-Ver- umstrittenen vergütungsrechtlag, Zürich 2007, 154 S., ISBN lichen Materie hat das Thema 978-3-03751-024-7, 40,- CHF. anwaltliches Erfolgshonorar hoher Aktualität. Die aus dem Generalkongress des Verbandes der europäischen Rechtsanwaltskammern (FBE) 2006 hervorgegangene, von Mirko Ros herausgegebenen Publikation „Der Erfolg und das Honorar des Rechtsanwalts“ ist daher eine willkommene Informationsquelle. Der erhebliche Zeitdruck, unter dem der deutsche Gesetzgeber aufgrund der vom BVerfG gesetzten Fristen eine Neuregelung in Kraft setzen muss, hat es offensichtlich nicht erlaubt, von den Erfahrungen des Auslands zum Problem des anwaltlichen Erfolgshonorars zu lernen. Dies ist bedauerlich, hätte dies doch möglicherweise sichergestellt, dass der eine oder andere Fehler, der im aktuellen Entwurf konzeptionell angelegt ist, vermieden worden wäre. Das vorzustellende Buch bietet Erkenntnisse zum anwaltlichen Erfolgshonorar in Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, England und Wales, Spanien, den Niederlanden, Deutschland, der Tschechischen Republik, der Türkei und der Schweiz. Bei den Beiträgen handelt es sich um die Referate der Delegierten der Anwaltskammern aus den fraglichen Rechtsordnungen. Hieraus erklärt sich, dass die Beiträge zum Teil in englischer, zum Teil in deutscher, spanischer oder italienischer Sprache abgedruckt sind. Die Beiträge gehen insbesondere der Frage nach, welche Probleme sich bei erfolgsorientierten Honoraren stellen und ob das traditionelle Verbot des Erfolgshonorars heutzutage noch gerechtfertigt bzw. im Interesse des Klienten ist. Der Band demonstriert insoweit anschaulich, dass sich weltweit in den letzten Jahren in vielen Gesetzgebungen ein bemerkenswerter Wandel in Sachen anwaltliches Erfolgshonorar vollzogen hat. 5. Der Sammelband „Haftpflicht des Rechtsanwalts“ ist aus einer Tagung der Winterthur Versicherung im September 2006 hervorgegangen und behandelt aktuelle Fragen der anwaltlichen Berufshaftung im schweizerischen Recht. Nach einer kurzen Einführung in das Thema aus Sicht der Winterthur Versicherungen, dem führenden Haftpflichtversicherer der schweizerischen Anwaltschaft, beleuchten fünf ausführliche Beiträge das Thema. Watter und Nüesch beschäftigen sich mit dem Rechtsanwalt als Verwaltungsrat (Aufsichtsrat) einer Aktiengesellschaft, den hieraus folgenden Treuepflichten und den haftungsrechtlichen Risiken. Fellmann beleuchtet die neuen Rechtsformen für Anwaltskanzleien und 62

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zeigt ihre Auswirkung auf die Haftung des Anwalts auf. Der Schwerpunkt liegt hier auf den Kapitalgesellschaften. Aus deutscher Sicht besonders interessant sind hier die Betrachtungen zur Aktiengesellschaft, die seit kurzem den schweizerischen Anwälten als Organisationsform zur Verfügung steht. Severin Moser et al., Haftpflicht des Rechtsanwalts, DIKE-Verlag, Zürich Roten analysiert die haftungs2006, 274 S., ISBN 3-905455-86-2, 68,– CHF. rechtliche Verantwortlichkeit des Rechtsanwalts, Arter die Berührungspunkte der anwaltlichen Tätigkeit mit Trusts und den daraus folgenden haftungsrechtlichen Problemen. Der mit mehr als 100 Seiten umfangreichste Beitrag von Luterbacher zur Berufshaftpflichtversicherung – eine solche muss der schweizerische Rechtsanwalt nach Art. 12 BGFA mit einer Mindestversicherungssumme von 1 Mio. CHF unterhalten – rundet den Sammelband ab. 6. Dimitri Slobodenjuk hat sich in seiner Münsteraner Dissertation „Risiken bei grenzüberschreitender Anwaltstätigkeit“ mit Gefahrenquellen des anwaltlichen „cross-border practising“ aus dem Blickwinkel des deutschen und US-amerikanischen Rechts beschäftigt. Hieraus ergeben sich Bezugspunkte zum InternatioDimitri Slobodenjuk, Risiken bei grenzüberschreitender Anwaltstätignalen Privatrecht der Anwaltskeit: Ein Vergleich der Rechtslage in haftung, die der Verfasser ebenDeutschland und den USA, SchülingVerlag, Münster 2007, 156 S., ISBN falls, wenn auch eher 978-3-86523-076-8, 29,50 EUR. grundsätzlich, behandelt. Er zeigt zunächst die Grundstrukturen der Anwaltshaftung nach deutschem Recht und nach amerikanischem Recht auf, bevor er sich sodann der „internationalen Anwaltshaftung“ in Deutschland und den USA zuwendet. Es geht hier weniger um die Entwicklung eines Systems der internationalen Anwaltshaftung als mehr um die Skizzierung der Haftungsrisiken des international tätigen Rechtsanwalts, die er anhand von Fällen aus der Rechtsprechung illustriert. Verschiedenste haftungsträchtige Fallkonstellationen werden von ihm dargestellt, so etwa die Auswahl eines anzurufenden Gerichts bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten, die fehlerhafte Anwendung internationalen Privatrechts, ausländischen Sachrechts oder die Einschaltung eines ausländischen Verkehrsanwalts. Der Befund wird abgeglichen mit Fragen der Anwaltshaftung, namentlich den Auswirkungen grenzüberschreitender Tätigkeit auf den Sorgfaltsmaßstab und die Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung. Dr. Matthias Kilian, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des Soldan-Instituts für Anwaltmanagement e. V. (Essen). Er ist erreichbar per E-Mail: [email protected]

Bücherschau, Kilian

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Haftpflichtfragen

Der Schadenfall in der Anwaltshaftung nach der VVG-Reform Rechtsanwalt Bertin Chab, Mu¨nchen

Die Reform des VVG wirft schon lange ihre Schatten voraus. Die Betriebsabteilungen der Versicherer haben in den verschiedenen Versicherungszweigen längst Bedingungen entworfen, die den neuen Gegebenheiten angepasst wurden und auch der Vertrieb hat sich mehr oder weniger auf die neuen Vorgaben eingestellt, die beispielsweise beim Vertragsschluss zu beachten sind. Was aber gilt im Schadenfall? Freilich wurde auch hierüber bereits abstrakt viel diskutiert und geschrieben. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit einigen praktischen Auswirkungen auf Schadenfälle im Bereich der Anwaltshaftung, soweit man solche überhaupt schon voraussehen kann. Konsequenzen wird die VVG-Reform dementsprechend nicht nur für die Schadenabteilungen der einschlägigen Versicherer haben, sondern auch für die betroffenen Anwälte und nicht zuletzt auch für potentiell Geschädigten und deren Rechtsberater.

1. Direktanspruch a) Voraussetzungen Die Frage, ob der Geschädigte bei allen Pflichtversicherungen und nicht nur im Kfz-Bereich (§ 3 PflVG) nun auch unmittelbar gegen den Versicherer gerichtlich vorgehen kann, war im Gesetzgebungsverfahren bis zuletzt umstritten. Gem. § 115 Abs. 1 VVG n. F. bleibt es bei den Vorschriften über das Pflichtversicherungsgesetz (Ziff. 1); darüber hinaus gilt jetzt für alle Pflichtversicherungen, also auch für die Berufshaftpflichtversicherung der Rechtsanwälte nach § 51 BRAO, dass der Geschädigte einen Anspruch gegen den Versicherer direkt hat, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist (Ziff. 2). Das ist schon im Hinblick auf § 110 VVG n. F. letztlich nur eine bürokratische Erleichterung für alle Beteiligten. Der Insolvenzverwalter kann so von vornherein aus dem Geschehen herausgehalten werden. Der Direktanspruch wird auch dann ermöglicht, wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist (Ziff. 3). Hier kommt der Verbraucherschutzgedanke zum Tragen. Der Anspruchsteller hatte bisher nur die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO. Mit dem so zu erlangenden Haftpflichttitel musste er sich anschließend mit dem Versicherer auseinandersetzen, für ihn also ein etwas steiniger Weg. b) Folgen Für die Praxis der Schadenbearbeitung erscheinen zwei Aspekte bedeutsam: Zunächst kann man feststellen, dass sich insolvente und naturgemäß erst recht untergetauchte Versicherungsnehmer tendenziell wenig kooperativ zeigen. Gerade in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung ist man aber im SchaSchadenfall in der Anwaltshaftung, Chab

denfall auf die Mithilfe des Versicherungsnehmers stärker angewiesen als beispielsweise bei Kfz-Schadenfällen, wo zumindest in schwerwiegenderen Fällen eine Unfallaufnahme durch die Polizei erfolgt und die Ermittlungsakten weiterhelfen können. Auch im Anwaltshaftungsfall stehen dem Versicherer – wenn er Glück hat – Handakten und Gerichtsakten eines Vorprozesses zur Verfügung; diesen kann aber das Entscheidende nicht immer entnommen werden. Schließlich kommt es häufig darauf an, was „außerhalb des Protokolls“ besprochen wurde. Insofern hat sich aber die Situation der Versicherer nicht wesentlich verschlechtert, bestanden doch diese Probleme bei nicht kooperierenden oder gar untergetauchten Versicherungsnehmern auch schon nach altem Recht. Bislang hatte man auf Seiten der Versicherung allenfalls mehr Zeit. Der Anspruchsteller musste nämlich zunächst gegen den Insolvenzverwalter oder den untergetauchten Versicherungsnehmer klagen und dabei die eigenen Obliegenheiten gegenüber der Versicherung beachten, insbesondere die Anzeigepflicht nach § 158 d VVG a. F. Hier bestand lange die zusätzliche Schwierigkeit, die richtige Gesellschaft zu ermitteln. Diese letzte Hürde wurde dem Geschädigten erst 2007 durch eine Änderung des § 51 Abs. 6 BRAO (Gesetz vom 26.3.2007, BGBl. I, 358) genommen. Das bedeutete für die potenziell Geschädigten in jedem Fall Aufwand und weitere (Kosten-)Risiken, die diese nicht immer bereit waren zu tragen. Nunmehr sind die Schadenabteilungen gezwungen, möglichst rasch aktiv zu werden, um denkbare Nachteile aufgrund der bisweilen eklatanten Informationsdefizite möglichst zu vermeiden. Sie werden noch eher als bisher auf eine enge Zusammenarbeit mit Rechtsanwaltskanzleien überall vor Ort angewiesen sein, die ggf. kurzfristig Akten einsehen und dann entsprechend prozessual reagieren können. Der zweite Aspekt betrifft die Frage, ob und inwieweit der Versicherer nun bereits im Prozess mit dem Geschädigten deckungsrechtliche Fragen aufwerfen kann und muss, die eigentlich das Verhältnis zum Versicherungsnehmer betreffen. § 117 Abs. 1 VVG n. F. bestimmt, dass der Versicherer dem Direktanspruch des Dritten nicht entgegenhalten kann, dass Leistungsfreiheit besteht. Ebenso wie im § 158 c VVG a. F. sind damit Einwendungen gemeint, die sich auf Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers beziehen. Hat der Versicherungsnehmer den Schaden also beispielsweise verspätet gemeldet und will der Versicherer sich deshalb auf Leistungsfreiheit diesem gegenüber berufen, ist er auf den Gesamtschuldnerausgleich gem. § 116 VVG n. F. angewiesen. Besteht aber andererseits z. B. in zeitlicher Hinsicht außerhalb der in § 117 Abs. 2 VVG n. F. beschriebenen Sonderfälle keine Deckung, so kann und muss das sofort geltend gemacht werden, denn diese Einwendungen können dem Dritten gegenüber sehr wohl entgegengehalten werden (§ 117 Abs. 3 S. 1 VVG n. F.). Das gleiche gilt, wenn Ausschlussgründe wie insbesondere die „wissentliche Pflichtverletzung“ greifen. Gerade wenn die Voraussetzungen für den Direktanspruch vorliegen, kann das erfahrungsgemäß der Fall sein, weil der Anwalt z. B. ganz bewusst nicht mehr für die Mandanten tätig war oder weil er schlicht und ergreifend mit unterschlagenem Geld untergetaucht ist – mit Sicherheit kein Massenphänomen. Hinzu kommen allerdings noch die Fälle, in denen die Tätigkeit des Anwalts von vornherein nicht dem Versicherungsschutz unterliegt, weil sich der Auftrag z. B. auf eine verwaltende Treuhand ohne jede Rechtsberatung beschränkte (dazu Chab, AnwBl 2004, 440) oder AnwBl 1 / 2008

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Haftpflichtfragen

weil im Rahmen eines Aufsichtsratsmandats gehandelt wurde. In all diesen Fällen gilt, dass das Trennungsprinzip zwischen Haftung und Deckung aufgehoben wird. Der Versicherer muss schon im Prozess gegen den Geschädigten entsprechende Einwendungen bringen, um der Eintrittspflicht nach außen zu entgehen. Unterlässt er das, wäre er auf den – dann in der Regel wohl wertlosen – Gesamtschuldnerausgleich gegenüber dem Versicherungsnehmer verwiesen.

2. Obliegenheitsverletzungen Denkbare Schäden sind möglichst frühzeitig an die Versicherung zu melden. Die Schadenabteilungen der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer sind in der Regel daran interessiert, so frühzeitig involviert zu werden, dass Rettungsmöglichkeiten wie Wiedereinsetzungsanträge nach Versäumung einer Notfrist noch intern abgestimmt werden können; hier zahlt sich die besondere Erfahrung bei den zuständigen Abteilungen bisweilen aus. So sehen es auch die einschlägigen Versicherungsbedingungen vor. Bislang galt für Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls, dass sich die Versicherer auf Leistungsfreiheit berufen konnten, wenn sich der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig verhielt, bei grober Fahrlässigkeit allerdings nur, soweit auch Feststellungsinteressen der Versicherung durch die Obliegenheitsverletzung tatsächlich berührt wurden ( § 6 Abs. 3 VVG a. F.). § 28 II VVG n. F. rückt vor allem vom „Alles-oder-NichtsPrinzip“ bei grober Fahrlässigkeit ab. Bei einfacher Fahrlässigkeit kann sich der Versicherer nie auf Leistungsfreiheit berufen, bei Arglist stets, auch wenn sich die Obliegenheitsverletzung nicht auf dessen Feststellungsinteressen ausgewirkt hat (§ 28 Abs. 3 VVG n. F.) Bei Vorsatz ist völlige Leistungsfreiheit möglich, wenn Ursächlichkeit hinzukommt; bei grober Fahrlässigkeit und Ursächlichkeit kann eine Leistungskürzung je nach Schwere der Schuld vorgenommen werden. Die neue Regelung verschlechtert die Position der Versicherer insofern, als diese bislang auf einen Deckungsprozess mit möglicherweise völligem Unterliegen des Versicherungsnehmers verweisen konnten; dieser kann jetzt damit rechnen, dass er auch im Prozess zumindest eine Quote erzielen wird. Da hierüber aber Unsicherheit besteht, werden verstärkt außergerichtliche Lösungen angestrebt werden. Was die Gerichte im Detail daraus machen werden, wenn sie doch einmal bemüht werden, bleibt abzuwarten.

