Unruhig... Bd. 1. Wege zu Gott. von Christian W. Häuserer. 1. Auflage

November 27, 2019 | Author: Franziska Brodbeck | Category: N/A
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1 Unruhig... Bd. 1 Wege zu Gott von Christian W. Häuserer 1. Auflage Unruhig... Bd. 1 Häuserer schnell und por...

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Unruhig... Bd. 1 Wege zu Gott von Christian W. Häuserer

1. Auflage

Unruhig... Bd. 1 – Häuserer schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

tredition 2013 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8495 5208 4

Inhaltsverzeichnis: Unruhig... Bd. 1 – Häuserer

„Unruhig ist mein Herz, oh Gott, bis es Ruhe findet in Dir“ Aus einem Gebet des hl Augustinus Aurelius von Hippo

Ein besonders herzlicher Dank gilt Frau Ruth Fischer, die mir im ersten Band mit viel Rat zur Seite stand.

Christian W. Häuserer

Unruhig… Band 1: Wege zu Gott

© 2013 Christian W. Häuserer Umschlaggestaltung: Christian W. Häuserer Lektorat: Angelika Fleckenstein Verlag: tredition GmbH, Hamburg ISBN: 978-3-8495-5208-4 Printed in Germany Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis VORWORT ZUM GESAMTWERK ............................................. 9 I.

Kann man Gott beschreiben? .......................................... 11

II.

Ganz beschreiben hieße ihn besitzen ............................. 13

III.

Das Bild vom Berg ............................................................ 16

A.

IV. A. B. C. D. E. F. G. H. I.

V. A. B. C.

VI. A. B. C. D.

Harmonieren individueller Glaubensweg und klösterliche Gemeinschaften? .............................................. 22

Natürliche Gotteserkenntnis ........................................... 25 Höhlenmalerei und erste Religionen .................................. 25 Die nordischen Asen ............................................................. 30 Der Glaube der Nord-Indianer............................................ 35 Hindus .................................................................................... 40 Buddha – wenn Vernunft zur Religion wird .................... 49 Griechenland .......................................................................... 62 Also sprach Zarathustra ....................................................... 70 Ein semitischer Weg – die Juden ......................................... 75 Echte Gemeinsamkeiten in allen genannten Religionen ........................................................... 85

Trennung der Wissenschaften oder Gott als Gesetzgeber der Natur? ................................................... 89 Dem Zufall auf der Spur ...................................................... 89 Naturgesetz contra Menschengesetz .................................. 96 Ein göttlicher Aspekt in den Naturgesetzen? ................... 99

Moderne Physik, der Logosbegriff und ein Schöpfergott .................................................................... 101 Wo steht die moderne Physik im Augenblick? ............... 101 Was ist eigentlich der Logosbegriff? ................................ 103 Lässt die moderne Physik eine Schöpfung aus dem Logos zu? .............................................................. 104 Hat Gott überhaupt Platz im Kosmos? ............................ 106

VII. A. B. C. 1. 2. 3. D. 1. 2. 3. E. 1. 2. 3. 4. F. 1. 2. 3. 4. G. H. I. J.

Inbegriff der Liebe .......................................................... 108 Was ist eigentlich Liebe? .................................................... 109 Liebe und Hass, Begehren und Empfangen .................... 110 Klärung von Begriffen ........................................................ 113 Definition von Liebe und Hass ..................................... 113 Definition von Begehren und Empfangen ................... 114 Definition von Vertrauen und Misstrauen .................. 114 Ebenen der Liebe ................................................................. 115 Liebe im Geist .................................................................. 115 Die liebende Seele ........................................................... 116 Körperliche Liebe ............................................................ 118 Sphären der Liebe................................................................ 120 Selbsterhaltungstrieb – die Ich-Sphäre......................... 121 Arterhaltungstrieb – die Du-Sphäre ............................. 124 Machthunger – die Er/Sie-Sphäre ................................ 126 Wissensdurst – die Es-Sphäre........................................ 132 Spielarten der Liebe ............................................................ 134 Nächstenliebe................................................................... 135 Feindesliebe...................................................................... 135 Hassliebe........................................................................... 137 Zweckliebe ....................................................................... 138 Metaphysischer Liebesbegriff............................................ 139 Liebe als Prinzip der Schöpfung ....................................... 140 Gott ist die Liebe – also ist er dreifaltig!........................... 141 Glaube, Hoffnung und Liebe ............................................. 144

VIII. Die Selbstverknechtung Gottes – Schöpfung als Akt der Liebe ......................................... 151 A. 1. 2. 3. 4. B. C.

