UNTER DEM MiLCHWALD. Ein Spiel für Stimmen. von Dylan Thomas in der Nachdichtung von Erich Fried

July 10, 2018 | Author: Gregor Grosser | Category: N/A
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1 UNTER DEM MiLCHWALD Ein Spiel für Stimmen von Dylan Thomas in der Nachdichtung von Erich Fried Bearbeitung, Konze...

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UNTER DEM MiLCHWALD Ein Spiel für Stimmen von Dylan Thomas in der Nachdichtung von Erich Fried

Bearbeitung, Konzept und Regie Thomas Faupel theaterfuereinjahr 2014

theaterfuereinjahr 2014 - UNTER DEM MiLCHWALD von Dylan Thomas - Stand: 28.07.2014

1. Gesang „Horch“ (Thomas, Ela, Gitte, Babette, Martina, Yvonne, Dorle, Anna, Christine)

ALLE: Hu …ha …hu … ha… hu … ha … hu …ha … ERZÄHLER (Thomas) Anfangen … wo es anfängt. Es ist Frühling, mondlose Nacht in der kleinen Stadt, sternlos und bibelschwarz, die Kopfpflasterstraßen still, und der geduckte Liebespärchen- und Kaninchenwald humpelt unsichtbar hinab zur schlehenschwarzen, zähen, schwarzen, krähenschwarzen, fischerbootschaukelnden See. ERZÄHLER (Ela) Die Häuser sind blind wie Maulwürfe … oder blind wie Kapitän Cat in der eingemummelten Mitte der Stadt. Alle Leute in der eingelullten umstummten Stadt liegen und schlafen. Schschschsch…….. ERZÄHLER (Gitte) Die Babys schlafen die Bauern, die Fischer, die Händler und Rentner … ERZÄHLER (Babette) … der Schuster, Schullehrer, Schankwirt und Briefträger, der Leichenbestatter und das leichte Weib … ERZÄHLER (Martina) … Säufer und Schneider, der Pfarrer, der Polizist und die reinlichen Hausfrauen.

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theaterfuereinjahr 2014 - UNTER DEM MiLCHWALD von Dylan Thomas - Stand: 28.07.2014

ERZÄHLER (Yvonne) Junge Mädchen liegen weich gebettet oder gleiten in ihren Träumen, mit Ringen und Ausstattung, von Glühwürmchen brautumjungfert, durch die gewölbten Schiffe des orgelspielenden Waldes. ERZÄHLER (Thomas) Die Burschen haben polternde Abendträume von den bockstößigen Viehhöfen der Nacht und der fröhlichen seeräubergrölenden See. Die Kohlenstatuen der Pferde schlafen auf dem Feld und die Hunde im naßdurchschnautzen Hof … ERZÄHLER (Dorle) … die Katzen dösen in schiefen Winkeln oder springen schlau und stricheln und sticheln auf der einen einzigen Wolke der Dächer. ERZÄHLER (Ela) Du kannst den Tau fallen hören und die eingewiegte Stadt atmen. Nur deine Augen sind aufgeschlossen und sehen die schwarze gefaltete Stadt fest und gelöst im Schlaf. ERZÄHLER (Gitte) ? Und nur du allein hörst den wallfahrtend langsamen, salzig singenden Wind in der Krönungsstraße und Muschelzeile. Das Gras, das auf dem Llareggub-Berg wächst … ERZÄHLER (Thomas) … Taufall, Sternfall, den Schlaf der Vögel im Milchwald. ERZÄHLER (Anna) Horch. …

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theaterfuereinjahr 2014 - UNTER DEM MiLCHWALD von Dylan Thomas - Stand: 28.07.2014

Es ist Nacht im kalten, vierschrötigen Bethaus. Sie singt ihre Hymnen in Haube und Brosche, in Bombasinschwarz, mit Schmetterlingsbinde und Schnürsenkelschleife, hustet wie Ziegen, lutscht Pfefferminzzucker, gönnt sich ein Nickerchen … Hallelujah. ERZÄHLER (Dorle) Nacht … in der Schenkstube, still wie ein Domino. ERZÄHLER (Martina) In der Dachkammer wie eine Maus mit Handschuhen. ERZÄHLER (Babette) In der Backstube fliegt sie wie schwarzes Mehl.

Trommel ERZÄHLER (Gitte) Es ist heute … Nacht … in der Eselsstraße, sie zottelt schweigend, mit Seetang an den Hufen, über das muschelig gerillte Pflaster … ERZÄHLER (Dorle) … sie windet sich stumm und königlich durch die Kronjubiläums-Kirschbaumalle, sie geht durch den Friedhof von Bethesda und torkelt zur Seefahrerschenke. ERZÄHLER (Anna) Die Zeit vergeht. Horch … die Zeit vergeht. Komm nur her. … … …

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ERZÄHLER (Martina) Nur du kannst die Häuser schlafen hören, in der langsamen, tiefen, salzigen, schweigenden, schwarzen, bindenumhüllten Nacht. ERZÄHLER (Yvonne) Nur du kannst in den vorhangblinden Schlafzimmern die Kämme sehen, die Unterröcke über den Stuhllehnen, die Krüge und Becken, die Gläser mit den falschen Gebissen. An der Wand das … ERZÄHLER (Christine) »Du sollst nicht« ERZÄHLER (Ela) … und die vergilbenden Bitte-recht-freundlich-Bilder der Toten. ERZÄHLER (Martina) Nur du kannst hören und sehen, hinter den Augen der Schläfer … die Fahrten und Länder, Labyrinthe und Farben, Bestürzungen und Regenbogen, Melodien und Wünsche … ERZÄHLER (Thomas) … und Flug und Fall und Verzweiflung und die großen Seen ihrer Träume.

Intro: Flöten

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2. Gesang „Kapitän Cat und seine Ertrunkenen“ (Ela, Anna, Yvonne, Martina, Christian, Babette, Thomas)

ERZÄHLER (Ela) Kapitän Cat … pensionierter blinder Schiffskapitän, schläft in seiner Koje in der meermuschelig flaschenschiffflotten, tipptoppen besten Kajüte von Schonerhaus und träumt von … ERZÄHLER (Anna) … Seen, wie sie nie die Deckplanken seines Dampfers Kidwelly spülten, die quellen über die Bettücher auf und saugen ihn quallenschlüpfrig hinab, salztief in die Klabauternacht. ERZÄHLER (Yvonne) Und die Fische schwimmen beißend herbei und nagen ihn ab bis aufs Gabelbein, und die längst Ertrunkenen nuscheln sich an ihn an. WILLIAMS (Martina) Denkst noch an mich, Käptn? KAPITÄN CAT (Christian) Du bist Williams, der Tänzer! WILLIAMS (Martina) Hab in Nantucket ‘nen falschen Schritt getan. TOM-FRED (Ela) Siehst du mich Käptn? Den redenden weißen Knochen? Ich bin Tom-Fred, der Hilfsmaschinist. Wir haben mal beide dasselbe Mädel geteilt. Sie hieß …

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ROSIE PROBERT (Yvonne) Rosie Probert … Entengäßchen 33. Kommt rauf, Jungens … ich bin tot. ALFRED POMEROY JONES (Babette) Ich bin Alfred Pomeroy Jones, Zwischendecksadvokat, geboren in Mumbles, gesungen wie ’n Zeisig, tätowiert mit Seejunfrauen, durstig wie ’n Löffelbagger … BEVAN (Thomas) Sag meiner Tante … der die Kaminuhr mit den Goldarabesken versetzt hat … das war ich … ALFRED POMEROY JONES (Babette) Wie geht’s bei euch oben? TOM-FRED (Ela) Gibt’s noch Rum zu trinken und Tang zu essen? WILLIAMS (Martina) Brüste und Rotkehlchen? BEVAN (Thomas) Ziehharmonikas? WILLIAMS (Martina) Keilereinen und Zwiebeln? ALFRED POMEROY JONES (Babette) Und Spatzen und Gänseblümchen? BEVAN (Thomas) Stichlinge im Einmachglas? WILLIAMS (Martina) Babys zum Schaukeln? 7 / 56

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TOM-FRED (Ela) Wäsche an der Leine? BEVAN (Thomas) Wie sind die Tenöre? TOM-FRED (Ela) Wenn sie lacht, sieht man Grübchen? BEVAN (Thomas) Wie riecht bloß Petersilie? KAPITÄN CAT (Christian) Ach, meine Toten Lieben!