3. Wegfall des Anerkenntnisverbots Bislang sahen die Versicherungsbedingungen ein striktes Verbot von Anerkenntnissen des Versicherungsnehmers gegenüber dem Anspruchsteller vor. Bei Anerkenntnissen ohne Rücksprache mit dem Versicherer konnte dieser sich ohne weiteres auf Leistungsfreiheit berufen. Auch das ist jetzt nicht mehr möglich, § 105 VVG n. F. Das hat zur Folge, dass nunmehr Rechtsanwälte die Schadenersatzansprüche Ihrer Mandanten auch dann befriedigen können, wenn der Versicherer der Meinung ist, eine Haftung sei nicht gegeben. Der Anwalt muss nicht befürchten, dass ihm allein deshalb jeglicher Versicherungsschutz versagt wird. Freilich sind die Versicherungen auch nicht umgekehrt automatisch zur Leistung verpflichtet. Die Folge ist vielmehr eine Verlagerung 64

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des Prozessrisikos vom potenziell geschädigten Mandanten auf den Versicherungsnehmer, der nun den Haftpflichtprozess inzident in den Deckungsprozess mit dem Versicherer verlagern kann, wenn dieser Leistungen weiterhin ablehnt. Das kann erhebliche Auswirkungen haben. Zum einen schleicht sich hier – wenn man so will – ein weiterer Fall des Direktanspruchs durch die Hintertüre herein, denn der Versicherungsnehmer klagt im Prinzip für den Geschädigten und nimmt dessen Rolle ein. So werden aber auch Zeugenrollen „verschoben“. Im Prozess zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung steht der Anspruchsteller als Zeuge zur Verfügung, während er als Partei im Haftpflichtprozess gegen den Anwalt diese Rolle nicht einnehmen kann. Dazu ein Beispiel: Ein Rechtsanwalt hat eine Werklohnforderung seines Mandanten eingeklagt. Diese Klage wird wegen Verjährung abgewiesen. Im Prozess hatte der Gegner vorgetragen, dass eine Barzahlung auf der Baustelle erfolgte, konnte aber keine Quittung vorweisen. Wenn die Forderung nicht verjährt gewesen wäre, hätte er den Prozess wohl verloren, weil er die Erfüllung nicht hätte nachweisen können. Dennoch kann der Haftpflichtversicherer mit Erfolg die Kausalität bestreiten, weil der einstige Gegner des Mandanten jetzt im Haftpflichtprozess als Zeuge für die Zahlung aussagen kann, während dem Mandanten dies als Partei verwehrt ist. Erkennt aber nun der Anwalt den Schadenersatzanspruch nach neuem Recht an, so bleibt es zwar dabei, dass der Besteller, der frühere Gegner des Mandanten, nach wie vor Zeuge sein kann. Das gilt aber auch für den Mandanten. Die Zahlung, also Erfüllung, kann damit wieder aussichtsreicher bestritten werden. Ein „non liquet“ würde – wie im Vorprozess – zu Lasten des Versicherers gehen.

4. Wegfall der besonderen Verjährungsvorschriften Die VVG-Reform folgt den allgemeinen Bestrebungen, besondere Verjährungsvorschriften möglichst abzuschaffen. § 12 Abs. 1 und § 12 Abs. 3 VVG a. F. wurden deshalb ersatzlos gestrichen, es gelten nunmehr die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff BGB. Allein der besondere Hemmungstatbestand des § 12 Abs. 2 VVG a. F. ist als § 15 VVG n. F. stehen geblieben. Was damit in vielen Versicherungszweigen die Berufung des Versicherers auf Verjährung bzw. Versäumung der Ausschlussfrist erschweren wird, bedeutet im Gegenzug für die Anwaltshaftung den Verlust eines „beliebten“ Haftungsgrundes. Man wird ohne Übertreibung sagen können, dass eine bedeutende Quote von Haftungsfällen im Bereich des Versicherungsrechts darauf zurückzuführen wäre, dass es eben die Anwälte der Versicherungsnehmer waren, die schuldhaft diese Fristen versäumten. Diese Fälle gehören demnächst wohl der Vergangenheit an.

Bertin Chab, München Der Autor ist Rechtsanwalt und bei der Allianz Versicherungs-AG tätig. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder. Den Autor erreichen Sie unter [email protected].

Schadenfall in der Anwaltshaftung, Chab

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Rechtsprechung

Anwaltsrecht

Maklertätigkeit unvereinbar mit Anwaltsberuf BRAO § 7 Nr. 8

Der Mitgeschäftsführer und Mitgesellschafter einer Gesellschaft, die sich auch mit der Vermittlung von Immobilien befasst, kann die Gefahr einer Interessenkollision nicht dadurch vermeiden, dass er sich in der Geschäftsführung auf den Verwaltungsbereich beschränkt (Fortführung von Senat, Beschl. v. 13. Oktober 2003, AnwZ (B) 79/02, BRAK-Mitt. 2004, 79 und v. 18. Oktober 1999, AnwZ (B) 97/98, BRAK-Mitt. 2000, 43). BGH, Beschl. v. 8.10.2007 – AnwZ (B) 92/06

Aus den Gründen: I. Der Antragsteller war vom 19. Februar 1990 bis zum verzichtsbedingten Widerruf seiner Zulassung am 3. Februar 2004 als Rechtsanwalt bei dem Landgericht und seit dem 8. März 1995 auch bei dem hanseatischen Oberlandesgericht als Rechtsanwalt zugelassen. Am 5. November 2004 beantragte er erneut die Zulassung als Rechtsanwalt und gab dabei an, neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt auch als „Kaufmann“ tätig sein zu wollen. Bei der mit „Kaufmann“ beschriebenen Tätigkeit handelt es sich um die Tätigkeit des Antragstellers als Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Mitgeschäftsführer der Sch. GmbH (fortan Sch. GmbH) und als Gesellschafter und Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH der T. BBM Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH & Co KG (fortan T. KG). Beide Gesellschaften befassen sich mit dem Ankauf bzw. der Vermarktung und Verwaltung von Immobilien. Die Sch. GmbH befasst sich mit der Verwaltung und der Vermittlung von Immobilien, die T. KG – nach den Angaben des Antragstellers – mit dem Ankauf, der Umwandlung und dem Verkauf eigener Grundstücke. Nach Bestätigungen seines Mitgeschäftsführers M. ist der Antragsteller in beiden Gesellschaften nicht akquisitorisch tätig. In der Sch. KG sei der Antragsteller nach Auskunft seines Mitgeschäftsführers M. nur im Verwaltungsbereich tätig. Auch beabsichtigte er nur, die Gesellschaften bei der Durchsetzung eigener Forderungen zu vertreten. Das räumt nach Ansicht der Antragsgegnerin die Gefahr von Interessenkollisionen nicht aus. Sie lehnte deshalb den Zulassungsantrag mit Rücksicht auf diese Tätigkeit des Antragstellers in den beiden Gesellschaften (§ 7 Nr. 8 BRAO) ab. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen Zulassungsantrag weiterverfolgt. Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. II. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu Recht nach § 7 Nr. 8 BRAO versagt. Die von ihm ausgeübten Tätigkeiten als Gesellschafter und Mitgeschäftsführer in der Sch. GmbH und der T. KG sind mit dem Anwaltsberuf unvereinbar. 1. Nach § 7 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. a) Die Regelung greift in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 I GG) ein, die grundsätzlich auch das Recht umfasst, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben (BVerfGE 87, 287, 316). Gegen die gesetzliche Beschränkung der Berufswahl durch die Zulassungsschranke in § 7 Nr. 8 BRAO bestehen von Verfassungs wegen keine Bedenken; sie dient – wie die entsprechende Vorschrift über den Widerruf der Anwaltsrecht

Zulassung in § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO – der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (BVerfGE 87, 287, 321; Senat, Beschl. v. 15. Mai 2006, AnwZ (B) 41/05, NJW 2006, 2488, 2489). Das Ziel der Regelungen besteht darin, die fachliche Kompetenz und Integrität sowie ausreichenden Handlungsspielraum der Rechtsanwälte zu sichern sowie die notwendigen Vertrauensgrundlagen der Rechtsanwaltschaft zu schützen (BVerfGE 87, 287, 321). Daher kommt es bei der Frage der Vereinbarkeit des Anwaltsberufs mit anderen Tätigkeiten nicht nur auf die Integrität des einzelnen Bewerbers und die Besonderheiten seiner beruflichen Situation an; selbst wenn diese im Einzelfall durchaus günstig beurteilt werden könnten, muss darüber hinausgehend berücksichtigt werden, ob die Ausübung des zweiten Berufs beim rechtsuchenden Publikum begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz eines Rechtsanwalts wecken müsste und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt in Mitleidenschaft gezogen würde (BVerfGE 87, 287, 320 f.). b) Unabhängigkeit und Integrität eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebliche Orientierung am Recht und an den Interessen seiner Mandanten können insbesondere bei einer erwerbswirtschaftlichen Prägung des Zweitberufs gefährdet sein; Interessenkollisionen liegen vor allem dann nahe, wenn ein kaufmännischer Beruf die Möglichkeit bietet, Informationen zu nutzen, die aus der rechtsberatenden Tätigkeit stammen (BVerfGE 87, 287, 329; Senat, Beschl. v. 15. Mai 2006, AnwZ (B) 41/05, NJW 2006, 2488, 2489). Angesichts der Vielfalt kaufmännischer Betätigungen kommt es darauf an, ob sich der erwerbswirtschaftlich ausgerichtete Zweitberuf von dem Tätigkeitsfeld des Rechtsanwalts, zumindest mit Hilfe von Berufsausübungsregelungen, unschwer trennen lässt oder ob sich die Gefahr einer Interessenkollision deutlich abzeichnet und nicht mit Hilfe von Berufsausübungsregelungen bannen lässt (BVerfGE 87, 287, 330; Senat, Beschl. v. 15. Mai 2006, AnwZ (B) 41/05, NJW 2006, 2488, 2489). Insoweit ist es Aufgabe der Rechtsprechung, die denkbaren Gefahren für die Rechtspflege, die von einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgehen, zu erfassen und je nach ihrer Wahrscheinlichkeit den verschiedenen Berufsgruppen zuzuordnen. c) Interessenkollisionen, die das Vertrauen in die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden, liegen nicht schon dann vor, wenn das Wissen aus der einen Tätigkeit für die jeweils andere von Vorteil ist (Senat, Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 44/94, BRAK-Mitt. 1995, 163, 164; v. 11. Dezember 1995, AnwZ (B) 32/95, BRAK-Mitt. 1996, 78; v. 10. Juli 2000, AnwZ (B) 55/99, NJW 2000, 3575, 3577; Beschl. v. 13. Oktober 2003, AnwZ (B) 79/02, NJW 2004, 212). Für die Berufswahlbeschränkung des § 7 Nr. 8 BRAO ist vielmehr darauf abzustellen, ob die zweitberufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise von Seiten der Mandantschaft die Wahrscheinlichkeit von Pflichten- und Interessenkollisionen nahe legt (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November 1994 aaO unter Hinweis auf die amtliche Begründung zur Neufassung des § 7 Nr. 8 BRAO). Dabei bleiben solche Pflichtenkollisionen außer Betracht, die sich ergäben, wenn der Rechtsanwalt in ein und derselben Angelegenheit sowohl als Rechtsanwalt als auch in seinem Zweitberuf tätig würde. Denn insoweit greifen die Tätigkeitsverbote der § 45 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 2, § 46 Abs. 2 BRAO ein (Senat, Beschl. v. 21. November 1994 aaO; v. 11. Dezember 1995 aaO). d) Der Senat hat eine durch Tätigkeitsverbote nicht ausreichend zu bannende Gefahr von Interessenkollisionen insbesondere dann bejaht, wenn der Rechtsanwalt zweitberuflich als Versicherungsmakler tätig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat, Beschl. v. 14. Juni 1993, AnwZ (B) 15/93, BRAK-Mitt. 1994, 43, 44; v. 13. Februar 1995, AnwZ (B) 71/94, BRAK-Mitt. 1995, 123, 124; v. 21. Juli 1997, AnwZ (B) 15/97, BRAK-Mitt. AnwBl 1 / 2008

