Hinter meiner. Gartenarchitekten zeigen ihre Gärten. Deutsche Verlags-Anstalt München. Stefan Leppert

November 25, 2017 | Author: Eike Stieber | Category: N/A
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Hinter meiner Hecke



Hinter meiner Hecke Stefan Leppert

Gartenarchitekten zeigen ihre Gärten

Deutsche Verlags-Anstalt München

Gewidmet Uwe Isterling in Hamburg und Wolfgang Oehme in Baltimore/USA, zwei Garten- und Landschaftsarchitekten, die ihre Anerkennung auch der Tatsache verdanken, dass sie immer leidenschaftliche Gärtner geblieben sind.

Inhalt

8 14

Einführung

Oasen im Herzen Wiens



Die zwei Gartenhöfe von Maria Auböck

Die Schönheit der Darbenden

Der Garten von Hannelore Kossel im Grunewald

76 Leben auf dem Pflasterstein, Leben aus dem Pflasterstein

20

Ziegel unter Efeu



Der Gartenhof von Ulrike Beuter und Harald Fritz im Ruhrgebiet

24

Ein neuer Bauerngarten

80 Gartenkunst zwischen Wind und Wiesen



Der Garten von Jane Bihr-de Salis im Aargau

Der Garten von Anneliese und Peter Latz im Norden Münchens

30

Garten neben Gleisen



Die Bahnhofslandschaft von Richard Bödeker im Neandertal

36

Nachbar eines grossen Gartens



Der Garten von Zuzia Kozera-Dane und Michael Dane in Weimar

88

Gärtnereigärten

Die Gärten von Anja Maubach in Wuppertal

96

Gärten zwischen Ku’damm und Spree

Der Schrebergarten von Christian Meyer

Distanzierte Erinnerung an Fernost

100



Der Garten von Christhard Ehrig am Teutoburger Wald

Der Garten von Peter Neuberger

Das versenkte Quadrat, der gewürfelte Buchs

Aussicht auf Schweden

140

Der Garten von Wieland Schmidtke im Oldenburger Land

146

Über dem Ampertal

Hecken, ein Fenster, dahinter die Voralpenlandschaft

152

Der Reihenhausgarten von Stefan Fromm bei Stuttgart

Der Garten von Nicole Newmark

50

Ideal wäre ein Birkengarten

114



Der Fantasiegarten von Markus Gnüchtel

Der Landschaftsgarten von Hans Jürgen Papenfuss in Solingen

52

Über den Dächern von Wien

120



Die Dachgartenlandschaft von Alice Größinger

Der Garten von Petra Pelz im Jerichower Land

56

Wo der Süden beginnt

124



Der Garten von Guido Hager über dem Zürichsee

Der Garten von Hermann Rieth im Bergischen Land

62

Gute Plätze über der Weser

132



Der Garten von Günter Henke

Der Garten von Kurt Salathé bei Basel

Ein Tiergarten

Oase in der Betonwüste

Der Atriumgarten von Gerhart Teutsch bei München

156

Unterm Reetdach

Der Garten von Ulrich Timm über der Elbmarsch

160

Heraus aus einer schwierigen Zeit

Der Garten von Thomas Tradowsky

164

Terrassen über dem Gardasee

Der Ferienhausgarten von Donata und Christoph Valentien

168

Neu entstandener Süden

Der Garten von Irmtraud und Helmut Wartner in Niederbayern

106



Drei Zimmer unterm freien Himmel

Der Garten von Ulrich Singer im Badischen

Der Garten von Hartmut Kreikenbaum im Teufelsmoor

40

46



70



172 Verzeichnis der Gartenarchitekten





176 Dank, Bildnachweis, Impressum

Die schönste Zeit im Gegenlicht Ein Garten zwischen den Zeiten

Über der gezähmten Wildnis



Einführung

In den sechziger Jahren erschien ein Buch des englischen

sehr genau beschreiben könne: Der Garten ist ein Birkenwald,

Gartenarchitekten Russel Page. Es trug den Titel »Ich schuf

unter dessen lichtem Laubdach wüchse nur Gras, kein Weg

Gärten in aller Welt« und gab die Kenntnisse und Erfahrun-

führe hindurch. Eine schlichte Vorstellung von der Schwelle

gen eines Mannes wieder, der sein Leben lang Gärten für An-

zum Paradies, nicht wahr? Und nicht zu messen mit dem, was

dere plante. »Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr hatte

uns Bücher und Zeitschriften immer wieder an Traumgärten

ich einen eigenen Garten.« Damit beginnt das Buch und es

präsentieren. So geriet dieses Buchprojekt zu einem Aben-

endet mit dem Kapitel »Mein Garten«, in dem Page den Gar-

teuer. Es fiel nicht leicht, aus den über 100 eingesendeten

ten beschreibt, den er gerne hätte. Klein und einfach soll-

Vorschlägen die 29 vorliegenden auszuwählen. Verlag und

te er sein, Page war Mitte fünfzig und auf dem vorläufigen

Autor wollten einen breiten Querschnitt an Gärten zeigen

Höhepunkt seiner Karriere. Er war zu beschäftigt, um einen

und so wählten wir eine möglichst breite Typenpalette aus:

großen Garten bewältigen zu können. Ob sich Page je diesen

Kleine und große Gärten, Gärten in der Stadt, am Stadtrand

kleinen einfachen Garten angelegt hat, ist nicht bekannt. Es

und auf dem Land, Gärten von Villen, Doppelhaushälften

kann bezweifelt werden – manch einem reichen die Gärten

und bescheidenen Siedlungshäusern, offene Staudengärten,

der anderen.

schattige Waldgärten. Ein Schrebergarten folgt auf Gartenhöfe der späten Biedermeierzeit, die in einer Staudengärt-

Unzählige Anrufe und E-Mails quer durch die deutschspra-

nerei eingeflochtenen Gärten stehen neben einer heiteren

chigen Länder waren erforderlich, um die Chancen für dieses

Dachlandschaft im Westen Wiens. Es sind Gärten darunter,

Buch auszuloten. Es sollte sich herausstellen, dass es zahl-

die in jeder freien Minute bewohnt werden und solche, die

reichen Kollegen erging wie Russel Page. Gartenarchitekten

nur als gelegentlich besuchte Umgebung eines Feriendomizils

entwerfen Gärten und Parks, planen Freiräume für Gewer-

dienen. Wir wollten Gärten von Menschen unter vierzig und

begebiete, Schulen und Siedlungen, gestalten Innenräume

über achtzig Jahren, wir wollten Gärten von Männern und

von Konzernzentralen oder Reha-Kliniken, führen kanalisierte

Frauen, von Damen und Herren.

Bäche zurück in ein mäandrierendes Bett, begrünen Autobahnen, schreiben Pflegekonzepte für Naturschutzgebiete, lehren

Wir haben also einen Querschnitt vor uns. Ob er repräsen-

an Universitäten und Fachhochschulen. Ein weites Feld zeit-

tativ ist, steht dahin. Beschlossen ist: Dieses Buch soll nicht

raubender Arbeiten. Da bleibt wenig Zeit für einen eigenen

nur Gärten vorstellen. Es versucht auch, Persönlichkeiten zu

Garten. Viele Anfragen blieben deshalb erfolglos.

zeigen und Stellungnahmen zum Garten abzugeben, zum letzten Stück halbwegs freien und sicheren Landes in der sich



Ich rief auch einen Gartenarchitekten aus Kassel an – in der

rasch wandelnden Stadt- und Kulturlandschaft. Dankenswer-

Vermutung, den Besitzer eines schönen Gartens ans Telefon

terweise ließen sich die Gartenarchitekten überreden, selbst

zu bekommen. Der gab mir zur Antwort, dass er zwar kei-

eine kurze, frei gewählte Geschichte zu schreiben und damit

nen eigenen Garten habe, er mir aber seinen Wunschgarten

ein Schlaglicht zu richten auf eine kleine Facette der Garten

kunst. Das fügt dem Querschnitt an Gärten einen Querschnitt

sehr verschiedenen Persönlichkeiten zu tun haben, eint sie ihr

keine plakativen, aufgetakelten Gärten sehen, auch keine bis

Wirklichkeit verweigert, sondern die Möglichkeiten von Wahr-

an Motiven rund um das Phänomen Garten hinzu.

festes Verhältnis zur Natur. Natur, dieses Streben nach stän-

aufs Sparsamste reduzierten, keine Gärten, die auf den ersten

nehmung und Erfahrbarkeit steigert. Vor diesem Hintergrund

Aber repräsentativ?

diger Erneuerung kann für die Persönlichkeiten und damit

Blick erkennbar nach Effekten haschen. Wer sich jahrelang

bergen die hier vorgestellten Gärten einen unüberschaubaren

auf deren Gärten nicht folgenlos bleiben. Gartenarchitekten

einem derart polymorphen Thema nähert, ohne es je ganz

Erfahrungsvorrat und ermuntern dazu, im eigenen Garten viel

Charakteristisch an den hier gezeigten Gärten ist gewiss die

sind auf Überraschungen gefasst, manche scheinen gerade-

beherrschen zu können, wird sich eine Sensibilität für viel­

zu wagen, aber auch bewusst zu lenken.

Leidenschaft, mit der sie angelegt wurden und betreut wer-

zu darauf zu warten. Es ist kein allzu großes Wagnis, sie zu

gestaltige, detailreiche Gärten aneignen. Da müssen Orte her

den. Allen Gärten gemeinsam ist ihre Funktion als Lebensraum

weltoffenen und vielseitig interessierten Menschen zu erklä-

und zwar weniger, um Bekanntes anzusehen, als vielmehr, um

Eine abschließende Bemerkung: In diesem Buch ist der Ver-

zum einen, als Beobachtungsraum zum anderen und nicht zu-

ren. Zu viele Anknüpfungspunkte mit der Umwelt verhindern,

Unbekanntes zu probieren. Der Garten wird zu einem Labor,

einfachung halber von Gartenarchitekten oder nur von Ar-

letzt als Arbeitsfläche für Körper und Geist. Anders als viel-

sich zu rückwärtsgewandten, abgeschotteten Charakteren zu

mit Pflanzen, Steinen, Wasser und schließlich mit dem indivi-

chitekten die Rede. Mir ist bewusst, dass der ein oder ande-

leicht zu vermuten wäre, sind sie hingegen nicht der Raum,

entwickeln. Auch Angst dem Fremden gegenüber liegt ihnen

duellen, oft stillen Enthusiasmus gefüllt.

re die Berufsbezeichnung Landschaftsarchitekt, Garten- und

in den die Summe alles Studierten und sonst wie Gelernten

fern. Ferne reizt. Der ständige Umgang mit fremdländischem

So verstehen wir vielleicht besser, dass die meisten Garten-

Landschaftsarchitekt, Land­schaftsplaner oder Landespfleger

einfließt. Vielmehr scheinen die Gartenarchitekten hier eine

Pflanzen- und Gesteinssortiment zieht ein Interesse an den

architekten bei der Gestaltung ihres eigenen Gartens keinen

führt – auch wenn nahezu alle das Gleiche studiert haben.

