Temperatur- und orientierungsabhängige Stoffwerte für die Spritzgießsimulation

December 19, 2017 | Author: Wilhelm Schulz | Category: N/A
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Temperatur- und orientierungsabhängige Stoffwerte für die Spritzgießsimulation Martin Moneke, Joachim Amberg; Deutsches Kunststoff-Institut; Darmstadt

1.

Einführung

FEM-Programme haben sich in den letzten Jahren zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel bei der strukturmechanischen Berechnung von Bauteilen und der Simulation von Prozessabläufen entwickelt. Die rechnergestützte Auslegung faserverstärkter Kunststoffbauteile erfordert dabei genaue Kenntnisse über die orientierungsabhängigen thermomechanischen Materialeigenschaften. Aufgrund der stark differierenden mechanischen und thermischen Kennwerte von Matrix und Fasermaterial und der stäbchenförmigen Gestalt der Fasern ergeben sich für den Materialverbund parallel und senkrecht zur Orientierungsrichtung der Fasern unterschiedliche Eigenschaften, die das thermomechanische Bauteilverhalten sowie Schwindung und Verzug entscheidend prägen. Bei der Simulation von Schwindungs- und Verzugs von faserverstärkten Thermoplasten besteht noch ein erheblicher Entwicklungsbedarf, um die zur präzisen Auslegung der Werkzeug- und Formteilabmessungen erforderliche Berechnungsgüte zu erreichen. Eine wesentliche Ursache hierfür liegt in der bislang unzureichenden Beschreibung der orientierungsabhängigen thermischen und thermomechanischen Stoffwerte [1]. Bei der Berechnung des Schwindungs- und Verzugsverhaltens faserverstärkter Formteile muss neben den anisotropen mechanischen Stoffdaten wie Elastizitätsmoduln und Querkontraktionszahlen auch die richtungsabhängige thermische Ausdehnung des Materials berücksichtigt werden. Diese Stoffdaten sind auch für die strukturmechanische Auslegung und Optimierung der Bauteile von großer Bedeutung.

2.

Herstellung von Probekörpern mit hoher Faserorientierung

Für die Untersuchung der Abhängigkeit der Materialdaten E-Modul, Querkontraktionszahl und thermischer Ausdehnungskoeffizient von der Orientierung der Glasfasern werden Proben benötigt, in denen die Glasfasern möglichst alle in eine Richtung orientiert sind. Dies wird in üblichen Proben wie dem Zugstab Typ 1A nach DIN EN ISO 527 oder der für Schwindungsmessungen verwendeten Platte Typ D2 nach DIN-EN-ISO 294-3 nicht erreicht. In diesen Bauteilen bildet sich die für Spritzgießteile typische Schichtstruktur aus [2]. Danach besteht der wandnahe Bereich aus einem dünnen faserarmen Polymerfilm 1, der der in der Regel faserarmen Fließfront zugeschrieben werden kann. Daran schließt sich eine Schicht 2 mit geringer Faserorientierung an. Aufgrund der Scherströmung in der Umgebung des hochviskosen „Haut-Kern-Grenzbereichs“ werden die Fasern in Schicht 3 in Ausbreitungsrichtung orientiert. Weiter innen folgt eine Übergangsschicht 4 mit regelloser Faserorientierung, die von vorwiegend quer zur Fließrichtung angeordneten Fasern in der Plattenmitte abgelöst wird (Schicht 5). Die quer zur Fließrichtung orientierten Fasern in der Probenmitte, vgl. Bild 1, Schnitt A-A, können durch geeignet gewählte Strömungsfelder in Fließrichtung orientiert werden. Dies geschieht in dem am DKI entwickelten Probekörperwerkzeug durch einen so genannten konvergenten Einlauf zwischen dem eigentlichen Zugstab und dem vorgelagerten Plattenbereich, vgl. Bild 1 Mitte. Durch diese konstruktive Maßnahme werden die meisten Fasern in der Plattenmitte in Fließrichtung orientiert, siehe Bild 1, Schnitt B-B. Das Werkzeug hat neben dem gezeigten Einsatz zur Herstellung von

Zugstäben in Anlehnung an DIN-EN-ISO 527 (der Prüfbereich hat identische Dimensionen) zwei weitere Einsätze zur Herstellung von Platten (60 mm x 60 mm x 2 mm) und Stäben (80 mm x 20 mm x 2 mm).

4,0 mm

A-A

A

A

500 µm

B-B B 4,0 mm

B

500 µm

Bild 1: Spritzgießwerkzeug mit auswechselbaren Einsätzen: links: Zugstab mit konvergentem Einlauf, Mitte: Aufsicht auf den Zugstab, rechts: Glasfaserausrichtung in den Ebenen der Schnitte A-A und B-B (Auflichtmikroskopie).

