... von der Suche nach der Gegenwart der Vergangenheit. Exposé zur freien Diplomarbeit von Caroline Schröder und Hannah Demmin

October 6, 2017 | Author: Tomas Beutel | Category: N/A
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... von der Suche nach der Gegenwart der Vergangenheit Exposé zur freien Diplomarbeit von Caroline Schröder und Hannah Demmin

inhalt 01 intro

S.02

Biografische Bezüge

02 grenzen S.10 Typologien Experiment I “Unsere Grenzen im Alltag” Experiment II “Grenzdialog” BRD/DDR

03

berlin

S.26

Berliner Mauer Experiment III “Spurensuche in Berlin” Grenzraum Westberlin Ostberlin Fazit/Spurensuche

04 diskurs

S.68

Erinnern/Wahrnehmen/Reflektieren Experiment IV “Gegenwart der Vergangenheit” Denkzeichen Impulse Ausblick

05 konzept

S.84

Rahmenbedingungen Start/Route/Stop/Ziel Ebenen Idee

06

quellen

Literatur Internet

S.96

o r t n 01 i

intro Unsere freie Diplomarbeit “Restidentität - von der Suche nach der Gegenwart der Vergangenheit” verstehen wir als Spurensuche. Wir fragen uns: Was ist 20 Jahre nach dem Mauerfall von der deutsch-deutschen Grenze noch in den Köpfen und in der Landschaft zu spüren und wie geht man heute mit den Relikten der Teilung um? Dazu beschäftigen wir uns abstrakt mit der Verschiedenartigkeit von Grenzen, Grenzziehung, Grenzüberwindung und speziell mit der Vergegenwärtigung einer Grenze und der beiden Seiten links und rechts davon. Sich dieser Thematik über eine Diplomarbeit anzunähern, bedeutet für uns die bestehende Auseinandersetzung mit jüngster Zeitgeschichte zu analysieren und sie um ein weiteres kleines Puzzlestück zu ergänzen. Der Impuls dazu entspringt unseren eigenen Biographien. In zwei unterschiedlichen Systemen geboren, schauen wir aus zwei verschiedenen Blickwinkeln auf die Vergangenheit, hierbei vermischen sich eigene und fremde Erinnerungen miteinander. Das Spannungsfeld, welches sich während des persönlichen Dialoges zwischen uns aufbaut, empfinden wir als einen besonderen Reiz, den wir über unser Projekt weitervermitteln wollen. In Ost-und Westdeutschland haben sich in 40 Jahren getrennter Geschichte unterschiedliche Bezugsfelder für Identitäten herausgebildet. Diese sind gezeichnet von zwei politisch-gegensätzlichen Strukturen und damit verbunden: 2 Ideologien, 2 Kulturen, 2 Lebensrealitäten und 2 Wahrnehmungen. Heute, wo die innerdeutsche Grenze als Bauwerk nicht mehr existiert, die Mauer in Berlin bis auf wenige Reste beseitigt ist, stellt sich die Frage, ob die Grenze auch in den Köpfen der Menschen verschwunden ist. Statistiken belegen dazu unterschiedliche Entwicklungsstände der Generationen. Wir liegen dabei genau zwischen denen, die vor der Wende bereits im Berufsleben standen und damit eine tiefgreifende Prägung erfuhren, und denen, die später geboren sind und den Mauerfall nicht mehr 04

selbst miterlebt haben. Die Erinnerungen unserer Generation stammen aus einer “unbeschwerten” Kindheit und frühen Jugend, sie sind fragmentarisch und dementsprechend unbelasteter ist der eigene Bezug. Für unsere Generation, die mehrheitlich in Freiheit aufgewachsen ist, vermittelt sich die Freiheit nicht mehr „von alleine“. Dazu bedarf es einer Vergegenwärtigung von Grenzen und deren Auswirkungen. Mit diesem Hintergrund richtet sich unser Projekt an die eigene Altersgruppe. Entscheidend ist dabei ein grundsätzliches Interesse an der Grenzthematik und weniger die Menge eigener Erfahrungswerte. Dass das vor allem auf unser unmittelbares Umfeld zutrifft, hat sich in zahlreichen Gesprächen, die wir im Zuge der Recherchearbeit geführt haben, bestätigt. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder das Interesse an anderen Umgangsformen als den gängigen, wie z.B. museal-dokumentarischen formuliert. Unser Projekt zielt weder auf eine Aufarbeitung der Teilung und Wiedervereinigung ab, noch mündet es in einem politischen Statement. Viel mehr geht es uns um einen Denkanstoß, um Sensibilisierung, Aneignung und eine geschärfte Wahrnehmung für eine besondere Zeit und ihre Spuren. Uns selbst beschäftigt die Frage: Wie kann man dieser komplexen Thematik die “Schwere” nehmen, ohne sie zu verharmlosen und nostalgisch zu werden? Wir wünschen uns eine freie, aktive Auseinandersetzung mit dem Ziel des Dialoges. Dazu kreieren wir einen atmosphärischen Raum, der eine neue Umgangsform mit der Gegenwart der Vergangenheit ermöglicht. Im Sinne eines Denkzeichens wollen wir mit dem “Wahrnehmen”, “Erinnern” und “Reflektieren” spielen. Die direkte Konfrontation mit Relikten und Fragmenten dieser Zeit soll dabei helfen, Fragen aufzuwerfen und selber auf die Suche nach Antworten zu gehen. Wir sind was wir erinnern!