Art Auszeit zu nehmen vom täglichen Gezerre um die letzten

dortigen Kulturen nach sich. Nicht zufällig ist die Disziplin der

Vorbildern folgen. Dank der tausend und abertausenden von

Das vorliegende Buch handelt von Gärten, dem architek-

unbebauten Flecken der Stadt, von minuziösen Planungen,

Gartengestaltung seit Jahrhunderten durchwoben von Be-

Möglichkeiten, es so und doch wieder anders zu tun, dank

tonischen Produkt der Gestaltungsarbeit. Dahinter stehen

eine Auszeit von den mitunter nur schwer nachvollziehbaren

fruchtung über Länder und Erdteile hinweg.

des unbedingten Willens, sich im eigenen Garten Freiheiten

Garten­architekten. Sollte sich dereinst die Prognose des be-

Wünschen ihrer Bauherren. In ihren Gärten darf sich vieles

Neugier als Geisteshaltung also, diese schlummernde Erwar-

herauszunehmen, ist ein bestimmter Stil nicht auszumachen.

kannten französischen, so genannten Landschaftsarchitekten

entfalten, was in bezahlten Projekten unterdrückt und weg-

tung von Unvorhersehbarem ist abzulesen an dem Raum, den

Selbstverständlich, es gibt Menschen, von denen man lernte:

Gilles Clément durchgesetzt haben, nach der dieser Planet

geplant wird. Der Garten als Experimentierfeld, auf dem der

die Besitzer für Überraschungen zur Verfügung stellen. Sie

vom Denker Dieter Kienast etwa, vom Gestalter Otto Valenti-

in Zukunft ein von seinen Bewohnern gehegter Garten sein

Planer steht und seine Vorstellungen ständig neu probiert,

halten nichts davon, sich ständig gegen die Launen der Natur

en, von Gertrude Jekyll und ihren Farbkompositionen, Hoch-

wird, wäre die seit Jahrzehnten dauernde Suche nach dem

Einflüsse von Natur und Kultur aufnimmt und zurückdrängt.

abzusichern. Und so erleben wir die Mehrzahl der gezeigten

achtung empfinden sie für die Arbeit von Pflanzenzüchtern

richtigen Berufstitel beendet. Hoffen wir also, dass Clément

Alle Architekten in diesem Buch würden unterschreiben, dass

Gärten in einer wunderbaren Balance zwischen Gewolltem

wie Georg Arends, Karl Foerster oder Ernst Pagels. Doch ist

Recht behält und trauen den Gartenarchitektenmenschen die

ihr Beruf zu den kunstschaffenden zählt, der Garten somit

und von der Natur Gefordertem. In manchen gleicht es einem

der Gartenarchitekt keiner, der reproduziert. Zumindest in

Bewältigung großer Aufgaben auch außerhalb ihres eigenen

ein Kunstwerk darstellt. Und sie würden unterschreiben, dass

Spiel, in dem sich Pflanzen Lebensorte suchen, sie wieder ver-

seinem eigenen Garten kann er sich völlig der Reproduktion

Gartens zu.

sich ihre Kunst von denen der Maler, Hochbauarchitekten,

lassen, neue finden. Als wüssten sie, dass der Gartenarchitekt

entziehen. Vielleicht ist dies der einzige Ort, an dem er seine

Bildhauer oder Bühnenbildner in einem überaus wichtigen

interessiert zusieht und zulässt – aber auch eingreift, gestal-

Handschrift immer wieder neu probieren kann, sein Meister-

Punkt unterscheidet: Ihr Kunstwerk wird nie fertig – was es

tet, lenkt. So ist der Besitz eines Gartens immer auch Psycho-

stück nie zu Ende bekommen muss. Hier prüft niemand, au-

zahlreichen Menschen erschwert, den Garten als solches zu

logie. Der Gartenarchitekt fragt nicht nur: Was geschieht mit

ßer er selbst.

betrachten, was es den Gartenarchitekten hingegen leicht

meinem Garten? Er spürt ebenfalls die Frage, was mit ihm

Es könnte der Eindruck entstehen, dass »Hinter meiner He-

macht, ihr Schaffen allem anderen vorzuziehen. Man ist sich

geschieht, wenn die Natur etwas fordert. Was entwickelt sich

cke« nur Illusionen von einer heilen Welt warten. Vielleicht

einig, dass dauerhaft nichts derart spannend ist wie die Gar-

wie, wenn ich Zugeständnisse mache? Halte ich es aus, wenn

wäre damit ein Grund für den Garten geklärt. Ob man die-

tenkunst. Sie fordert immer und immer wieder zur Reakti-

ich mich zurückhalte? Nehme ich dem Garten etwas, wenn

sen Gedanken fortführen möchte oder nicht – wir glauben

on auf. Auch wenn wir es in diesem Buch mit knapp dreißig

ich jetzt eingreife? So gesehen wundert es nicht, wenn wir

mit Idealismus dem Kienast-Wort, nach dem Illusion nicht die

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Gartenarchitekten zeigen ihre Gärten

12

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Oasen im Herzen Wiens Die zwei Gartenhöfe von Maria Auböck

Die beiden Höfe der Familie Auböck haben schon andere Zei­

Auböck sagt. Ihre mehrdeutige Physiognomie mag mal Trau­

ten erlebt. Sie waren mit den zahllosen anderen in der Stadt

er, stille Freude, Melancholie, Narzissmus andeuten. Je nach

die Herzstücke eines halbwegs gesunden Überlebens in den

Blickrichtung setzt hinter der Figur eine blaue Bauerngarten­

Arbeiterquartieren Wiens, die durch die Bevölkerungsexplo­

kugel einen dunklen Lichtpunkt und ergänzt alle Ahnungen

sion im 19. Jahrhundert in die Höhe wuchsen. Man konnte

der Figur vortrefflich. Von einem großen Nussbaum überragt,

hi­naus­treten, Luft schnappen und Wasser holen. Solch ele­

von Hortensien flankiert, von Farn und Efeu umspielt, scheint

mentare Bedürfnisse indes werden heute anders befriedigt:

sie hier her und nur hier herzugehören.

Wasser zapft man drinnen, zum Luftschnappen geht man in

Die Aura des anderen Hofes füllt das vom Zahn der Zeit ange­

den Park oder setzt sich ins Auto und fährt ins Grüne. Und

fressene Zifferblatt einer Kirchturmuhr, das die Mutter Justine

weil diese Autos Platz brauchen, wurden viele der Höfe in den

Auböck für fünfzig Schilling erwarb. Der zwei Zeiger beraubt,

vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch eine Zufahrt mit

von Efeu umrankt, sendet es von der Stirnseite des zweiten

der Straße verbunden und in Parkplätze umgewandelt. Schon

Hofes stille Signale herüber zum Werkstattzugang: Zeit dik­

allein deshalb stellen diese zwei hier ein Kleinod dar – die

tiert die Welt, hier jedoch möchte sie aussetzen. Während

noch wertvoller werden durch die gewissenhafte Pflege von

der erste Hof durchaus gediegen ist, trifft das auf den zwei­

Maria Auböck.

ten weniger zu. Unverputzte Mauerreste, spärlich wachsende

Was seinerzeit trennte, ist heute Ornament: Wie in der spä­

Sträucher, hochgewachsene Götter- und Ahornbäume geben

ten Biedermeierzeit verlaufen halbhohe Gitter zwischen den

dem Ort eine morbide Merkwürdigkeit. Funkien, Efeu, Farn,

gärtnerisch angelegten Hausherrengärten und einer Plat­ten­

Hortensien, eine auf bessere Zeiten hoffende Rose stören die­

fläche, die seinerzeit auch Mieter und Handwerker nutzen

se Aura nicht.

konnten. Zu Zeiten des Großvaters waren die Quartiere ge­

Die seit den zwanziger Jahren geweißten Bruchsteine entlang

füllt mit Handwerksbetrieben – die Werkstätten der Familie

der Beete sprechen eine ähnliche Sprache wie die Figur des

Auböck haben als eine der wenigen überlebt und fertigen

anderen Hofes: Sie liegen hier, hier verleihen sie Charakter,

mittlerweile in der vierten Generation international gefragte

aber könnten sie das auch woanders?

Schmuck- und Gebrauchsgegenstände.

Die Zeiten ändern sich. In diesem Hof, wo die Großmutter

Beiden Höfen wohnt der Zauber der Vergangenheit inne.

in den zwanziger Jahren ein Reh gehalten hat, veranstaltet

Einerseits verhelfen die Fassaden mit den schlichten Fens­

die Familie Auböck heute Lesungen und öffnet ihn zumindest

tern dazu, andererseits sind es die wenigen, aber markanten

zeitweilig der Öffentlichkeit. In dem anderen, der Wohnung

Subs­tanzen im Raum, die den Gärten das Verharrende ver­

und dem Büro von Maria Auböck zugeordneten, findet eher

leihen. Im ersten Hof, von ockerfarben getünchten Wänden

das private Leben unter freiem Himmel statt. Familie Auböck

um­geben, sorgen die Frauenfigur, zwei alte Taufbecken und

mit ihren Werkstätten und die Höfe sind stark miteinander

Efeusäulen dafür und natürlich das etwa 150 Jahre alte Gitter

verbunden – beide sind Relikte des guten Teils der alten Zeit,

zwischen Plattenbelag und bewachsenem Garten. Ebenso alt

die sich mit Augenmaß hinein in die Gegenwart entwickelt

ist die Figur aus Eisenguss, nichts von großem Wert, wie Maria

haben.

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Vorbei an Gartenkugeln und Hortensien schlägt der Weg im ersten Hof vor einem alten Tauf­­­­­­­­­­­­­­­b ecken einen rechten Winkel. Dies ist einer der dezent wirkenden Blickpunkte. Edel trennt der Metallzaun das vordere Drittel vom üppig bewachsenen Gartenteil. Hier wird Kaffee getrunken, werden Kipferl gegessen, Mußestunden verbracht.

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3 4

3

3

4

2

1

5 7

6

1__Nussbaum 2__Efeu

8

3__Taufbecken 4__Skulptur

Unten: Efeu scheint sich der Frauenfigur im ersten Hof zu bemächtigen. Die Grenzen des Pflanzenwachstums werden immer wieder neu austariert.