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3. Gesang „Mog und Myfanwy“ (Gitte, Babette, Dorle, Martina, Anna,)

ERZÄHLER (Gitte) Von dort, wo du bist, kannst du in der Muschelzeile in der mondlosen Frühlingsnacht Miß Price hören, Damenschneiderin und Inhaberin des Schokoladenladens, sie träumt von … ERZÄHLER (Babette) … ihrem Herzallerliebsten, der aufragt, stattlich wie der Stadtglockenturm, mit Simsons sirupgoldener Mähne, gewaltigen Lenden und siedeheiß … ERZÄHLER (Dorle) … mit Donnerkeilbaß und muschelbewachsener Brust, mit Augen wie Lötlampen peitscht er die Herzmuscheln auf und schwebt nieder und streicht dicht über ihren einsam liegenden, wärmflaschenliebenden Leib … MOG EDWARDS (Martina) Myfanwy Price! MYFANWY PRICE (Anna) Mr. Mog Edwards! MOG EDWARDS (Martina) Ein Tuchhändler bin ich, und liebestoll! Ich liebe dich mehr als alles Flanell oder Kaliko, Steppfutter, Barchent, Drell und Merino, Rohseide, Kretonne, Krepp, Musselin, Popelin, Drilch und Zwilch in der ganzen Tuchmarkthalle der Welt. … 9 / 56

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Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen, fort von hier, in meinen Basar am Berghang, wo das Wechselgeld durch die Rohrpost flutscht. Wirf deine kleinen Bettsocken weg und deine walisische Wollstrickjacke! Ich will dir selber die Bettücher heizen wie ein elektrischer Toaströster. Ich will dir zur Seite liegen, heiß wie der Sonntagsbraten. MYFANWY PRICE (Anna) Und ich will dir eine Brieftasche sticken, vergißmeinnichtblau, daß das Geld sich drin wohlfühlt. Ich will dein Herz am Feuer aufwärmen, daß du es unters Leibchen schieben kannst, nach Ladenschluß. MOG EDWARDS (Martina) Myfanwy … Myfanwy … bevor noch die Mäuse an deiner Hamstertasche nagen, sollst du mir sagen … MYFANWY PRICE (Anna) Ja, Mog! … ja, Mog! … ja … ja … ja … ! MOG EDWARDS (Martina) Und alle Glocken von allen Ladenkassen der Stadt sollen zu unserer Hochzeit läuten.

Trommel

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4. Gesang „Pfuideifel“ (Dorle, Babette, Christian, Gitte, Martina, Yvonne, Anna, Ela, Paul, Uli)

ERZÄHLER (Dorle) Komm … hinauf durch die wehende meerfinstere Straße, nun … in der dunklen Nacht, auf dem Weg, der sich auf- und abbewegt wie die See, zur bibelschwarzen, luftlosen Bodenkammer über dem Laden von Jack Black, dem Schuster. ERZÄHLER (Babette) Dort liegt einsam und ingrimmig Jack Black und schläft im Nachthemd, das er sich mit Gummi an die Knöchel gebunden hat, und träumt. ERZÄHLER (Christian) Er verjagt die unanständigen Pärchen aus dem grasgrünen, johannisbeerstrauchelnden Doppelbett des Waldes und geißelt die Saufbolde und vertreibt die bloßen, losen, schamlosen Mädchen aus den Fünfgroschentänzen seiner schweren Träume. JACK BLACK langsam leiser werdend (Gitte) Pfuideifel! …pfuideifel! …pfuideifel! …pfuideifel! …pfuideifel! ERZÄHLER (Babette) Polizeiwachtmeister Attila Rees plumpst aus dem Bett, blind für die Finsternis, immer noch schnarchend wie ein Nebelhorn, und zieht seinen Helm unter dem Bett hervor. ERZÄHLER (Martina) Aber tief in einem Verschlag im Hinterhof seines Schlafes flüstert eine nörgelnde Stimme … ERZÄHLER (Yvonne) … das wird dir aber morgen früh leid tun! 11 / 56

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ERZÄHLER (Babette) Und er hievt sich mit einem Ho-ruck zurück ins Bett. Sein Helm schwappt in der Finsternis … ERZÄHLER (Gitte) und schwappt … schwappt … schwappt … schwappt … schwappt … ERZÄHLER (Dorle) In dem kleinen rosaäugigen Häuschen neben Evans Leichenbestatter liegen allein die hundertundzehn schnarchenden sanften Kilogramm von Mr. Waldo, Kaninchenfänger, Barbier, Kräuterarzt, Katzendoktor, Quacksalber. ERZÄHLER (Anna) Seine fetten, rosigen Hände ruhen, Teller nach oben, auf der bunten Flickendecke. Die schwarzen Stiefel stehen nett und säuberlich im Waschbecken, der Melonenhut hängt am Nagel über dem Bett. ERZÄHLER (Ela) Unter dem Kopfkissen ein Vollbier und eine Scheibe kalter Brotpudding … und triefend in der Dunkelheit träumt er … MATTIE RICHARDS (Yvonne) Dieses kleine Schweinchen ging zu Markte … dieses kleine Schweinchen blieb daheim … dieses kleine Schweinchen aß Roastbeef … und dieses kleine Schweinchen hatte keins … und dieses kleine Schweinchen ging den ganzen langen Weg heim zu … MRS. WALDO (Gitte) Waldo … Wal…do! MR. WALDO (Christian) Ja, Blodwen … mein Lieb?

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MRS. WALDO (Gitte) Du meine Güte … was werden bloß die Nachbarinnen sagen … NACHBARINNEN Arme Mrs. Waldo … Und jeden Sonnabend … (Yvonne) Und treibt es immerzu … Oben im Steinbruch … (Ela) Ach mir blutet das Herz … Und hat ihre Nähmaschine verkauft … (Martina) Immer betrunken … Fällt in die Gosse … (Dorle) Redet mit der Laterne … Singt laut auf dem Lokus … (Babette) Arme Mrs. Waldo … Man müßte ihn ohne Abendbrot zu Bett schicken … (Anna) ROY (Paul) Gib mir einen Kuß, Matti Richards. MATTI RICHARDS (Yvonne) Gib mir ’n Penny dafür. MR. WALDO (Christian) Ich hab nur ’n halben Penny. MAE ROSE COTTAGE (Yvonne) Lippen kosten ’n Penny. ELI JENKINS (Uli) Willst du also diese Jungfrau Mae Rose Cottage … MRS. WALDO (Gitte) … Blodwen Bowen ELI JENKINS (Uli) … heimführen als dein entsetzlich angetrautes Eheweib?

Trommel ROY (Paul) Nein … nein … nein …

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5. Gesang „Ogmore-Pritchard“ (Yvonne, Thomas, Babette, Christine, Elvira, Ela)

ERZÄHLER (Yvonne) Nun schläft Mrs. Ogmore-Pritchard in ihrem eisbergweißen heilig gewaschenen Krinolinennachthemd unter tugendhaft arktischen Bettüchern im geputzten und geleckten stäubchenlosen Schlafgemach in ihrem blitzblanken „Haus Seeblick“ … ERZÄHLER (Thomas) Pansion für zahlende Gäste am oberen Ende der Stadt. ERZÄHLER (Babette) Mrs. Ogmore-Pritchard, zweimal verwitwet, nach Mr. Ogmore … Linoleum im Ruhestand … und nach Mr. Pritchard, verkrachtem Toto-Buchmacher, der … ERZÄHLER (Thomas) … zum Wahnsinn getrieben durch Fegen, Scheuern und Schrubben, durch die Stimme des Staubsaugers und den Duft der Bodenwichse … ERZÄHLER (Yvonne) ? … ironischerweise ein Desinfektionsmittel trank. ERZÄHLER (Babette) ? Mrs. Ogmore-Pritchard also … zappelt in ihrem keimfreien Schlaf, wacht im Traum auf und stößt beide in die Rippen, den toten Mr. Ogmore … den toten Mr. Pritchard … gespenstisch … zu ihrer Rechten und Linken. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Mr. Ogmore! … Mr. Pritchard! … Es ist Zeit, daß ihr euren Balsam inhaliert!