Mit diesen Spritzgießwerkzeugen wurden Probekörper aus den Materialien Polypropylen (PP) mit Glasfasergewichtsanteilen von 0, 20 und 30 % (PP, PP GF20, PP GF30) und Polybutylenterephthalat (PBT) mit Glasfasergewichtsanteilen von 0, 10 und 30 % (PBT, PBT GF10, PBT GF30) hergestellt. Aus vier Stäben der Dimension 80 mm x 20 mm x 2 mm wurde mit einem Presswerkzeug eine quadratische Platte mit 80 mm Kantenlänge hergestellt, aus der dann Stäbe entnommen werden konnten, in denen die Glasfasern überwiegend quer zur langen Achse des Stabes orientiert waren.

3.

Ermittlung orientierungsabhängiger Materialeigenschaften

3.1

Messung der Elastizitätsmoduln und Querkontraktionszahlen

Es wurden Zugversuche an Zugstäben mit konvergentem Einlauf für die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften in Faserrichtung und an Stäben aus gepressten Platten für die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften quer zur Faserrichtung bei mehreren Temperaturen von 0 °C bis knapp unterhalb der Schmelztemperatur, bei PBT bis 210 °C, durchgeführt. Die in der DIN-EN-ISO 527 vorgegebene Dehngeschwindigkeit von 1 %/min wurde eingestellt, die temperatur- und orientierungsabhängigen Elastizitätsmoduln wurden als Sekantenmoduln bei einer ebenfalls normgerechten Dehnung von 0,05 - 0,25 % ermittelt. Bei den Messungen kamen eine Zugprüfmaschine Zwick Z020 TH2A mit Temperierkammer sowie ein berührungslos messendes Laserextensiometer der Firma Fiedler Optoelektronik GmbH zum Einsatz. Während des Zugversuchs scannt das Laserextensometer den mit einer kontrastreichen

Markierung versehenen Messbereich des Probekörpers mit einem sichtbaren Laserstrahl ab. Dazu wird je ein Laserstrahl zur Erfassung der Längs- und Querdehnung auf eine rotierende planparallele Platte gerichtet. Durch Rotation der Platte wird der Laserstrahl parallel zu sich selbst abgelenkt und überläuft die Probe. Die Intensität des an der Probe reflektierten Lichts wird in einem Empfänger gemessen. Überstreicht der Laser den Kantenübergang einer Markierung, ändert sich die Intensität des reflektierten Lichts und aus der Drehgeschwindigkeit der planparallelen Platte kann die Länge bzw. Breite der Markierung berechnet werden. Die aktuellen Werte werden von der Systemsoftware über eine serielle Schnittstelle an die Software der Prüfmaschine übergeben. 12.000

Elastizitätsmodul E´11 [MPa]

PBT-Matrix PBT-GF10

10.000

PBT-GF30

8.000 6.000 4.000 2.000 0 0

F Zugprobe mit Markierung

50

100 150 Temperatur T [°C]

200

250

5.000

Rotierender Deflektor

Laser

Elastizitätsmodul E´22 [MPa]

PBT-Matrix PBT-GF10

4.000

PBT-GF30

3.000

2.000

1.000

0

F

0

50

Kollektor

100 150 Temperatur T [°C]

200

250

Empfänger

Querkontraktionszahl ´21 [ ]

0,60 0,50

ν

Bild 2: Funktionsprinzip des Laserscanners und gemessene E-Moduln längs (E11, oben) und quer (E22, Mitte) zur Faserorientierung sowie gemessene Querkontraktionszahlen (unten) in Abhängigkeit von der Temperatur für PBT, PBT GF10 und PBT GF30.

0,40

PBT-Matrix PBT-GF10

0,30

PBT-GF30

0,20 0,10 0,00 0

50

100 150 Temperatur T [°C]

200

250

Während bei der Steifigkeitsmessung die Streuung der Messwerte in der Regel weniger als 3 Prozent betrug, traten bei der Ermittlung der Querkontraktionszahlen größere Messwertschwankungen von bis zu 10 Prozent auf, die vor allem auf die Qualität der Messmarkierungen zurückzuführen sind. Weitere Fehlerquellen, die eine Bestimmung der Querkontraktion zunächst verhinderten, wurden systematisch durch konstruktive Lösungen ausgeschaltet. Die Messungen zeigen eine starke Abhängigkeit der E-Moduln und der Querkontraktionszahl von Fasergewichtsanteil, Faserorientierung und Temperatur, vor allem im Bereich des Glasübergangs von PBT bei ca. 40 °C. Die Querkontraktion zeigt für faserverstärkte Thermoplaste wegen der höheren Steifigkeit in Faserrichtung einen qualitativ anderen Verlauf über der Temperatur als für das unverstärkte Material ermittelt wird. 3.2