2

5__Zaun

1

6__Sitzgruppe

9

1__Pflaster

7__Müllstelle

2__Bassena-Brunnen

8__Terrazzoplatten

3__Turmuhr-Ziffernblatt

9__Eingang

4__Plattenbelag

Unten rechts: Ein großer, dem wenigen Licht entgegen wachsender Nussbaum bringt Schatten in den Hof und Schattenspiele an die schöne Gebäudefassade. Rechts: Blickpunkt des zweiten Hofes ist ein altes Zifferblatt einer Kirchturmuhr. An die rückwärtige Mauer gelehnt ist es, der Ziffern beraubt, dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Rechts außen: Große Laubbäume, ansonsten spär­ liches Wachstum unter entsprechendem Schatten, die geweißten Steine erfüllen den zweiten Hof mit einer melancholischen Stimmung.

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Blick vom hinteren Bereich des Hofes auf das Gebäude. Ein klassischer Zaun trennt die Plattenfläche vom ehemaligen Hausherrengarten, den einst nur die Vermieter betreten durften.

Vom Innenhof aus Neues denken Von Maria Auböck

Die ruhigen Innenhöfe Wiens sind Inspiration für unsere Ar­

sich geschlossene, dicht gepflanzte Staudenbeete um die lee­

beit, wir leben und arbeiten hier seit vier Generationen wie

re Rasenmitte. Kleine Architekturelemente wie Pergolen, Lau­

in einem Korallenriff. Es ist eine selbstverständliche Sache, zu

ben und Rankgerüste im Stil der »Wiener Werkstätte« waren

einer Besprechung im Hof zu sitzen oder bei Gelegenheit im

typisch für diese Zeit.

Hof ein Fest zu veranstalten. An den verschiedensten Orten

Der klassische Innenhof bietet heute Chancen der Nutzungs­

der Welt überlegt man, wie in Zukunft solche Keimzellen die

freiheit für alle Nutzer mit den klaren Flächenteilungen – so­

Stadtstruktur qualitativ ergänzen. Höfe können als optimale

fern der Hof nicht zum Autoparkplatz wird. Auch bei zeitge­

Wohnorte im Freien begriffen werden – wie in Siena, Marra­

mäßen neuen Projekten ist es üblich, den Text der Stadt nach

kesch, Paris, Venedig oder sonstwo. In unserer Entwurfsarbeit

Straße, Hof und Platz neu zu ordnen. Die grünen Höfe sind

stellen wir den Zusammenhang von Innen- und Außenraum

vitale Lebensmittelpunkte für die Zukunft. Die Stellplätze für

her, was sich auch in unserer Lebenswelt in Wien zeigt. Von

die Autos werden unterirdisch oder in geeigneten Parkdecks

der Vorgeschichte der Umgebung unserer Höfe lernen wir für

eingerichtet, denn Autos werden in Zukunft anders konstru­

die Zukunft.

iert werden, Höfe nicht.

Nach Ende der Türkenkriege entstand im Bezirk »Neubau« ab

In unserem Ensemble kann man im selben Haus wohnen und

1704 die schrittweise Verbauung mit Manufakturenhäusern

arbeiten. Die Höfe bieten dazu wahre Oasen. Heute hat sich

von nahezu gleicher Bauhöhe und nur geringfügig variierter

unser Bezirk zu einem dynamischen Zentrum der jungen Wie­

Fassadengestaltung. Im Innenhof war der Brunnen für das

ner Generation entwickelt, die in diesem Milieu weiter Metall

ganze Haus vorgesehen und die »Pawlatschen«, die Lauben­

gestalten, aber auch Filmstudios betreiben oder als Software­

gänge aus Holzbalkonen im Freien. Dieses einheitliche Bauen­

entwickler arbeiten. Der historische Geist dieses gartenkultur­

semble besteht heute noch aus Wohnungen, Gewerbebetrie­

geschichtlichen Ensembles ist keineswegs erloschen, sondern

ben und vielen Gartenhöfen. Die Zugänge zu den Wohnun­

bietet vielfältige Chancen für die Zukunft.

gen waren in den Höfen anfangs großteils gepflastert, aber zumindest ein Baum und etwas Fassadengrün akzentuierte das klassizistische Milieu. Die Höfe der Bernardgasse entstan­ den zwischen 1830 und 1846 in der Zeit des so genannten Biedermeier mit immergrünen Schattengärten, Pergolen, klas­ sischen Brunnenhäusern. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden eher der Repräsentation zugewandte Höfe, die so genannten »Hausherrengärten« mit Hortensiengruppen,

Jahrgang 1951 Geboren in Wien. Nach dem Architektur-Studium in Wien ein Jahr For­

Gartenhäusern und Grotten sowie einer im Hof in sich ab­

schungsstipendium an der TU München-Weihenstephan. Lehraufenthalte an

geschlossenen Umzäunung aus gusseisernen Fertigteilen. Die

der Rhode Island School of Design/USA. Seit 1985 Lehrbeauftragte für Gar­

den Mietern zugänglichen Teile mit Klopfstange und Müllkü­ bel blieben gepflastert. Zur Zeit der Jahrhundertwende ent­ standen neben der floralen Betonung geometrische Formen. Von den »Brezelwegen« und »Uhrglasbeeten« weg formten 18

Maria Auböck

ten- und Landschaftsgestaltung an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Ab 1999 Professur für »Gestaltung und Ausstattung im Außenbe­ reich« an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seit 1985 eigenes Atelier, seit 1987 gemeinsames Atelier für Landschaftsarchitektur mit János Kárász. Diverse Zeitschriften- und Buchpublikationen.

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Ziegel unter Efeu

bewegen und aufhalten kann, in dem auch er, vor allem aber

tigste reduzierten Ordnung erscheint der Garten bewohnt,

die Natur selektiert. Ulrike Beuter und Harald Fritz versuchen

gepflegt und wertvoll. Mit verantwortlich dafür dürften An­

natürlich dies und das, aber in erster Linie beobachten sie:

fang und Ende des Hofes sein – vom Wohnzimmer aus blickt

Hirschzungenfarn gedeiht ausgezeichnet, die Taglilie gibt

man vorn auf die Terrasse mit schicken Stühlen und einem

nicht auf und reckt sich im lückenhaften Schatten akrobatisch

großen Tisch und dann über die Pflanzengemeinschaft auf ein

zur Sonne, sogar die weiße Kletterrose ‚Lykkefund‘ fühlt sich

geschmackvolles Gewächshaus am anderen Ende. Unterstüt­

an einer Hauswand wohl und mit ihr natürlich Flieder, Funkie

zend wirkt das stahlblaue Schaf, ein Geschenk von jemandem,

und Efeu. Auf freiem Pflasterbelag, zwischen diesem Vor und

der die Stimmung des Hofes falsch eingeschätzt und doch das

Zurück, diesem Auf und Nieder der Pflanzen stehen Töpfe

Richtige getan hat. Das Tier bleibt auf der Terrasse. Immerhin

und Kübel mit Agapanthus, Abutilon, Zitrone und Lorbeer,

weist ein Schild den Garten als Natur­schutzgebiet aus.

die im Winter ins kleine Gewächshaus am anderen Ende des Hofes kommen. Steinerne, metallene Fundstücke aus Schwe­ den, Frankreich oder dem Ruhrgebiet liegen herum. Manches

Der Gartenhof von Ulrike Beuter und Harald Fritz

schneiden sie frei, anderes berankt der Efeu, wieder anderes

im Ruhrgebiet

schluckt er – passender gesagt, er nimmt es zu sich. Eine sel­ tene Stimmung herrscht hier. Gewöhnliche Pflanzen, Objekte ohne Sammlerwert, Kunststoffkübel, wackelig ge­schich­tete Ziegel leben symbiotisch zusammen. Trotz einer auf das Nö­

Graben, buddeln, Schätze von unten nach oben holen. Kein Meeresstrand, der nicht die Spuren solchen Forschergeistes zeigt, kein Geheimnis, das nicht im Internet gelüftet wird, zu unserer Jugendzeit keine offene Hausmüllkippe, aus der

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Mit aparter Ironie weist ein Schild den Hof als Naturschutzgebiet aus. Tatsächlich darf hier vieles wie es will – aber Ökologie wird nicht perfektioniert, lediglich hier und dort unterstützt.

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nicht alte Autoreifen, gerostete Sprungfedern, brauchbare Bretter gezogen wurden. Was im Dunkeln liegt, muss ans

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Licht. Irgend­wann wird es wieder verschüttet, gelöscht, über­ wachsen sein. Wir sind im Ruhrgebiet, das ohne Graben, Aushöhlen und Aufschichten nicht denkbar ist. Und wir sehen einen Garten­

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hof im Ruhrgebiet, der ohne Buddeln und Aufschichten ein völlig anderer wäre. Es gab Zeiten, da sah man das harte Stück Arbeit, das in den Hof geflossen ist. Ziegelsteine lagen offen und weitgehend ohne Patina da, als Harald Fritz und Ulrike

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Beuter sie aus dem Keller des Hauses nach draußen geschafft hatten. Rasen bedeckte bis dahin die 120 Quadratmeter In­

7

nen­­­­­hof. Er wuchs mehr schlecht als recht auf dem industriell verdorbenen Untergrund, im Schlagschatten der einhundert Jahre alten Blockrandbebauung. Wenig nutzbar war der Hof und ihm fehlte die Seele. Was ließ sich hier anders machen? Zunächst sollte man wohl einen Baum pflanzen. Mittlerwei­ le hat die Schwarze Knorpelkirsche eine stattliche Krone be­ kommen, die im Sommer nur diffuses Licht durchlässt, deren Früchte die Vögel holen. Dann gab es die Steine des Kellers und weiteres altes Ziegelmaterial von Baustellen, die hier zu einer Terrasse am Wohnzimmer, zu einem Sitzplatz in einer Ecke, zu Wegen gepflastert wurden. Immer wieder fand man alte Ziegelsteine, bekam sie zugeschoben und mit ihnen blieb

1__Hochbeet

der Hof lange Zeit Werkraum. Mal schichteten die Architek­

2__Glashaus

ten das historische Baumaterial nur zwei Reihen, mal hüft­ hoch auf, füllten Erde dahinter und überließen die weitere Entwicklung der Natur. Für den Hof war der Ansatz richtig, einen Lebensraum zu schaffen, in dem sich der Mensch zwar 20

3__Kompost 4__Efeu Hochbeet 5__Hof Klinkerpflaster 6__Sitzplatz 7__Terrasse

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Partiell und temporär schafft es die Sonne durch das Blätterdach des großen Kirschbaums. Um ihr folgen zu können, ist der zweite Sitzplatz neben der Terrasse wichtig.