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Rechtsprechung

1997, 253 f; v. 18. Oktober 1999, AnwZ (B) 97/98, BRAK-Mitt. 2000, 43). Er hat dies mit der Erwägung begründet, Rechtsanwälte hätten es bei der Wahrnehmung ihrer Mandate vielfach mit der Abwägung von Risiken zu tun, die versichert werden könnten. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass ein Rechtsanwalt im eigenen Courtage-Interesse dem Mandanten empfehle, bestehende Versicherungsverträge zu kündigen und von ihm vermittelte „bessere“ Verträge neu abzuschließen. Dies sei mit der anwaltlichen Berufspflicht, unabhängig und nur gegen das in der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung geregelte Honorar tätig zu werden, nicht vereinbar. Auf den Vermittler von Finanzdienstleistungen (vgl. Senat, Beschl. v. 18. Oktober 1999 aaO) und den Grundstücksmakler (vgl. Senat, Beschl. v. 21. September 1987, AnwZ (B) 25/87, BRAK-Mitt. 1988, 49, 50; v. 10. Juli 2000 aaO; v. 11. Oktober 2000, AnwZ (B) 54/99, BRAK-Mitt. 2001, 90; Beschl. v. 13. Oktober 2003, AnwZ (B) 79/02, aaO) hat der Senat diesen Rechtsgedanken entsprechend angewandt. 2. Nach diesen Vorgaben ist jedenfalls die kaufmännische Tätigkeit als Gesellschafter und Mitgeschäftsführer der Sch. GmbH, die der Antragsteller fortführen will, mit seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt unvereinbar. a) Diese Gesellschaft ist auch Immobilienmaklerin. Die Tätigkeit als Immobilienmakler ist mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts unvereinbar. Dies hat der Senat in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2003 (AnwZ (B) 79/02, NJW 2004, 212) im Einzelnen dargelegt. Neue Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung rechtfertigten oder erforderlich machten, liegen nicht vor und werden von dem Antragsteller auch nicht geltend gemacht. b) Diese Tätigkeit lässt sich auch nicht deswegen mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt vereinbaren, weil der Antragsteller als Mitgeschäftsführer nur im Verwaltungsbereich der Sch. GmbH, nicht aber akquisitorisch tätig ist. aa) Dem Antragsteller ist allerdings zuzugeben, dass der Senat die Unvereinbarkeit mit dem Beruf des Rechtsanwalts bei dem Immobilienmakler nicht allein aus dessen „kaufmännisch werbender Tätigkeit“ (Beschl. v. 10. Juli 2000, AnwZ (B) 55/99, NJW 2000, 3575, 3577) herleitet, sondern aus der strukturellen Gefährdung der Mandanten aus der parallelen Wahrnehmung beider Tätigkeiten (Beschl. v. 13. Oktober 2003, AnwZ (B) 79/02, NJW 2004, 212, 213). Deshalb hat der Senat die Unvereinbarkeit mit dem Beruf des Rechtsanwalts für eine Tätigkeit als Angestellter eines Maklerunternehmens verneint, wenn dem Angestellten eine akquirierende Tätigkeit untersagt war (Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B) 44/94, NJW 1995, 1031; v. 11. Dezember 1995, AnwZ (B) 32/95, NJW 1996, 2378; v. 10. Juli 2000, aaO; Beschl. v. 15. Mai 2006, AnwZ (B) 41/05, NJW 2006, 2488, 2489). bb) Diese Unterscheidung gilt aber nicht bei einer Tätigkeit als Geschäftsführer. Hier kommt es nicht darauf an, ob der Geschäftsführer selbst akquirierend tätig ist oder ob dies anderen obliegt (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 1999, AnwZ (B) 97/98, BRAK-Mitt. 2000, 43, 44). Zwar könnte, ähnlich wie in einem Anstellungsvertrag, in dem Geschäftsführervertrag des Geschäftsführers einer GmbH oder auch durch einen Beschluss der Geschäftsführung festgelegt werden, dass einer der mehreren Geschäftsführer einer GmbH nicht akquirierend tätig werden soll. Eine solche Aufteilung würde auch dazu führen, dass der betreffende Gesellschafter den ihm zukommenden Handlungspflichten für die Gesellschaft als Ganzes durch Beschränkung seiner Tätigkeit auf diesen Bereich nachkommen kann. Durch eine derartige Aufteilung der Geschäfte wird die Verantwortlichkeit des nicht betroffenen Geschäftsführers nach innen und außen beschränkt, denn im allgemeinen kann er sich darauf verlassen, dass der zuständige Geschäftsführer die ihm zugewiesenen Aufgaben erledigt (BGHZ 133, 370, 377). Doch verbleiben dem nicht betroffenen Geschäftsführer in jedem Fall 66

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kraft seiner Allzuständigkeit gewisse Überwachungspflichten, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den zuständigen Geschäftsführer nicht mehr gewährleistet ist (BGHZ 133, 370, 378). In gleicher Weise kann es die jedem Mitgeschäftsführer nach § 43 Abs. 1 GmbHG obliegende Pflicht zur Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns erfordern, den zuständigen Mitgeschäftsführer auf Gesichtspunkte hinzuweisen, die für die Wahrung des Unternehmensinteresses wesentlich sind. Der Mitgeschäftsführer ist dem Unternehmensinteresse stärker verpflichtet als ein Angestellter des Unternehmens mit eingeschränktem Aufgabenbereich. Hinzu kommt hier, dass der Antragsteller nicht nur angestellter Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter der Sch. GmbH ist. Mit den anderen Gesellschaftern ist er deshalb nach § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG für die Bestellung und die Abberufung der im Akquisitionsgeschäft tätigen Geschäftsführer sowie deren Entlastung und für Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung in diesem Bereich verantwortlich. Er kann jedenfalls deshalb eine Interessenkollision nicht durch eine Beschränkung seines Zuständigkeitsbereichs als Geschäftsführer vermeiden. c) Die Gefährdung der Mandanteninteressen lässt sich auch nicht durch Tätigkeitsverbote als milderes Mittel vermeiden. Die aufgezeigten Interessenkonflikte ergeben sich nicht nur bei bestimmten Mandaten. Sie können bei jeder Art von Mandat auftreten. Die Interessen der Mandanten lassen sich auch nicht mit dem Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO ausreichend schützen. Das hat der Senat für den Immobilienmakler im Einzelnen dargelegt (Beschl. v. 13. Oktober 2003, AnwZ (B) 79/02, NJW 2004, 212, 213). d) Ob auch die Tätigkeit des Antragstellers als Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH der T. KG mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar ist, bedarf keiner Entscheidung.

Keine (leichte) Flucht in die Anstellung BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7

Nicht jede Tätigkeit als angestellter Anwalt begründet einen Ausnahmefall, bei dem die Zulassung als Anwalt nicht widerrufen wird, weil der Vermögensverfall des Anwalts Mandanteninteressen nicht gefährdet. Es muss sichergestellt sein, dass der Anwalt keine Mandantengelder persönlich in bar vereinnahmt oder auf ein eigenes Konto überweisen lässt. (Leitsatz der Redaktion) BGH, Beschl. v. 17.9.2007 – AnwZ (B) 75/06

Aus den Gründen: 1. Der jetzt 42-jährige Antragsteller ist seit 1996 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 24. Februar 2006 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers wegen Vermögensverfalls widerrufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Gegen dessen Beschluss hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. 2. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof die Voraussetzungen eines Vermögensverfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids als belegt angesehen. Der Antragsteller war mit Haftbefehl vom 23. Dezember 2005 wegen einer Forderung der DAK G. über 985 E und mit Haftbefehl vom 12. Januar 2006 Anwaltsrecht

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wegen einer Forderung der D. Versicherung über 41 E beim Amtsgericht H. im Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) eingetragen. Damit wurde der Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 (2. Halbsatz) BRAO gesetzlich vermutet. Außerdem bestand neben weiteren Forderungen auch ein Zahlungsanspruch der Rechtsanwaltsversorgung N. in Höhe von etwa 4.700 E. b) Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargetan, dass sich seine Vermögensverhältnisse nunmehr konsolidiert hätten, so dass von einem Widerruf abgesehen werden könnte (vgl. BGHZ 75, 356; 84, 149). Das Erfordernis der hierfür unerlässlichen umfassenden Darstellung seiner Vermögensverhältnisse (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 14 Rdn. 59 m. w. N.) hat er kaum, jedenfalls nicht ausreichend erfüllt. Der Haftbefehl wegen der Forderung der DAK G. ist noch immer eingetragen. Zudem musste der Beschwerdeführer während des Verfahrens vor dem Anwaltsgerichtshof wegen der Forderung der D. Versicherung die eidesstattliche Versicherung abgeben. Auch haben sich während des Beschwerdeverfahrens die Verbindlichkeiten des Antragstellers gegenüber der Rechtsanwaltsversorgung N. auf etwa 12.500 E erhöht und sind Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt H. in Höhe von 5.200 E bekannt geworden. c) Ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines Ausnahmefalls, in dem die Interessen der Rechtsuchenden ungeachtet des Vermögensverfalls nicht gefährdet wären, sind nicht erkennbar. Der Antragsteller hat zwar vorgetragen, er sei als angestellter Rechtsanwalt „auf der Basis von 30 Stunden/ Woche mit entsprechend geringen Einkünften“ tätig und unterhalte kein eigenes Geschäftskonto. Das reicht jedoch nicht aus. Solch besonderen Vereinbarungen und Regelungen im Anstellungsvertrag, wie sie der Senat in seiner Entscheidung vom 18. Oktober 2004 – AnwZ (B) 43/03 (NJW 2005, 511) hat genügen lassen, sind vom Antragsteller nur teilweise vorgetragen worden. Insbesondere ist, worauf der Anwaltsgerichtshof zutreffend hingewiesen hat, nicht sichergestellt, dass der Antragsteller keine Mandantengelder persönlich in bar vereinnahmt oder ein neues Konto auf seinen eigenen Namen eröffnet.

Beweislast beim Vermögensverfall BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7

Wenn die gesetzliche Vermutung für einen Vermögensverfall nicht eingreift (hier: aufgrund fehlender Eintragungen des Schuldverzeichnis), muss der Vermögensverfall dem Anwalt nachgewiesen werden. (Leitsatz der Redaktion) BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – AnwZ (B) 59/06

Aus den Gründen: I. Der Antragsteller wurde 1990 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Amts- und Landgericht S. und 1995 auch bei dem Oberlandesgericht S. zugelassen. Mit Bescheid vom 2. September 2005 widerrief die Antragsgegnerin diese Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts. II. Das nach § 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Die angegriffene Widerrufsverfügung der Antragsgegnerin hat keinen Bestand. 1. Gerät der Rechtsanwalt in Vermögensverfall, ist seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Ein Vermögensverfall wird nach dieser Vorschrift vermutet, wenn der Rechtsanwalt in das Anwaltsrecht

vom Insolvenzgericht (§ 26 Abs. 2 InsO) oder vom Vollstreckungsgericht (§ 915 ZPO) zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Im Übrigen liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; Senatsbeschluss vom 25. März 1991 – AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083 unter II 1 m. Nachw.). Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass der Widerrufsverfügung nicht vor. Die Antragsgegnerin hat die Annahme des Vermögensverfalls allein darauf gestützt, dass der Antragsteller einen Betrag von 30.000 E, den er aus einem gerichtlichen Vergleich in dem Verfahren 9 O/04 Landgericht S. vom 15. April 2005 schuldete, nach Mitteilung des gegnerischen Anwalts noch nicht gezahlt hatte. Die Gerichtsvollzieherin hatte die Zwangsvollstreckung wegen dieser Forderung in die Kanzlei als Gemeinschaftseinrichtung mehrerer Rechtsanwälte abgelehnt und die Antragsgegnerin um die Angabe der Privatanschrift des Antragstellers gebeten. Die Antragsgegnerin hatte daraufhin am 29. Juli 2005 dem Antragsteller ein Anhörungsschreiben unter Hinweis auf § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO übersandt, das der Antragsteller nach seinen Angaben nach Urlaubsrückkehr am 19. August 2005 erhalten hat. Er veranlasste daraufhin noch vor Zustellung der Widerrufsverfügung die vollständige Zahlung dieser Forderung. Nach der Aufstellung des gegnerischen Anwalts ist sie am 7. September 2005 erfolgt. Die Antragsgegnerin hat im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof weiter darauf hingewiesen, dass in der Beschwerdesache B.L./05 gegen den Antragsteller mit Beschlüssen vom 29. Juni und vom 29. September 2005 Zwangsgelder von 500 E bzw. von 1000 E, und in der Beschwerdesache B.L./05 mit Beschluss vom 29. September 2005 ein weiteres Zwangsgeld von 500 E festgesetzt worden waren und er in einem weiteren Beschwerdeverfahren das Zwangsgeld von 1.500 E erst im Vollstreckungsverfahren gezahlt habe. Schließlich ist noch vorgetragen worden, dass in vergangenen Jahren, zuletzt 2002, Kammerbeiträge des Antragstellers zwangsweise beigetrieben werden mussten. Damit ist nicht ausreichend belegt, dass der Antragsteller sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung in Vermögensverfall befunden hat. Die Begleichung von in der Widerrufsverfügung aufgeführten Forderungen führt zwar nicht ohne weiteres zum Wegfall eines zunächst bestehenden Vermögensverfalls. Die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Widerrufsverfügung erfolgte Zahlung der aufgeführten Forderung indizierte hier aber nicht, dass der Antragsteller sich in ungeordneten Vermögensverhältnissen befand, die er in absehbarer Zeit nicht in der Lage war zu ordnen. Zwar hat der Antragsteller verspätet gezahlt. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen waren – mit Ausnahme der von der Antragsgegnerin aufgeführten Zwangsgeldbeitreibung über 1.500 E in einer Beschwerdesache – aber nicht ersichtlich. Die Zwangsvollstreckung wegen der Forderung von 30.000 E war auch nicht fruchtlos verlaufen, worauf der Antragsteller zu Recht hinweist, sondern noch gar nicht erfolgt. Die sonstigen Zwangsgelder waren zum Teil erst später festgesetzt worden, ihre Vollstreckung ließ sich zudem durch Erfüllung der dem Antragsteller obliegenden Pflichten abwenden. Da die gesetzliche Vermutung für einen Vermögensverfall, die an eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis anknüpft, nicht greift, kommt auch die mit dieser Vermutung verknüpfte Beweislastumkehr nicht zum Tragen. Die Widerrufsverfügung und der angefochtene Beschluss des Anwaltsgerichtshofs können deshalb auch nicht mit der Begründung bestehen bleiben, dass der Antragsteller es versäumt habe, seine Einkommens- und VermögensAnwBl 1 / 2008

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verhältnisse darzulegen. Vielmehr muss ein Vermögensverfall nachgewiesen sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Dass der Antragsteller durch einen weiteren erst im Februar 2006, also nach der Widerrufsverfügung abgeschlossenen Vergleich mit der A. Versicherung AG zu weiteren Zahlungen verpflichtet war, ist unerheblich, da der Vermögensverfall zum Zeitpunkt der Widerrufsverfügung vorgelegen haben muss. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Antragsteller diese – späteren – Forderungen zwischenzeitlich getilgt hat.