Was ist Freiheit?................................................................... 152 Zivilisation macht unfrei ................................................ 154 Verbriefte Freiheit – ein Märchen? ............................... 155 Gelebte Freiheit in der Moderne ................................... 157 Freiheit im Glauben ........................................................ 158 Warum lässt Gott Leiden zu? ............................................ 159 Gott, der Allmächtige, macht Platz................................... 162

D. 1. 2. 3. 4. 5. E. F. G.

Die Gottferne als Ursprung des „Bösen“ ......................... 163 Der Stolz der Kreaturen ................................................. 164 Satan – der Ankläger vor Gott....................................... 167 Das Drama der Gottesverweigerung ........................... 171 Himmel, Fegefeuer und Hölle ....................................... 173 Engel und Dämonen ....................................................... 175 Gott führt Israel ................................................................... 178 Das Wirken Christi als Gottesknecht................................ 181 Das Ziel menschlichen Lebens – Gottes Heilsplan als Weg ................................................... 186

VORWORT ZUM GESAMTWERK Es ist immer ein Risiko, sich mit derartigen Büchern an die Öffentlichkeit zu wagen. Nur zu leicht wird man dadurch in eine Ecke religiöser Prägung gestoßen, aus der man dann sein ganzes Leben kaum noch frei kommt. Andererseits: Ist es nicht gerade das Risiko, das unserem Leben die rechte Würze gibt? Wer sich der Philosophie und Theologie verschrieben hat, der gerät fast zwangsweise ständig an Grenzen, wo er sich für oder gegen eine offizielle Lehrmeinung entscheiden muss. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kann man hier jedoch bei ehrlicher Betrachtung keine ewig gültigen Wahrheiten postulieren, sondern nur möglichst vernünftige Gedankenmodelle vorstellen. Und gerade religiöse Lehrgebäude mögen es gar nicht, wenn man an ihnen herumwerkt oder sie schlimmstenfalls sogar demontiert. Nachdem im vorliegenden Werk wirklich jeder nur erdenkliche Lebensbereich und zahlreiche Lehrgebäude aufgegriffen werden, darf ich Ihnen versichern: Dieses Werk ist sehr würzig gelungen und mag bei so mancher gläubigen Seele gehöriges Sodbrennen verursachen. Wer also erwartet hat, ein braves Werk eines noch braveren Theologen, Ordensmannes und Priesters vorzufinden, den muss ich leider sehr enttäuschen. Ich liebe den freien Gedanken, ich strebe nach philosophischer Ehrlichkeit und ich bemühe mich sehr um wissenschaftliche Gründlichkeit und Logik. Dabei bleibe ich aber stets Seelsorger und Philanthrop, dem das Wohlergehen und Schicksal der Menschen sehr am Herzen liegt. Damit ich in meiner Sicht der Dinge nicht zum „tumben Tor“ werde, strebe ich schon seit vielen Jahren nach einer möglichst sauberen und kongruenten Darstellung der Gedanken. Leider führt dieses Streben oft zu recht faktischen Formulierungen, die ihrerseits fast schon wie Vorschriften und Gesetze klingen. Daher bitte ich Sie sehr, keinesfalls meinen Worten blind zu vertrauen! Ihre

Sicht der Dinge ist Ihr intimster intellektueller Lebensbereich. Und nur Sie sollten bestimmen, was dort hinein darf! Auch bin ich kein Guru oder sonst geistig überbelichteter Gelehrter. Mein Ziel und mein Wunsch für dieses Werk sind, dass der Leser in den doch so verschiedenen Kapiteln einen Anreiz findet, über seine eigene Sicht der Welt selbst nachzudenken. Ob Sie mir dann zustimmen oder meine Gedanken verwerfen, steht nicht im Vordergrund. Gehen Sie Ihren ganz individuellen Weg – wohin er Sie auch immer führen mag. Es ist Ihr Weg! Und wenn Ihr persönlicher Weg Sie in die Nähe Gottes, des Göttlichen oder einfach nur des Lebens an sich bringt, weil dieses Werk Sie nachdenken ließ, dann bin ich sehr glücklich und sehr dankbar. Christian W. Häuserer

I.

Kann man Gott beschreiben?