Wer Gartenbesitzern ein stahlblaues Schaf schenkt, kann sie ob des Standortes ins Grübeln bringen. Der Aura des Hofes schadet es nicht, es offensiv zu präsentieren.

Der Garten ist Endstation für manches Fundstück aus dem Ruhrgebiet und anderen Teilen der Welt. Schrott wird zur Skulptur, Pflanzen von Halden bekommen eine zweite Chance.

Gärten im Kreislauf der Natur

Ein Ort für die Gelassenheit Von Harald Fritz

In den frühen sechziger Jahren stand für mich fest, Gar­ten­

kleiner modischer Strömungen schauen kann. Und von der

architekt zu werden. Ich hatte von irgendwoher Hefte über

man sich voller Lust auch wieder in diesen mitreißenden Strom

Gartenkunst bekommen. Die Bilder von Gärten mit Natur­

hineinstürzen muss.

steinmauern, aufwändigen Treppenanlagen, großen Terras­

Kürzlich habe ich gehört, dass auf dem Grabstein von Sir

sen, Seerosenteichen, Badebecken, mit Rosen be­wachsenen

Peter Ustinov stehen soll: »Bitte den Rasen nicht betreten.«

Per­­­­­ golen, blühenden Staudenbeeten haben mich fasziniert. So etwas Prachtvolles zu denken, zu planen und bauen zu

Garten, das ist ein Ort mit grün getupftem Himmel

können! Ein solcher Beruf, der könnte mich interessieren. Und

»

gleichzeitig gab es da eine Verunsicherung. In einem dieser

und der Ort, in dem der Alltag einen anderen Klang erhält.«

Hefte war auch ein Bericht über einen Gartenarchitekten und seine Gärten und Anlagen. Schöne, geschmackvolle, prächtig grünende und blühende Wunderwelten. Und dann gab es auf den letzten Seiten des Berichts dieses Bild, das sich mir einprägte: »Sitzplatz im Garten …« – ich

Ulrike Beuter Jahrgang 1944

kann mich nicht mehr genau an den Namen erinnern, es war

Geboren in Ehringshausen bei Wetzlar. Nach Studium an der TU München-

einer der ganz großen Gartenarchitekten. Ich vermute Mat­

Weihenstephan Mitarbeit in verschiedenen Planungsbüros. 1973 Mitbegrün­

tern, vielleicht auch Hübotter oder Valentien. Dieses Bild im

derin der Planergruppe Oberhausen, seit 1978 in der Geschäftsführung.

Garten des Meisters selbst erstaunte mich außerordentlich.

Seit 1995 Lehrauftrag, seit 2002 Honorarprofessur an der Fachhochschule

Dieser Sitzplatz war überhaupt nicht prächtig, nichts blüh­

Bochu­m.

te, keine Rosen, kein Belag aus Travertinsteinen, kein Spring­ brunnen. Ein Mauerwinkel, geputzt, weiß geschlämmt, ohne

Harald Fritz

Fenster, umfasst eine kleine Grasfläche (kein Rasen) mit ei­ nem Baum, der noch zu jung ist, um sein Blätterdach schüt­

Jahrgang 1947

zend über diesen Winkel zu halten. Es war ein Platz hinterm Haus. Nicht mehr und nicht weniger. Man muss einen Stuhl mitnehmen, um sich in die Sonne zu setzen und man kann ihn verrücken, um den Schatten zu genießen. Wunderbar. Alle

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Geboren in Hillgroven, Norderdithmarschen. Nach der Baumschullehre und Gesellenjahren Studium an der Fachhochschule Osnabrück sowie Aufbau­ studium an der Gesamthochschule Kassel. Im Anschluss daran Vermessungs­ ingenieur in Bremen, dann freier Mitarbeiter bei der Planergruppe Oberhau­

Aufgeregtheiten der Welt brausen an diesem Winkel vorbei.

sen, wo er 1980 die Geschäftsführung mit übernahm. Zwischen 1979 und

Eine Insel, von der man gelassen auf den Firlefanz großer und

1999 verschiedene Lehraufträge und Gastprofessuren.

Nur etwa 100 Quadratmeter groß ist der Garten von Jane Bihr. Das Gartenmobiliar steht im Zierkies, der sich auf schmalen Wegen in den Buchsgarten hineinzieht.

Ein neuer Bauerngarten Der Garten von Jane Bihr-de Salis im Aargau

In der Nordschweiz lässt der Reisende sie meist links liegen. Von Basel aus kommend, nach Zürich fahrend, bleiben sie rechts liegen, die Bauernweiler der voralpinen Höhen. Es fehlt die dramatische Bergsilhouette, es fehlt der Badesee, es fehlt dann die touristische Infrastruktur. Wer dessen ungeachtet doch rechts abfährt im Kanton Aargau, landet unversehens hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, ganz weit draußen. Jane Bihr-de Salis, deren illustrer Name auf ein altes Bündner Geschlecht im Bergell zurückgeht, kam auf der Suche nach einem Platz zum Wohnen in einen dieser Weiler. Rundherum von leicht ansteigenden Wald- und Wiesenhängen umschlossen, schaut man bis zu deren Rändern, hinter denen nur der Himmel aufzieht. In leichtem Schwung windet sich eine schmale Straße durch dieses Nest, an einem ehemaligen Jagdhaus des Klosters Muri vorbei, dessen eine Hälfte Jane Bihr mit ihrer Familie bewohnt. 1986 fiel die Entscheidung für das über vierhundert Jahre alte Fachwerk-, oder wie man in der Schweiz sagt, Riegelhaus. Und für den Garten. Aber zunächst musste das Gebäude bewohnbar gemacht werden. Erst sechs Jahre später konnte die Gartenarchitektin beginnen, sich dem Garten zu widmen. Was hier Garten ist, was Jane Bihr davon ihr Eigen nennen darf und was nicht, muss kurz erklärt werden. Ihr Garten – und worauf sich unser Augenmerk richtet – liegt vor der ostseits und rückwärtigen Giebelseite des Fachwerkhauses, ist 9 Meter breit und 13 Meter lang. Vor der nach Westen gerichteten Giebelseite sowie auf der anderen Seite der Zufahrt hat Jane Bihr zwar Gärten angelegt, aber diese Flächen gehören ihr nicht. Entsprechend sind diese Bereiche weniger pflegebedürftig und nicht derart differenziert gestaltet. 24

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Für ihren Garten gilt die geläufige Regel: Schweizer Gärten sind selten groß, aber meist sehr vielfältig. Den Aspekt der Vielfalt kann die gebürtige Engländerin nicht in vollen Zügen genießen – sie vermisst nach wie vor das milde Klima und muss somit auf einen Großteil der dort wachsenden Pflanzen verzichten. Dennoch herrscht Vielfalt hier, deren Grenzen indes wieder und wieder getestet werden. Die Grenze des Gartens steht fest: ein Maschendrahtzaun von 1951, den die Architektin anfangs gehasst hat, über den sie mittlerweile aber froh ist. Bauernland ist ruppig, es gelten eigene ästhetische Gesetze, die Gefahr des unangemessenen Aufhübschens ist groß. Deshalb blieb der Zaun, altert scheinbar missachtet vor sich hin, niedriges Gehölz wächst hindurch, Traktoren verBuchslinien umfassen mal Wege, mal Beete. Aus den Beeten wachsen etwa Fingerhut, Lilien oder Akelei und natürlich Rosen – alles in meist unaufdringlichen Farben.

beulen ihn gelegentlich. Innerhalb des umzäunten Rechtecks lag einst ein traditioneller Bauerngarten, den Bihr bei ihrem Einzug aber schon nicht mehr vorfand.

Bauerngarten – in dieser Umgebung musste so das Thema lauten. Aber 1992 sollte es für die damals dreißigjährige Planerin um mehr als Rekonstruktion gehen. Sie spricht mit britisch verziertem Schwitzer Dütsch von der Essenz, die von außen kommt und die sich dann durch den Gestaltungswillen des Menschen mal so, mal so darstellt. Von außen drängt

Der straßenseitige Gartenteil gehört nicht zum Grundstück der Archi­ tektin, liegt aber in ihrer Obhut. Streng geschnittene Hecken und ein kantiges Becken sprechen zweifelsfrei eine moderne Sprache, stören aber die Ausstrahlung des alten Riegel­ hauses nicht.

sich bäuerliche Kulturlandschaft auf. Deshalb nahm Bihr bewusst Elemente des Bauerngartens auf. Wir finden Akelei, Iris, Rosen, Hortensien – und natürlich Buchsbaum. Buxus sempervirens ‚Suffruticosa‘ entdeckte sie in großer Menge als Restposten einer Gärtnerei und bekam damit das Material zur Interpretation in die Hand. Buchsbaum ja, die Starre des Bauerngartens nein. So setzte Jane Bihr den Buchs in schlängelnde Reihen, die einen Mittelweg, zwei Seitenwege und dazwischen jeweils zwei schmale Beete einfassen. Von den oberen Etagen auf den Garten geblickt zeigt er sich als Kunstwerk, als Figur, eine sich in Wuchs-, Blüh- und Welkgeschwindigkeit

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der Pflanzen verändernde Figur. In den Wintermonaten set-

Pflanzenliebhaberin ist. Töpfe mit Agapanthus, Myrte oder

zen Raureif, Schneefall und Tauwetter ihre Zeichen.

Granatapfel stehen im Sommer auf dem Kiesplatz, aus den

Vom Kiesplatz zwischen Haus und Garten aus ist die Dra­ma­

schmalen Buchsfeldern wachsen im Frühjahr Zwiebelpflan-

turgie des Pflanzenarrangements zu erkennen. Vorne begin­

zen, dann Stauden und Gehölze in Weiß-, Rosa- und Blau­

nen die Buchsreihen in wohl bemessenen Abständen, doch

tönen. Im Herbst liefern Dahlien gelborange Akzente. Einen

der sich an Unregelmäßigkeit steigernde Verlauf der Rei-

Höhepunkt im Gartenjahr setzt die wüchsige Rambler-Rose

hen, vier kunstvoll geschnittene aufragende Koniferen und

‚Goldfinch‘‚ deren Drang gebremst werden muss, wenn sie

dann im Sommerhalbjahr die aufkommenden Stauden lösen

nicht das Gelb der Fassade überwuchern soll, das so hervor-

die Ordnung auf, der Garten verliert sich, scheint kein Ende

ragend zu ihr passt. Die Rose bleibt für Jane Bihr eine Über-

zu haben. Natürlich hat er ein Ende – dort wächst krumm

raschung: Zuerst im Hochzeitsstrauß, dann als Hochzeitsge-

ein Flieder, unter dessen Krone man sich ein Schattenplätz-

schenk, jetzt am Haus. Überraschungen wird die Architektin

chen sichern kann. Die vier Koniferen ziehen den Blick nach

weiter erleben, in ihrer 100 Quadratmeter kleinen Werkstatt

oben und brechen zudem die Sicht auf Wiesen und Nachbar­

für experimentelle Pflanzenkombinationen, hinter den sieben

gebäude. Dem Garten ist unschwer anzusehen, dass Jane Bihr

Bergen. 27

Hereinspaziert: Vom Umgang mit uneingeladenen Gästen Von Jane Bihr-de Salis

Zwei hohe Buchskugeln reduzieren die Gartentoröffnung auf einen schmalen Durchgang. Hinter dem Garten sind stets die Requisiten bäu­ erlichen Wirtschaftens sichtbar.