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MR. OGMORE und MR. PRITCHARD gleichzeitig Ach … Mrs. Ogmore … (Elvira) Ach … Mrs. Pritchard … (Ela) MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Bald wird es Zeit sein, daß ihr aufsteht. Zählt eure Aufgaben auf … der Reihe nach. MR. OGMORE (Elvira) Ich muß meinen Pyjama ins Schubfach legen … auf dem steht: Pyjamas MR. PRITCHARD (Ela) Ich muß mein kaltes Bad nehmen … das gut für mich ist. MR. OGMORE (Elvira) Ich muß mein Katzenfell tragen … gegen Ischias. MR. PRITCHARD (Ela) Ich muß mich hinter dem Vorhang anziehen … und meine Schürze umbinden. MR. OGMORE (Elvira) Ich muß mir die Nase schnauben … MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Im Garten … gefälligst! MR. OGMORE (Elvira) … in ein Stück Seidenpapier … das ich nachher verbrenne. MR. PRITCHARD (Ela) Ich muß mein Salz einnehmen … das kommt der Natur zu Hilfe. MR. OGMORE (Elvira) Ich muß das Trinkwasser abkochen … wegen der Bazillen. MR. PRITCHARD (Ela) Ich darf eine Pfeife Asthmamischung rauchen …

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MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Im Schuppen … gefälligst! MR. PRITCHARD (Ela) … und den Kanarienvogel mit Insektenpulver einstäuben. MR. OGMORE (Elvira) Und die Jalousien abstauben und hochziehen. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Und bevor du die Sonne einläßt … sieh zu, daß sie sich die Schuhe abputzt!

Harfe (1) stürmisch, verzweifelt, 1:00

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6. Gesang „Die anderen Schläfer“ (Christine, Ela, Elvira, Thomas ,Babette, Anna, Dorle, Yvonne, Uli, Dorothee, Angela, Christian, Gitte)

ERZÄHLER (Christine) Nun sieh hinter den Augen und Geheimnissen der Träumer, in den Straßen, die die See in den Schlaf gewiegt hat, die … ERZÄHLER (Ela) … Leckerbissen und Kuddelmuddel, Kringel und Knöpfe, Gebäck und Gebein, Asche, Schorf, Schuppen und abgeschnittene Nägel, Speichel und Schneeflocken und gemauserte Federn von Träumen. ERZÄHLER (Elvira) Die Wracks und Sprotten und Muscheln und Fischgräten, Walfischtran und Mondschein und Kabeljau. ERZÄHLER (Thomas) Bei Metzger Beynons liegt tief im Traum die Tochter … Gossamer Beynon … Schullehrerin, räkelt sich zierlich unter einem flatternden Federbett aus Hühnerfedern, in einem Schlachthaus, das Zitzvorhänge hat. ERZÄHLER (Babette) Und findet … ohne zu staunen … in einer Papiertüte einen kleinen fix und fertigen Mann mit buschigem Schweif … der ihr zuzwinkert. GOSSAMER BEYNON (Anna) Endlich … Geliebter … ERZÄHLER (Dorle) … seufzt Gossamer Beynon. Und der buschige Schweif wedelt derb und fuchsrot. 17 / 56

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ERZÄHLER (Thomas) In der Krönungsstraße … die nur du allein sehen kannst, weil sonst alle schlafen … unter dem Bethaus in den Himmeln, dreht sich Ehrwürden Eli Jenkins … Dichter und Prediger … im tiefen Morgendämmertraum auf die andere Seite … ERZÄHLER (Yvonne) … und deklariert weiter in seinem fleckigen Druidennachthemd verschlungene Reime im großen Bierzelt … das schwarz ist von geistlichen Herren. ELI JENKINS (Uli) Neben Bergen, in denen altersgrau König Artus liegt, schlafgebannt, ist der Llareggub-Berg nur ein Maulwurfshügel, ein Zwerg in der Riesen Land. ERZÄHLER (Thomas) Willy Nilly, der Briefträger, schläft am oberen Ende der Eselstaße und geht wie jeden Tag seiner Nächte seine zwanzig Kilometer die Briefe austragen … dabei klopft er an jeder Haustür … auch bei Mrs. Willy Nilly an … daß es kracht. MRS. WILLY NILLY (Ela) Bitte, bitte nicht schlagen, Herr Lehrer … ERZÄHLER (Dorle) … jammert seine Frau neben ihm … aber noch jede Nacht ihrer Ehe ist sie zu spät in die Schule gekommen. ERZÄHLER (Dorothee) Ein Kobold kriegt Lilly Smalls im Waschhaus zu fassen. LILLY SMALLS (Angela) Autsch, du alter Kobold! 18 / 56

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ERZÄHLER (Elvira) Und die Tierschutzinspektoren fliegen hinab in Frau Metzger Beynons Traum, um Mr. Beynon gerichtlich zu verfolgen … denn er verkauft … METZGER BEYNON (Christian) Eulenfleisch, Hundeaugen, Menschenrippchen … ERZÄHLER (Thomas) Mr. Beynon selbst rast in seinem Traum auf einem Schweinerücken und mit blutiger Metzgerschürze die Muschelzeile hinunter … einen Finger im Mund … aber nicht seinen eigenen. ERZÄHLER (Babette) Am Meerende der Stadt, eingehüllt in ein Fell von Schlaf, seufzt Polly Garter vor dem nahen Morgengrauen und träumt von … POLY GARTER (Gitte) hahhh … Babys … ERZÄHLER (Dorle) Mr. Pugh, der Schullehrer, schläft viele Faden tief und stellt sich im Schlaf schlafend, schielt füchsisch aus dem Augenwinkel unter dem Rand seiner Nachtmütze hervor und zischt … pssst … MR. PUGH (Babette) … Mord! ERZÄHLER (Anna) … und Mrs. Orgel-Morgan, Ladeninhaberin, zusammengerollt und grau wie ein Murmeltier, mit den Pfoten an den Ohren, erträumt sich … MRS. ORGEL-MORGAN (Christine) … Stille. 19 / 56

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ERZÄHLER (Dorle) … wohllautend schläft sie in einem Nest aus Wolle, und der trompetende Orgel-Morgan an ihrer Seite schnarcht nicht lauter als eine Spinne. ERZÄHLER (Ela) Ein Käuzchen fliegt heim, an Bethesda vorbei, in sein Bethaus in einer Eiche. ERZÄHLER (Christine) Und das Morgengrau kriecht herauf. ERZÄHLER (Thomas) Ein Hund bellt im Schlaf … viele Farmhöfe weit. (Hund*: Yvonne) Im erwachenden Dunst schlägt die Stadt Wellenkräusel, wie ein See. * ein Mal kräftig und tief, dann lange jaulend ausklingen lassen

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7. Gesang „Morgenandacht“ (Uli, Christian, Anna, Thomas)

ERZÄHLER (Uli) Nun erhellt sich das Himmelreich über unserem grünen Hügel zu einem Frühlingsmorgen, durchschmettert von Lerchen, durchkräht und von Glocken durchläutet. ERZÄHLER (Christian) Wer anders zieht an dem Strang der Rathausglocke als der blinde Kapitän Cat? Einer nach dem anderen werden die Schläfer aus dem Schlaf geläutet, an diesem Morgen wie jeden Morgen. Und bald wirst du den langsam hochfliegenden Kräuselschnee der Schornsteine sehen, nun da Kapitän Cat in Matrosenmütze und Seestiefeln und mit seiner lauten Raus-aus-dem-Bett-Glocke den heutigen Tag verkündet. ERZÄHLER (Uli) Ehrwürden Eli Jenkins im Bethesda-Haus tappt sich aus dem Bett und in seinen schwarzen Predigerrock, kämmt sein weißes Bardenhaar zurück, vergißt sich zu waschen, stapft barfuß die Treppen hinunter, öffnet die Haustür. ERZÄHLER (Anna) Und wie er hinausblickt auf den neuen Tag und hinauf zum ewigen Berg, und das Meer branden hört und die Vögel kreischen, fallen ihm seine eigenen Verse ein.

Harfe (2) dezent, wehmütig 3:00

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ERZÄHLER (Thomas) Und er deklamiert sie leise der leeren Krönungsstraße vor, die aufsteht und ihre Jalousien hochzieht. ELI JENKINS (Uli) Geliebtes Wales, ich weiß, du hast weit schönere Städte als meine und höhere Berge in Wolkenlast und blumenreichere Haine. … Unser Milchwald ist nur eine winziger Hain, von ganz anderem künden die Sänger, doch dürfte ich wählen, so wollt ich mein ganzes Leben und länger unter unseren Bäumen wandeln im Hag und durch unsere Gäßchen und Gassen, dem Fluß Dewi lauschen den ganzen Tag und nie unsere Stadt verlassen. ERZÄHLER (Anna) Ehrwürden Eli Jenkins macht die Haustüre wieder zu. Seine Morgenandacht ist zu Ende.