Ermittlung thermischer Längenausdehnungskoeffizienten

Mit einem Quarzrohr-Dilatometer der Firma Coesfeld GmbH & Co. KG wurde der thermische Ausdehnungskoeffizient bestimmt. Das Gerät besteht aus einem Stativ mit zwei ineinander passenden Quarzglas-Rohren, einer digitalen Wegmessuhr und einem Badthermostat, vgl. Bild 3, links. Zur Messung der thermischen Längenausdehnung wird eine stabförmige Probe in das äußere QuarzglasRohr eingesetzt und in das Temperierbad eingetaucht. Anschließend wird die Probe mit einer definierten Aufheizrate erwärmt. Dabei wird die thermische Längenänderung des Probekörpers über das innere Quarzglas-Rohr zum Wegaufnehmer hin übertragen und kontinuierlich aufgezeichnet. Die Versuche wurden an getemperten Proben mit einer Aufheizgeschwindigkeit von 20 K/min durchgeführt. Typische Messergebnisse sind in Bild 3, rechts, für PP GF30 bis nahe an die Erweichungstemperatur gezeigt. 2,5 α11 (längs) α22 (quer)

250

L0= 50 mm

2,0

dL11 (längs) dL22 (quer)

200

1,5 dL22

150

1,0 α22

100

0,5 dL11

50

0,0

Längenausdehnung dL [mm]

Ausdehnungskoeff. α [10-6 K-1]

300

α11 0 0

20

40

60 80 100 Temperatur T [°C]

120

140

-0,5 160

Bild 3: Links: Quarzrohr-Dilatometer mit digitaler Messuhr und Temperierbad, rechts: thermischer Ausdehnungskoeffizient und gemessene Längenänderung für Proben aus PP GF30 mit Fasern längs oder quer zur Probenachse in Abhängigkeit von der Temperatur.

3.3

Faserorientierungsmessungen

Zur experimentellen Bestimmung der Faserorientierung in spritzgegossenen Formteilen wurden bildanalytische Untersuchungen durchgeführt. Zur Herstellung der Schliffpräparate wurden Proben aus definierten Formteilbereichen entnommen, in eine Harzmasse eingebettet und einem aufwendigen Schleif- und Poliervorgang sowie weiteren Präparationsschritten unterzogen. Unter dem Ras-

terelektronenmikroskop sind die Fasern in der polierten Probenoberfläche als Ellipsen sichtbar. Aus den Ellipsenhalbachsen werden Orientierungsvektoren und hieraus Orientierungstensoren berechnet [3]. Ist die Komponente a11 des Orientierungstensors bei geeigneter Wahl des Koordinatensystems gleich eins, sind alle Fasern in Fließrichtung orientiert. Durch die konvergente Strömungsform konnte eine annähernd unidirektionale Faserorientierung erreicht werden. Die höchsten Orientierungsgrade liegen in den optimierten Zugstäben vor. Dabei sind durchaus materialspezifische Unterschiede zu erkennen. Während die Probekörper aus PBT über den gesamten Querschnitt nahezu gleiche Orientierungen aufweisen, zeigt die Orientierungsverteilung in den PP-Proben im wandnahen Bereich deutliche Schereinflüsse, vgl. Bild 4. 1,0

0,8 DKI-Zugstab PP-GF30

a33 a22

aii [ ]

0,6

a11

0,4

0,2

0,0 0,0

1,0

2,0 Dicke D [mm]

3,0

4,0

Bild 4: Lichtmikroskopisch ermittelte Komponenten a11, a22 und a33 des Orientierungstensors für die Glasfaserorientierung als Funktion des Ortes in einem Zugstab (mit konvergentem Einlauf) der Dicke 4 mm für PP GF30 an der links skizzierten Stelle im Zugstab.