Zeugnisverweigerungsrecht für Reno StPO § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53 a Abs. 1

Das anwaltliche Zeugnisverweigerungsrecht erfasst durch die Frage, ob überhaupt ein Mandatsverhältnis besteht. Auf das Zeugnisverweigerungsrecht kann sich auch eine Rechtsanwaltsfachangestellte als Berufshelferin berufen. (Leitsatz der Redaktion) LG Dresden, Beschl. v. 14.6.2007 – 3 AR 05/07

Aus den Gründen: 1. Die Antragstellerin wurde als Zeugin von der Staatsanwaltschaft Dresden vorgeladen. Im Vernehmungstermin am 12.3.2007 lehnte sie eine Beantwortung von Fragen im Zusammenhang mit den Rechnungen der Firma X. sowie deren eventuellem Mandatsverhältnis zur Anwaltskanzlei Y. unter Hinweis auf §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 53 a Abs. 1 StPO ab, da sie in dieser Kanzlei Rechtsanwaltsfachangestellte sei. Hierauf erging gemäß §§ 161 a Abs. 2, 70 Abs. 1 StPO die obengenannte staatsanwaltschaftliche Anordnung vom 13.3.2007, auf deren Gründe Bezug genommen wird, woraufhin die Zeugin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 161 a Abs. 3 Satz 1 StPO stellte, zu der das Landgericht Dresden gemäß § 161 a Abs. 3 Satz 2 StPO berufen ist. 2. Der Zeugin steht ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 53 a Abs. 1 StPO zu, da Fragen laut dem der Zeugin mitgeteilten Beweisthema (Bl. 249 d. A.) zu den „Leistungen der Firma X. ... sowie Vorgängen im Zusammenhang mit den Rechnungen der Firma X. ...“ Feststellungen zum Vorliegen eines Mandatsverhältnisses an sich beinhalten, was als Ausfluss aus dem Zeugnisverweigerungsrecht des Berufsgeheimnisträgers, hier Rechtsanwalt Z., auch zu einem Zeugnisverweigerungsrecht der Antragstellerin als Berufshelferin führt. Zwar besteht (nach Aktenlage) nur ein Mandatsverhältnis zwischen der Landeshauptstadt Dresden, vertreten durch ..., und der Kanzlei V. im Rahmen eines Beratungsvertrages betreffend Neustrukturierung der Staatsoperette Dresden und es wird auch konzediert, dass die rechtlichen Bedenken gegen diesen Vertrag und die erfolgte Zahlung an den Beschuldigten A. geradezu evident sind. Jedoch geht der Schutz des Mandatsverhältnisses sehr weit. Zum einen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem obengenannten Beratervertrag nicht um die Inanspruchnahme anwaltlicher Tätigkeiten gemäß § 1 RVG handelt. Eine Berufstätigkeit des Rechtsanwalts liegt in der Gewährung rechtlichen Beistands. Im Zweifel ist anzunehmen, dass eine Partei, die sich an einen Rechtsanwalt wendet, erwartet, dass er ihre rechtlichen Interessen betreut. Daher ist es (gebührenrechtlich) unerheblich, ob juristische oder sonstige Fähigkeiten des Rechtsanwalts für die Erteilung des Auftrags im Vordergrund gestanden haben (Gerold, Schmidt u. a., RVG, 17. Aufl., § 1 Rn. 31). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass es sich um die Beauftragung nichtanwaltlicher Tätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 RVG gehandelt haben könnte, zumal auch Buchführung und 68

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Bilanz als Berufstätigkeit des Anwalts angesehen werden können (Gerold u. a., aaO, Rn. 263). Da somit nicht von vornherein eine nichtanwaltliche Tätigkeit zu unterstellen ist, welche die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO ausschließen würde, können zum einen auch die Beziehungen der Kanzlei zur Firma X. unter das bestehende Mandatsverhältnis fallen, da ausweislich der Rechnung dieser Firma vom 17.12.2004 über 8.700,– Euro Leistungen innerhalb des Vertragsverhältnisses LandeshauptstadtKanzlei Y. „erbracht“ worden sind. Zum anderen unterfällt schon die Frage, ob überhaupt ein Mandatsverhältnis zu dieser Firma besteht, dem Recht zur Zeugnisverweigerung (BGHSt 33, 148–154, Meyer/Goßner, StPO, 49. Aufl., § 53 Rn. 7). 3. Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Rechtsanwalt Friedrich Wo¨rlen, No¨rdlingen

Anmerkung der Redaktion: Die Entscheidung zeigt, dass das gesamte Kanzleipersonal (einschließlich Praktikanten, Schnupperlehrlinge, Putzfrauen, Botengänger und Referendare) über Schweigepflicht und Schweigerecht schriftlich belehrt werden sollte und auch eine regelmäßige Erinnerung sinnvoll ist.

Anwaltshaftung

Abrechnung nach Gegenstandswert: Anforderung an Belehrung BRAO § 49b Abs. 5; BGB § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2

Den Mandanten trifft die Beweislast dafür, dass der Rechtsanwalt seiner Hinweispflicht aus § 49 b Abs. 5 BRAO nicht nachgekommen ist. Der Anwalt muss allerdings konkret darlegen, in welcher Weise er belehrt haben will. BGH, Urt. v. 11.10.2007 – IX ZR 105/06

Sachverhalt: Der Beklagte hatte von seiner damaligen Arbeitgeberin eine fristlose Kündigung erhalten. Deshalb beauftragte er die klagenden Rechtsanwälte, seine Interessen gegenüber der Arbeitgeberin wahrzunehmen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger zu 2 den Beklagten gemäß § 49 b Abs. 5 BRAO darauf hingewiesen hat, die anwaltliche Vergütung richte sich nach dem Gegenstandswert. Mit Kostennote vom 15. Juni 2005 brachten die Kläger für die Abrechnung einen Gegenstandswert von 30.000 E in Ansatz und berechneten für ihre Tätigkeit 2.485,18 E. Hierauf entrichtete der Beklagte 580 E. Den Restbetrag machen die Kläger klageweise geltend. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Aus den Gründen: Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, § 49 b Abs. 5 BRAO habe nicht nur berufsrechtliche Relevanz, sondern eine unmittelbare zivilrechtliche Bedeutung. Der Beklagte trage die Beweislast dafür, dass die Kläger nicht gemäß § 49 b Abs. 5 BRAO darauf hingewiesen haben, die anwaltliche Vergütung werde nach dem Gegenstandswert bemessen. Aus der Norm selbst und den Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Aufschluss über die Beweislast. Es müsse daher bei der allgemeinen Regel verbleiben, nach der jede Partei die Voraussetzungen einer für sie günstigen Norm zu behaupten und nachzuweisen habe. Eine Anwaltshaftung

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Umkehr der Beweislast sei nicht geboten, weil sonst die Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant über Gebühr belastet werde, wenn der Anwalt bestrebt sein müsse, sich im Hinblick auf mögliche Regressprozesse eine Beweisunterlage zu schaffen. II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand. 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass § 49 b Abs. 5 BRAO auch zivilrechtliche Bedeutung aufweist. Dies steht im Einklang mit der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsentscheidung vom 24. Mai 2007. Danach ist der Rechtsanwalt, der den Mandanten vor Übernahme des Auftrags schuldhaft nicht darauf hinweist, dass sich die für seine Tätigkeit zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, dem Mandanten zum Ersatz des hierdurch verursachten Schadens verpflichtet (BGH, Urt. v. 24. Mai 2007 – IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332). Wie der Senat ausgeführt hat, muss der Anwalt gemäß § 49 b Abs. 5 BRAO, wenn sich seine Gebühren nach dem Gegenstandswert richten (§ 2 Abs. 1 RVG), seinen Mandanten vor Übernahme des Auftrags hierauf hinweisen. Grund für diese Neuregelung war der Umstand, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Unzuträglichkeiten geführt hatte, wenn Mandanten vor allem bei hohen Gegenstandswerten von der Abrechnung „überrascht“ wurden. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass nach einem entsprechenden Hinweis ein Mandant, der die Folgen dieser Form der Gebührenberechnung nicht abschätzen kann, den Rechtsanwalt hierzu näher befragt. Die vorvertragliche Pflicht, den zukünftigen Mandanten gemäß § 49 b Abs. 5 BRAO zu belehren, dient in erster Linie dem Schutz des Mandanten. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht führt deshalb gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB zur Schadensersatzpflicht des Rechtsanwalts (BGH, Urt. v. 24. Mai 2007, aaO S. 2333 f). 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass der Mandant im Rahmen eines geltend gemachten Schadensersatzanspruches die Beweislast dafür trägt, der Anwalt sei seiner Hinweispflicht nach § 49 b Abs. 5 BRAO nicht nachgekommen. a) In der Entwurfsbegründung wird lediglich der Schutzzweck der Regelung zu Gunsten des Mandanten angesprochen. Die Frage der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die in § 49 b BRAO normierte vorvertragliche Unterrichtungsverpflichtung wird dagegen nicht erörtert. Es fehlen daher auch Ausführungen dazu, wer bei Annahme einer Ersatzpflicht wegen eines unterlassenen Hinweises die Beweislast hinsichtlich der Verletzung der Unterrichtungsverpflichtung zu tragen hat. b) Im Schrifttum wird – bezogen auf § 49 b BRAO – überwiegend die Ansicht vertreten, der Anwalt müsse nachweisen, dass er seiner Hinweispflicht Genüge getan habe (Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. § 4 Rn. 99; Braun in Hansens/Braun/N. Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Rn. 147; Hansens RVGreport 2004, 443, 449; Rick AnwBl. 2006, 648, 650; dagegen Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 805). Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. aa) Die Hinweispflicht des § 49 b BRAO dient der Konkretisierung der allgemeinen Berufspflicht des Rechtsanwaltes und soll den Mandanten insbesondere bei hohen Gegenstandswerten auf die Abrechnungsgrundlage der von ihm zu entrichtenden Vergütung aufmerksam machen und ihm die Möglichkeit eröffnen, gegebenenfalls weitere Fragen hierzu an den Anwalt zu richten (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 232 zu Art. 4 Abs. 18). Zivilrechtlich handelt es sich hierbei um eine Beratungspflicht. Daher sind hierauf die allgemeinen Rechtsgrundsätze anzuwenden. Anwaltshaftung

bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt derjenige, der eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung behauptet, dafür die Beweislast. Die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen muss, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft (BGHZ 126, 217, 225; 166, 56, 60; BGH, Urt. v. 16. September 1981 – IVa ZR 85/80, WM 1982, 13, 16; v. 5. Februar 1987 – IX ZR 65/86, WM 1987, 590, 591; v. 9. November 1989 – IX ZR 261/88, WM 1990, 115 f; v. 3. Dezember 1992 – IX ZR 61/92, WM 1993, 510, 512; v. 10. Dezember 1998 – IX ZR 358/97, WM 1999, 645, 646). c) Eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterung ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Dokumentationsobliegenheit. Nach dem Sachvortrag der Parteien hat der Kläger zu 2 die Erfüllung seiner Hinweispflicht aus § 49 b Abs. 5 BRAO zwar nicht schriftlich dokumentiert. Eine Obliegenheit oder Pflicht zur Dokumentation bestand aber auch nicht. Sie ergibt sich weder aus dem Anwaltsvertrag noch aus dem ihm vorausgehenden vorvertraglichen Schuldverhältnis. Aus einem Schuldverhältnis kann sich zwar gemäß § 242 BGB eine Dokumentationspflicht des Vertragspartners ergeben, der die Belange des anderen wahrzunehmen hat und dabei Maßnahmen oder Feststellungen trifft, die der andere nicht selbst erkennen oder beurteilen kann (vgl. BGH, Urt. v. 15. November 1984 – IX ZR 157/83, WM 1985, 138, 139). Eine solche Pflicht, die etwa Ärzte trifft (BGHZ 72, 132, 138; BGH, Urt. v. 6. Juli 1999 – VI ZR 290/98, NJW 1999, 3408, 3409 f), besteht aber bei der Beratung durch Rechtsanwälte und Steuerberater (vgl. BGH, Urt. v. 1. Oktober 1987 – IX ZR 117/86, NJW 1988, 200, 203 und v. 13. Februar 1992 – IX ZR 105/91, NJW 1992, 1695, 1696; ferner Sieg in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee – aaO Rn. 782 f) ebenso wenig wie bei der Anlageberatung durch Kreditinstitute (BGHZ 166, 56, 61). 3. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Beklagte die geltend gemachte Verletzung der Hinweispflicht aus § 49 b Abs. 5 BRAO nicht nachgewiesen hat. Die Kläger haben substantiiert dargelegt, dass der Kläger zu 2 den Beklagten darauf hingewiesen hat, die Anwaltsvergütung richte sich nach dem Gegenstandswert. Beweis für das Gegenteil hat der Beklagte nicht angetreten. Anmerkung der Redaktion: Der IX. Zivilsenat hatte mit Beschluss vom 24.11.2007 entschieden (IX ZR 89/06, AnwBl 2007, 628), dass ein Verstoß des Anwalts gegen die Belehrungsklausel des § 49 b Abs. 5 BRAO einen Schadensersatzanspruch auslösen kann. Nach § 49 b Abs. 5 BRAO hat der Anwalt, wenn sich seine Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, seinen Mandanten vor der Übernahme des Auftrags hierauf hinzuweisen. In dem damals entschiedenen Fall haftete der Anwalt nicht, weil es an der Kausalität zwischen Pflichtverstoß und behauptetem Schaden fehlte. Diese Rechtsprechung konkretisiert der IX. Zivilsenat mit einer schulmäßig begründeten Entscheidung, in dem er die üblichen Grundsätze zur Beweis- und Darlegungslast anwendet. Der Mandant muss daher den Verstoß gegen die Belehrungspflicht nachweisen. Wird ein Pflichtverstoß behauptet, muss der Anwalt dann (nur) substantiiert bestreiten. Den Anwalt trifft nach Auffassung des IX. Zivilsenats keine Dokumentationspflicht. Das war bislang in der Literatur umstritten.