Trommel

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8. Gesang „Lily Smalls“ (Thomas, Angela, Gitte)

ERZÄHLER (Thomas) Nun, endlich aufgeweckt von der Raus-aus-dem-Bett-du-Schlafmütze-setz-das-Wasser-auf … Rathausglocke, kommt Lily Smalls, Mr. Beynons Perle, die Treppe herunter, mitten aus ihrem Koboldtraum, stellt den Kessel auf den Spirituskocher, sieht sich in Mr. Beynons Rasierspiegel über dem Ausguß an und erblickt … LILY SMALLS spricht mit sich selber im „Dialog“ (Angela) Was für eine Visage! Wo hast du dein Haar her? Von einem alten Kater. Gibs zurück, Schatz! Woher die Nase? Dummchen … von meinem Vater! Hast sie aber verkehrt an, was für eine Gurke! Da grinst du noch, Lil? Geht dich nichts an, sei still. Dich liebt niemand! Gib schon Ruh! Und glaubst vielleicht, du? Wer solls denn sein? Sag ich nicht. Geh … sag doch, Lily. Großes Ehrenwort also? Großes Ehrenwort. … … … … …

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ERZÄHLER (Thomas) zuerst flüsternd Und ganz leise, daß ihre Lippen fast ihr Spiegelbild berühren, dann wieder laut haucht sie den Namen … und der Rasierspiegel wird trüb. MRS. BEYNON (Gitte) Lily?! LILY SMALLS (Angela) Jawohl … Ma’am! MRS. BEYNON (Gitte) Wo bleibt denn mein Tee, Mädel? LILY SMALLS (Angela) leise Wo glauben Sie? In der Katzenkiste? laut Kommt schon rauf, Ma’am!

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9. Gesang „Mr. und Mrs. Pugh“ (Christine, Babette, Dorle, Dorothee, Thomas, Gitte, Ela)

ERZÄHLER (Christine) Mr Pugh im Schulhaus gegenüber trägt Mrs. Pugh den Frühstückstee hinauf und flüstert auf der Treppe. MR. PUGH (Babette) leise Da ist dein Arsen, meine Liebe… Und deine Kekse mit Unkrautvertilger … Ich habe deinen Sittich erdrosselt … Ich habe in die Vasen gespuckt … Ich habe Käse in die Mauselöcher getan … Da ist dein … laut … guter Frühstückstee, meine Liebe! MRS. PUGH (Dorle) Zuviel Zucker. MR. PUGH (Babette) Du hast noch gar nicht gekostet, meine Liebe. MRS. PUGH (Dorle) Also dann zuviel Milch! Hat Mr. Jenkins schon sein Gedicht aufgesagt? MR. PUGH (Babette) Ja, meine Liebe. MRS. PUGH (Dorle) Dann ist es Zeit aufzustehen. Gib mir die Brille … Nein … nicht die Lesebrille. Ich will hinaussehen. ich will sehen, wie … 25 / 56

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ERZÄHLER (Dorothee) … sehen, wie Lily Smalls, die Perle, unten auf der Straße auf ihren roten Knien die Stufe vor der Haustüre schrubbt. MRS. PUGH (Dorle) Sie hat sich das Kleid in den Schlüpfer gestopft … nein, so eine Schlampe! ERZÄHLER (Thomas) … wie Polizeiwachtmeister Attila Rees, der breit wie ein Ochse, in wahren Flußkähnen von Stiefeln aus der Tür vom Handschellenhaus gestapft kommt, beefsteakrot und schwer aufgebracht, mit schwarz zusammengezogenen Brauen unter dem feuchten Helm … MRS. PUGH (Dorle) Ich sage dir, der geht jetzt sicher Polly Garter verhaften. POLLY GARTER (Gitte) Nichts wächst in unserem Garten … bloß Wäsche … und Babies. MRS. PUGH (Dorle) Weil sie immer Babys kriegt. ERZÄHLER (Thomas) … und hinunterpoltert zum Strand, um nachzusehen, ob die See noch da ist. ERZÄHLER (Ela) Und Orgel-Morgan, der auf dem Sims seines Schlafzimmerfensters Orgelakkorde für die frühmorgendlichen Fischweibermöwen spielt, die über der Eselstraße kreischen.

Trommel, die in Harfe (3) übergeht, geschäftig, gehässig, 0:30 26 / 56

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10. Gesang „Bratpfannen und Kessel“ (Dorle, Christine, Christian, Anna, Ela, Elvira, Uli, Thomas, Angela, Gitte)

ERZÄHLER (Dorle) Nun spucken Bratpfannen und Kessel, und Katzen schnurren in der Küche. Die ganze Stadt riecht nach Seetang und Frühstück. ERZÄHLER (Christine) Von oben, von Haus Seeblick, wo Mrs. Ogmore-Pritchard in Ärmelschürze und Turban, besenbewehrt … zum Kampfe gegen den Staub, an ihrem stärkelosen Brot knabbert und Zitronenschalentee nippt … ERZÄHLER (Christian) … bis hinunter zur unteren Hütte, wo Mr. Waldo in Melonenhut und Sabberlatz seine Bücklinge mit Hoppelpoppel hinunterschlingt und dazu scharfe Soße aus der Flasche schlürft. ERZÄHLER (Anna) Mrs. Willy Nilly, die Frau des Briefträgers, voll von Tee bis zu ihrem Doppelkinnrand … MRS. WILLY NILLY (Ela) … brütet schon über ihrem Nest von Kesseln auf dem zischend heißen Herd, die immer bereitstehen, die Briefe aufzudämpfen. ERZÄHLER (Elvira) Ehrwürden Eli Jenkins … ELI JENKINS (Uli) … findet einen Reim und tunkt seine Feder … in den Kakao. …

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theaterfuereinjahr 2014 - UNTER DEM MiLCHWALD von Dylan Thomas - Stand: 28.07.2014

ERZÄHLER (Thomas) Aus Metzger Beynons Haus in der Krönungsstraße stielt sich ein Duft nach gebratener Leber … ERZÄHLER (Angela) … und sein Atem riecht nach Zwiebeln. ERZÄHLER (Thomas) Im finsteren Frühstückszimmer hinter dem Laden genießen Mr. Und Mrs. Beynon … ERZÄHLER (Angela) …bedient von ihrer Perle Lily Smalls … ERZÄHLER (Thomas) …in den Pausen … ERZÄHLER (Angela) … wenn sie nicht gerade kauen … ERZÄHLER (Thomas) … ihr allmorgendliches Gekabbel. ERZÄHLER (Angela) Mrs. Beynon schiebt unter den Tischtuchfransen die knorpeligen Stücke ihrer dicken Katze zu. MRS. BEYNON (Gitte) Die Leber schmeckt ihr, Ben. MR. BEYNON (Christian) Wundert mich gar nicht, Bess … die ist doch von ihrem Bruder. MRS. BEYNON kreischt vergnügt (Gitte) Du meine Güte! Hörst du das, Lily? LILLY SMALLS (Angela) Jawohl Ma’am.

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MRS. BEYNON vergnügt (Gitte) Wir essen Mietzekatze! LILLY SMALLS (Angela) Jawohl Ma’am. MRS. BEYNON vergnügt (Gitte) Ach du Katzenschlächter, du … MR. BEYNON (Christian) Gestern hatten wir Maulwurfsbraten. MRS. BEYNON kreischt vergnügt (Gitte) Ach, Lily, Lily! MR. BEYNON (Christian) Am Montag Otter und am Dienstag Fledermäuse. LILLY SMALLS (Angela) Aber Mrs. Beynon, er ist doch der größte Lügner in der ganzen Stadt. MRS. BEYNON (Gitte) Oh … oh … Mr. Beynon lügt niemals! Nicht wahr, mein Ben? Du tust doch sowas nicht? MR. BEYNON (Christian) Nein, Bess, tu ich nicht. So, und jetzt nehm ich mir mein kleines Schlachtbeil und hol‘ mir ein paar Corgihunde. MRS. BEYNON (Gitte) Ach, Lily, Lily!