hamburg

berlin

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/

ren in 1982, gebo - Jahrgang endorf Hamburg-Ni ung) nhaussiedl ie il am nf Ei D 26 Jahre BR WOHNSITZ: R DD e hr Ja 0 (Osten) in Chemnitz VERWANDTE:

/

- Jahrgang 1982, geboren in Berlin-Panko w, 1983 Umzug nach Marzah n (Plattenbausiedlung) WOHNSITZ:

8 Jahre DDR 18 Jahre BRD

VERWANDTE: Großeltern in Westberlin HOBBIES: Sportakrobatik

hwimmen nnis, Sch HOBBIES: Te

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wohnen Ein Klischee wie aus dem Bilderbuch. Im Westen “wohnt man” im Einfamilienhaus mit Carport und Garten, inmitten einer idyllischen, kleinen Stadtrandsiedlung, im Osten hingegen in der anonymen “Platte”, in einer von hundert anderen, identisch gestalteten der Großraumsiedlung. Zwei Welten knallen brutal aufeinander. Backstein gegen Waschbeton. Aber es ist ein Klischee! Manchmal trift es eben trotzdem zu, wie in unserem Fall. Geprägt haben uns diese Lebensumstände sicherlich in unterschiedlicher Weise. Tagesabläufe, Gewohnheiten, Erfahrungen und Raumverständnis waren an-

ders. Die 4-Raumwohnung der Platte passt 3 mal in das Einfamilienhaus. In den 15 Jahren Wartezeit für einen Trabi, hat man auf der anderen Seite schon das 3. Auto seiner Wahl. Aber trotz dieser und vieler anderer Unterschiede ist die Bedeutung von Platte und Einfamilienhaus für uns gleich. Es ist der Ort, an dem die Kindheit aufgehoben ist. Darin bündeln sich die Erinnerungen und Emotinen dieses Lebensabschnittes - geht man dorthin zurück, können diese jederzeit freigesetzt werden, auch wenn er sich unterschiedlich stark verändert hat. Was bleibt ist die Erinnerung.

Berlin

Niendorf

Hamburg/

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reisen Der Bewegungsradius für Urlaubsreisen war diesund jenseits der Grenze sehr verschieden. Frankreich und Schweden waren im Westen in vertrauter Nähe, für den Osten jedoch unerreichbar. Lediglich ins befreundete Ausland konnte man von dort aus reisen. Zumindest theoretisch, denn dies waren sehr teure Urlaube, die schwer zu bekommen und bürokratisch aufwendig waren. Für jeden Normalbürger, dem diese Freude zu Teil wurde, war es ein absoluter Höhepunkt im Leben. Im Westen verbrachte man die Sommer-, Winter- und Osterferien nur selten im eigenen Land. Das genaue Reiseziel suchte man sich im Katalog aus - im Osten undenkbar. Dort stellte man im Februar einen Antrag beim Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), um im Sommer an die Ostsee oder in den Harz reisen zu können.

65 0k

m

småland

stralsund

268 km m

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0 .44

gernrode

km

bretagne

871 km

1

voralberg 08

fernsehen

“Sandmännchen” Das West-Sandmännchen wurde aus dem Osten importiert.

“ALF” Eine amerikanische Fernsehserie. Alf steht für eine außerirdische Lebensform.

“heute” Nachrichtensendung im ZDF, täglich um 19:00 h

“tagesschau” Nachrichtensendung in der ARD, täglich um 20:00 h

“Flimmerstunde” Von 1959 bis zum Ende des DDR-Fernsehens wurde diese Kindersendung immer Sonntags augestrahlt. “Sandmännchen” Jeden Abend um zehn vor sieben, genau wie im Westen.