Ganz gewiss nicht! Es mag jetzt erstaunen, ein Buch gleich damit zu beginnen, dass alles Weitere im Grunde genommen gar nicht gesagt werden kann. Dennoch gebieten die Ehrlichkeit und vor allem die Vernunft, jene Klarstellung ganz an den Beginn zu stellen. Gott ist im Glauben der Christenheit der Unbegreifliche, der Allmächtige, der Unendliche, … Und doch versuchten schon sehr große Gelehrte dem Geheimnis Gott auf den Grund zu gehen. Dementsprechend gibt es unzählige philosophische, ja sogar scheinbar physikalische Gottesbeweise, die hier Antworten geben wollen. Am Schluss musste aber jeder von ihnen eingestehen, dass bei all den logischen und naturwissenschaftlichen Gebäuden zuletzt immer noch ein mehr oder weniger großer Glaubenssprung notwendig war, damit man zur Gottes„Erkenntnis“ gelangen konnte. Ein sehr bezeichnendes Beispiel dafür ist der Hl. Thomas von Aquin, der wohl einflussreichste katholische Theologe des Hochmittelalters. In seiner außergewöhnlich umfangreichen Schaffensperiode wurde er zum führenden Scholastiker, der bis heute die kirchliche Lehre nachhaltig beeinflusst. So verwundert es nicht, dass auch er sich dem Gottesbeweis widmete und in der Folge fünf „Beweise“ formulierte. Dennoch wird überliefert, dass er am Vorabend seines Todes, konkret am Nikolaustag 1273, sein gesamtes theologisches Schaffen in Frage stellte. Gemäß Überlieferung weigerte er sich auf Grund eines mystischen Erlebnisses sogar, je wieder theologische Werke zu verfassen: „Alles, was ich geschrieben habe, erscheint mir wie Spreu, verglichen mit dem, was ich geschaut habe.“ Wege zu Gott führen für viele Menschen zuerst über die Straße der Gottesbeweise. Wen mag es da verwundern, dass so viele Menschen auf dieser Straße den Weg aus den Augen verlieren? Denn die Straße der Gottesbeweise ist holprig und voller Löcher und 11

Risse. Wer auf dieser Straße seinen Weg zu Gott sucht, läuft nur allzu leicht Gefahr, derart konzentriert auf die Fahrbahnschäden zu achten, dass er versehentlich eine Abzweigung nimmt, die Richtung verliert oder letztlich im Kreis rennt. Wer also bei Gottesbeweisen gar von einer „Autobahn“ zu Gott spricht, der schwebt entweder völlig abgehoben über der Fahrbahn und hat jede Bodenhaftung längst schon verloren, oder er befindet sich in Wahrheit gar nicht auf jener Straße der Gottesbeweise, sondern auf irgendeiner „Nebenstrecke“. Wo ihn diese Nebenstrecke jedoch hinführt, müsste erst recht kritisch hinterfragt werden. Nehmen wir also zur Kenntnis, dass jeder Gottesbeweis in Wahrheit immer nur eine Annäherung an Gott sein kann. Ihn zu beweisen ist uns schlicht unmöglich. Und dennoch darf uns diese Tatsache nicht verzweifeln lassen. Vielmehr könnte erst durch sie der Glaube an Gott sinnvoll werden, wie es in den nächsten Kapiteln noch dargestellt wird.

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II.