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11. Gesang „Ohren gefeigt“ (Anna, Yvonne, Thomas, Ela, Babette, Dorle)

ERZÄHLER (Anna) Überall in der Stadt werden Babies und alte Männer gewaschen, in ihre zerbrochenen Kinderwagen und Rollstühle gesetzt und hinausgeschoben auf das sonnenbeschienene, gerillte Kopfpflaster, oder hinaus in die Hinterhöfe unter die tanzende Unterwäsche, und allein gelassen. ALTER MANN (Yvonne) Ich will meine Pfeife … ERZÄHLER (Thomas) Nasen sind geputzt … Nissen gesucht … Haare gekämmt … Pfoten geschrubbt … Ohren gefeigt … und die Kinder weggekreischt in die Schule. ERZÄHLER (Ela) Heringsmöwen kreischen hinunter zum Hafen, wo die Fischer spucken, schwer an dem Morgen tragen und das glatte fischige Meer bis an sein stillblaues Ende absuchen. ERZÄHLER (Babette) Grüngoldenes Geld … Tabak … Lachskonserven … Federhüte … Tiegel mit Fischpaste … Wärme für den kommenden Winter … weben und hüpfen reich und schlüpfrig in Gestalt von blitzenden blanken Fischen … in den kalten Meerstraßen. ERZÄHLER (Ela) Aber mit blauen, faulen Augen starren die Fischer aufs milchmädchenflüsternde Wasser, auf dem keine Falte oder Welle zu sehen ist …

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FISCHER (Dorle) Zu wild heut zum Fischen … Viel zu wild … ERZÄHLER (Ela) Und sie danken Gott und spucken nach einer Möwe … denn das bringt Glück … ERZÄHLER (Dorle) … und langsam und still wie Moos machen sie sich auf den Weg, den Strand hinauf, vom stillen, stillen Meer zur Seefahrerschänke … die noch gar nicht geöffnet hat.

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12. Gesang „Stille Post“ (Yvonne, Christian, Dorothee, Christine, Dorle, Martina, Thomas)

ERZÄHLER (Yvonne) Im Postamt wird Sirup verkauft. Ein Auto fährt zu Markte, beladen mit Geflügel und einem Farmer … Milchkannen stehen an der Krönungsecke wie untersetzte silberne Polizisten … und der blinde Kapitän Cat sitzt am offenen Fenster von Schonerhaus und hört den ganzen Vormittag der Stadt.

Harfe (4.1) kurzes Motiv (wird mehrfach wiederholt, je 0:15) KAPITÄN CAT (Christian) Das ist Willy Nilly … er klopft an die Haustür von Seeblick. Wer hat denn Mrs. Ogmore-Pritchard einen Brief geschrieben? … Vorsicht … die schrubbt vor der Tür … eisglatt! Jede Stufe glitschig wie eine Stange Seife. Sie möchte am liebsten noch die Wiese im Vorgarten bohnern, damit die Vögel ausrutschen. WILLY NILLY (Dorothee) Morgen, Mrs. Ogmore-Pritchard. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Guten Morgen, Briefträger. WILLY NILLY (Dorothee) Ein Brief für sie … die bezahlte Rückantwort ist drinnen … und wissen sie, wo er herkommt … den ganzen weiten Weg von Builth Wells … von einem Herrn, der Vögel studieren will … und ob er zwei Wochen bei ihnen wohnen kann … mit Bad … Vegetarier. 32 / 56

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MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Nein! WILLY NILLY (Dorothee) Aber sie würden doch gar nicht wissen, daß sie ihn im Haus haben … Mrs. Ogmore-Pritchard. Kaum wird es Tag … wupp … wär‘ er doch weg … mit seinem Sack voller Brotkrumen und seinem kleinen Fernrohr … MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Und zu jeder Tages- und Nachtzeit kommt er dann heim … eingetunkt in Federn! In meinen ordentlichen … sauberen Zimmern möchte ich keine Menschen haben, die auf meine Stühle atmen … WILLY NILLY (Dorothee) … er wird nicht atmen … MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) … und mit ihren Füßen auf meine Teppiche treten, und auf mein Porzellan niesen, und in meinen Bettüchern schlafen … WILLY NILLY (Dorothee) Er will doch nur ein Einzelbett … Mrs. Ogmore-Pritchard!

Harfe (4.2) kurzes Motiv, 0:15 KAPITÄN CAT (Christian) Da geht sie zurück in die Küche … Kartoffeln polieren.

Harfe (4.3) kurzes Motiv, 0:15 Eins, zwei, drei, vier, fünf. Das ist Mrs. Rose Cottage … was ist denn heute? Heute kriegt sie den Brief von ihrer Schwester in Gorslas. Was machen die Zähne der Zwillinge? 33 / 56

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Sechs, sieben, acht, neun. Jetzt bleibt er vor dem Schulhaus stehen. WILLY NILLY (Dorothee) Morgen, Mrs. Pugh. Mrs. Ogmore-Pritchard will einen Herrn von Builth Wells nicht bei sich wohnen lassen … er atmet sonst auf ihre Stühle. Mrs. Rose Cottages Schwester ihre Zwillinge in Gorslas müssen sie sich ziehen lassen … MRS. PUGH (Dorle) Gib mir das Paket. WILLY NILLY (Dorothee) Das ist aber für Mr. Pugh … Mrs. Pugh … MRS. PUGH (Dorle) Das laß meine Sorge sein. Was ist drin? WILLY NILLY (Dorothee) Ein Buch: Das Leben der großen Giftmörder

Harfe (4.4) kurzes Motiv, 0:15 KAPITÄN CAT (Christian) Und das ist Manchesterhaus. WILLY NILLY (Dorothee) Morgen, Mr. Edwards … gar nicht viel Neues heut. Mrs. Ogmore-Pritchard will keine Vögel im Haus haben und Mr. Pugh hat jetzt ein Buch gekauft, wo drin steht, wie er Mrs. Pugh umbringen kann. MOG EDWARDS (Martina) Hast du einen Brief von ihr?

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WILLY NILLY (Dorothee) Miß Price liebt sie von ganzem Herzen. Heut riecht er nach Lavendel. Der Holunderwein ist beinahe zu Ende … aber die Quittenmarmelade wird gut … Vorige Woche hat sie verkauft … drei Büchsen saure Drops … ein Pfund Malzzucker … eine halbe Schachtel Gummibonbons und sechs farbige Photos von Llareggub. Ewig Dein … und dann einundzwanzig Kreuzchen. MOG EDWARDS (Martina) Ach Willy Nilly … sie ist ein Rubin! Da hast du meinen Brief … bring du ihn zu ihr … ja?!

Harfe (4.5) kurzes Motiv (Abschluß), 0:15 Ein Hahn kräht (Thomas) KAPITÄN CAT (Christian) Zu spät, Hahn … zu spät. ERZÄHLER (Yvonne) Denn die Stadt ist fertig mit ihrem Morgen. Und der Vormittag ist fleißig wie Bienen.

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13. Gesang „Das Klipp-Klapp“ (Anna, Thomas, Yvonne, Babette, Ela, Martina, Dorle)

ERZÄHLER (Anna) Nun das Klipp-klapp der Pferde auf dem Sonnenhonigpflaster der summenden Straßen … ERZÄHLER (Thomas) Hämmern von Hufen, Schlucken, Quaken und Schnattern, Zeisigzwitschern von den vogelleicht gebogenen Zweigen … ERZÄHLER (Anna) I-ah auf der Eselwiese. Brot wird gebacken, Schweine grunzen, hacke-hacke Metzger, Milchkannen läuten, Kassen klingeln, Schafe husten, Hunde schreien, Sägen singen … (Hund: Yvonne, hell und kurz, schnell ausklingend) ERZÄHLER (Babette) Frühlingswiehern und Morgenmuhen von den holzschuhtanzenden Farmen. ERZÄHLER (Ela) Möwenkreischen und Gekrächze auf dem booteschaukelnden Fluß und Meer, und die Kräuselmuscheln wie Blasen im Sand … ERZÄHLER (Thomas) … das Strandläuferstelzen, Schnepfenschreien, Krähenkrächzen, Taubengurren, Glockenschallen, Stierbrüllen, das schnick-schnackende Schnattern in der Schule, und die Frauen, die schnarren und gackeln in Mrs. Orgel-Morgans Kramladen … ERZÄHLER (Babette) der alles führt … Vanillesoße, Eimer, Henna, Rattenfallen, Garnelennetze, Zucker, Briefmarken, Konfetti, Petroleum, Äxte, Pfeifen. 36 / 56

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FRAUEN Mrs. Ogmore-Pritchard hat einen Mann in Builth Wells. (Ela) … hat Willy Nilly gesagt … (Dorle) Habt ihr Frau Metzger Beynon gesehen? (Martina) … sie hat gesagt, Metzger Bynon dreht Hunde durch den Wolf … (Yvonne) Die Fischer fahren nicht hinaus. (Babette) … zu faul sich die Nase zu putzen … (Yvonne) Alles, was sie je vom Fischen mitgebracht haben, war diese Mrs. Samuels … (Anna) … und die hat auch schon eine Woche im Wasser gelegen! (Ela) ERZÄHLER (Anna) Draußen strömt die Sonne nieder auf die holterdipolternde Stadt. Sie läuft durch die Hecken der Stachelbeergasse und stößt die Vögel … ERZÄHLER (Thomas) … daß sie singen. Der Frühling schwingt seine grüne Peitsche in der Muschelzeile.