ARD Sendegebiet ZDF Sendegebiet Einstrahlung aus Berlin-West

“Mach mit mach’s nach mach’s besser” “Aktuelle Kamera” Um 19.30 h begann die tägliche Nachrichtensendung des DDRFernsehens. Pünktlich zwischen “heute” im ZDF und der “Tagesschau” in der ARD.

“Der schwarze Kanal” Den Empfang von Westfernsehen konnte die SED nicht verhindern, aber zumindest für die richtige Bewertung sorgen.

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n e nz

02

e r g

grenzen Eine Grenze ist der Rand eines Raumes und damit ein Trennwert, eine Trennlinie oder -fläche. Eine Grenze stellt eine echte oder vermeintliche Differenz zwischen zwei Orten/Menschen her. Im Sinne einer abstrakten (realen oder imaginären) Linie hat sie Auswirkungen auf das Territorium, der einen wie der anderen Seite. Grenzen können geometrische Räume begrenzen, dazu gehören politisch-administrative Grenzen wie wirtschaftliche Grenzen, Zollgrenzen oder Grundstücksgrenzen. Räume können auch unscharf begrenzt sein, etwa wie Landschaften oder Kulturgrenzen, die man in der Natur/Raum kaum durch klare Linienstrukturen festmachen kann. Nicht “geometrisch” darstellbare Grenzen sind Geistigen Grenzen, wie z. B. Verhaltensweisen oder die Intimsphäre. Sie existieren in den Köpfen der Menschen und sind aber meist unmittelbar mit den territorialen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grenzen verknüpft oder begründen sich auf diese. Kulturelle und ethnische Grenzen prägen Vorstellungen und Erwartungen der Gesellschaft. Sie beeinflussen unsere Wahrnehmung und leiten unser Handeln an, können aber auch in unterschiedlicher Weise gedeutet, interpretiert und benutzt werden. Der Effekt der physischen Grenze oder nur vorgestellten Grenze ist der gleiche: Sie bekräftigt einen Unterschied. Überschreitet man sie, so wechselt man in eine andere Welt, es ändern sich Regeln, Traditionen, Mentalität, Formen und Farben. Es kann unendlich viele Unterschiede geben, die durch die Existenz einer Grenze hervorgehoben oder geschaffen werden.

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Grenzen, so verschieden sie auch sein mögen, ob sichtbar oder unsichtbar, ob schon von weitem an Schlagbaum und Uniformmützen erkennbar oder als oft unerkanntes und unbewusstes gesellschaftliches Regelsystem wirksam, Grenzen, Anstandsgrenzen wie befestigte und militärisch gesicherte Staatsgrenzen - sie alle verbindet, dass die Spannung steigt, wenn man sich ihnen annähert. Wiebke Trapp

Alles was ist und was geschieht, ja sogar was wir uns vorstelt len können können, iistt nur dann feststellbar und wahr-nehmbar, wenn es gegenüber anderem abgegrenzt, von anderem unterschieden wird. Jedes Objekt hat eine Oberfläche, also eine Grenze zur Umgebung. Sie grenzt das Innen vom Außen ab. Auch jedes Geschehen hat einen Anfang und ein Ende. Die Vielfalt der Grenze ist grenzenlos. Daniel Liebeskind beskind

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topografie Ältere politische bzw. territoriale Grenzen zwischen zwei Ländern fallen oft mit den natürlichen, topografischen, teilweise nur schwer überwindbaren Barrieren zusammen: Gebirge, Fluss, Meer oder Meeresarm, Wüste, Urwald oder Bergland. Diese fallen im Regelfall zusammen mit Sprach- und Kulturgrenzen.

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territorium Territorium (latein. terra, „Land“, „Gebiet“) bezeichnet einen von Grenzen eingefassten räumlichen Bereich, auf den ein Macht- oder Hoheitsanspruch erhoben wird (Gebietsanspruch). Demzufolge teilt die territoriale Grenze meist zwei unterschiedliche politische, als auch wirtschaftliche Systeme, 2 Sprachen, 2 Kulturen voneinander und bewirkt somit auch etwas Unmittelbares in den Köpfen der Menschen. Im Gegensatz zu kulturellen und ethnischen Grenzen, werden territoriale Grenzen häufig zur Anschauung gebracht. Im Normalfall durch Zeichen und gebaute Hindernisse, im Extremfall durch Momente der Bedrohung. Bei territorialen Grenzen lässt sich zwischen dem Grenzgebiet, der Grenz-oder Demarkationslinie und der Grenzbefestigung unterscheiden. Das Grenzgebiet bezeichnet den am äußeren Rand eines Landes gelegenen Geländestreifen. Es ist ein Spannungsfeld und bleibt der Ort, an dem feindliche Zusammenstöße stets möglich sind. Zwischen zwei benachbarten Grenzgebieten verläuft die Grenzlinie. Ihre Befestigung wird bei entsprechendem Bedürfnis einer oder beider Seiten eingefordert und kann z. B. über den Bau eines durchgänigen Verteidigungswalls erfolgen. Der Begriff der Demarkationslinie fasst die Grenzlinie genauer und bezeichnet eine gezogene Linie, auf die eine im Friedensvertrag festzulegende ständige Grenze folgt. Die Staaten, ihre Grenzen sowie deren Verlauf und ihre Auswirkungen sind keine schlichten Gegebenheiten, sondern das Ergebnis dynamischer Gleichgewichte, die von wandelbaren kulturellen Instanzen geschaffen werden: Grenzen werden von Menschen gemacht. Angesichts zunehmender Verflechtungen im globalen Maßstab wird die Idee der Grenze, wie sie für Nation, Infrastruktur, Staat und Stadt galt, problematisch. Während nationalstaatlich geprägtes Denken noch ein eindeutiges Innen und Außen unterstellt, verlieren in der global vernetzten Gesellschaft Grenzen an Definitionsmacht und stoßen buchstäblich an “ihre Grenzen”.