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Keine Haftung für den früheren Anwalt ZPO § 85 Abs. 2, § 87 Abs. 2, § 172 Abs. 1

a) Nach der Anzeige der Mandatsniederlegung müssen Zustellungen im Parteiprozess nicht mehr gemäß § 172 ZPO an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden. Dieser ist aber im Rahmen des § 87 Abs. 2 ZPO weiterhin berechtigt, Zustellungen für die Partei entgegenzunehmen. Macht er hiervon Gebrauch ist die an ihn erfolgte Zustellung wirksam (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1990 – XII ZB 105/90, NJW 1991, 295 zu § 176 ZPO aF). b) Ein Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten ist der Partei nicht zuzurechnen (Bestätigung von BGHZ 47, 320, 322; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78, NJW 1980, 999; Beschluss vom 10. Juli 1985 – IV b ZB 102/84, VersR 1985, 1185, unter II 2). BGH, Beschl. v. 19.9.2007 – VIII ZB 44/07

Aus den Gründen: I. Die Klägerin begehrt Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie ergangenen Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 9. September 2004, hilfsweise Herausgabe des vollstreckbaren Titels sowie Rückzahlung eines darauf bereits gezahlten Betrages von 50 E. Im Wege der Widerklage begehrt der Beklagte Zahlung eines Betrages von 1.398,61 E nebst Zinsen. Die Klägerin ist im Verfahren vor dem Amtsgericht zunächst von Rechtanwalt L. vertreten worden. Mit einem am 12. Dezember 2006 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben hat die Klägerin persönlich mitgeteilt, dass Rechtsanwalt L. das Mandat niedergelegt habe. Mit Urteil vom 13. Dezember 2006 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Urteil ist Rechtsanwalt L. am 18. Dezember 2006 zugestellt worden, der die Entgegennahme der Zustellung am gleichen Tag bestätigt und außerdem mitgeteilt hat, dass er das Mandat niedergelegt habe. Das Amtsgericht hat das Urteil daraufhin der Klägerin persönlich am 21. Dezember 2006 zugestellt. Die Berufungsschrift des neuen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist am 22. Januar 2007 (Montag) beim Berufungsgericht eingegangen. Auf den am 5. März 2007 erfolgten Hinweis des Berufungsgerichts, dass der Klägerin das angefochtene Urteil bereits am 18. Dezember 2006 über ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden sei, hat die Klägerin am 6. März 2007 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist beantragt und eidesstattlich versichert, dass ihr früherer Anwalt sie zu keinem Zeitpunkt von der an ihn erfolgten Zustellung des Urteils in Kenntnis gesetzt habe. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die erbetene Wiedereinsetzung abgelehnt und die Berufung verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden sei. Das Urteil sei der Klägerin am 18. Dezember 2006 mit der Zustellung an ihren früheren Prozessbevollmächtigten wirksam zugestellt worden. Zwar sei das Erlöschen der Vollmacht gemäß § 87 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO durch die Anzeige der Mandatsniederlegung am 12. Dezember 2006 wirksam geworden. Gemäß § 87 Abs. 2 ZPO sei Rechtsanwalt L. jedoch durch die von seiner Seite erfolgte Kündigung nicht gehindert gewesen, so lange für die Klägerin zu handeln, bis diese selbst anderweit für die Wahrnehmung ihrer Rechte gesorgt hätte. Hieraus folge die Befugnis des Rechtsanwalts zur Entgegennahme der Zustellung, die deshalb auch wirksam sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei unbegründet. Auch wenn die Klägerin mangels Information durch Rechtsanwalt L. von der an ihn erfolgten Zustellung keine Kenntnis gehabt habe, sei sie nicht ohne ihr Verschulden bzw. ohne Verschulden ihres Rechtsanwalts verhindert gewesen, die Berufungsfrist 70

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einzuhalten. Denn Rechtsanwalt L. sei anwaltlich verpflichtet gewesen, die Klägerin über die ungeachtet der Mandatsniederlegung noch entgegengenommene Zustellung zu unterrichten. Die Verletzung dieser Pflicht bedeute ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden. II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt hat, denn das angefochtene Urteil ist der Klägerin wirksam bereits am 18. Dezember 2006 zugestellt worden, so dass die am 22. Januar 2007 eingegangene Berufung verspätet war. a) Die an den (früheren) Prozessbevollmächtigten der Klägerin erfolgte Zustellung war trotz der dem Gericht gegenüber zuvor mitgeteilten Mandatsniederlegung wirksam, weil der Anwalt die Zustellung entgegen genommen hat und hierzu gemäß § 87 Abs. 2 ZPO auch befugt war. § 87 Abs. 2 ZPO berechtigt den Rechtsanwalt im dort vorgesehenen Umfang zur Vertretung der Partei trotz der Niederlegung des Mandats; die von ihm oder ihm gegenüber vorgenommenen Prozesshandlungen wirken deshalb für und gegen seine Partei (BGHZ 43, 135,137; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 87 Rdnr. 17). Eine Einschränkung des § 87 Abs. 2 ZPO dahin, dass dies nur für der Partei günstige Handlungen, nicht aber für die Entgegennahme von Zustellungen gelte, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen (Zöller/ Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 87 Rdnr. 6; Musielak/Weth, ZPO, 5. Aufl., § 87 Rdnr. 10; Stein/Jonas/Bork, aaO; OLG Bremen NJW-RR 1986, 358, 359; vgl. auch Schmellenkamp, AnwBl. 1985, 14, 16; aA OLG Hamm NJW 1982, 1887; OLG Köln Rpfleger 1992, 242). b) Aus § 172 Abs. 1 ZPO folgt nichts Anderes. Nach dieser Bestimmung sind Zustellungen vom Gericht in einem anhängigen Verfahren – ausschließlich – an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten vorzunehmen; damit soll gewährleistet werden, dass der Rechtsanwalt, in dessen Verantwortung die Prozessführung gelegt ist, im gesamten Verfahren Kenntnis von zuzustellenden Schriftstücken erhält (Zöller/Stöber, aaO, § 172 Rdnr. 1). Diese Notwendigkeit endet im Parteiprozess mit der Anzeige der Beendigung des Mandats dem Gericht gegenüber; Zustellungen müssen deshalb von diesem Zeitpunkt an nicht mehr nach § 172 ZPO an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden (Zöller/Stöber, aaO, § 172 Rdnr. 11). Daraus folgt aber – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – nicht, dass ab diesem Zeitpunkt Zustellungen ausschließlich an die Partei persönlich vorgenommen werden dürften und eine an den empfangsbereiten und gemäß § 87 Abs. 2 ZPO vertretungsberechtigten Anwalt vorgenommene Zustellung aus diesem Grund unwirksam wäre. Diese Frage ist auch in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1990 (XII ZB 105/90, NJW 1991, 295 zu § 176 ZPO aF), der die Wirksamkeit einer nach Mandatsniederlegung an die Partei selbst ausgeführten Zustellung betraf, nicht entschieden worden. 2. Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in der vorigen Stand zu gewähren, denn sie war ohne ihr Verschulden an der Fristeinhaltung gehindert. Die Klägerin hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt L. sie nicht über die Zustellung vom 18. Dezember 2006 informiert hat, so dass sie davon ausgehen durfte, dass die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils an sie persönlich am 21. Dezember 2006 begann und mithin erst am 22. Januar 2007 (Montag) ablief. Ein Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin entgegen der Auffassung des Anwaltshaftung

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Berufungsgerichts nicht im Rahmen des § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die Haftung der Partei für das Verschulden ihres Anwalts beruht auf dem nach Beendigung des Mandats nicht mehr tragfähigen Gedanken, dass sie für die Person ihres Vertrauens einzustehen hat (BGHZ 47, 320, 322; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78, NJW 1980, 999; Beschluss vom 10. Juli 1985 – IVb ZB 102/84, VersR 1985, 1185, unter II 2).

Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses ZPO § 233

Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn bei den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. (Leitsatz der Redaktion) BGH, Beschl. v. 27.9.2007 – IX ZA 14/07

Aus den Gründen: I. Die Berufung des Beklagten/Antragstellers ist durch Urteil des Oberlandesgerichts zurückgewiesen worden. Das Urteil ist seinem Prozessbevollmächtigten am 13. März 2007 zugestellt worden. Mit einem am 23. Mai 2007 bei dem erkennenden Senat eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller beantragt, ihm wegen der Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erteilen. Zugleich hat er beantragt, ihm für das Verfahren auf Wiedereinsetzung Prozesskostenhilfe zu gewähren. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er wie folgt begründet: „Der Beklagtenvertreter ... hat aufgrund eines Versehens seines Büros erst am 9.5.2007 festgestellt, dass die Fristen hinsichtlich einer Nichtzulassungsbeschwerde ... im EDV-gestützten Fristenkalender nicht aufgenommen und damit nicht ausgedruckt worden sind. Dadurch kam es nicht zu der routinemäßigen Wiedervorlage, obwohl dahingehend seitens des bearbeitenden Rechtsanwalts schriftlich verfügt worden war. Das Urteil wurde daher nicht dem Mandanten zugeleitet, obwohl es eine allgemeine Anweisung gibt, alle Unterlagen an die Mandanten zuzuschicken.“ Einen ausdrücklichen Antrag auf Zulassung der Revision hat der Antragsteller nicht gestellt. In der Begründung der Antragsschrift heißt es allerdings: „Der Antrag auf Zulassung der Revision ist für den Fall der Wiedereinsetzung auch begründet ...“ II. Der Wiedereinsetzungsantrag ist möglicherweise unzulässig. Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Einen Antrag auf Zulassung der Revision hat der Antragsteller jedenfalls nicht ausdrücklich gestellt. Ob die Ausführungen in der Begründung dahin ausgelegt werden können, es habe bereits der Antrag auf Zulassung der Revision gestellt sein sollen, oder nur als Ankündigung für den Fall der Gewährung der Wiedereinsetzung verstanden werden können, ist zweifelhaft. Dies kann jedoch dahinstehen. III. Jedenfalls ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet. Nach den §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO hätte dem Beklagten/ Antragsteller nur dann Wiedereinsetzung gewährt werden können, wenn seinen Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung kein Verschulden träfe. Dies ist indessen nicht der Fall. Anwaltshaftung

1. Nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers sind im Büro seines Prozessbevollmächtigten mindestens drei Fehler begangen worden: Erstens sind die Fristen für die Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde – ein Monat bzw. zwei Monate nach Zustellung des Berufungsurteils (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO) – nicht im Fristenkalender eingetragen worden. Zweitens ist die angeblich schriftlich verfügte Wiedervorlage nicht ausgeführt worden, und drittens ist das Urteil entgegen einer angeblich bestehenden allgemeinen Anweisung nicht dem Mandanten zugeleitet worden. In Ermangelung entsprechenden Vortrags muss davon ausgegangen werden, dass die drei Fehler unabhängig voneinander begangen worden sind. Dass es auch an einer Glaubhaftmachung fehlt, weil die Anlagen dem Wiedereinsetzungsschriftsatz nicht beigefügt waren, ist deshalb nicht entscheidungserheblich. 2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschl. v. 5. November 2003 – XII ZR 140/02, BGHR ZPO § 233 – Fristberechnung 5 m. w. N.). Dazu fehlt jeder Vortrag. Im Übrigen darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1991 – VII ZB 4/91, BGHR ZPO § 233 – Fristenkontrolle 22; v. 30. November 1994 – XII ZB 197/94, BGHR ZPO § 233 – Empfangsbekenntnis 1; v. 17. September 2002 – VI ZR 419/01, BGHR ZPO § 233 – Empfangsbekenntnis 5; v. 5. November 2003 aaO). Dieses Sorgfaltsgebot hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers verletzt, als er am 13. März 2007 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und zurückgegeben hat, ohne zuvor die Notierung der Rechtsmittelfrist sichergestellt zu haben. Sollte er seinerzeit – was aber nicht dargelegt ist – seine Bürokraft mündlich angewiesen haben, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen sein, dass die Anweisung nicht in Vergessenheit gerät (BGH, Beschl. v. 17. September 2002 aaO; v. 5. November 2002 – VI ZR 399/01, BGHR ZPO § 233 – Empfangsbekenntnis 6; v. 4. November 2003 – VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689). Dazu ist nichts vorgetragen. Die angeblich schriftlich angeordnete – aber ebenfalls nicht befolgte – Verfügung der Wiedervorlage der Handakte reichte nicht aus. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden müssen, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (BGH, Urt. v. 21. Dezember 1988 – VIII ZR 84/88, NJW 1989, 2393, 2394 m.w.N.; v. 29. Juli 2004 – III ZB 27/04, BGH-Report 2005, 44, 45). Hier kann nicht einmal angenommen werden, dass die Wiedervorlage rechtzeitig zur Entdeckung der fehlenden Eintragung im Fristenkalender geführt hätte. Weder hat der Antragsteller vorgetragen, für welchen Zeitpunkt die Wiedervorlage angeordnet, noch dass die Rechtsmittelfrist auf den Handakten notiert worden ist. Die Besonderheiten eines elektronisch unterstützten Fristenkalenders (vgl. dazu etwa BGH, Beschl. v. 23. März 1995 – VII ZB 3/95, BGHR ZPO § 233 – Fristenkontrolle 43; v. 10. Oktober 1996 – VII ZB 31/95, BGHR ZPO § 233 – Fristenkontrolle 52; v. 12. Oktober 1998 – II ZB 11/98, BGHR ZPO § 233 – Fristenkontrolle 63; v. 12. Dezember 2005 – II ZB 33/04, BGH-Report 2006, 449) haben sich nicht ausgewirkt, weil die Frist gar nicht erst in den Kalender eingegeben worden ist. AnwBl 1 / 2008

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Haftungsgrundsätze für M&A-Transaktionen BGB §§ 673, 611

1. Beauftragt der Mandant eine Sozietät aus Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern mit der Hilfeleistung in Steuersachen und allgemeiner juristischer Beratung ist das einheitliche Vertragsverhältnis nach den Grundsätzen der BRAO zu beurteilen, wenn sich kein anderer Parteiwille feststellen lässt und der Schwerpunkt der geschuldeten Tätigkeit nicht die Steuerberatung betrifft. 2. Der Rechtsanwaltsvertrag ist in der Regel ein Geschäftsbesorgungsvertrag, dem ein dienstvertragliches Verhältnis zugrunde liegt. Nur ausnahmsweise, wenn die geschuldete anwaltliche Tätigkeit allein auf die Herbeiführung eines Erfolges im Sinne einer einmaligen abgeschlossenen Leistung gerichtet ist, kann ein Werkvertrag Gegenstand des Auftragsverhältnisses sein. Es genügt für die Annahme eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit Werkvertragscharakter aber nicht, wenn der Anwalt im Rahmen des Gesamtauftrages Einzelleistungen, die auf ein bestimmtes Ergebnis gerichtet sind, schuldet. 3. Eine Garantiehaftung des Rechtsanwalts kommt nur in Betracht, wenn er gegenüber seinem Mandanten klar und eindeutig zu erkennen gibt, dass er über die sorgfältige Erfüllung seiner dienstvertraglichen Pflichten hinaus verschuldensunabhängig dafür einstehen will, dass der Mandant in Folge der Dienstleistung bestimmte Erfolge erzielt. 4. Die fehlerhafte Beurteilung der zur Entscheidung berufenen Stelle lässt die Haftung des Rechtanwalts nicht ohne weiteres entfallen, da es zur Pflicht des Anwalts gehört, darauf hinzuwirken, Fehlentscheidungen zu vermeiden. Der Anwalt muss bei möglicher unterschiedlicher rechtlicher Beurteilung in Betracht ziehen, dass die zur Entscheidung berufene Stelle sich der seinem Auftraggeber ungünstigen Beurteilung anschließt. 5. Kommen mehrere Möglichkeiten rechtlicher Gestaltung in Betracht, muss der Rechtsanwalt die sicherste und gefahrloseste vorschlagen. Wenn mehrere Wege zur Erreichung des erstrebten Ziels möglich sind, muss er den wählen, auf dem der erstrebte Erfolg am sichersten erreichbar ist. Eine Pflichtverletzung ist jedoch zu verneinen, wenn die von ihm nicht empfohlenen rechtlich möglichen Alternativen eine unrichtige Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die zur Entscheidung berufene Stelle nicht ausschließen. Das ist der Fall, wenn diese Alternativen nicht deutlich vorteilhafter sind. (nicht rechtskräftig) OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.10.2007 – I-23 U199/06

Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de. Das OLG Düsseldorf hat die Revision zugelassen. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses war noch nicht bekannt, ob Revision eingelegt wird. Die Entscheidung ist trotz ihres Umfangs lesenswert. Sie betrifft einen (vermeintlichen) Anwaltshaftungsfall, der den Rahmen üblicher Fälle sprengt. Im Rahmen einer M&A-Transaktion sollte eine steueroptimierte Gestaltung gewählt werden. Gleichwohl forderte die Finanzverwaltung am Ende Steuern in Höhe von 260 Mio. Euro. Sie wurden gezahlt, am Ende aber nach einem Einspruch gegen die Steuerbescheide zurückerstattet. Am Ende wurde vor allem um die Kosten zur Abwendung der Steuerschuld gestritten. Der Fall belegt eindrücklich, dass es nicht nur Streitwerte über der RVG-Kappungsgrenze von 30 Mio. Euro gibt, sondern dass in solchen Fällen Zivilprozesse rechtlich und tatsächlich sehr aufwändig geworden sind.