Unkraut: Immer eine Pflanze am falschen Ort? Ein sorgfäl-

zur Erweiterung meiner kleinen Sammlung. Sie ahnten nicht,

tig geplanter Garten: Muss alles, was nicht auf dem Plan ver­

dass es ein doppeltes Geschenk werden sollte. Ein winziger

zeichnet ist, gnadenlos herausgenommen werden? Mit dem

Gast spross in diesem Topf. Nicotiana dachte ich und ent-

so genannten Unkraut richtig zu verfahren scheint mir eine

schloss mich abzuwarten und zu sehen, ob ich Recht hatte.

der heikleren Unterfangen des Gärtnerns zu sein. Gewissen

Eine prächtige Nicotiana langsdorffii entwickelte sich schließ-

Pflanzen erteile ich das Recht, sich umher zu säen. Aber die-

lich und fühlte sich in der erbärmlichen Hitze des Sommers

ses Recht gilt nicht unbeschränkt. Ich liebe diese Zufallsge-

2003 ganz wohl und bevor ich den Mut zusammennehmen

neratoren, die aus meinen Plänen immer wieder Gärten mit

konnte, um sie zu entsorgen, streute sie ihre Samen reich-

einer neuen, nicht ganz kalkulierbaren Zukunft entstehen las-

lich über den Kiesplatz. Ich nahm an, zwischen Vorfreude und

sen. Teils werden die Pflanzen aber auch zu Unkraut degra-

Vorwürfen, dass ich im kommenden Sommer für meine Un-

diert und an Orten, wo man sie nun überhaupt nicht haben

entschlossenheit teuer bezahlen und wieder vor dem Dilem-

möchte, ausgemerzt.

ma stehen würde: Jäte ich sie aus und verbanne sie ein für

Neben den üblichen ortspezifischen Kräutern, welche wir

allemal aus dem Garten, oder erfreue mich auch an einem

bekriegen und verjagen, spaziert ab und zu ein wildfremdes

vielleicht unpassenden Ort an ihrer grünen Eleganz? Doch

Kraut hinein in den Garten. Gerade vor der finalen Bewegung

dieser Sommer war von ganz anderem Wetter geprägt, eher

mit der Jätgabel (mit dem schweizerischen »Häckerli« bin

unbeständig, nicht so trocken und heiß. So hat sich nur ein

ich nie zurecht gekommen), welche die Pflanzen zum Tode

einziger Sämling an einem vollkommen überraschenden Ort

verurteilt, regt sich manchmal eine Stimme in meinem Kopf:

hervorgetan. Ob ich enttäuscht oder erleichtert war? Wohl

»Moment mal, wenn …«. Das wäre der Anfang für ein neu-

von beidem etwas.

es Experiment, für neue Pflanzenkombinationen, die sonst vielleicht nicht entstanden wären. Eine Herbstaster beispielsPerfektes Miteinander – die stark­ wüchsige Rambler-Rose ‚Goldfinch‘ greift für wenige Wochen des Jahres das Gelb der Fassadenbemalung auf.

Garten, das das ist ist der der Ort, Ort, der der meine meineSeele Seelenährt nährtund und

weise suchte un­ein­geladen die Gesellschaft meiner Horten-

»»

sie »Annabelle«. An dem Zusammenspiel von Dunkelviolett

Augen Augenerfreut…« erfreut …«

und dem Lindgrün habe ich schnell Gefallen gefunden und die Eindrücke in mein künftiges Tun eingebaut. Bei anderen Eindringlingen bereute ich, ihnen je das Gastrecht gewährt

Jane Sarah Bihr-de Salis

zu haben. Zum Beispiel beim Islandmohn, Papaver nudicaule. Anfänglich empfand ich ihn als eine gute Ergänzung. Doch

Jahrgang 1962

ich habe mich getäuscht und inzwischen hat sich der Mohn üppig versät und Jahre später bin ich immer noch daran, seine Nachkommen zu jä­ten. Selber schuld, so könnte man denken. Aber vor dieses Dilemma werde ich immer wieder gestellt. Ich

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Geboren und aufgewachsen in England. Studium »Landmanagement and Amenity Horticulture« an der University of Bath, Nachdiplom Gartenarchitektur am ITR Rapperswil. Als Mitarbeiterin bei Preben Jackobsen in Cheltenham, Neukom & Neukom in Zürich und Stöckli, Kienast & Koeppel in Wettingen.

reagiere nicht immer richtig. Vor zwei Jahren etwa schenkten

Seit 1995 eigenes Büro mit dem Schwerpunkt auf Gartenarchitektur, Garten-

meine Eltern mir zum Geburtstag einen Agapanthus »Delft«

denkmalpflege und Objektplanung.

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Freiraumplanung zum Bahnhof Neandertal

Garten neben Gleisen Die Bahnhofslandschaft von Richard Bödeker im Neandertal

Es soll Menschen geben, nein, es gibt sie, die richten ihr Zu-

Geschichten, Inventar und Exponate überschaubar zusam-

hause in einem Toilettenhäuschen ein. Ein solches ehemaliges

men.

Toilettenhäuschen gehört zu dem ausgedienten Bahnhof Ne-

Homo neanderthalensis ist gegenwärtig, natürlich auch im

andertal bei Düsseldorf – der wiederum im Jahr 1878 errich-

Garten von Richard Bödeker. Einmal am Bahnhofsgebäude

tet wurde. Einer dieser Menschen heißt Richard Bödeker. Er

als Kunststoffgestalt in Lebensgröße, einmal als kleine Bronze­

hat sich zunächst das Toiletten- zum Wohnhaus umgebaut,

figur auf einem Mühlstein vor dem Wohnhaus. Zusammen mit

später dann die Etagen des Bahnhofs zu Wohnungen und Bü-

drei weiteren sind sie Referenz an den Ort. Sie sind aber auch

ros. Bödeker wohnt und plant in Gebäuden aus einer beweg-

Zeugnisse einer Sammlerleidenschaft. Richard Bödeker sam-

ten Zeit der Menschheitsgeschichte, wohnt und plant an ei-

melt gerne, wie viele neugierige Menschen rastlose Sammler

nem denkwürdigen Ort dieser Geschichte. Noch zu Lebzeiten

sind, wie viele Gartenarchitekten an ihren Reisewegen Dinge

Charles Darwins wurde der Bahnhof eingeweiht und der Na-

auf­le­sen, die sie dann in ihrem Garten auslegen. Hier lagern

turforscher wird diese Infrastrukturmaßnahme wohlwollend

Reminiszenzen aus Tagen des Bahnhofsbetriebes, dort rostet

zur Kenntnis genommen haben. Er wusste von diesem Ort.

Metall aus dem Industriezeitalter, über das ganze Gelände

20 Jahre zuvor hatte er seine bahnbrechende »Entstehung

sind mal farbige, mal verrostete, mal steinerne Kunstwerke

der Arten« herausgegeben, nachdem man wiederum drei

verteilt, im Garten wachsen fünfundzwanzig Bambusarten.

Jahre vorher in einer Höhle unweit des Bahnhofsstandortes

Vor über dreißig Jahren kaufte Bödeker das Toilettenhäuschen

Neandertal auf einen merkwürdigen Fund gestoßen war. Ein

mit einem Teil des heute auf 7.000 Quadratmeter angewach-

Vorfahre des Menschen hatte hier in Form einer vergleichs-

senen Grundstückes. In dreißig Jahren sammelt sich einiges

weise gut erhaltenen Schädeldecke Zeugnis seiner Existenz

an, auf 7.000 Quadratmetern hat vielerlei Platz.

abgelegt. Mit weiteren Skelettstücken des Homo neandertha-

Bei dem gesamten Gelände von einem Garten zu sprechen

lensis wurde die Stellung von Homo sapiens in der Natur neu

widerspräche dem Raumgefüge. Den Eindruck von Garten

sortiert. Erstmals machte man den Versuch, die entwicklungs-

geben die Bereiche um Wohnhaus und Bahnhof herum, die

geschichtliche Vergangenheit des Menschen zu verstehen.

man durch Tor und Türen erreicht. Der größere Teil besteht

An einem Hang 50 Meter über dem Flüsschen Düssel wohnt

aus Zufahrt, Vorplatz und vor allem Hangwald mit vorwie-

Richard Bödeker also, in diesem Tal, das rückgezüchtete Au-

gend alten Rotbuchen. Entlang eines breiten Grasweges setzt

erochsen und Wisente, auffällig viele riesige Felsbrocken und

der Architekt seine Zeichen in den Wald, je nach Zeit- und

die langen Schatten des urwaldähnlichen Mischwaldes nach

Finanzbudget. Große farbige Kunstobjekte, schwere Felsqua-

wie vor mystifizieren. Unvorstellbare Zeitspannen – immer-

der, in Reihe gepflanzte Maronenbäume zeigen allemal: Hier

hin starb der Neandertaler vor 30.000 Jahren aus – sind hier

lebt ein aktiver Mensch. Oder auch: Die Urwüchsigkeit die-

einerseits Thema, schnurren andererseits im Museum, durch

ser Landschaft verbietet es nicht, sie als Raum für Kunst zu

Ein begehbares Wasserbecken legt sich an das Wohngebäude. Vorbei an der Neandertaler-Miniatur auf dem Mühlstein kann man auch über einen Metallsteg das Haus erreichen.

Die Blüte vom Judasbaum (Cercis siliquastrum) ist ein Ereignis. Dies setzt sich fort, wenn er auf den gepflasterten Wegen noch eine Weile weiterblüht.

Rechts: Den Eingang markiert ein gewaltiges Gitter, das früher vor einem Fenster des jetzigen Folkwang-Museums in Essen hing. Eine dichte Bepflanzung verbirgt Hausgarten und Wohnhaus.

Der Blick vom Bahnhofsgebäude zum ehemaligen Toilettenhäuschen, dem jetzigen Wohnhaus. Einen Höhepunkt erlebt der Garten zur Zeit der Blauregenblüte.