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licht/material Grenzen und Grenzübergänge vermitteln eine ganz bestimmte Atmosphäre über Licht und Material: Stahl, Beton und eine extreme Helligkeit prägen das Bild. Mit diesen Elementen assoziiert man Mauern, Zäune und Stacheldraht, Streckmetall, Betonwände, Flutlichtanlagen und Schlagbäume, Singnalfarben, Verbotsschilder, Uniformen und Kontrollen...

“ 16

Über Grenzen lässt sich eigentlich nichts sagen. Man kann sie nicht diskutieren, weil sie zu existieren aufhören, sobald man sie benennt - und genau dann sind sie in jedermanns Leben, Arbeit und Erfahrung wieder gegenwärtig. Wir haben es also mit einem paradoxen Thema zu tun - und deswegen ist es so bedeutsam. Daniel Libeskind



architektur Auch in der Architektur findet der Begriff der “Grenze”, bzw. der Prozess der “Entgrenzung” eine häufige Verwendung. Allerdings tritt er dort in einem anderen Zusammenhang und Grundverständnis auf. Architektur schafft Raum zuallererst, indem sie ihn umschließt, abteilt, begrenzt; zugleich muss sie ihn aber auch öffnen, verbinden, entgrenzen. Das Verhältnis von Öffnung und Schließung, von Be- und Entgrenzung ist ein zentrales Gestaltungsmittel, aber auch ein Gestaltungsziel von Architektur. Somit ist der Umgang der Architektur mit dem Raum notwendigerweise immer auch ein Umgang mit dessen Grenzen. Historisch betrachtet wurden architektonische Entgrenzungsstrategien zunächst klar zweckgebunden eingesetzt. Oftmals standen religiöse Motive im Vordergrund, wie z. B. bei der “Auflösung“ der diaphanen Wand in der gotischen Sakralarchitektur. Hier fügt sich die Architektur als ein Element in eine liturgische Gesamtinszenierung ein. Der Umgang mit architektonischen Grenzen kann im übertragenen Sinn als Schaffung oder Einschränkung individueller oder ge-



sellschaftlicher Freiheit diskutiert werden, als Reflexion auf technologische oder politische Möglichkeiten und Zwänge. Der Umgang hat in der Regel aber auch ganz konkrete funktionale Auswirkungen. Der Rezipient fragt sich z. B.: wo befindet sich ein Fenster, was kann man dadurch sehen oder nicht sehen und ob und wie man es öffnen kann. Den weiteren Rahmen, in dem Architektur entsteht, werden durch städtebauliche Aspekte bestimmt. Auch diese haben mit zahlreichen Formen von “Grenzen” und “Begrenzung” zu tun. Natürliche, topografische Grenzen wie Flüsse und Höhenunterschiede beeinflussen den Verlauf von künstlichen, strukturellen Grenzen. Dazu gehören Strassen, Parzellierungen, Freiflächen, Viertel und Bezirke. Ihre Entwicklung beruht unter anderem auf historischen Ereignissen, gesetzlichen Verordnungen und individuellen Maßnahmen. Außerdem begründen sie sich oftmals gegenseitig. Das prägende Bild eines Strassenzuges definiert sich häufig wesentlich über die vertikale Begrenzung links und rechts davon. Das kann zum Beispiel im Sinne einer Fassade