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Kosten der nicht existenten Partei ZPO §§ 50, 91, 104

Wird eine nicht existente Partei verklagt und beruft sie sich auf ihre fehlende rechtliche Existenz, sind im Kostenfestsetzungsverfahren auch die Aufwendungen desjenigen zu berücksichtigen, der für die nicht existente Partei einen Rechtsanwalt beauftragt hat, um die fehlende Parteifähigkeit geltend zu machen. BGH, Beschl. v. 27.9.2007 – VII ZB 23/07

Sachverhalt: I. Der Kläger verlangte von der Beklagten mit der am 14. November 2005 eingereichten Klage Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 642,50 E. Als Prozessbevollmächtigter der Beklagten wurde Rechtsanwalt J. bezeichnet, dem die Klage zugestellt wurde. Rechtsanwalt J. zeigte die Verteidigungsbereitschaft an und kündigte mit Schriftsatz vom 25. Dezember 2005 einen Antrag auf Klageabweisung an. In diesem Schriftsatz trug er zur Sache vor und teilte mit, dass die Beklagte rechtlich nicht mehr existent sei, so dass die Klage bereits deswegen „als unzulässig zurückzuweisen“ sei. Die Beklagte war aufgrund Verschmelzungsvertrags mit der B. GmbH verschmolzen worden. Die Verschmelzung war am 23. Mai 2005 in das Handelsregister eingetragen worden. Im Verhandlungstermin vom 12. April 2006 erklärte der erschienene Rechtsanwalt J., dass er für die Beklagte nicht auftrete. Diese sei nicht mehr existent. Er wies darauf hin, dass er für den Fall der erneuten Zustellung an die B. GmbH diese vertrete und zur Entgegennahme der Zustellung bereit sei. Der Kläger nahm daraufhin die Klage gegen die Beklagte zurück. Mit Beschluss vom 6. Juli 2006 legte das Gericht dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auf. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. November 2006 sind die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 211,70 E festgesetzt worden. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, der Beklagten die Erstattung der Kosten zu versagen. Aus den Gründen: II. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. 1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, die der Beklagten zu erstattenden Kosten seien zu Recht gegen den Kläger festgesetzt worden. Die Beklagte sei bereits bei Einreichung der Klage nicht mehr existent gewesen, weil sie mit der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG erloschen sei. In Übereinstimmung mit der teilweise in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte vertretenen Ansicht (OLG Hamburg, MDR 1976, 845; OLG München, NJW-RR 1999, 1264; a. A. OLG Koblenz 14 W 816/99, JurBüro 2000, 2316; KG Berlin, JurBüro 1982, 1562) sei die nicht existente Partei insoweit als bestehend anzusehen, als sie ihre Nichtexistenz geltend mache. Im Rahmen eines derartigen Verfahrens könne zugunsten einer nicht bestehenden Partei auch ein Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen werden, der die notwendigen Auslagen zum Gegenstand habe, die einem hinter dem rechtlich nicht existenten Gebilde stehenden Dritten erwachsen würden. Vorliegend sei Rechtsanwalt J. von der Rechtsnachfolgerin der Beklagten mit der Geltendmachung der Nichtexistenz der Beklagten beauftragt worden. Die entstandenen Kosten seien notwendige Kosten der Beklagten und zu ihren Gunsten gegen den Kläger festzusetzen. 2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers ohne Erfolg. a) Eine Prozesspartei, deren Parteifähigkeit im Streit ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zur Anwaltsvergütung

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Entscheidung des Streits hierüber als parteifähig zu behandeln (BGH, Urteil vom 11. April 1957 – VII ZR 280/56, BGHZ 24, 91, 94; vom 13. Juli 1993 – III ZR 17/93, NJW 1993, 2943, 2944, jeweils m. w. N.). Durch die Fiktion soll erreicht werden, dass die Partei die Frage der Existenz selbst klären lassen kann. b) Eine insoweit im Rechtsstreit als parteifähig erachtete Partei gilt auch im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren als parteifähig, ist mithin auch in diesem Verfahren als existent zu behandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2004 – XII ZB 226/03, NJW-RR 2004, 1505 m. w. N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die beklagte Partei im Rechtsstreit ihre mangelnde Existenz geltend gemacht hat und dadurch Kosten entstanden sind. Dabei sind auch die Kosten desjenigen zu berücksichtigen, der für die nicht existente Partei einen Rechtsanwalt beauftragt hat. c) Dieser Fall ist hier gegeben. Vorliegend hat sich die Beklagte bereits in der Klageerwiderung neben ihrem Vortrag zur Sache auch auf ihre fehlende rechtliche Existenz berufen, weshalb die Klage unzulässig sei. In der Verhandlung vom 12. April 2006 ist Rechtsanwalt J. nicht für die Beklagte aufgetreten und hat nur noch auf deren fehlende Existenz hingewiesen. In diesem Hinweis ist eine Tätigkeit des Rechtsanwalts für die Beklagte zu sehen, auch wenn er zugleich deutlich machen wollte, dass er für sie nicht in der Sache auftreten könne. Die Beklagte hat sich daher im Termin nicht zur Sache eingelassen. Zur Entscheidung des Gerichts stand nur die Frage ihrer Parteifähigkeit. Insoweit war sie als parteifähig zu behandeln und zwar auch im Kostenfestsetzungsverfahren, nachdem dem Kläger nach Rücknahme der Klage die Kosten auferlegt worden waren.

Doppelter Mehrvertretungszuschlag RVG VV Nr. 1008, Nr. 2300, Nr. 3100, Vorbem. 3 Abs. 4

Der Mehrvertretungszuschlag fällt sowohl bei der Geschäfts- als auch der Verfahrensgebühr an und ist bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr zu berücksichtigen. LG Ulm, Beschl. v. 25.10.2007 – 2 O 269/06

Aus den Gründen: Der vom Klägervertreter gem. § 11 RVG gegen seine Auftraggeber (Kläger) zur Festsetzung angemeldete Mehrvertretungszuschlag gem. VV 1008 RVG konnte nur in Höhe von 122,03 E festgesetzt werden. Der Entscheidung des LG Düsseldorf vom 22.6.07 – 22 S 439/06 – folgend steht dem Klägervertreter ein Anspruch auf die um 0,3 erhöhte Verfahrensgebühr neben der ebenfalls um 0,3 erhöhten Geschäftsgebühr zu (so auch Enders, JurBüro 05, 449 ff; Gerold/Schmidt, 17. Aufl., VV 1008 RVG Anm. 7, Hansens/Braun/Schneider; Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., 2007 S. 420 u. a.) Nach den Gründen der genannten Entscheidung ist eine solche Auslegung nicht durch den Wortlaut der Vorschrift VV 1008 RVG – nach welcher sich die Verfahrens oder die Geschäftsgebühr erhöht – ausgeschlossen. Der Formulierung „oder“ kann nach der Entscheidung des LG Düsseldorf nicht entnommen werden, dass bei einer Folgebeauftragung nur eine der beiden Gebühren erhöht berechnet werden darf. In der Entscheidung ist ausgeführt, dass es sich bei der Beauftragung zur Vertretung im gerichtl. Verfahren bereits nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne des RVG handelt. Der Begriff der Angelegenheit diene der gebührenrechtl. Abgrenzung der anwaltl. Tätigkeitsbereiche, da gem. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG in derselben Angelegenheit Gebühren nur einmal gefordert werden dürfen. Da der Begriff „Angelegenheit“ im RVG nicht definiert sei, habe die Abgrenzung anhand des konkreten Lebenssachverhalts und des dem Rechtsanwalt erteilten AufAnwaltsvergütung

trags zu erfolgen. Gegen das Vorliegen derselben Angelegenheit spreche dabei, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht in einem einheitlichen Rahmen erfolge. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der in §§ 16, 17 RVG aufgeführten Beispiele könne es sich bei den die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr auslösenden Tatbeständen nicht um dieselbe Angelegenheit in diesem Sinne handeln, da die beiden Gebühren unstreitig nebeneinander anfallen können. Dies werde auch durch die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 RVG Satz 1 VV vorausgesetzt. Für das Vorliegen von zwei Angelegenheiten spreche darüber hinaus, dass die vom Rechtsanwalt entfaltete Tätigkeit auf zwei unterschiedliche Aufträge zurückzuführen sei. Desweiteren soll nach der Gesetzesbegründung die Regelung der NR 1008 RVG den Grundgedanken des § 6 Abs. 1 BRAGO übernehmen (BT-Drs. 15/1071, S. 205). Nach § 6 Abs. 1 S. 2 BRAGO wurden beide Gebühren erhöht, wenn der Rechtsanwalt von mehreren Auftraggebern in derselben Angelegenheit beauftragt wurde. Hätte der Gesetzgeber in dieser Frage eine inhaltliche Änderung vornehmen wollen, so hatte er dies – wie es beispielsweise für die Berechnung der Erhöhung geschehen ist – in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht. Hätte der Gesetzgeber eine doppelte Gebührenerhöhung im Verhältnis zwischen der Geschäfts- und der Verfahrensgebühr ausschliessen wollen, hätte er dies zusammen mit der Anrechnung in den Vorb. 3 VV RVG geregelt. Für die Berechnung der erhöhten Gebühr sprechen nach LG Düsseldorf (siehe dort 2.2.4.) auch praktische Erwägungen. Die erhöhte Geschäftsgebühr ist bei der Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV im vorliegenden Fall mit einem Satz von 0,75 zu berücksichtigen. Bei der Gebührenerhöhung des VV 1008 RVG handelt es sich nicht um eine eigenständige Gebühr. Sie bildet mit der Geschäfts-/Verfahrensgebühr der Nr. VV 2300 bzw. VV 3100 RVG eine einheitliche Gebühr. Demzufolge ist die erhöhte Geschäftsgebühr nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, jedoch höchstens mit 0,75 auf die im gerichtl. Verfahren entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen. Im vorliegenden Fall kann daher der Prozessbevollmächtigte aus einem Streitwert von 13.000,00 E von den Klägern verlangen: 1,3 Geschäftsgebühr 683,80 E zuzügl. 0,3 Erhöhung gem. VV 1008 RVG 157,80 E 1,3 Verfahrensgebühr 683,80 E zuzügl. 0,3 Erhöhung gem. VV 1008 RVG 157,80 E abzgl. gem. Vorbemn. 3 Abs. 4 RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnende 0,75 Geschäftsgebühr 394,50 E es verbleiben damit 1.288,70 E. Von der hinter den Klägern stehenden Rechtsschutzversicherung sind hierauf bezahlt: 1,3 Gesch.geb. und Erhöhung 841,60 E 1,3 Verf.geb. ohne Erhöhung 683,80 E abzgl. angerechnete 0,65 Geschäftsgebühr 341,90 E insgesamt daher 1.183,50 E Von den Klägern an Ihren Prozessbevollmächtigten zu zahlen und festzusetzen war daher noch ein Restbetrag von 105,20 E (1.288,70 E abzgl. 1.183,50 E) zuzügl. 16 % MWSt 16,83 E; damit insgesamt 122,03 E. Rechtsanwalt Georg Cless, Go¨ppingen

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Übliche BGB-Vergütung BGB §§ 675, 611, 612 Abs. 2; RVG §§ 34, 4

Die nach dem BGB übliche Vergütung für die außergerichtliche Beratung kann bei einer 0,75-Gebühr liegen (hier: nachdem die Honorarvereinbarung mangels Schriftform unwirksam war). AG Emmerich, Urt. v. 8.10.2007 – 2 C 137/07

Aus den Gründen: Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Beklagte ist gemäß §§ 675, 611 BGB verpflichtet, an den Kläger ein Honorar von 285,07 E zu zahlen. Zwischen den Parteien ist nämlich zumindest konkludent ein Rechtsanwaltsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen der Kläger den Beklagten beraten hat. Dies ergibt sich aus dem Emailverkehr zwischen den Parteien, insbesondere aus der Mail des Beklagten vom 17.7.2006, in dem er – auf Englisch – den Kläger um Rat gefragt hat; hierauf hat der Kläger jedenfalls mit Email vom 18.7.2006 eine Beratung erteilt, wonach der Beklagte ausweislich seiner Mail vom 31.7.2006 nur noch eine Frage hatte. Auch wenn dieser Schriftverkehr der Vorbereitung weiterer Tätigkeiten des Klägers dienen mochte, ist damit bereits eine Beratung erfolgt. Eine solche ist von einem Rechtsanwalt nur gegen eine Vergütung zu erwarten, so dass eine solche gemäß § 612 Abs. 1 BGB als stillschweigend vereinbart gilt. Dass der Beklagte selbst davon ausging, dass der Kläger nicht unentgeltlich für ihn tätig war, ergibt sich aus seinen Schreiben vom 11.1.1. und 12.11.2006, in dem er dem Kläger eine Zahlung sogar garantiert. Für die Tätigkeit des Klägers schuldet der Beklagte ihm gemäß §§ 34 RVG, 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung. Diese hält das Gericht in Anlehnung an die Berechnung des Klägers im Schriftsatz vom 18.4.2007 in Höhe einer 0,75-Gebühr aus einem Streitwert von 5.000,00 E für angemessen. Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann, Aachen

Anmerkung der Redaktion: Der Mandant aus den Niederlanden hatte per Email um Beratung gebeten und ebenfalls per Email eine Stundensatzvereinbarung akzeptiert. Das Amtsgericht hielt diese mangels Schriftform für unwirksam. Das Amtsgericht hatte zur Üblichkeit des nach BGB bestimmten Honorars ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer Köln einholen wollen. Die Kammer hat (richtigerweise) abgelehnt, weil sie nur für Gebührengutachten in Fällen, die durch das RVG geregelt werden, zuständig ist.