Richard Bödekers besonderes Inte­resse gilt dem Bambus. Über 25 Arten dieser beeindruckenden Gräser finden sich in seinem Garten.

nutzen. Oder: Lasst uns an anderes denken als immer nur

ren. Ihn zieht es immer wieder in die Ferne, in völlig ande-

an den Neandertaler! Während die Exponate nur hingestreut

re Vegetations- und Kulturgebiete. Von der Feuchte und des

sind, die Reduzierung auf wenige Elemente eine stille Aus-

ungebremsten Wachstums des Neandertales wechselt er ins

strahlung bewirkt, geht es im Garten dichter zu. Ob man den

karge Saudi-Arabien, wo andere Prioritäten gesetzt, fremde

schmalen Zugang zum Büro nimmt oder durch den mit einem

Probleme zu bewältigen sind. Fülle und Leere, Überfluss und

riesigen Fenstergitter markierten Eingang zum Wohnhaus

Kargheit – die Gegensätze üben auf Bödeker einen unent-

geht, man taucht regelrecht ein in eine andere Welt. Es ist

wegten Reiz aus. Im humiden Neandertal führt er die Üppig-

eine Welt der Fülle und des vielfachen Gedeihens: Ein Teich

keit auf einen Höhepunkt, in Saudi-Arabien baut er Oasen in

und zwei Wasserbecken spiegeln Himmel und Vegetation,

die Wüste. Seine arabischen Bauherren wechseln mittlerweile

große Bäume bilden Schirme, die Lieblingspflanze Bambus

auch. So entwickelte sich der Garten im Neandertal schon vor

ummantelt nach außen, Farn bedeckt den Boden, Blauregen

Jahren zum Begegnungsraum verschiedener Kulturen, in dem

klettert an Fassaden und Pergolen. Aus dem Rasen schälen

Probleme von unterschiedlichen Standpunkten besprochen

sich Pflanzeninseln heraus, in Hausnähe sind kleine Sitzplätze

werden – der aber Bilder liefert und Situationen darstellt, die

gepflastert, vom Wohnbereich führt lediglich ein Metallsteg

sich der arabische Prinz für einen völlig anderen Ort wünscht.

über das Wasserbecken in den Garten. Eins fließt ins andere.

Dort beginnt dann die Übersetzungsarbeit. Es werden völlig

Im höher gelegenen Gewächshaus überwintern die frostemp-

andere Gärten entstehen, die Erinnerung an den Bahnhofs-

findlichen Topfpflanzen. Dahinter fährt der Zug von Mett-

garten im Neandertal wird bleiben.

mann nach Kaarst. Er stört nicht. Richard Bödeker lebt an einem Verkehrsstrang, wohnt und arbeitet in Gebäuden, die Ankunft und Abreise symbolisie32

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Garten zwischen den Kulturen Außerhalb des Hausgartens bietet das Grundstück Platz für raumgreifende Kunst, für Experimente. Massige Steinsetzungen weisen den Weg in den Hangwald.

Von Richard Bödeker

Die Globalisierung hat für mich schon vor dreißig Jahren begonnen. Seitdem verwende ich viel Zeit für Projekte in SaudiArabien, seitdem fasziniert mich die Wüste und die Fähigkeit der Menschen, darin zu leben. So gerne ich in der Üppigkeit

Einer der verschiedenen Sitzplätze des Hausgartens. Wuchernde Bambusarten werden durch Rhizomsperren in ihrem Wachstum begrenzt und bleiben so eindrucksvolle Solitäre.

des Neandertales lebe, sosehr zieht mich das andere Extrem in

werden.« Sie verstanden nichts von Pflanzen, ebenso wenig

seinen Bann. Ähnlich geht es meinen saudischen Bauherren,

von gärtnerisch-technisch Machbarem und wahrscheinlich

die mich und meinen Garten gelegentlich hier in Deutsch-

viel zu wenig von den unglaublichen Wohlfahrtswirkungen

land neugierig besuchen. Es ist faszinierend, wie ein gestalte-

bepflanzter Räume in einer Wüstenstadt. Nach der erfolg-

tes Stück Landschaft wirkt auf die Gestaltung eines Stückes

reichen Pflanzung von 10.000 Palmen und einigen weiteren

Landschaft tausende Kilometer entfernt, wo sich Klima, ge-

10.000 anderen Baumarten verstummten diese Bemerkungen

ologisches Fundament, Pflanzenvielfalt und Wasserhaushalt

dann sehr schnell. Richtig gemacht wachsen einige Baum­

außerordentlich krass von dem hiesigen unterscheiden.

arten fünf mal schneller als bei uns und ein bleistiftstarker

Zu Karneval 1979 etwa war unser oberster Bauherr Dr. Mo-

Spargel spendet nach einem Jahr Schatten. Hier passt eine

hamed al Shaikh mit seiner Frau zu Besuch. Damals hatte ich

Passage aus Éric Orsennas wunderbarem »Porträt eines glück-

gerade große, bis zu sechs Tonnen schwere Kalksteinfelsen

lichen Menschen«, das sich dem Versailler Gartenschöpfer

von einer meiner Baustellen im Neandertal in meinen Gar-

André Le Nôtre widmet. »Doch im Grunde des Herzens wur-

ten eingefügt. Ich hatte mich vom Rheinischen Straßenbau-

zelt eine Hoffnung, dass der Ehrgeiz der Mächtigen uns er-

amt für eine Planungsleistung mit diesen übrig gebliebenen

lauben möge, eigene Maßstäbe zu setzen.« Für Le Nôtre hat

Steinen bezahlen lassen. Mohamed al Shaikh war beeindruckt

sich die Hoffnung durch den Sonnenkönig erfüllt. Für mich,

von der Art und Weise, Felsen in einen Garten einzubauen.

in abgeschwächter Form, durch einflussreiche Menschen in

Zu diesem Zeitpunkt begannen die Landschaftsbauarbeiten

Saudi-Arabien.

für das Diplomatic Quarter in Riad, auf der Kanal- und Straßenbau eine große Menge an Felsen und Aushubmaterial zutage förderten. Von der Felsenverwendung im Neandertal

Garten, das ist der Ort der Freude und immerwähren­

inspiriert, ließ er uns dann in Riad Steine in sehr großem Stil

»

verwenden, ja sie zu einem tragenden Element der Garten-

den Beschäftigung.«

und Landschaftskunst machen. Den Garten als Paradies, wie im Koran an etwa achtzig Stellen erwähnt, finden meine saudischen Freunde in unserem Garten im Neandertal wohl in Ansätzen wieder. Hier lassen sich jedenfalls weitaus leichter Ideen vorstellen als in einem weniger romantischen Umfeld

Richard Bödeker Jahrgang: 1934

wie dem einer Wüstenstadt. Während wir an dem Masterplan für das Diplomatic Quar-

Geboren in Lehrte bei Hannover. Nach Gärtnerjahren in Deutschland, der

ter arbeiteten, äußerten sich unsere Planungspartner aus

Schweiz und Großbritannien Studium in Geisenheim. Vor der Gründung des

Infrastruktur, Architektur und Stadtplanung aus dem Westen

eigenen Büros als Landschaftsarchitekt tätig mit Gustav Lüttge, Wilhelm Hü-

angesichts der 900 Hektar großen Mondlandschaft rätselnd und gleichsam geringschätzig zu unserer Arbeit: »Holt doch

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botter und Hermann Birkigt. 1967 Bürogründung zusammen mit Armin Boyer und Horst Wagenfeld. Ab 1997 zusammen mit David Elsworth Leitung des Büros BW + P ABROAD. Neben Arbeiten in ganz Deutschland vor allem in

eure Pflanzen in Taiwan aus Kunststoff, hier wächst sowieso

Saudi-Arabien tätig, aber auch in Frankreich, Indien, Japan, Libanon, Para-

nichts. Die bleiben grün und können mit Persil abgewaschen

guay oder auf den Seychellen.

Nachbar eines grossen Gartens

aus Katalogen allseits bekannt und dennoch den Charme des

aus kleinen Beeten, aus Ritzen und dennoch ist der Hof üppig

Seltenen verströmend. Vom Balkon blickt man darauf herab,

grün. Ailanthus, der Götterbaum, macht viel Blattmasse oben,

nach einem ersten Hello, einem letzten Bye-bye, bei einem

Funkien, Kermesbeere und Frauenmantel unten. Was bereits

Wein in der Abendsonne.

im Vorgarten bemerkbar war, findet man im Hof bestätigt.

Morgensonne dagegen trifft in den Gartenhof. Er wird an zwei

Zahlreiche Pflanzen stehen in Töpfen, mal aus Plastik, mal aus

Seiten vom Gebäude und zur Hangseite von überwachsenen

Ton, mal aus Keramik. Sie sind nicht kunstvoll drapiert, allein

L-Steinen umschlossen. In einer Ecke des 150 Quadratmeter

schon der Menge wegen werden sie dort abgestellt, wo Platz

großen Hofes steht ein Pavillon für Gartengeräte und Feuer-

ist. Zuzia und Michael Dane haben schon an vielen Orten der

holz. Dieser Hof ist ein offenes Lehrbuch über die Wahl der

Welt gearbeitet und als Pflanzenliebhaber nutzen sie den Hof

richtigen Mittel. Material, Farbe, Proportion – auch wenn in

notwendigerweise auch als Album für irgendwo auf der Welt

der Gartengestaltung immer mehrere Lösungen richtig sind,

aufgelesene Pflanzen. Es gibt noch einen weiteren Garten.

könnte man hier meinen, dass es so und nur so genau stimmt.

Weil weder der Gartenhof noch der Ilmpark genügend Raum

Ein Wasserbecken hebt sich mit starken Travertinblöcken aus

lassen für den Kontakt mit tiefgründiger Erde, hat Zuzia Dane

der Steinfläche. Mit dem Pavillon bildet es die wenigen verti-

in der Nähe einen Schrebergarten gepachtet.

kalen Elemente. Sie stehen am Rand, geben dem Raum Halt und Charakter, lenken die Aufmerksamkeit auf sich, stehen

Der Garten von Zuzia Kozera-Dane und Michael Dane

aber nicht im Wege. Nahezu der gesamte Hof ist befestigt.

in Weimar

Große Platten aus Elbsandstein liegen im Pflaster, eine breite Travertinstufe überwindet unauffällig den Höhensprung zum Pavillon, stellt gleichzeitig eine wichtige Linie, eine Zäsur in der

Gemessen an ihrer Größe ist die Stadt Weimar mit Gärten

Fläche dar, die Bezug zum Haus nimmt. Pflanzen wachsen nur

und Parkanlagen gesegnet. Auch solche von internationalem Rang sind darunter, wie etwa der Park an der Ilm. Dank seiner Weitläufigkeit, seiner gestalterischen Kraft und seiner schö-

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nen Details, dank seiner Altstadtnähe und schließlich dank Goethes Gartenhaus wird er hoch geschätzt. Von besonderem Genuss ist der Park für Zuzia und Michael Dane, nicht

Blick von der Küche aus über den Hof. In der Gartenlaube lagern Gartengeräte und Feuerholz, zudem ist sie als vertikaler Eckpunkt des Gartens gestalterisch wertvoll.