entlang einer Baugrenze, einer Vorgartenzone mit Jägerzaun oder einer Parkplatzzone geschehen. So ist im Prinzip jedes einzelne Element gleichzeitig eine Begrenzung für das jeweils danebenliegende. Eine besondere und nicht nur städtebauliche Herausforderung in Bezug auf Grenzen beschreibt der Fall, wenn sich städtebauliche und territoriale Grenzen überlagern oder miteinander vermischen. Das trifft zum Beispiel auf ehemalige Grenzstädte zu, die mit der Auflösung ihres Trennelements beschäftigt sind und gleichzeitig auf der Suche nach einer Neudefinition. Grenzregionen sind Kontaktzonen. Themen wie Zugehörigkeit und Identität werden hier permanent neu verhandelt. Austausch und Bewegung bestimmen diese Räume: Unterschiede, Widersprüche und Paradoxien und die damit verbunden Stadtvorstellungen werden hier ausgetragen. Städtebau und Architektur müssen auf den Wegfall einer Grenze reagieren und das Zusammenwachsen von Strassen und Vierteln ermöglichen, ohne dabei Bewohner zu verdrängen oder Erhaltenswertes zu zerstören.

Das Phänomen der Grenze und die Architektur sind unzertrennlich miteinander verbunden. Der Akt des Begrenzens ist eine archetypische Handlung des Bauens. Ohne Grenzen kein Territorium, ohne Territorium keine Architektur. Matthias Sauerbruch





[...] looking at the wall as architecture, it was inevitable to transpose the despair, hatred, frustration it inspired to the field of architecture. [...] in fact, in narrowly architectural terms, the wall was not an object but an erasure, a freshly created absence. For me, it was a first demonstration of the capacity of the void - of nothingness - to “function” with more efficiency, subtlety, and flexibility than any object you could imagine in its place. It was a warning that - in architecture - absence would always win in a contest with presence. Rem Koolhaas

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Experiment I

Unsere Grenzen im Alltag

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Experiment II

Grenzdialog Im Anschluß an unsere eigene “Alltags-Grenz-Suche” in Hamburg, verstehen wir den “Grenzdialog” als einen weiteren Exkurs. Wir nutzen diese Experiment um eine Vorstellung dafür zu entwickeln, wie der Begriff “Grenze” von anderen unserer Generation verstanden und gebraucht wird. Uns interessiert, was man heute als Grenze empfindet, Grenzerfahrung, Grenzüberschreitung bzw. welche Bedeutung Grenzen haben. Wie und wo nimmt man sie überhaupt im alltäglichen Leben wahr? Welche Assoziationen und Emotionen verbinden andere damit? Dazu haben wir Leute in unserem Umfeld befragt und hier auszugsweise die wichtigsten Fragen bzw. Antworten aufgelistet.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass bei unseren Fragen auf ganz unterschiedliche Art und Weise geantwortet wurde. Zudem werden mehrheitlich eher positive Assoziationen mit dem Begriff “Grenze” in Verbindung gebracht. Diesbezüglich fühlen wir uns in unserer persönlichen Annahme bestärkt, dass Ländergrenzen immer mehr an Bedeutung verlieren. Die wenigsten verknüpfen das Bild von einem Grenzübergang im Kopf mit den klassischen Elementen wie z.B. gelbem Flutlicht und scharfen Kontrollen. Vielmehr verbindet unsere Generation positive Ereignisse wie Urlaub, Spass, Abenteuerlust, andere Sprachen und Kulturen mit der “Grenzüberwindung”.

# Was verstehst Du unter dem Begriff “Grenze” ? --- Ende vom Land --- Trennung zweier Bereiche --- Abgrenzung --- Geschlossenheit --- Zoll --Eingeschränkt sein --- Abtrennung --- Grenzen gibt es nur in der subjektiven Wahrnehmung --Trennung --- Die Mitte von zwei Teilen, die getrennt werden sollen/müssen. --- Dahinter ist etwas Anderes --- Kontrolle --- Eine zeitliche, räumliche, geistige und oder auch physische Endlichkeit --- Übergang --- Nebeneinander --- Gemeinsamkeit --- Ein eigenständiges Element, was trennt --Gegensätzliches, was nebeneinander liegt, grenzt sich voneinander ab --- Zwischenraum

# Emotionen beim Grenzübergang...? Spannung auf etwas Neues und Unbekanntes --- Neustart, Aufbruch, Urlaubsbeginn, wieder Zuhause --- Freiheit --- Adrenalin, Held, Schweben, Glücksgefühl, Stärke, Schwäche --- Manchmal Furcht, manchmal freudige Erwartung --- Schönes Gefühl: Urlaub, nochmal schönes Gefühl: wieder Zuhause --- Erleichterung --- Fremdes --- Neues --- Neugier --- Zurücklassen --- Jetzt sind wir in... --Freude auf ein anderes Land und dieses erkunden zu können --- Spannung --- Urlaubsstimmung --Euphorie --- Keine 22