Prozesskostenhilfe

Verfahrensgebühr bei Beiordnung zur Einigung RVG §§ 48, 55

Schließen die Parteien im PKH-Bewilligungsverfahren einen Vergleich und wird dem Rechtsanwalt zum Abschluss des Vergleichs Prozesskostenhilfe gewährt, so ist ihm von der Staatskasse neben der Einigungsgebühr eine 0,5 Verfahrensgemäß gemäß VV 3337 zm vergüten. OLG München, Beschl. v. 12.9.2007 – 11 WF 1346/07

Aus den Gründen: I. Die als PKH-Anwältin beigeordnete Antragstellervertreterin wendet sich dagegen, dass eine Einigungsgebühr lediglich in Höhe von 1,0 anerkannt wurde. Hilfsweise macht sie geltend, dass eine 0,8 Verfahrensgebühr zu erstatten sei. 74

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Die Antragstellervertreterin hatte PKH für einen vorgelegten Klageentwurf beantragt. Das Amtsgericht ordnete Termin zur Erörterung des Antrags auf Prozesskostenhilfe an. In diesem Tennin schlossen die Parteien einen Vergleich. Der Richter erließ daraufhin folgenden Beschluss: „Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe zum Abschluss der vorstehenden Vereinbarung gewährt ... Rechtsanwältin wird beigeordnet.“ Die Antragstellervertreterin beantragte u. a. 369,– E für eine 1,5 Einigungsgebühr gemäß VV 1000. Zuerkannt wurde ihr lediglich eine 1,0 Einigungsgebuhr gemäß VV 1003. Hiergegen wendet sich die Antragstellervertreterin. II. Die Beschwerde ist zulässig. Hinsichtlich des Hauptantrages ist zwar der Beschwerdewert von 200,– E (§ 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 RVG) nicht erreicht. Die Zulässigkeit ergibt sich aber daraus, dass die Antragstellervertreterin hilfsweise eine 0,8 Verfahrensgebühr geltend macht. Der sich hieraus ergebende Beschwerdewert übersteigt 200,– E. Ist der höherwertige Hilfsantrag beschwerdefähig, so ist das Rechtsmittel insgesamt zulässig (Kammergericht OLGZ 79, 348; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rn. 4581). III. Die Beschwerde ist hinsichtlich des Hilfsantrags teilweise begründet. 1. Aus der Anmerkung zu VV 1003 ergibt sich, dass eine 1,0 Einigungsgebühr auch dann nur anfällt, wenn die Einigung einen Gegenstand betrifft, über den ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig ist. Etwas anderes gilt nur, wenn ausschließlich beantragt ist, die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs zu beantragen. Dieser Ausnahmefall liegt aber nicht vor. Sämtliche in der Einigung geregelten Ansprüche waren auch Gegenstand des PKH-Bewilligungsantrags. Laut Protokoll wurde die Sach- und Rechtslage besprochen. 2. Die Antragstellervertreterin hat jedoch einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse in Höhe einer 0,5 Verfahrensgebühr gemäß VV 3337. Dem steht nicht entgegen, dass die PKH und die Beiordnung nur zum Abschluss der Vereinbarung gewährt wurde. Allerdings hat der BGH entschieden, dass bei einer derartigen PKH-Gewährung und Anwaltsbeiordnung ausschließlich ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich der Einigungsgebühr besteht (Rechtspfleger 2004, 637). Nach ganz herrschender Meinung zur BRAGO bestand jedoch bei einer entsprechenden Beiordnung ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich einer Vergleichsgebühr und hinsichtlich einer reduzierten Prozessgebühr, wobei diese teilweise aus § 32 Abs. 2 BRAGO und teilweise aus § 51 BRAGO entnommen wurde (OLG München, JurBüro 87, 442; OLG Saarbrücken, JurBüro 89, 80; OLG Bamberg, JurBüro 93, 547; OLG Hamburg, JurBüro 96, 26; Hansens JurBüro 1996, 27; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 118 ZPO, Rn. 41 – letzterer schon zur RVG). Der Grund hierfür liegt darin, dass eine Einigungsgebühr niemals ohne eine Tätigkeitsgebühr, also eine Geschäfts- oder Prozessgebühr nach altem Gebührenrecht bzw. eine Geschäfts- oder Verfahrensgebühr nach neuem Recht anfallen kann (Gerold/Schmidt-von Eicken, RVG, 17. Aufl., VV 1000, Rn. 83). Aufgrund dieser notwendigen Bindung der Verfahrensgebühr an die Einigungsgebühr erfasst die PKH-Bewilligung für die Einigungsgebühr automatisch auch diese Verfahrensgebühr. Nachdem der BGH diesen Aspekt nicht gesehen hat und sich deshalb mit ihm auch nicht auseinandersetzen konnte, sieht der Senat keinen Grund, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Entgegen der Auffassung der Antragsteüervertreterin steht ihr aber keine 0,8 Verfahrensgebühr zu, sondern nur eine 0,5 gemäß VV 3337. Wenn die Literatur hier einen Fall des 3101 Ziffer 2 angenommen hat (Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., Prozesskostenhilfe

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§ 118 ZPO Rn. 41), so ist dem nicht zu folgen. Das Verfahren hat nie das Stadium des PKH-Bewilliungsverfahrens verlassen. Die Einigung erfolgte im Rahmen des PKH-Bewilligungsverfahrens. Damit kommt VV 3337 und nicht VV 3101 Nr. 1 zur Anwendung. Es ergibt sich damit folgender Vergütungsanspruch: 1.0 Einigungsgebühr aus 12.471,– E aus der PKH-Tabelle = 246,– E 0,5 Verfahrensgebühr aus 12.471,– E aus der PKH-Tabelle = 123,– E 20,– E Kommunikationspauschale +16 % Mehrwertsteuer Endbetrag: 451,24 E. IV. Einer Kostenentscheidung bedurfte es im Hinblick auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG nicht. V. Rechtsbeschwerde konnte nicht zugelassen werden, da eine solche gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG ausgeschlossen ist (Hansens, RVG-Report 06, 199, Ziffer II. 2). Mitgeteilt vom 11. Zivilsenat des OLG Mu¨nchen

PKH-Sätze bei Streitwert von 42 Mio. DM angemessen GG Art. 12; ZPO § 121 Abs. 1, Abs. 2; BRAO § 48 Abs. 1 Nr. 1; BRAGO §§ 121, 123

Auch bei einem Streitwert von mehr als 42 Mio DM sind Prozesskostenhilfegebühren in Höhe von 2.708,60 DM (1.384,89 Euro) nicht unangemessen, wenn die Beiordnung eines Rechtsanwalts erfolgte, der zuvor seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung der Partei erklärt hatte. (Leitsatz der Redaktion) BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 31.10.2007 – 1 BvR 574/07

Aus den Gründen: I. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse, zu zahlenden anwaltlichen Vergütung in einem zivilrechtlichen Prozesskostenhilfemandat mit einem Streitwert von 42 Millionen DM. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er reichte im Auftrag des späteren Klägers ein Prozesskostenhilfegesuch mit dem Antrag auf seine Beiordnung beim zuständigen Landgericht ein. Im Dezember 1993 bewilligte das Gericht ratenfreie Prozesskostenhilfe für die erste Instanz des beabsichtigten Zivilrechtsstreits unter Beiordnung des Beschwerdeführers als Vertreter des Klägers. Mit der anschließend erhobenen Klage wurden gegen eine Bank Schadensersatzansprüche wegen angeblich zu Unrecht erfolgter Kontenbelastungen, die zur Insolvenz der Unternehmen des Klägers geführt hätten, geltend gemacht. Der Beschwerdeführer fertigte im ersten Rechtszug Schriftsätze mit insgesamt etwa 700 Seiten, zu denen er zahlreiche Ordner mit Anlagen vorlegte. Die Klage wurde Ende 2001 nach der Vernehmung von vier Zeugen sowie Erstattung eines umfangreichen schriftlichen Sachverständigengutachtens und dessen mündlicher Erläuterung nach fünf Gerichtsterminen vom Landgericht abgewiesen, in der Folgezeit vertrat ein anderer Rechtsanwalt den Kläger. Seine Berufung blieb ohne Erfolg. Für das hierdurch rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wurde schließlich ein Streitwert von 42.016.184,26 DM festgesetzt. Der Beschwerdeführer erhielt 1999 antragsgemäß einen Vorschuss von 2.708,60 DM (1.384,89 E) auf die entstandenen Prozesskostenhilfe

Prozesskostenhilfegebühren ausgezahlt. Sein nach Abschluss des Rechtsstreits gestellter Antrag, zu seinen Gunsten abweichend von §§ 121, 123 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) die Hälfte der vollen Gebühren nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BRAGO und damit 115.243,51 E als Vergütung festzusetzen, blieb ohne Erfolg. 2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 3, Art. 12 und Art. 14 GG. Zwischen seiner anwaltlichen Leistung und den festgesetzten Prozesskostenhilfegebühren klaffe eine so enorme Diskrepanz, dass dies mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, sondern willkürlich sei. Sein Gesamtaufwand an Arbeitszeit habe 1.284 Stunden betragen. Außerdem hätte er bei einem derart hohen Streitwert für eine zusätzliche Einzelfall-Haftpflichtversicherung 57.000 DM (29,143,64 E ) aufwenden müssen, während mit der festgesetzten Vergütung von 1.384,89 E nicht einmal die Kosten für die Fotokopien gedeckt seien. II. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGE liegen nicht vor, weil ihr weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, noch ihre Annahme zur Durchsetzung dar Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. 1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. a) Es stellt eine übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung dar, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt, den derart Belasteten jedoch eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme vorenthält (vgl. BVerfGE 54, 251 5271>). Im vorliegenden Fall liegt zwar eine staatliche Inanspruchnahme vor; denn ein gemäß § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) beigeordneter Rechtsanwalt ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) grundsätzlich verpflichtet, die gerichtliche Vertretung der betreffenden Partei zu übernehmen. Dass die Vergütung des Beschwerdeführers auf die gesetzlich geregelten Gebühren für im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwälte beschränkt bleibt, erweist sich jedoch unter den konkreten Umständen nicht als unangemessen. b) Bei Prüfung der Angemessenheit ist davon auszugehen, dass der von § 123 BRAGO verfolgte Zweck der Schonung der öffentlichen Kassen grundsätzlich eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls darstellt. Diese Ziel rechtfertigt die reduzierten Vergütungssätze des § 123 BRAGO (jetzt des § 49 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte 5Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes – RVG>) in Fallen, in denen – wie im Ausgangsverfahren – die Beiordnung einss Rechtsanwalts erfolgte, der gemäß § 121 Abs. 1 oder 2 ZPO seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung der betreffenden Partei erklärt hatte. Dann ist nämlich das vom Beschwerdeführer geschilderte Missverhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Vergütung aufgrund weiterer Umstände entscheidend gemildert und kann daher nicht zur Unangemessenheit der Vergütung führen. Ob dies auch für Fälle gilt, in denen sich kein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt findet und daher die Auswahl gemäß § 121 Abs. 5 ZPO durch den Vorsitzenden erfolgt, bedarf hier keiner Entscheidung. Maßgebend für den vorliegenden Fall ist, dass der Beschwerdeführer ohne staatlichen Zwang und in Kenntnis aller wesentlichen Umstände seine Bereitschaft zur Übernahme der Vertretung des Klägers erklärt hatte (§ 121 Abs. 1 ZPO). Eine berufsrechtliche Pflicht bestand für den Beschwerdeführer insoweit nicht; denn die Pflicht zur Übernahme der ProzessverAnwBl 1 / 2008

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tretung wird erst mit der Beiordnung durch das Gericht begründet (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO). Der Beschwerdeführer hat sich damit freiwillig auf das Risiko eingelassen, das mit der Übernahme eines Mandats nach bewilligter Prozesskostenhilfe verbunden ist. Auf die geringeren Gebühren aus der Staatskasse ist der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt nur dann angewiesen, wenn und soweit die von ihm vertretene Partei im Rechtsstreit unterliegt. Hingegen ist mit einem vollen Obsiegen in der Hauptsache regelmäßig die Kostentragungspflicht des unterlegenen Gegners verbunden (§ 91 Abs. 1 ZPO), während im Fall des teilweisen Obsiegens dem Gegner die Kosten anteilig auferlegt werden (§ 92 Abs. 1 ZPO). Im Umfang einer solchen Verurteilung des Gegners in die Prozesskosten ist der der obsiegenden Partei beigeordnete Rechtsanwalt nach § 126 Abs. 1 ZPO berechtigt, die vollen gesetzlichen Gebühren nach § 11 BRAGO (jetzt nach § 13 RVG) und seine Auslagen, soweit nicht von seiner Partei oder der Staatskasse bereits bezahlt, vom Gegner beizutreiben. Daher hängt im Falle der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe die Höhe der Vergütung des Rechtsanwalts entscheidend vom Ausgang des Rechtsstreits ab. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung, die im Ergebnis zu einer erfolgsbezogenen Vergütung führt (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 –, NJW 2007, S. 979 5982>). Das Vergütungsrisiko, das der mit seinem Einverständnis beigeordnete Rechtsanwalt aufgrund seiner freien Entscheidung eingegangen ist, ist zudem abgeschwächt, weil Prozesskostenhilfe nur zu bewilligen ist, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist (§ 114 ZPO). Diese der Beiordnung vorausgehende Prüfung durch das Gericht führt dazu, dass die beigeordneten Rechtsanwälte grundsätzlich von einer erhöhten Aussicht auf Erfolg ausgehen können, weil die rechtliche Schlüssigkeit des Klägervorbringens, das Angebot etwa erforderlicher Beweismittel und unter Umständen auch die Glaubhaftmachung tatsächlicher Angaben (§ 118 Abs. 2 ZPO) gerichtlich überprüft worden sind. 2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Anmerkung der Redaktion: Die knappe Entscheidung der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht wird den Anwalt oder die Anwältin, die sich regelmäßig freiwillig zur Übernahme von Mandaten in der Prozesskostenhilfe bereit erklärt, nachdenklich machen. Wer einmal „Ja“ sagt, muss auch die finanziellen Folgen tragen. Selbst wenn der Gegenstandswert exorbitant ist und der Aufwand des Anwalts weit über den Üblichen liegt (wie der Beschwerdeführer vorgetragen hat), sind die PKHSätze nicht unangemessen. Wer also bei hohen Streitwerten in PKH-Sachen auf den (attraktiven) vollen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten im Erfolgsfall spekuliert, vereinbart ein echtes Erfolgshonorar. Die Schonung der öffentlichen Kassen stellt – so das Bundesverfasssungericht zur PKH – grundsätzlich eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls dar. Ausdrücklich offen gelassen hat die Kammer allerdings, ob die Vergütung noch angemessen gewesen wäre, wenn sich kein Anwalt zur Vertretung gefunden hätte und das Gericht unter Zwang einen Anwalt beigeordnet hätte (§ 122 Abs. 5 ZPO). Das Anwaltsblatt wird in einer der nächsten Hefte noch ausführlich auf die Entscheidung und ihre möglichen Konsequenzen für das PKH-System eingehen.