Ganz beschreiben hieße ihn besitzen

Der Mensch neigt dazu, alles beschreiben zu wollen und alles bis ins letzte Detail definieren zu können. So verwundert es nicht, dass er dieses Verlangen auch im Umgang mit Gott zeigt. „Ich glaube nicht an Gott, weil ich ihn nicht begreifen kann!“ Das ist wohl eine der häufigsten Begründungen für den modernen Atheismus. Schon in der frühesten Menschheitsgeschichte wurde alles Göttliche sehr gerne mit Totems oder figuralen Darstellungen grifffest gemacht. Das Göttliche war damit dem Menschen nahe, weil es greifbar und unmittelbar war. Gleich, ob wir von der Venus von Willendorf sprechen, oder von den Totems bei den alten indianischen Kulturen. Überall wird das Göttliche oder Jenseitige mit Bildern und Plastiken in den Alltag gezogen. Auch in der Bibel finden wir Hinweise auf dieses „primitive“ Bild vom Göttlichen, wenn Rahel ihrem Vater die Hausgötter stiehlt – kleine figurale Darstellungen der „Schutzgeister“ der Familie. Es gibt kaum antike Kulturen, die solche Figuren nicht hergestellt hätten. Bald schon entwickelten sich Priesterkasten, die in ausgefeilten Theologien genau erklären konnten, welcher Art und Form ein Gott war. War man lange genug mit diesen Studien beschäftigt, dann konnte man wohl auch sagen, wann sich der Gott das letzte Mal die Haare gekämmt hat. Es gab privilegierte Personen, die jene Gottheit im wahrsten Sinn des Wortes begriffen hatten. Und wollte diese Gottheit einmal nicht so gnädig sein, wie gewünscht wurde, dann verdeckte man ganz einfach die Statue oder holte sie gar vom Sockel – oder die Priester erkannten, dass die Gottheit dringend das Blut von Jungfrauen, Kindern oder starken Kriegern brauchte. Es muss wohl nicht extra darauf eingegangen werden, dass oft genug mittels dieser Menschenopfer der Herrschaftsanspruch der Priesterkaste zementiert wurde. Geht man an die eigentliche Fragestellung mit Überlegungen zur Seinsebene heran, dann zeigt sich noch viel stärker die Problematik dieses Umganges mit dem Göttlichen. 13

Stellen wir dazu erst einmal fest, was man eigentlich ganz beschreiben kann. Ich möchte dafür die Bilder von einem leeren Puppenhaus und einem leeren Wolkenkratzer nehmen. Sie mögen wohl in der Lage sein, das Puppenhaus von allen Seiten und mit all seinen Facetten zu beschreiben. Es wird Ihnen im Grunde genommen auch keine große Mühe machen, die Farben der einzelnen Wände und allfällige Risse oder Fehler innerhalb eines kurzen Zeitmoments wahrzunehmen. Können Sie aber auch den Wolkenkratzer in derselben Ausführlichkeit und Gleichzeitigkeit beschreiben? Und dieses Bild geht noch weiter: Sie können das Puppenhaus aufheben, in der Hand hin und her wiegen, Schwerpunkte feststellen, die Stabilität im freien Fall testen oder Ähnliches. Haben Sie das schon einmal mit einem Wolkenkratzer probiert? Tatsächlich wird es Ihnen wesentlich leichter fallen, das Puppenhaus GANZ zu beschreiben, als es Ihnen gelingen wird, auch nur eine Etage des Wolkenkratzers annähernd so genau zu beschreiben. Und in der Tat können wir nur jene Dinge annähernd vollständig erfassen, die eindeutig kleiner sind als wir selbst. Damit ich das Wesen und die Machart eines Körpers erfassen kann, muss ich ihn quasi umfassen können. Ich muss ihn in einem Augenblick mit allen Sinnen ganz wahrnehmen können. Beim Wolkenkratzer ist das absolut unmöglich! Natürlich kann ich die Eingangstüre im Erdgeschoss als Holztüre erkennen. Wer garantiert mir aber, dass es immer noch eine grüne Holztüre ist, wenn ich zu Fuß in den 120. Stock gelaufen bin, um die Farbe der Dachziegel herauszufinden? Ich kann nur hoffen, dass nicht irgendein Hausmeister die Holztüre neu lackiert, während ich noch die Stiegen hinauflaufe. Es wird mir nie gelingen, eine wirklich aktuelle und GANZE Beschreibung des Wolkenkratzers zu liefern, weil seine Größe meine Fähigkeit der umfassenden Erkenntnis bei Weitem übersteigt. Also ergibt sich aus Sicht der Seinsebene eine eindeutige Gesetzmäßigkeit. Man kann nur das ganz erkennen, was eindeutig auf einer geringeren als der eigenen Ebene zu finden ist. Je weiter die eigene Seinsebene oder die jeweilige physikalische Erscheinung 14