# Wie erfährst Du heute das Passieren einer Landesgrenze innerhalb der EU? Keine, Menschen ohne Hast --- Lustig --- Man bemerkt es kaum --- Nahtlos --- Nahezu überhaupt nicht, rein visuell durch noch bestehende Gebäude und Anlagen --- Schild --- Mit Erinnerungen an Früher als es noch den Grenzposten gab --- Kaum --- Gar nicht! Bin ich schon drüben? evtl. durch optische Veränderung durch andere Gewohnheiten, Sprache --- Durch verlassene Grenzkontrollhäuschen --- Kontrollen werden quasi nicht mehr durchgeführt, visuell nur noch durch alte Grenzanlagen --- Durch Fragmente der alten Grenzposten oder erst nach ein paar gefahrenen Kilometern --- durch die veränderte Umwelt (Strassenschilder, Landschaft, Mautstellen, etc.) --- Das Wissen, eine andere Sprache --- Gar nicht --- Selbstverständlichkeit, kein Grenzcharakter...nur sprachliche Grenze --- Andere Sprache, andere Verkehrsschilder --- Als Autofahrer durch Geschwindikeitsbegrenzung, fahren mit Licht

# Was nimmst Du als Grenze wahr? Gehweg, Strasse --- Räumliche Abgrenzung --- Ampel --- Strukturen, die der Alltag bietet z.B. Arbeitszeiten, Öffnungszeiten --- Nicht die Möglichkeit zu haben, sich so zu verwirklichen wie man möchte --- Derbes Gebäude bei der Arbeit --- Der Zaun und das Drehkreuz bei meiner Firma --Mein Dispo-Kredit --- Gartenzaun, Strassen, Wege, Kanäle, Wohnstruktur, Beleuchtung --- Türen, Hindernisse --- Vorschriften, meinen Arbeitsplatz --- Zeit --- Eigentlich nichts --- Gesundheit, Wetter --- Ende meiner Fähigkeiten --- Geschehnisse und Befindlichkeiten, Tabus, bestimmte Werte und Regelwerke der Menschen, Technisierung, Schicksalsschlag in engster Umgebung

brd/ddr Einer Teilung und Grenzziehung zwischen Ländern geht in der Regel eine unterschiedliche Entwicklung von Kultur, Sprache und Landschaft voraus. Die Grenze selbst ist dann das Ergebnis des Versuchs einer Sicherung dieser Ideale und Errungenschaften. Die Geschichte der letzen 60 Jahre in Deutschland beschreibt in diesem Zusammenhang jedoch eine etwas andere Handhabung. Als Folge von Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg verlief seit 1945 eine Grenze mitten durch Deutschland. Aus einem Land, einer Nation werden im Zuge der innerdeutschen Teilung zwei Welten derselben Sprache und Kultur. Anfangs säumte sie den westlichen Rand der sowjetischen Besatzungszone; ab 1952 wurde sie im Auftrag der SED-Führung zur Staatsgrenze West aufgerüstet und für die Bürger und Bürgerinnen der DDR zunehmend undurchlässiger. Mit dem Mauerbau 1961 trennte sie bis zum Mauerfall 1989 nicht nur die beiden deutschen Teilstaaten voneinander, sondern auch zwei Gesellschaftssysteme und Militärbündnisse. Aber die innerdeutsche Grenze war keine Grenze im üblichen Sinn zur Außensicherung eines Staates. Ihre Entstehung, Struktur und Wirkung verfolgte ein Ziel: Sie sollte die Flucht von DDR-Bürgern in den Westen verhindern und damit zugleich die Herrschaft der SED-Diktatur in der gesamten DDR sichern. Grenzregime und Diktatur bedingten einander. Darüber hinaus ist die Grenze beiderseits zum Symbol grundsätzlicher Unterschiede geworden und hat sämtliche Vorstellungen der Zweiteilung von “Gut” und “Böse”, “Frei” und “Unfrei”, West und Ost auf sich gezogen. Auch nach 1989 wirken diese Gegensätze auf symbolischer Ebene fort und sind in der visuellen wie materiellen Kultur nachzuweisen. Auf dem Gebiet der DDR vertiefte sich von der Grenzlinie ausgehend, ein durchgängiger Verteidigungsraum ins Landesinnere hinein. Jenseits der Grenze wurden ab Mai 1952 ein zehn Meter breiter 24