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nur während des Spaziergangs mit dem Hund. Auf einer der beiden längs verlaufenden Hangkanten des Parks wohnend, schauen sie von ihrem Vorgarten aus in die Kronen der alten Eichen. Aus ihrer Wohnung und von ihrem Balkon blicken sie winters durch kahle Baumkronen in den Park hinein, sommers

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über sie hinweg zur gegenüberliegenden Hangkante. 48 Hektar edle Gartenkunst, altes und großzügiges Grün liegt ihnen zu Füßen – wer braucht hier einen großen eigenen Garten?

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Durch den Kauf der Erdgeschosswohnung in einer Stadtvilla haben sich die Danes die Gestaltung des Vorgartens und des hinter dem Haus liegenden Gartenhofes gesichert. Vorgarten, das sind nicht viel mehr als zwei Ebenen, durch Bruchsteinmauern von der Parkplatzfläche getrennt. Auf der vorderen Ebene wachsen Rasen und vereinzelte Stauden, auf der höheren Stauden und niedrige Sträucher. Höhere Sträucher und ein Apfelbaum schließen an den Seiten ab. Ihre Wohnung, die aufgrund der Hanglage hinten ebenerdig zum Hof hinausführt, steht vorne fast eine Geschosshöhe über dem Staudenbeet. Raritäten findet man hier, wie etwa die StorchschnabelArten Geranium wlassovianum oder Geranium x oxonianum ‚Claridge Druce‘, mit Alchemilla epipsila wächst ein auffal-

1__Balkon 2__Haus 3__Hof

lend zierlicher Frauenmantel hier. Aus diesem eher zurückhal-

4__Brunnen

tenden Arrangement wächst die Fackellilie Kniphofia empor,

5__Gartenhaus

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Große Sandsteinplatten bieten dem Esstisch einen standfesten Platz. Sie verlieren sich in der Pflasterfläche, eine lange Travertinstufe verbindet das Wasserbecken mit der Hausecke.

Ein Blauregen nimmt das Balkongitter als Rankgerüst und bezieht so den Balkon in den Vorgarten ein. Der Apfelbaum erlebt dank der RamblerRose Ende Juni eine zweite Blüte.

Der Gartenhof ist nahezu vollständig gepflastert, den Pflanzen bleiben nur kleine Beete und Pflasterfugen. Auf dem breiten Beckenrand aus Travertin finden Töpfe ihren Platz.

Frühstück mit Goethe Von Michael Dane

Unser Hund Berry weckt uns meist mit einem Schuh, den er

gen stand die Stimmung des Parks nicht im Wege. Dann geht

behutsam auf meine Stirn fallen lässt. Es ist Juni, es ist 6.30

es den Hang hinauf, vorbei an dem urtümlichen Holzgeländer,

Uhr, Zeit zum Aufstehen, Zeit um in den Garten zu gehen.

zu »meiner Bank«. Keine Menschenseele ist hier. Ich genie-

Mein Morgenritual beginnt mit dem Gießen, sinnlich und un-

ße den malerischen Blick auf Goethes Gartenhaus, in das der

kompliziert. Genau richtig für 6.45 Uhr. Den Träumen nach-

Dichter mit 33 Jahren einzog. Er fühlte sich wohl in dieser be-

sinnend gieße ich zuerst alle Kübel im Hof, die Daturas, die

scheidenen Behausung. Schlechte Zimmer, wie er es nannte,

Fuchsien, den Agapanthus, die Tomaten. Danach geht es zur

spornten ihn an zu kreativer Leistung, prächtige Wohnungen

Südseite des Hauses, wo der Blick über den Ilmpark schweift.

hätten ihn immer faul gemacht. Ob Goethe schon aufgestan-

Berry ist stets an meiner Seite und passt auf, dass alles sei-

den wäre? Den Westhang wieder hinabsteigend, der Ilm ent-

ne Richtigkeit hat. Die Fische im Wasserbecken müssen noch

lang, über die Kunstbrücke, stehe ich bald vor seinem Gar-

gefüttert werden. Also zurück in den Hofgarten, der eigent-

tenhaus. Goethe wäre längst auf, beklagte er sich doch über

lich immer ein weißer Garten werden sollte. Doch daraus ist

die Menschen, die ein Drittel ihres Lebens verschliefen, das

nichts geworden. Unsere Bewunderung des unendlichen Far-

zweite Drittel mit Essen und Trinken zubrächten und sich im

benreichtums der Pflanzen hat gesiegt über die offenbar nicht

letzten vor lauter Langeweile beklagten, wie kurz das Leben

stark genug ausgeprägte Konsequenz, die für einen weißen

sei. Durch das lichte Wäldchen geht es zurück, mein Spazier-

Garten nötig wäre. Berry wartet schon ungeduldig am Tor.

gang nähert sich dem Ende. Jetzt ist es Zeit fürs Frühstück

Vom kleinen, lauschigen Hofgarten geht es jetzt hinunter in

mit meiner Frau Zuzia und Berry. Es gibt Kaffee mit Milch und

den großen Park. Während wir im Winter von hier oben frei

Zucker. Wie bei Goethe.

in den Park hineinsehen können, versperrt jetzt das frische Grün der alten Bäume und Sträucher den Blick. Die Morgensonne verzaubert den Park und lässt den Tag, so könnte man sich einbilden, nur hier für mich beginnen. Es ist immer eine starke Begegnung mit Natur, aber auch mit Kultur. Ein Park ist

Garten, das ist der Ort, an dem Heute und Morgen

kulturelle Leistung und hier plante sogar Goethe mit. In das

»

klassizistische Römische Haus etwa ließ er seine Ideen fließen

sich vereinen.«

oder in eine Einsiedelei, die er anlässlich des Luisenfestes als »Luisenkloster« baute und in der seine als Mönche verkleide-

Zuzia Kozera-Dane und Michael Dane

ten Freunde den fürstlichen Hofstaat bedienten. Goethe hatte Humor. Von der Dux-Brücke aus sind Forellen zu sehen, die

Geboren in Toronto/Kanada beziehungsweise in Derby/England. Nach dem

auf der Suche nach einem Frühstückshappen in der Ilm nach

Studium der Landschaftsarchitektur arbeiteten sie unter anderem im Büro

oben steigen. Vielleicht gehe ich heute angeln. Das »seltsam

Bödeker, Wagenfeld und Partner in Düsseldorf, bei Robinson Club Hotel

Plätzchen« fällt mir ein, dieser Gedenkplatz, den Goethe im Park anlegen ließ. Ein Hoffräulein hatte sich von Liebeskum-

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Management in Frankfurt am Main, bei Campus Consortium Consultants in Toronto, im Büro Brenner im Taunus und als Freie Landschaftsarchitekten in Kanada und im Nahen Osten. 1992 Bürogründung in Bad Homburg, 1994

mer geplagt und mit Goethes »Werther« in der Hand in die

Verlagerung des Büros nach Weimar. Schwerpunkte der Arbeit liegen in der

Ilm gestürzt. Auch solch lebensmüden Kurzschlusshandlun-

Objektplanung und der Gartendenkmalpflege.

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Distanzierte Erinnerung an Fernost Der Garten von Christhard Ehrig am Teutoburger Wald

3

6 Wasserbecken

11__Nothofagus/Scheinbuche

2 Küchengarten

7 Kies

12__Zaun/Gartengrenze

3 Rosenspalier

8 Wasserlauf

13__Waldstauden

4 Terrasse

9 Staudenmatte – Arabis procurrens

14__Lichthof

10 Stauden

15__Hochbeet

Von der Anordnung der größeren Pflanzen hängt die Qualität eines Gartens ab. Hier wirken die an Beet- und Wegrändern wachsenden Buchskugeln wie hingestreut – so soll es sein.

rig die Geschicke seines Gartens lenkt. Zwei Exemplare, Aqui-

Wegen, auf nicht zu tief abgestreutem, nicht zu scharfkanti-

legia vulgaris und Aquilegia atrata in Blau und Rot, setzte er

gem Splitt, Sandsteinsplitt ist ideal, in kleiner Körnung. Natur-

in den achtziger Jahren, als sein Garten den Anfang nahm.

steine tun es auch, aus Granit möglichst, vielleicht mit etwas

Heute sind es über fünfzig Pflanzen, in Farben und Formen,

Pa­tina an den Rändern, aber nicht in der Laufspur. Rutschge-

die so zufällig scheinen wie die Wege und Landeplätze der

fahr. Der gärtnernde Mensch braucht Wege und oft nimmt er

Insekten. Ob sie an ihrem Standort passen, muss immer wie-

es genau. Zwischen Erhalten und Gestalten ist er ständig be-

der neu überlegt werden. Gerade die knallig rot-gelben, die,

schäftigt, sein Handwerk vollzieht sich im unentwegten Lösen

wie sich Johannes Roth in seiner »Gartenlust« passend aus-

von Konflikten. Dabei holt er sich den Konfliktstoff selbst aus

drückt, ausschauen wie die Straßenkreuzer in den fünfziger

fernen Ländern, Spezialgärtnereien und Pflanzenbörsen nach

Jahren, wird man im Auge behalten müssen. Ehrigs Strategie

Hause: Die Pflanze, mal ob ihrer Anmut verehrt, mal ob ihres

könnte man zusammenfassend eine immerwährende Erlaub-

Eigensinns verteufelt.

nis nennen, aus einem Ordnungssystem auszubrechen. Dieses

Natürlich, es gibt die verlässlichen Vertreter, die brav an einem

System – aus den Gebäudekanten entwickelte Rollschichten,

Ort bleiben, vor sich hin gedeihen, sich im Winter zurückzie-

daran angelehnt Wege, Mauern, kleine Plätze, ein Wasser­

hen, um genau dort Monate später erneut durch die Krume

becken – ist kräftig genug, um den Pflanzen darin viel Be-

zu stoßen. Von anderen wissen wir, dass wir sie im Zaum hal-

wegungsfreiheit lassen zu können, ohne dass der Eindruck

ten müssen und von wieder anderen, dass sie schleunigst aus

entsteht, man hätte die Lage nicht im Griff.

dem Garten verbannt gehören. Was nun aber den Garten-

Oxalis, den Sauerklee, ließ Christhard Ehrig zunächst gewäh-

architekten gleichermaßen fasziniert und Nerven raubt, sind

ren, Petasites, die Pestwurz, ebenfalls. Hier am Waldrand

die heiklen Spezies. Als Beispiel nehmen wir die Akelei. Wie

auf hohem Grundwasserstand führen Experimente mit Wild-

der Mensch wandert sie gern durch den Garten, freilich ohne

pflanzen bald zu der Entscheidung: ganz oder gar nicht. Dem

dabei Wert auf Wege zu legen. Und, was zudem zu Zweifeln

Gartenarchitekten geht es in seinem etwa 700 Quadratme-

führen kann, sie hält sich nicht an Abmachungen bezüglich

ter großen Garten um Vielfalt, um das Ineinanderweben der

ihres Aussehens, kurzum: Auf die Akelei ist kein Verlass.