überstiegen wird, desto bruchstückhafter ist die Erkenntnis über eine solche Seinsform. Versucht demnach ein Mensch Gott vollständig zu beschreiben, dann setzt er voraus, dass Gott geringer ist, als er selbst. Was wäre das aber für ein Gott, dessen ich auf diese Weise habhaft werde? Die Erkenntnis vom Anderen verleiht immer auch eine gewisse Macht über den Anderen. Ich kann ihn manipulieren, weil ich ja genau weiß, wie der Andere reagiert. Ich kann alle seine Schwächen und Stärken gezielt für mich nützen. Dieses Wissen verleiht Macht – ich besitze quasi mein Gegenüber, je mehr ich es zu erkennen/zu beschreiben in der Lage bin. Wer also Gott ganz beschreiben will, wer die naturwissenschaftlich vollkommene Gotteserkenntnis anstrebt, der strebt in Wahrheit die Herrschaft über Gott an. Für einen allmächtigen Gott ist in solchen Vorstellungen kein Platz mehr! Bitte verwechseln Sie diese Art der Erkenntnis aber nicht mit der Gotteserkenntnis eines frommen Menschen. Ein in redlicher Weise frommer Mensch will nicht im Rahmen der vollkommenen Erkenntnis seines Gottes habhaft werden, er will vielmehr erkennen, was Gott von ihm erwartet. Zwar ist andererseits ein Profi durchaus in der Lage, jemanden anhand seiner Wünsche und Bedürfnisse zu manipulieren – allerdings hat ein frommer Mensch eben nicht den manipulativen Anspruch in seinem Streben nach jener Gotteserkenntnis, sondern den dienenden. Ich spreche im ersten Fall wirklich vom Versuch, Gott wissenschaftlich zu erklären, und von der Hybris, des Wesens Gott habhaft zu werden – der in redlicher Weise fromme Gläubige darf nie damit verglichen werden!

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III.

Das Bild vom Berg

Als ich mir diese Gedanken ernsthaft durch den Kopf gehen ließ, hatte ich am Anfang ein ziemlich armseliges Gefühl im Bauch. Es fiel mir wahrlich nicht schwer, meine engen Grenzen der Erkenntnis im Bild vom Wolkenkratzer zu erahnen. Nachdem für mich Gott doch viel mehr darstellt, als so ein Wolkenkratzer, wurde mir drastisch bewusst, dass die Bruchstücke meiner Gotteserkenntnis nicht wirklich überwältigend sein können. Und plötzlich hatte ich keine Ahnung, an wen oder was ich da eigentlich glaube – denn wer kann garantieren, dass all die heiligen Männer und theologischen Gelehrten eine „vera icona“ des Wesens Gottes anbieten können? Solche Glaubenszweifel haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie einem das Studium der Theologie recht ordentlich vermiesen können! Abgesehen davon eröffnete sich für mich durch diesen plötzlichen Verlust meines handlichen Gottesbegriffes eine richtig handfeste Sinnkrise. Descartes hätte wohl mit meinen anwachsenden Weltzweifeln seine helle Freude gehabt. Auf einmal hatten all die Regeln, Gebote und all das moralische Philosophieren jeden Sinn verloren, weil die höchste Instanz, die dahinter steht, mir absolut fremd geworden war. Ich stellte mir bald schon die Frage: „Wenn ich also Gott aus den bekannten Gründen gar nicht richtig erkennen kann – woher weiß ich dann überhaupt, dass es ihn wirklich gibt?“ Bauen nicht alle politischen und scheinreligiösen Machtsysteme auf solchen Lügen auf, wo man den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen kann, weil das Mysterium so erhaben ist, dass ich als kleiner Mensch es gar nicht erfassen kann und daher einfach nur denen zu gehorchen habe, die der höheren Erkenntnis fähig sind? Für einen angehenden Priester und Ordensmann kann es eigentlich kaum eine größere Sinnkrise geben! Zu meinem persönlichen Glück fiel die Zeit jener tiefen Sinnkrise gerade mit den Jahresexerzitien in meinem Kloster zusammen. 16