gerodeter und geeggter Kontrollstreifen, ein 500 Meter breiter Schutzstreifen sowie eine 5-km-Sperrzone angelegt. Deutsche im Osten und Deutsche im Westen erinnern die Grenze auf sehr unterschiedliche Art und Weise, weil sie in beiden Ländern verschiedene Funktionen erfüllte. Während die Verantwortlichen des SED-Regimes die Mauer zum “antifaschistischen Schutzwall” erklärten, sie als zwingend notwendigen Schutz vor dem “Imperialismus” verteidigten, wurde sie im Westen als Symbol der politischen Unfreiheit in den sozialistischen Ländern interpretiert. Aus heutiger Sicht erscheint die östliche Staatsdoktrin nahezu grotesk: Die Grenze war nie ein Schutzwall gen Westen, sondern vielmehr eine gezielte Abschottung der eigenen Bevölkerung. Alle Absperranlagen waren nach innen gerichtet - hier saß der Feind, den die Grenze abschrecken sollte. Während man sich dem Grenzstreifen von Westen her nahezu überall ohne größere Probleme nähern konnte, blieb das gleiche Gebiet für die DDR-Bürger unsichtbar. Selbst wer es wollte, konnte sich kein Bild von der Grenze machen, ohne sich in unmittelbare Gefahr zu begeben. In ihrer Doppelfunktion als Grenze eines Staates und zweier weltpolitischer Blöcke zählte die innerdeutsche Grenze zu den am besten bewachtesten Grenzanlagen der Welt.

1.393 km Gesamtlänge 1.378,1 km Demarkationslinie 14,9 km Seegrenze 1.265 km Metallgitterzaun 829,2 kmKraftfahrzeug-Speergräben 29,1 km Betonsperrmauern 1.339,1km Kolonnenweg 232,4 km Lichtsperre 69,2 km Halogenstrahlersperren 71,5 km Hundelaufanlagen 886 Erdbunker 529 Beobachtungstürme

1984

2006 Heute befindet sich Europa im Umbruch. Der Eiserne Vorhang ist gefallen, nationale Grenzen verlieren an Bedeutung, “Schengen” weitet sich. An der - lange unüberwindbaren - Demarkationslinie, die Europa in Ost und West teilte, bleibt eine irritierende, oft unwirkliche Leere zurück. Die Natur ergriff Besitz von diesen verlassenen Flächen. Heute verbindet dieses Band die wertvollsten Lebensräume Europas voller seltener Pflanzen und Tiere miteinander, ein lebendes Denkmal europäischer Geschichte.

Brandenburger Tor

1 Gudow - Zarrentin



2 Buchen - Schwanheide

Die deutsch-deutsche Grenze vollführte hier ein paar Schlängellinien, so dass der Zug mal auf hessischem, dann wieder auf thüringischem Territorium fuhr. Obwohl gerade erst der Morgen graute, war ich auf den Gang getreten. Ich wollte allein sein, während ich angestrengt aus dem Fenster starrte, um ja nicht den Moment zu verpassen, an dem wir endgültig den Westen erreicht haben würden. Wolfgang Kil

3 Schnackenburg-Lumlosen

4 Rühen - Buchhorst 5 Wolfsburg - Obersfelde 6 Helmstedt - Marienborn



7 Herles Hausen / Wartha 8 Hohebach - Gerstungen

10 Rudolfhstein Hirschberg 11 Hof - Gutenfürst 9 Ludwigsstadt Probszella

1982

1982

1982

2007

2007

2003

Lübbow

Görsdorf

Bernauer Strasse 25

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“In mir war immer das gleiche Empfinden, wenn ich vor der Mauer stand oder die Grenze passierte: Eisiges Entsetzen vermischte sich mit einem schier unendlichen Staunen über ihre monströse Ungeheuerlichkeit.” Ralph Giordano

“Eingehüllt von einem süßlich riechenden Tabakrauch, der Zigaretten entstammt, die aus bunten, fremden Schachteln genommen werden, und der sich milde unterscheidet von dem strengen, gewohnten, wird ihm eine andere Atmosphäre sinnlich bewußt. Wird man ihn später fragen, was denn sein erster Eindruck vom Westen gewesen sei, wird er antworten: ich habe ihn auf der Fahrt zwischen zwei Welten gerochen.” Jürgen Engert

“»Drüben« sagt man beiderseits der Mauer. Das drückt Nähe aus - und Ferne. Man spricht von Westdeutschland und meint die Bundesrepublik. Aber kaum ein Berliner nennt die DDR Ostdeutschland.“ Eberhard Diepgen