Pflanzen und das Überspielen von Kanten, ohne diese völlig zu

Wir gehen durch den Garten von Christhard Ehrig, wo die

überdecken. In das Ordnungsmuster aus Stein fügen sich die

Akelei außerordentlich eindrucksvoll ihren Lebensstil zeigt.

geschnittenen Buchskugeln dienlich ein. Sie unterstützen es

Sie wird dort selbst zum Sinnbild einer Strategie, mit der Eh-

als Wegeposten und als starre Figuren, die den Blick fangen.

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1 Löwenhof

5 Kalksandsteinmauer

Schön ist es, durch den Garten zu gehen. Am liebsten auf

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Eine vielstämmige Scheinbuche bildet einen ungewöhnlichen Mittelpunkt im Garten. Ideal passen voluminöse Findlinge, edle Platten und Blattschmuckstauden darunter.

Sie lenken von ihm ab, weil sie steinerne Kreuzungspunkte überwachsen. Sie stellen sich dem Betrachter in den Blick, bieten zudem hellblütigen Pflanzen einen Hintergrund. Gera­ dezu brillant wirken sie zusammen mit der vielstämmigen Nothofagus, der Scheinbuche, die als kleiner Hain das Zentrum des Gartens bildet. Das schlichte rechteckige Wasserbecken daneben, die Buchskugeln dahinter, der Staudenrasen darunter, vereinzelte Felsen wecken eine Stimmung, die an Fernost denken lässt. Doch macht sich Ehrig nicht des Kopierens japanischer Garten verdächtig. Steinlaternen fehlen, ebenso der geharkte Kies, der Ahorn, die bizarre Kiefer, Gräser. Der Garten lässt sich in Ruhe betrachten, aber die Fülle – sprich die fehlende Leere – stehen einer buddhistischen Akklimatisierung im Wege. Es sind die zahlreichen einzelnen Elemente, an denen man sich eine Weile verlieren kann, die geschickt angeordnet in einem großen Ganzen stehen: teils von Ehrig selbst gefertigte Steinfiguren, der Wasser speiende Löwenkopf im Löwenhof, das Sukkulentenbeet am Haus, daneben das riesenblättrige Schildblatt Darmera peltata am Wasserbecken. Im rechten Winkel zum Haus liegend bildet es eine der wertvollen geometrischen Elemente des Gartens, an denen die Pflanzen wirken können. Das Becken liegt am tiefsten Punkt des Gartens, nach außen modellierte Ehrig das Grundstück leicht an. So entstand eine unterbewusst wirkende Außengrenze, ein leicht bewegtes Relief, in das sich gelegentlich eine markante Stufe einfügen ließ. Schön ist es hier, durch den Garten zu gehen. Im kommenden Jahr werden sich der Wald-Scheinmohn oder die Mandelblättrige Wolfsmilch neue Plätze gesucht haben. Die Akelei auch – wieder in neuen Farben.

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Faszination Japanischer Garten Von Christhard Ehrig

Während meines Studiums in Berlin hatte ich Gelegenheit, die Gastvorlesung eines japanischen Gartenarchitekten zu hören. Damals beeindruckten mich vor allem die Gesetzmäßigkeiten und die grafischen Stilmittel der dritten Dimension, die mir

Durch die zahlreichen Stämme der Scheinbuche (Nothofagus antarctica) scheint eine helle Skulptur – steinernes Zeugnis des Hobbys von Christhard Ehrig. Blick vom hinteren Bogen des Rund­­­­­weges zum Haus. Buchskugeln versperren teilweise die Sicht, Akelei wächst überall im Garten, im nächsten Jahr wieder woanders.

Ein schmales Wasserbecken zieht sich von der Terrasse bis nahezu ans Ende des Gartens. Mit der Mauer entstand ein solider Endpunkt dieses Bandes und ein Sitzplatz.

in übertragenem Sinne auch in unserem Kulturkreis anwend-

nen Sinn, einzelne japanische Originaldetails in unsere Gär-

bar schienen. Insbesondere die Dreiecksbezüge unterschiedli-

ten einzufügen. Sie wirken wie billige Plagiate. In unserem

cher Stilelemente im hierarchischen Spannungsverhältnis von

Kulturkreis sind ganzheitlich gestaltete japanische Gärten ein

Hauptthema, Nebenthema, Kontrathema habe ich seither als

befruchtendes Element. Immerhin inspirierte die japanische

Prinzip freier Gestaltung verinnerlicht.

Kunst seit Mitte des 19.Jahrhunderts unsere Litera­tur, Malerei

Ein japanischer Garten ist für mich wie ein gutes Buch, das

und auch die Gartenkunst.

zunächst durch seinen schönen Einband auffällt, in das man

Grundgedanken japanischer Gartenkunst lassen sich in die

sich aber vertiefen muss, um es zu verstehen. Japanische Gär-

Gestaltungssprache unseres Kulturraumes übersetzen. Dabei

ten bilden immer eine Landschaft ab – ob als großer Park

treten Blütenpflanzen zugunsten grafischer Formen zurück.

oder als kleiner Garten. Die Gestaltungsprinzipien sind aus

Plastische Elemente aus Steinen und Pflanzenkörpern stehen

geistiger Haltung und religiöser Weltanschauung erwachsen,

in spannungsreichem Bezug zum freien Raum. Flache ho-

die ihren Ursprung im Shintoismus, Taoismus und Buddhismus

mogene Stauden- und Rasenmatten, Kiesel und spiegelndes

haben. Der Ostasiate kennt keine Schöpfungshierarchie, sieht

Wasser bilden ruhige Resonanzflächen. Der Ansatz des Re-

sich vielmehr als Teil der belebten und unbelebten Natur. Ber-

duzierten kann hier bestimmende Leitidee sein. Diese Gärten

ge, Felsen, Seen, Flüsse, Pflanzen, Tiere und Menschen sind

sind der Seele japanischer Gärten verwandt und bleiben doch

in einer nuancenreichen »Beinahe-Gleichheit« Mitgeschöpfe

Kinder unseres Kulturkreises.

des Kosmos. So sind die verschiedenen Stilelemente des japanischen Gartens keine Dekorationsobjekte, sondern traditionelle Naturkomponenten. Steine stehen für Berge und Felsen, geharkte Kiessande für das Meer, Wasser für Seen und Flüsse und geschnittene Büsche für bewaldete Hügel. In ihrer

Garten, das ist der Ort der Sinneserfahrungen und

Gesamtkomposition symbolisieren diese Elemente das Lotos-

»

Paradies.

Erlebnisse, der Bilder und Ausblicke, das Paradies des un­mit­tel­

Sind wir Europäer eigentlich in der Lage, japanische Gärten zu

baren Lebensumfeldes.«

planen? Ehrfürchtig könnte man fragen, ob es gestattet ist. Eine antike japanische Steinlaterne, Ishidoro, wurde für mich zur Herausforderung. Als Gastgeschenk gelangte sie an die Nixdorf-Hauptverwaltung in Paderborn (heute Computermuseum). Sinnentstellt und ohne Bezug zu ihrer Umgebung war

Christhard Ehrig Jahrgang 1941

sie am Parkplatz aufgestellt und wurde für mich zum Anlass, meinen ersten japanischen Garten zu planen.

Geboren in Dessau, 1955 Übersiedlung ohne die Familie nach Westberlin,

Japanische Gärten werden in unserem Kulturkreis immer Aus-

dort Landschaftsgärtnerlehre. Auslandspraktikum in Stockholm, Studium

nahmen bleiben. Uns kann der Versuch zur Gestaltung eines solchen Gartens nur gelingen, wenn wir den Sinngehalt der

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Landschaftsarchitektur in Berlin, Praktika in Stockholm. 5 Jahre angestellter Landschaftsarchitekt, 1971 Bürogründung in Bielefeld. Lehraufträge in Osnabrück und Detmold. Als Planer beteiligt an verschiedenen Gartenschauen,

religiösen, historisch-authentischen Gartentraditionen Japans

städtebaulichen Großprojekten in ganz Deutschland. Schwerpunkte bilden

aufspüren, verstehen und sensibel anwenden. Es macht kei-

gartendenkmalpflegerische Arbeiten sowie Hausgartenplanung.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Stefan Leppert Hinter meiner Hecke Gartenarchitekten zeigen ihre Gärten Gebundenes Buch, Pappband mit Schutzumschlag, 176 Seiten, 23,0 x 28,0 cm 289 farbige Abbildungen, 58 s/w Abbildungen

ISBN: 978-3-421-03482-3 DVA Architektur Erscheinungstermin: Februar 2005

In welchen Gärten leben Gartenarchitekten? Sind es die bis auf den Millimeter durchgeplanten Anlagen, die sie für ihre Kundschaft bauen? Oder gibt es gar mehr Raum für Experimente, gehen Wünsche in Erfüllung, die im Planeralltag versagt bleiben? Das Buch stellt etwa 30 prominente Gartenarchitekten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich vor – und ihre gelebten Ideen vom eigenen Paradies hinterm Haus. Es gilt Neues, Unkonventionelles, Traditionsbewusstes und vor allem Individuelles aus der privaten Gartenkunst zu entdecken. Dabei reicht die vorgestellte Palette vom winzigen Reihenhausgarten bis zum Park, vom städtischen bis zum ländlichen Garten, vom Schrebergarten bis zur Dachterrasse. Der Leser findet anregende Beispiele zeitgenössischer Gartengestaltung und lernt die Menschen dahinter kennen, die so einzigartig sind wie die eigenen Gärten, die sie für Andere nie haben planen können. Selbst gezeichnete Pläne zeigen die Handschrift der Profis und erleichtern die Orientierung. Auf jeweils einer Seite melden sich die Architekten selbst zu Wort mit einer Geschichte zu einem weiten Feld: der Garten.

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