Dans Fisel (Lied), 2:00

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14. Gesang „Meine himmlische Braut“ (Christian, Ela, Martina, Anna, Dorothee, Dorle, Uli, Babette, Christine, Yvonne)

ERZÄHLER (Christian) Und in Willy Nillys, des Briefträgers, finsterer, brodelnder, feuchter, teebeschlagener, nebelschwarzer Gnomenküche, wo die fauchenden Katzen der Kessel auf dem Herd sich lüpfen und hüpfen, dämpft Mrs Willy Nilly mit dem Kessel den Brief von Mr Mog Edwards an Miß Myfanwy Price auf … und liest ihn beim blinzelnden Schein der Frühlingssonne durch das verrammelte, tränennasse Fenster … laut Willy Nilly vor … MRS. WILLY NILLY (Ela) Von Manchesterhaus, Llareggub. Alleiniger Besitzer Mr. Mog Edwards Leinen- und Schnittwarenhändler, Herrenschneider, Kostümier. Feines Negligé, Unterwäsche, Nachmittags- und Abendkleider, Brautausstattungen, Windeln und Babywäsche. Fertigkleidung für alle Anlässe. Billige Ausstattung für landwirtschaftliche Arbeiten unsere Spezialität. Ankauf gebrauchter Kleidung. Zu unseren zufriedenen Kunden zählen geistliche Herren und Friedensrichter. Anproben nach Vereinbarung. Wöchentliche Inserate im Anzeigenteil der … MOG EDWARDS (Martina) und MYFANWY PRICE (Anna) Innigstgeliebte Myfanwy Price … meine himmlische Braut. MOG EDWARDS (Martina) Ich liebe dich, bis der Tod uns scheidet, und dann werden wir auf immer und ewig vereint sein. Ein neues Paket Bänder ist heute aus Carmathen angekommen, in allen Regenbogenfarben. Ich wünschte, ich könnte ein Band in Dein Haar binden, ein weißes … aber es kann ja nicht sein. 38 / 56

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Polly Garter hat zwei Strumpfbänder mit Rosen gekauft, aber sie hat doch nie Strümpfe an … also frage ich mich wozu? Mr. Waldo hat versucht, mir ein Frauennachthemd, Übergröße, zu verkaufen. Er sagt, er hat es gefunden … MOG EDWARDS (Martina) und MYFANWY PRICE (Anna) Mein Herz ist in deinem Busen … und deines in meinem. Gott sei immer mit dir, Myfanwy Price, und erhalte dich lieblich für mich in seinem himmlischen Hause. Ich muß jetzt schließen und bleibe ewig dein … Mog Edwards. MRS. WILLY NILLY (Ela) Dann kommt noch ein Gummistempel … auf dem steht: Kauft nur bei Mog. Drei Ausrufezeichen. ERZÄHLER (Dorothee) Und Willy Nilly stößt auf … und schlürft hinaus … in den Hinterhof … zum Holzhäuschen mit drei Sitzen … genannt das Unterhaus. ERZÄHLER (Dorle) Der Vormittag ist voller Singen … die Schulkinder haben Pause … und lärmen ausschlagend und tollend über den Schmutzfinkenhof. ERZÄHLER (Uli) Ehrwürden Eli Jenkins macht seine Morgenbesuche als Seelenhirte. Er geht am Wohlfahrtshaus vorbei, wo Polly Garter den Boden schrubbt … für den Tanz des Mütterverbandes heute abend. ERZÄHLER (Babette) Der Grillengesangsverein singt auf dem Friedhof von Bethesda … fröhlich, aber gedämpft … ERZÄHLER (Christine) Hunde bellen, bis sie blau im Gesicht sind. (Hund: Yvonne, mehrfach hell und scharf) ERZÄHLER (Yvonne) Die Stadt ist voll, wie das Ei einer verliebten Taube. 39 / 56

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15. Gesang „Bienen und Beeren“ (Martina, Christian, Ela, Dorle, Babette, Gitte, Anna, Thomas)

ERZÄHLER (Martina) Gossamer Bynon, Schullehrerin, vom Löffel des Frühlings gerührt und bebend, unterrichtet ihre Kuddelschmuddelklasse. Sie ist eine Dame, vom Scheitel bis zur Sohle … KAPITÄN CAT (Christian) Keine Dame, die ich kenne, ist Dame vom Scheitel bis zur Sohle. ERZÄHLER (Ela) Und der Vormittagsunterricht ist vorbei … und die Kinder wirbeln in die Straße hinab und die Wege hinauf nachhause. ERZÄHLER (Dorle) Gossamer Beynon stelzt … hoch zu Absatz zur Schule hinaus. Die Sonne summt nieder, durch die Baumwollblumen auf ihrem Kleid … schnurstracks in die Herzglocke, und summt im Honig dort drinnen und küßt und schmiegt sich träg liebend und trunken in ihre Brust … ERZÄHLER (Martina) … mit den roten Beeren. ERZÄHLER (Babette) Augen laufen von den Bäumen und Straßenfenstern, in deren heißem Hauch das Wort „Gossamer“ steht, und ziehen sie aus … ERZÄHLER (Martina) … bis auf die Beeren und Bienen. ERZÄHLER (Gitte) Sie lodert nackt vorbei an der Seefahrerschenke … die einzige Frau auf dem Adamsapfel des Erdballs. 40 / 56

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ERZÄHLER (Ela) Die Männer legen ihre andächtig ziegenbärtigen Hände auf ihre Lenden, die immer noch taufeucht sind … vom ersten Hahnenschreigarten, wo Manna und Männertreu wachsen. GOSSAMER BEYNON (Anna) Und wenn er auch gewöhnlich ist … das macht mir gar nichts aus. ERZÄHLER (Thomas) … flüstert sie dem weltmutter-splitternackten, starkknochigen evahüftigen Springbrunnen ihres Ich zu. ERZÄHLER (Ela) Sie fühlt, wie sein Geißbockbart sie in der Mitte der Welt kitzelt … wie eine Strähne von drahtigem Feuer. GOSSAMER BEYNON (Anna) Ich will ihn auffressen … mit Stumpf und Stiel … und wenn er auch Dialekt spricht. ERZÄHLER (Dorle) Die Männer sehen sie vorbeigehen, sittsam und stolz und ganz Lehrerin, in ihrem gestärkten geblümten Kleid, im Schatten ihres Hutes … ERZÄHLER (Christian) … und ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen oder sich zu wiegen und zu schlenkern. ERZÄHLER (Thomas) Des Metzgers nie schmelzende Eisjungfrauentochter, auf immer verschleiert vor den hungrigen Umarmungen der Adamsaugen.

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16. Gesang „Giftküche“ (Anna, Thomas, Dorle, Babette, Ela, Christian)

ERZÄHLER (Anna) Im jalousienblinden, dunkel verhangenen Eßzimmer des Schulhauses, das staubt und hallt wie ein Eßzimmer in einer Gruft, schweigen Mr. und Mrs. Pugh über ihrem zerlaufenen Auflauf aus kaltem grauem Fleisch. ERZÄHLER (Thomas) Mr. Pugh gabelt einen leblosen Bissen auf und ließt dabei: Das Leben der großen Giftmörder Er hat das Buch in undurchsichtiges braunes Packpapier eingeschlagen. Manche Absätze unterstreicht er und lächelt dabei still vor sich hin. MRS. PUGH (Dorle) Leute mit Kinderstube lesen nicht bei Tische … ERZÄHLER (Anna) … sagt Mrs. Pugh. Sie schluckt eine Verdauungstablette, so groß wie eine Pferdepille, und trinkt trübes Erbsensuppenwasser nach. MRS. PUGH (Dorle) Manche Leute sind in Schweineställen aufgewachsen. MR. PUGH (Babette) Schweine können nicht lesen, meine Liebe. ERZÄHLER (Ela) Allein im zischenden Laboratorium seiner Wünsche, schleicht Mr. Pugh zwischen argen Bottichen und Retorten umher, geht auf Zehenspitzen durch Dickichte von mörderischen Kräutern. ERZÄHLER (Thomas) Todeskrämpfe tanzen in seinen Schmelztiegeln. 42 / 56

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ERZÄHLER (Anna) Und er mischt eigens für Mrs. Pugh einen giftigen Haferbrei, unbekannt allen Gerichtsmedizinern … der wird durch ihre Adern sengen und schlangen … ihre Ohren fallen ab wie Feigen, ihre Zehen schwellen wie schwarze Ballons, und Dampf sprüht pfeifend aus ihrem Nabel. MRS. PUGH (Dorle) Was ist das für ein Buch neben deinem Trog, Pugh? MR. PUGH (Babette) Ein theologisches Werk, meine Liebe: Das Leben der großen Heiligen ERZÄHLER (Christian) Mrs. Pugh lächelt. Ein Eiszapfen entsteht in der kalten Luft der Eßgruft. Und blitzschnell ändert Mr. Pugh sein Rezept. ERZÄHLER (Ela) In einem Zischen und blausauren Kreis von Kesseln und Phiolen, randvoll von Pocken und schwarzem Tod, kocht er nun ein Ragout aus tödlichem Nachtschatten, Nikotin, heißen Kröten, Zyankali und Fledermausspeichel für seine stichelnde Tropfsteinhexe von schürhakenbuckligem Bettdrachen und Nußknackerweib.