4. Modellierung temperatur- und orientierungsabhängiger Materialeigenschaften Mit bekannten mikromechanischen Modellen, so zum Beispiel einfachen semiempirischen Modellen wie den Ansätzen von HALPIN und TSAI [4] oder theoretisch begründeten Modellen, die die komplexen Spannungszustände in Faser-Matrix-Systemen berücksichtigen, wie TANDON-WENG [5], CHOW [6], WILCZYNSKI [7], können die mechanischen Kennwerte von unidirektionalen Faser-Matrix-Verbunden berechnet werden. Hiermit kann aber das mechanische Verhalten von realen Bauteilen, selbst wenn die Faserorientierung wie im Zugstab mit konvergentem Einlauf sehr hoch ist, nicht genau berechnet werden, vgl. Bild 5 (durchgezogenen Linie sind berechnete Daten, Messwerte werden durch geschlossene Symbole wiedergegeben). Das Verfahren des „Orientation Averaging“ ermöglicht die Berechnung der makroskopischen Eigenschaften eines Faserverbundwerkstoffs mit beliebiger Faserorientierungsverteilung, wenn die Eigenschaften des entsprechenden unidirektionalen Werkstoffs und die Faserorientierungsverteilung bekannt sind. Als Eingangsgrößen zur Ermittlung der Orientierungs- bzw. Eigenschaftstensoren vierter Ordnung dienen dabei die bildanalytisch ermittelten Faserorientierungsverteilungen in den Zugproben. Bei dieser Methode können die Messwerte mit hoher Genauigkeit durch das TANDONWENG-Modell vorhergesagt werden, vgl. Bild 5. Andere Modelle besitzen diese Vorhersagequalität nicht oder sind inkonsistent bei kleinen Faservolumenanteilen. Diese Modelle wurden in das am DKI entwickelte Berechnungstool DKI-Comp2 ® integriert.

16.000

0,70

Elastizitätsmodul E´11 [MPa]

14.000 12.000 10.000

Querkontraktionszahl ´12 [ ]

PBT-GF10, Messwerte PBT-GF30, Messwerte PBT-GF10, Tandon-Weng + Orientierung PBT-GF30, Tandon-Weng + Orientierung PBT-GF10, Tandon-Weng uniaxial PBT-GF30, Tandon-Weng uniaxial

0,60

ν

8.000 6.000 4.000 2.000 0

0,50

0,40 PBT-GF10, Messwerte PBT-GF30, Messwerte PBT-GF10, Tandon-Weng + Orientierung PBT-GF30, Tandon-Weng + Orientierung PBT-GF10, Tandon-Weng uniaxial PBT-GF30, Tandon-Weng uniaxial

0,30

0,20 0

50

100 150 Temperatur T [°C]

200

250

0

50

100 150 Temperatur T [°C]

200

250

Bild 5: Temperaturabhängige Elastizitätsmoduln E´11 und Querkontraktionszahlen ´12 für PBT, Vergleich von Messwerten und mit dem TANDON-WENG-Modell berechneten Werten. ν

5.

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird gezeigt, wie mit einem neuen Konzept aus faserverstärkten Kunststoffen Probekörper mit einer hohen Faserorientierung in einem Standard-Spritzgießverfahren hergestellt werden können. Die Probekörper entsprechen im Prüfbereich von ihrer Geometrie gängigen DINProbekörpern. Mit diesen Probekörpern wurden die mechanischen Eigenschaften E-Modul und Querkontraktion sowie die thermische Dehnung von PP und PBT mit verschiedenen Fasergewichtsanteilen längs und quer zur Faserrichtung bestimmt. Optimierte Prüfverfahren liefern dabei auch für die Querkontraktionszahl genaue Werte bis zur Erweichungstemperatur des untersuchten Thermoplasten. Die Materialdaten wurden durch verschiedene mikromechanische Modelle berechnet. Die beste Übereinstimmung liefert das TANDON-WENG-Modell unter Berücksichtigung der realen Faserorientierung im Bauteil. Das dargestellte Verfahren ist Grundlage des Berechnungstools DKI-Comp2 ®, mit dem mechanische Eigenschaften von GlasfaserKompositen in Anhängigkeit von der Temperatur berechnet werden können.

6.

Danksagung

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), aus dessen Haushaltsmitteln dieses Forschungsprojekt über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. (AiF) unter der Nummer 13220 N gefördert wurde. Ferner danken wir dem Fonds der Chemischen Industrie für die zusätzliche Unterstützung dieser Arbeit.

7.

Literatur

[1]

P. Kennedy, R. Zheng, ANTEC 2002, 593 – 599.

[2]

R. P. Hegler, Kunststoffe 1984, 74 (5), 271 – 277.

[3]

S. G. Advani, C. L. Tucker, J. of Rheology 1987, 8, 751 – 784.

[4]

J. C. Halpin, J. L. Kardos, Polymer Engineering and Science 1976, 16, 344 – 352.

[5]

G. P. Tandon, G. J. Weng, Polymer Composites 1984, 5, 327 – 333.

[6]

T. S. Chow, J. of Polymer Science: Polymer Physics Edition 1978, 16, 959 – 965.

[7]

A. P. Wilczynski, Composites Science and Technolgie 1990, 38, 327 – 337.

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