Keine PKH trotz Zulassung der Revision ZPO § 114 Satz 1

Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Aussicht auf Erfolg fehlt, wenn die beabsichtigte Revision zwar zugelassen ist, aber nach § 552 a ZPO zurückzuweisen wäre. BGH, Beschl. v. 27.9.2007 – V ZR 113/07

Aus den Gründen: Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Revision ist zwar zugelassen. Es kommt aber ihre Zurückweisung durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO in Betracht, bei der Klägerin schon im Hinblick darauf, dass in ihrer Person keine gewerbliche Nutzung stattfindet (vgl. Senat, Urt. v. 13. Mai 2005, V ZR 191/04, NJW-RR 2005, 1256), bei dem Kläger im Hinblick darauf, dass sich die Frage bei Nebengebäuden nicht stellt, weil sie das Schicksal des Hauptgebäudes teilen (Senat, Urt. v. 12. März 1999, V ZR 143/99, VIZ 1999, 351, 352).

Fotonachweis Seiten 7, 8, 16, 22, 26, 31, 32, 46, 49, 52, 54, 56, 59, 62, 64, IV, VI, XXXII, XXXVI: Privat; Seiten 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 47, 50, I: Burckhardt/Berlin; Seite 45: Sabine Münch

Impressum Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179 Berlin (Mitte), Tel. 0 30 / 72 61 52 - 0, Fax: 0 30 / 72 61 52 - 191, [email protected]. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung, v. i. S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 02 28 / 9 19 11 - 0, Fax: 02 28 / 9 19 11 - 23; [email protected], Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17 532 458, BLZ 380 500 00. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich (v. i. S. d. P.), Pikartenkamp 14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40 / 8 66 28 - 467, Fax: 0 40 / 8 66 28 - 468, [email protected]. Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen, Tel. 02 01 / 8612 - 281, Fax: 02 01 / 86 12 - 241; [email protected]. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich 132,– E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 13,– E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Herausgebers.

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Europarecht Europisches Wirtschaftsrecht von Jrgen Schwarze; BadenBaden: NOMOS, 2007; 438 S., geb.; 978-3-8329-2657-1; 79,00 E.

Nach langen Verhandlungen haben sich die europäischen Staatshäupter auf eine – so nicht genannte – neue Verfassung geeinigt. Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion täuscht darüber hinweg, dass der europäische Einigungsprozess eine andere Basis hatte. Im Kern der ursprünglichen Vertragswerke stand das europäische Wirtschaftsrecht, d. h. die Vorschriften über die Grundfreiheiten (Warenverkehr, Freizügigkeit der Arbeitnehmer Dienstleistungen, Niederlassung, Kapitalverkehr) sowie den Schutz des Wettbewerbs. Jürgen Schwarze hat ein Projekt abgeschlossen, das quasi an die Ausgänge des europäischen Einigungsprozesses zurückführt. Das Werk Europäisches Wirtschaftsrecht ist, dies stellt man nach wenigen Seiten fest, ein großer Wurf. Auf 400 Seiten werden alle grundlegenden Prinzipien des europäischen Binnenmarkt- und Wirtschaftsrechts präzise und prägnant dargelegt. Ein ganz zentraler Vorteil des Werkes liegt darin, die weit verästelten Einzelgebiete des Gemeinschaftsrechts auf die bestimmenden Grundstrukturen und -prinzipien zurückzuführen. Das Werk hilft also dabei, den sprichwörtlichen Wald trotz der großen Zahl von Bäumen mit klaren Konturen zu erkennen. Schwarze vermittelt nicht nur eine tour d’horizon über die wesentlichen Elemente des europäischen Wirtschaftsrechts. Vielmehr spricht er zahlreiche Einzelaspekte an. Selten findet man eine so knappe und gleichzeitig umfassende Darstellung der Grundfreiheiten des Binnenmarktes wie auf den Seiten 37 ff. Das gilt auch für zahlreiche andere Bereiche, auf die an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden kann. Erlaubt seien nur folgende Hinweise: Schwarze zeigt zunächst die wesentlichen Strukturmerkmale des europäischen Kartellrechts auf und betont vor allem den Zusammenhang zwischen materiellem Kartellrecht und Verfahrensnormen, die eine effiziente XXX

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Umsetzung des Kartellrechts erst ermöglichen. Durch den Wegfall des Anmeldesystems und den Übergang zum System der Legalausnahme in der VO 1/2003 ist die Selbstverantwortung der betroffenen Unternehmen gestiegen. Die Darlegungen zeigen in aller Schärfe, dass bei der Subsumtion komplexer Sachverhalte unter die Norm des Art. 81 EG äußerste Sorgfalt geboten ist. Eingebettet sind die Ausführungen in eine Zusammenfassung der aktuellen Rechtsprechung sowie der Reformvorhaben der Kommission. Besonders zu begrüßen sind die Ausführungen zum Sanktionsrecht der Gemeinschaft. Diese geben auf S. 118 ff. nicht nur den aktuellen Stand von Kommissionsund Rechtsprechungspraxis wieder, sondern spiegeln diese an der aktuellen, zum Teil äußerst kritischen Diskussion in der Literatur. Schwarze zeigt überzeugend auf, dass die Praxis der Kommission an rechtsstaatliche Grenzen stößt. Hilfreich sind auch die Ausführungen zum Beihilferecht, das Schwarze nicht nur in seinen maßgeblichen Grundstrukturen erläutert, sondern vor dem Hintergrund der aktuellen Praxis von Kommission und Rechtsprechung verständlich macht. Während in den Neunziger Jahren das Außenhandelsrecht scheinbar an Popularität eingebüßt hatte, ist es nunmehr wieder absehbar, dass dieses vor dem Hintergrund des Erstarkens insbesondere der chinesischen und indischen Volkswirtschaften wieder an Bedeutung gewinnen wird. Umso dankenswerter sind die präzisen und die Grundstrukturen betonenden Ausführungen zu den handelspolitischen Schutzmaßnahmen (S. 190 ff.). Diese vermitteln einen guten Überblick über die maßgeblichen Rechtsgrundsätze und Prinzipien, der eine Orientierung auch demjenigen ermöglicht, der sich zum ersten Mal mit dem Handelsrecht der Europäischen Gemeinschaft auseinander setzt. Ergänzt werden die Ausführungen zum materiellen Wirtschaftsrecht durch Abschnitte über die Gestaltungsformen des europäischen Wirtschaftsrechts sowie über den Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht. Schwarze verfolgt, wie die eindrucksvolle Publikationsliste belegt, wie kein Zweiter seit Jahrzehnten die Rechtsprechung der europäischen Gerichte in Luxemburg mit größter Aufmerksamkeit. Gerade die Ausführungen zum Rechtsschutz im europäischen Wirtschaftsrecht (S. 274 ff.) stechen hervor, da

diese einen präzisen und gleichwohl noch überschaubaren Überblick über das europäische Rechtsschutzsystem geben. Besonders hilfreich ist dabei, dass immer wieder ein Zusammenhang zwischen den Rechtsbehelfen des Gemeinschaftsrechts und den materiellen Einzelmaterien hergestellt wird. Gerade der Praktiker wird auf diese Darlegungen dankbar zurückgreifen. Abgerundet wird das Werk durch zwei große Abschnitte zu den Perspektiven der Weiterentwicklung des europäischen Wirtschaftsrechts, daneben aber auch zu dessen Grenzen. Schwarze ist zuzustimmen, dass eine Weiterentwicklung ohne Augenmaß undenkbar ist und die Akzeptanz des europäischen Rechts insgesamt in Frage stellt. Das Werk ist ein großer Wurf und erkennbar die Leistung eines Wissenschaftlers, der sich seit Jahrzehnten mit allen Facetten des europäischen Rechts intensiv auseinander gesetzt hat. Dass Schwarze die Mühe auf sich genommen hat, gerade zum jetzigen Zeitpunkt die Grundstrukturen des europäischen Wirtschaftsrechts zusammenzufassen und den Weg für eine Weiterentwicklung zu weisen, nötigt Bewunderung ab. Der Praktiker wird darüber hinaus dankbar sein, dass er neben der Fülle detaillierter Kommentierungen zu praktisch allen Facetten des Gemeinschaftsrechts auf ein kompaktes Werk zurückgreifen kann. Daher kann man sich nichts anderes vorstellen, als dass auch dieses Werk große Beachtung finden wird. Zu wünschen ist es ihm. Rechtsanwalt Dr. Ingo Brinker, Mu¨nchen

Europarecht Verfassung der Europischen Union hrsg. von Christian Calliess/ Matthias Ruffert; Mnchen: C. H. Beck -Manz, 2006; 656 S., kart.; 978-3-406-54717-6; 87,00 E.

Der Kommentar geht auf die Rechtsprechung und Rechtspraxis sowie Literatur im Zusammenhang mit dem europäischen Verfassungsprozess ein. Die Grundlagenbestimmungen der Verfassung werden wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert erläutert.

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mahnverfahren.nrw.de Über das automatisierte gerichtliche Mahnverfahren in Nordrhein-Westfalen informiert die Zentrale Mahnabteilung des Amtsgerichts Hagen. Hier wird auch über die neue Behandlung der Geschäftsgebühr im Mahnverfahren informiert. Das Schreiben der Koordinierungsstelle der Mahngerichte ist als PDF-Dokument verlinkt.

Arbeitsrecht-fa.de/ Die Zeitschrift Fachanwalt Arbeitsrecht bietet Teile ihres Inhaltes kostenlos im Internet an. Unter „Neuestes Heft“ werden die jeweiligen Aufsätze und deren Autoren genannt, während verschiedene Teile der Rechtsprechung als PDF-Dokumente verfügbar sind. Außerdem steht ein „Rechtsprechungsüberblick“, sortiert nach Stichworten, bereit. Die Inhalte des nächsten Heftes können unter „Vorschau“ eingesehen werden, hier kann wiederum die Recht-

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sprechung teilweise schon als PDF-Dokument abgerufen werden. In der Rubrik „Aktuell“ gibt es „Nachrichten für den Fachanwalt“, die vor allem aus aktuellen Urteilen und Gesetzesänderungen bestehen. Die Urteile werden auch hier im Volltext im PDF-Format angeboten. Bei den „Arbeitsmitteln für den Fachanwalt“ gibt es nützliche Dinge wie einen Link zu den allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen und einige Checklisten für die arbeitsrechtliche Mandantenbetreuung. Im „Rückblick“ können die Ausgaben der Zeitschrift bis 1997 zurückverfolgt werden. Europaeische-rechtsformen.de Einen Überblick über die verschiedenen Rechtsformen von Gesellschaften in Europa vermittelt diese Internetseite. Hier werden die Ergebnisse einer Diplomarbeit mit dem Thema „Chancen und Risiken europäischer Rechtsformen mit beschränkter Haftung für

die Existenzgründung in Deutschland“ vorgestellt, mit tabellarischen Übersichten zu den jeweiligen Voraussetzungen, Kapitalausstattung und Gründungsaufwand. Bei dem zunehmenden Kontakt mit europäischen Gesellschaften kann ein schneller Überblick nützlich sein.

Fr das Anwaltsblatt im Internet: Rechtsanwltin

Isa von Koeller Sie erreichen die Autorin ber anwaltsblatt@ anwaltverein.de.

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Schlusspldoyer Warum sind Sie Anwalt geworden?

Ich wollte mein eigener Herr sein. Erst später wurde mir bewusst, dass man als Selbstständiger „selbst“ und „ständig“ arbeitet, der Beruf muss daher auch Spaß machen. Schon einmal überlegt, die Zulassung zurückzugeben?

Noch nicht einmal als flüchtiger Gedanke: Je mehr Erfahrung ich sammle, desto mehr reizt mich die täglich wechselnde Herausforderung. Ihr größter Erfolg als Anwalt?

Von allen als aussichtslos beurteilte Fälle und den früheren „Gegner“ als Mandanten gewonnen zu haben. Ihr Stundensatz?

Stellt sich den Fragen des Anwaltsblatts: Rechtsanwalt Thomas Hannemann aus Karlsruhe ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht und Immobilien. Er ist seit 1986 Rechtsanwalt und Gründungssozius einer Anwaltsund Steuerberatersozietät mit derzeit neun Anwälten. Seine Schwerpunkte liegen auf den Gebieten des Immobilienrechts sowie des Bank- und Kapitalmarktrechts. Er ist seit Beginn seiner Tätigkeit Mitglied im Deutschen Anwaltverein, weil die Anwälte unabhängig vom öffentlich-rechtlichen Kammersystem eine starke und erfolgreiche Interessenvertretung brauchen.

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Meist läuft es darauf hinaus, dass Spezialistenwissen nur auf den ersten Blick teuer wirkt, in Wirklichkeit aber „preiswürdig“ ist. Ihr Traummandat?

Wenn ich einen weißen Fleck auf der juristischen Landkarte ausfüllen kann. Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal nicht nachsagen?

Mitglieder Service DAV-Haus Littenstr. 11, 10179 Berlin Deutscher Anwaltverein Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90 [email protected], www.anwaltverein.de Redaktion Anwaltsblatt Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91 [email protected] www.anwaltsblatt.de Deutsche Anwaltakademie Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11 [email protected] www.anwaltakademie.de Deutsche Anwaltadresse Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77 [email protected] DAV-Anwaltausbildung Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63 [email protected] www.dav-anwaltausbildung.de Arbeitsgemeinschaften im DAV Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190 DAV Büro Brüssel Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13 [email protected], www.anwaltverein.de/bruessel Deutscher Anwaltverlag Wachsbleiche 7, 53111 Bonn Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23 [email protected], www.anwaltverlag.de

Unkollegial gewesen zu sein. Welches Lob wünschen Sie sich von einem Mandanten?

Ich komme wieder und empfehle Sie weiter.

Das haben Sie DAVon!

Die Mitgliedschaft in einem örtlichen Anwaltverein bringt Ihnen handfeste Vorteile. Unter www.anwaltverein.de/vorteile/index.html. finden Sie eine Übersicht über die Kooperationen und Töchter des DAVund somit über die Vergünstigungen, beispielsweise bei Hotels oder Mietwagen für Sie.

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