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17. Gesang „Mae Rose Cottage“ (Babette, Christian, Yvonne, Martina)

ERZÄHLER (Babette) ? Der Nachmittag summt wie träge Bienen rund um die Blumen, die rund um Mae Rose Cottage blühen. ERZÄHLER (Christian) Sie liegt halbschlafend im Feld, wo die Ziegen brummen und sachte die Sonne mit Hörnern stoßen … und bläst ihre Liebe auf eine Pusteblume. MAE ROSE COTTAGE (Yvonne) Er liebt mich … Er liebt mich nicht … Er liebt mich … Er liebt mich nicht … Er liebt mich … der alte Schweinehund. ERZÄHLER (Martina) Ho, ho … Träge liegt sie allein in Wicken und Klee. MAE ROSE COTTAGE (Yvonne) Ich bin leichtfertig … ich bin ein schlechtes Ding … ich komm in die Hölle … ERZÄHLER (Christian) … erzählt sie den Ziegen, hört, wie sie käuen und meckern … und malt sich mit dem Lippenstift Kreise auf ihre Brüste. ERZÄHLER (Babette) ? Sie liegt im Klee, ganz tief, und wartet auf das Schlimmste.

Harfe (5) ausschweifend, jung 4:00

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18. Gesang „Rosie“ (Gitte, Dorle, Babette, Yvonne, Christian, Ela, Thomas, Janne)

ERZÄHLER (Gitte) ? Gähnend geht der sonnige, langsam lullende Nachmittag durch die nickende Stadt. Die See leckt und läppert und flutet träge … mit schlafenden Fischen in ihrem Schoß. ERZÄHLER (Dorle) Die Weiden sind still wie Sonntag. ERZÄHLER (Babette) Die Stiere mit geschlossenen Augen und Troddeln halten wohlig und ruhig ihr Schläfchen. Die stummen Ententeiche dösen. Wolken senken sich als weiche Kissen auf den Llareggub-Berg. ERZÄHLER (Yvonne) Kapitän Cat, an seinem Fenster, das weit offen steht für die Sonne und die Segelschiffe, ist auf großer Schlummerfahrt. Schlingernd und mit Ringen in den Ohren … und mit den Worten … KAPITÄN CAT (Christian) Ich liebe dich, Rosie Probert … ERZÄHLER (Yvonne) … auf den Bauch tätowiert, rauft er im Rauch und Babel der dunklen Hafenkneipen. ERZÄHLER (Ela) Eine Stimme … vor allen … steigt auf, wenn seine Traumeimer tiefer schöpfen. Die träge frühe Rosie mit dem flachsblonden Strohdach, die er mit Tom-Fred, dem Hilfsmaschinisten, und manch anderem Seemann geteilt hat, denn Mrs. Probert … 45 / 56

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ROSIE PROBERT (Yvonne) … aus dem Entengäßchen, Jack … ERZÄHLER (Ela) … ist die einzige Liebe seines Seelebens. ROSIE PROBERT (Yvonne) … mußt zweimal quaken, und nach mir fragen. ERZÄHLER (Thomas) … das sardinenvoll von Frauen war. ROSIE PROBERT (Yvonne) Klopf zweimal, Jack, an die Tür von meinem Grab, und frag nach Rosie. KAPITÄN CAT (Christian) Rosie Probert. ROSIE PROBERT (Yvonne) Denk an sie … sie vergißt … die Erde, die ihren Mund füllt, entschwindet ihr. Ich habe dich vergessen. MÄDCHEN (Janne) Guck … ERZÄHLER (Thomas) … sagt ein kleines Mädchen zu ihrer Mutter, mit der sie am Fenster von Schonerhaus vorüberkommt. MÄDCHEN (Janne) … Kapitän Cat weint … er hat eine Nase wie Erdbeeren. ERZÄHLER (Ela) Und dann vergißt auch sie ihn.

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19. Gesang „Gwennie und die Jungs“ (Thomas, Janne, Aurelia, Paul)

ERZÄHLER (Thomas) Das kleine Mädchen hat die Hand der Mutter losgelassen und ist hinüber gelaufen zu den anderen Kindern. Und Kapitän Cat an seiner Schonerstückpforte, die weit offen steht für das abebbende Frühlings-Sonnen-Nachmittags-Licht, hört die schlimmen Kinder mit ihrem Liebespfänderspiel auf dem Kopfpflaster klappern und reimen. Mädchen lärmen

MÄDCHEN klatschen (Janne) Jungen, Jungen, seid froh! Küßt Gwennie, sie sagt euch wo. Oder gebt ihr einen Penny … Fang an, Gwennie. GWENNIE (Aurelia) Küß mich bei der Tenne, oder gib mir einen Penny. Sag deinen Namen. ROY (Paul) Roy. GWENNIE (Aurelia) Küß mich bei der Tenne, Roy. Oder gib mir einen Penny, Boy. ROY (Paul) Gwennie, Gwennie, ich küß dich bei der Tenne, jetzt schuld ich dir keinen Penny. 47 / 56

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MÄDCHEN klatschen (Janne) Jungen, Jungen, seid froh! Küßt Gwennie, sie sagt euch wo. Oder gebt ihr einen Penny … Mach weiter, Gwennie. GWENNIE (Aurelia) Küß mich auf dem Llareggub-Berg, oder gib mir einen Penny. Sag deinen Namen. JOHNNIE CHRISTO (Paul) Johnnie Christo. GWENNIE (Aurelia) Küß mich auf dem Llareggub-Berg, Johnnie Christo. Oder gib mir einen Penny, Mister. JOHNNIE CHRISTO (Paul) Gwennie, Gwennie, ich küß dich auf dem Llareggub-Berg, jetzt schuld ich dir keinen Penny. MÄDCHEN klatschen (Janne) Jungen, Jungen, seid froh! Küßt Gwennie, sie sagt euch wo. Oder gebt ihr einen Penny … Mach weiter, Gwennie. GWENNIE (Aurelia) Küß mich im Milchwald, oder gib mir einen Penny. Sag deinen Namen. DICKY BELL (Paul) Dicky Bell.

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GWENNIE (Aurelia) Küß mich im Milchwald, Dicky Bell. Oder gib mir einen Penny, schnell. DICKY BELL (Paul) Gwennie, Gwennie, ich kann dich im Milchwald nicht küssen! MÄDCHEN (Janne) Gwennie, frag ihn, warum nicht. GWENNIE (Aurelia) Warum nicht? DICKY BELL (Paul) Weil meine Mutter sagt, ich darf nicht! MÄDCHEN (Janne) Feigling!

Geschrei, Trommel ERZÄHLER (Thomas) Und er plärrt davon … den Hügel hinunter, und verliert seine geflickte Hose, und sein tränenfleckiges Hochrot brennt den ganzen Weg entlang, denn die siegesjohlenden Schwestern … kreischen wie die Krähen mit Knöpfen in den Krallen, und ihre Rabenbrüder … schreien ihm seinen Kleinkinderspitznamen nach und seiner Mutter Schande und seines Vaters böses Treiben … mit den losen wilden barfüßigen Weibern von den niedrigen Hütten hoch in den Bergen, und er heult nach seiner Milchmutti … nach ihrer Buttermilch und ihrem Porree und Kuhgeruch und Waliser Kuchen, und dem dicken geburtenduftenden Bett … und der mondhellen Küche ihrer Arme. Und er wird es niemals vergessen, wie er nun tränenblind heimwatet … durchs weinende Ende der Welt.