Und dort fand ich in einem unscheinbaren Büchlein eine bildhafte Erklärung des Wesens Gottes, die mir geholfen hat, trotz oder gerade wegen meiner Unfähigkeit der vollkommenen Gotteserkenntnis an diesen allmächtigen Gott zu glauben. Dieses Bild verglich Gott mit einem riesigen Berg, der abgesondert von anderen Gebirgsketten für sich allein, mächtig und erhaben stand. Vielleicht kann man sich darunter ein altes Bild vom Kilimanjaro vorstellen, wo noch Schnee auf seiner Spitze liegt. Dieser Berg war auf allen Seiten mit den verschiedensten Landschaften bedeckt. Es gab dichte Wälder, plätschernde Gebirgsbäche, stille Seen, schroffe Abhänge, Almwiesen, da und dort ein Dorf oder Gehöft, etwas Gletscher, Geröllwüsten, Sanddünen, Höhlen und mancherorts eine Grotte oder ähnliches. Egal von welcher Seite man auf diesen Berg zuging, nie wurde es langweilig, immer war da etwas Neues zu entdecken. Und war man dem Berg erst einmal ganz nah, also schon mitten drin, dann konnte man gar nicht mehr die Ausmaße des ganzen Berges erkennen – er war einfach überall. Wenn ich nun Menschen über diesen Berg erzählen höre, dann werde ich viele verschiedene Beschreibungen hören. Und ich werde mich manchmal fragen, ob wirklich alle vom selben Berg sprechen. Denn jeder hat den Berg anders gesehen, je nachdem auf welchem Weg er sich dem Berg angenähert hat. Dieses Bild erhielt dann noch eine weitere Prägung: Jeder Mensch schafft es in seinem Leben nur einmal, vielleicht zweimal, höchstens aber ein drittes Mal, sich diesem Berg von einer anderen Seite zu nähern. Und dabei wird der Mensch immer doch nur einen winzig kleinen Sektor des Berges umschreiten können. Mehr Wege lässt unsere Lebenszeit nicht zu – der Berg ist einfach zu riesig. Dieser Berg soll also für Gott stehen, der sich dem Menschen in vielen verschiedenen Weisen zeigen kann. Natürlich gibt es bei dieser Reise zum Berg Gott verschieden schwere Wege. Wir können auf endlosen Serpentinen sicher dahin schleichen, wir können 17

aber auch steil bergauf an der Wand hoch kraxeln – und schlimmstenfalls in unserem Gipfelsturm abstürzen. Wir können beständig stehen bleiben und die Geschehnisse am Wegrand bewundern oder blindlings auf das Ziel zu stürmen. Alles in allem bleibt es unsere Entscheidung, welchen Weg wir gehen und wie wir das tun. Gleichzeitig können wir dennoch nicht vollkommen frei über unseren Weg bestimmen. Denn unser Startpunkt wird von unseren Eltern oder anderen ersten Bezugspersonen bestimmt. Tatsächlich ist es eine unglaublich schwere und vor allem meist sehr schmerzhafte Entscheidung, wenn man beschließt, einen völlig neuen Startpunkt zu wählen. Die Konsequenzen einer solch radikalen Neuorientierung können gravierend sein, denn alte Bekannte und die Familie sind vielleicht auf dem neuen Weg gar nicht mehr zu sehen – man droht einsam zu werden. Eine zweite Entscheidung wird von uns bezüglich unseres Marschgepäcks gefordert. Als solches möchte ich die jeweilige Religion bezeichnen. Staunen Sie jetzt bitte nicht über meine Zuordnung. Ich weiß, dass es gerade in der katholischen Tradition spätestens seit dem II. Vatikanischen Konzil beständig das Bild vom Weg zu Gott gibt – und die katholische Kirche sieht sich nur allzu gerne als die „via regia“ zu Gott hin. Im vorgestellten Bild ist aber unser individuelles Leben selbst jener Weg – der Lebensweg, der niemals zweimal identisch verläuft. Nun weiß jeder erfahrene Freizeit-Wanderer, wie wichtig es ist, die Ausrüstung einer Bergtour der gewählten Strecke anzupassen. Führt der Weg durch viele schattige Wälder, dann sollte man vorsorglich eine wärmende Jacke mitnehmen. Geht es über ewig lange Almwiesen mitten im Hochsommer, dann werden Trinkflasche und Sonnenschutz die größere Bedeutung haben. Übertragen wir nun diese praktische Erfahrung auf unser Bild: Es kann nicht bestritten werden, dass z.B. Juden, Christen und Moslems an denselben Gott glauben. Die Unterschiede erscheinen mir inzwischen aber wie verschiedene Ansichten desselben großen Berges. Und natürlich muss jemand, der sich dem göttlichen Berg vom Steilhang her nähert, mit Seilen und Kletterhaken ausgerüstet 18