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20. Gesang „Milchzeug“ (Thomas, Babette, Yvonne, Christian, Dorle)

ERZÄHLER (Thomas) Farmer Watkins auf der Salzseefarm haßt sein Vieh auf dem Hügel, das er jetzt mit Hott und Hüh hinuntertreibt zum Melken. FARMER WATKINS (Babette) Verdammt sollt ihr sein, ihr verdammtes Milchzeug! ERZÄHLER (Thomas) Eine Kuh küßt ihn. FARMER WATKINS (Babette) Beiß sie tot … (Hund: Yvonne, ein Mal hell und kurz jaulend) ERZÄHLER (Thomas) … brüllt er seinem alten tauben Hund zu, der lächelt und ihm die Hände leckt. FARMER WATKINS (Babette) Spieß ihn auf … setz dich auf ihn, Daisy … ERZÄHLER (Christian) … fährt er die Kuh an, die ihn mit ihrer Zuge aufgerauht hat, und sie muht zarte Worte, während er tobend unter seinen sommeratmenden Sklaven umherrast, die sachte der Farm zuschreiten. ERZÄHLER (Dorle) Das nahe Ende des Frühlingstages spiegelt sich schon in den tiefen Teichen ihrer großen Augen.

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21. Gesang „Dämmerung“ (Anna, Christine, Christian, Ela, Elvira, Thomas, Yvonne, Uli)

ERZÄHLER (Anna) Nun dämmert die Stadt. Jeder Pflasterstein, jeder Esel, jede Gänse- und Gänseblümchengasse ist ein Torweg für das Abendgrau. ERZÄHLER (Christine) Für den feierlichen Staub und den ersten dunkelnden Schnee der Nacht. Mrs. Ogmore-Pritchard verrammelt beim ersten Niederrieseln des Dämmerns alle Türen ihres Hauses Seeblick, zieht die keimfreien Vorhänge vor, setzt sich steif wie ein trockener Traum auf einen gesundheitsfördernden Stuhl mit hoher Lehne und … stellt sich energisch darauf ein, kühl und schnell einzuschlafen. ERZÄHLER (Christian) Und auf einmal … zweimal … kommen Mr. Ogmore und Mr. Pritchard, die den ganzen toten Tag lang nach Geisterart im Holzverschlag geflüstert und gespukt und die lieblose Vernichtung ihrer peinlichen, reinlichen Witwe geplant haben, widerwillig und seufzend zurück in das geputzte Haus. MR. PRITCHARD (Ela) Nach ihnen, Mr. Ogmore MR. OGMORE (Elvira) Nach ihnen, Mr. Pritchard MR. PRITCHARD (Ela) Nein, nein, Mr. Ogmore, sie haben sie doch als erster zu ihrer Witwe gemacht. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Ach, ihr Gatten … 51 / 56

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ERZÄHLER (Thomas) … seufzt Mrs. Ogmore-Pritchard im Schlaf. In ihrer Stimme liegt saure Liebe für einen der beiden schlotternden Schatten. Mr. Ogmore hofft, daß nicht er gemeint ist. Mr. Pritchard hofft das gleiche. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Ich liebe euch beide … bald wird es Zeit sein, daß ihr zu Bett geht. Zählt eure Aufgaben auf … der Reihe nach. MR. OGMORE und MR. PRITCHARD (Elvira / Ela) Wir müssen unsere Pyjamas aus dem Schubfach nehmen, auf dem steht Pyjamas, und müssen sie anziehen. MRS. OGMORE-PRITCHARD (Christine) Und dann … müßt ihr sie wieder aus … ziehen. ERZÄHLER (Yvonne) In der Tür von Bethesdahaus rezitiert Ehrwürden Eli Jenkins dem Llareggub-Berg sein Abendgedicht.

Harfe (6) begleitend, lyrisch, verträumt, 3:00 ELI JENKINS (Uli) Wenn ich erwache an jedem Tage, lieber Gott, ein kleines Gebet ich sage, daß vor deinem Auge Gnade erwerben alle armen Geschöpfe, die da leben und sterben. … … Unsre Stadt, die hier unterm Milchwald ruht, die ist nicht ganz schlecht, und auch nicht ganz gut. Und du, oh Herr, ich weiß, bist der erste, der es leicht für uns macht, und nicht prüft uns aufs schwerste. … 52 / 56

theaterfuereinjahr 2014 - UNTER DEM MiLCHWALD von Dylan Thomas - Stand: 28.07.2014

… Oh, laß uns den morgenden Tag noch sehen, ich bitte dich, laß uns die Nacht überstehen, wir scheiden nun willig, von deiner Sonne Pracht und sagen Lebwohl, aber nur für heut nacht! ERZÄHLER (Anna) Jack Black, der Schuster, bereitet sich abermals darauf vor, im Walde seinem Satan zu begegnen. Er schärft seine Nachtzähne, schließt seine Augen, steigt in seine frommen Hosen, deren Schlitz mit Schustergarn fest vernäht ist, und stapft hinaus, mit Fackel und Bibel bewährt, grimmig und freudig in die letzte Dämmerung, die schon zu sündigen begonnen hat. ERZÄHLER (Thomas) Nun ist die Dämmerung ertrunken, für immer vorüber bis morgen …

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22. Gesang „Wieder Nacht“ (Alle)

ERZÄHLER (Angela) Mit einem Male ist es Nacht. ERZÄHLER (Ela) Die finstere Nacht ist ein Hügel von Fenstern, und auf den wundgeschlagenen Wellen rufen die Spiegellichter der Lampen den Tag zurück … und die Toten, die hinausgefahren sind auf die See. ERZÄHLER (Anna) Und überall in der rufenden Nacht werden Kinder und alte Männer ins Bett gelockt und schlafen gelegt. ERZÄHLER (Elvira) Die alten starräugigen Männer werden von ihren Töchtern zugedeckt wie Papageien … und bleiben in ihrer kleinen Finsternis in den hellen springlebendigen jungen Küchenecken die ganze Nacht lang wach … mit glasigen Augen … damit der Tod sie nicht im Schlaf überrascht. ERZÄHLER (Yvonne) Die unverheirateten Mädchen denken an Puder und Locken … ziehen vor ihren Spiegeln hochnasige Gesichter oder machen Komm-nur-her-Augen für die jungen Männer draußen … ERZÄHLER (Christine) … auf der Straße an den laternenbeschienenen Stehecken, an denen sie lehnen und im plötzlichen Wind warten, um dann durch die Zähne zu pfeifen. (Hund: Yvonne, ein Mal dunkel, ausklingend) ERZÄHLER (Babette) Eines Farmers Laterne glitzert als ferner Funke am Hang, hoch am Llareggub-Berg. 54 / 56

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ERZÄHLER (Christian) Der blinde Kapitän Cat klettert in seine Koje. Wie ein Kater sieht er nur im Dunkeln. Durch die großen Fahrten seiner Tränen hindurch segelt er hin, seine Toten zu sehen. ERZÄHLER (Martina) Horch … wie die Nacht anbricht. Mr. Mog Edwards und Miß Myfanwy Price, glücklich voneinander getrennt, am Berg-Ende und am See-Ende der Stadt, schreiben sich ihre allnächtlichen Briefe voll Liebe und Verlangen. ERZÄHLER (Anna) Und sie sieht sich zufrieden in ihrem eigenen, netten, nie langweiligen Zimmer um, das Mr. Mog Edwards niemals betreten wird. ERZÄHLER (Dorle) Und er drückt sein eigenes schönes Geld an sein eigenes Herz. ERZÄHLER (Gitte) Und Mr. Waldo hält trunken im nächtigen Wald seine süße Poll Garter an sich gedrückt, unter den Augen und rasselnden Zungen der Nachbarn und der Vögel, und er macht sich nichts daraus. Er schmatzt mit lebendig roten Lippen. ERZÄHLER (Dorothee) Die dünne Nacht wird dunkler. Eine Brise vom gekräuselten Wasser her seufzt durch die Gassen dicht unter dem milchwachen Wald … ERZÄHLER (Babette) … dieser Wald … für die Farmknechte am Kirmesabend das wollüstig unbedachte Bethaus voller Brautbetten … 55 / 56

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ERZÄHLER (Uli) … und für Ehrwürden Eli Jenkins ein von Gott erbauter Garten, eine grünbelaubte Predigt von der Unschuld des Menschengeschlechts. ERZÄHLER (Thomas) Der plötzlich vom Wind gerüttelte Wald erwacht zum zweiten … dunklen Male an diesem … einen Frühlingstag. ALLE: Hu …ha …hu … ha… hu … ha … hu …ha …

Outro: Flöten, Trommel ENDE Applaus

Harfe (7) als Zugabe, 4:00

Anlage: Hörspiel-CD

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