sein, während der Wanderer auf endlosen Serpentinen zuerst einmal sehr gutes Schuhwerk und reichlich Blasensalbe braucht! Die jeweilige religiöse Ausrichtung im Glauben an denselben Gott sollte sich also an dem ausrichten, was von Gott erfahren wird. Dabei müssen sich jedoch immer alle bewusst sein, dass die gewählte Ausrüstung schadhaft oder für den beschrittenen Weg ungeeignet sein könnte. Auch dürfen nicht Trugbilder vom Berg die Wahl unserer Ausrüstung negativ beeinflussen. So mancher Nebel kann den Blick auf den Berg trüben, so manche dubiosen Heilsverkünder können den Blick auf Gott verhindern. Es wäre falsch, in dieser Situation die bewährte Ausrüstung einfach so abzulegen. Für den Alltag nehme ich aus diesem Bild gerade im Umgang mit anderen Religionen eine Warnung mit. Ich muss begreifen, dass jeder Mensch einen anderen Weg zu Gott gehen kann und dass er dadurch vielleicht ein anderes Bild von diesem „Berg“ bekommt. Ja, sein ganzer Glaubensweg kann sich von meinem grundsätzlich unterscheiden. Und ich habe nicht das Recht, diesen Weg zu beurteilen. Gleichzeitig muss jeder von uns seinen Glauben so pflegen, dass er bestens für den Weg zu Gott gerüstet ist. Vor allem aber sollte ich mich vor einem „Patch-Work-Glauben“ hüten, denn gerade das Bild von der Wanderausrüstung, die für die gewählte Strecke unpassend sein könnte, macht deutlich, dass sich diese Ausrüstung nicht nach dem Lustprinzip zusammensetzen darf, sondern nach den Anforderungen, die der Berg an einen stellt – eben auf dem gewählten Pfad natürlich! Religion und Gottesbild sind untrennbar miteinander verbunden. Und ich kann erst dann über meine eigene Religion nachdenken, wenn ich mir über mein Bild von Gott klar geworden bin – ich muss zuerst wissen, wohin die Reise geht, bevor ich mein Ränzel schnüre. Aber ich muss dazu nicht gleich den ganzen Berg innen und außen kennen – es genügt schon, wenn ich die nächste Etappe meines Weges halbwegs im Blick habe! Damit stoße ich aber gleich wieder an ein neues Problem: Glaube ist etwas Dynamisches. Er wandelt sich im Laufe des Lebens und wird durch meine Erfahrungen, aber auch durch meine Ent19

täuschungen, Erfolge oder Hoffnungen wesentlich mit geprägt. Bildlich gesprochen kreuze ich auf meinem Weg zu Gott ständig wieder eine Weggabelung, an der ich mich ein klein wenig auf meinem Weg neu orientieren kann oder sogar eine komplett neue Richtung wähle. Also stehe ich beständig vor der Entscheidung, ob ich den Weg weitergehe, für den ich bereits (hoffentlich) ideal ausgerüstet bin, oder ob ich einen anderen Weg einschlage, auf dem ich hoffentlich rechtzeitig allenfalls fehlende Ausrüstung ergänzen kann. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, fliegend zwischen dem Islam und dem Christentum hin und her zu konvertieren. Beide haben einen vollkommen anderen Blickwinkel von diesem göttlichen Berg. Dementsprechend müssen auch beide einen komplett unterschiedlichen Weg zu Gott gehen, was wiederum eine ganz unterschiedliche Ausrüstung/Religion verlangt. Nehmen wir im gewählten Bild einmal an, dieser Berg hätte drei gleich mächtige Gipfel, die in einer Luftlinie hintereinander von Ost nach West liegen. Nähert sich ein Betrachter dem Berg von Osten oder Westen, dann wird er immer nur einen Gipfel zu sehen bekommen und daher behaupten, der Berg hätte in der Tat nur einen Gipfel. Kommt der Betrachter aber von Norden oder Süden, dann erkennt er sofort alle drei Gipfel. In ähnlicher Weise verhält es sich wie schon dargestellt für sämtliche Eigenschaften des Berges. Es kommt eben auf den Blickwinkel an. Ein weiterer wesentlicher Punkt in dieser Überlegung ist die Tatsache, dass kein Wanderer jemals den Berg weit genug besteigen können wird, weshalb es wirklich keine Rolle spielt, ob da jetzt einer oder drei Gipfel existieren. Zu Anfang dieses Buchs habe ich von meinen schweren Glaubenszweifeln berichtet, die sich an der Frage der Gotteserkenntnis entzündet haben. Ich habe auch dargestellt, dass jenes Bild vom Berg imstande war, meine Zweifel zu nehmen. Zu Recht wird nun der Eine oder Andere einwerfen, dass dieses Bild doch überhaupt nichts von Gott aussagt. Wie es scheint, habe ich meine Zweifel an der Existenz Gottes dadurch überwunden, dass ich mich damit 20

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