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“Berlin: ein einziger Hinterhof. Grenzenlos scheint er sich zu dehnen. Plakate, die von der Arbeitsleistung als Gebot und Erfüllung künden, verschwinden. Statt politischer Propaganda konsumlustige Reklame. Ein Vielzahl von Autos in einer Vielzahl von Typen in den Strassen. Auf dem Bahnsteig ein Kiosk, der „Coca Cola“ in seiner ganzen Länge preist. Der 18-jährige ist angekommen.” Jürgen Engert

“And there was more: in spite of its apparent absence of program, the wall - in its relatively short life - had provoked and sustained an incredible number of events, behaviors, and effects. Apart from the daily routines of inspection - military in the East and touristic in the West - a vast system of ritual in itself, the wall was a script, effortlessly blurring divisions between tragedy, comedy, melodrama.” Rem Koolhaas

berliner mauer Als sichtbarstes Zeichen des Eisernen Vorhangs im Kalten Krieg war die Berliner Mauer damit das Symbol für die Trennung der Welt in zwei politisch gegensätzliche Systeme, der Verweigerung elementarer Menschenrechte und der politischen Unterdrückung während der DDR-Diktatur geworden. Mit ihrer friedlichen Überwindung von Osten her wurde die geöffnete und abgetragene Mauer aber zugleich auch zum Symbol einer, in der deutschen Geschichte beispiellos erfolgreichen Demokratie- und Freiheitsbewegung.

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Die Wahrnehmung der Berliner Mauer war von beiden Seiten höchst verschieden. Auf der einen Seite gehörte sie als Graffiti besprühte Galerie und über-

schaubare, passierbare Grenze zum alltäglichen Leben, auf der anderen Seite schien sie unnahbar, bedrohlich und unüberwindbar. Das eindringlichste Bild von der Grenze in Berlin hinterließ die zur Westseite ausgerichtete Vorderlandmauer. Sie prägte den Begriff der „Berliner Mauer“ als Bezeichnung für die gesamte Grenzanlage.

3,80 m

Die Berliner Mauer war der konzentrierteste Teil der innerdeutschen Grenze und trennte für 28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage Ost- von Westberlin. Die Mauer durchschnitt die Infrastruktur einer Stadt, verlief mitten durch Gebäude, unterbrach Straßen, Wasserwege Kanalisation und Schienenverkehr, zerriss Familien, trennte Freunde und Liebespaare, zerstörte Hoffnungen und Leben. Die Mauer war allgegenwärtig. Allein der Versuch sie zu überwinden, endete zwischen 1961 und 1989 für mehr als 130 Menschen tödlich. Zehntausende, die die DDR verlassen wollten, wurden diskriminiert, kriminalisiert und eingesperrt. Von ihrer Gründung bis zum Ende flohen insgesamt über vier Millionen Menschen.

2,24 m Grenzmauer aus Stützwandelementen TYP UL 12.41



Als das Volk nicht aufhörte, seiner Unzufriedenheit durch massenhafte Abwanderung Ausdruck zu geben, sperrten sie es ein. [...] Lässt sich ein vernichtenderes Urteil über einen Staat fällen als dies, dass er nur durch das Einsperren seiner Einwohner überlebensfähig war? Jürgen Ritter

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grenzanlage Die Teilung Deutschlands war nicht nur in Karten, sondern auch in die Landschaft eingetragen worden: eine undurchlässige Sperranlage durchschnitt das Land von Nord nach Süd. In den 50er Jahren galt Berlin noch als Schlupfloch in den Westen. Bis sich die DDR-Führung am 13. August 1961 dazu entschloss auch die Grenze mitten durch Berlin zu schließen. Die Abgrenzung Westberlins zum Umland maß 111,9 km. Der innerstädtische Grenzstreifen zog sich 43,1 km von Nord nach Süd mitten durch die Stadt. Nahe an der Mauer stehende Häuser wurden meist gesprengt und deren Bewohner zur Umsiedlung gezwungen. Das führte dazu, dass sich letztlich eine breite, nachts taghell beleuchtete Schneise durch die einst dicht bebaute Stadt zog. Die tief gestaffelten Grenzanlagen und das Grenzregime mit seinen bewaffneten Grenzsoldaten haben das Leben der geteilten Stadt jahrzehntelang geprägt. Die Breite dieses Sperrwalls betrug zwischen 30 und bis zu 500 m. Mehr als 110 km Betonplattenwand mit Rohrauflage, Metallgitterzaun mit Signaldrähten, Todesstreifen, Hundelaufanlagen, Lichtsperren, Wachtürme und Sperrgräben charakterisierten das Bild von der Mauer. Minenfelder und Selbstschussanlagen wurden an der Berliner Mauer nicht aufgebaut (dies war aber in der DDR nicht allgemein bekannt), jedoch an der innerdeutschen Grenze zur Bundesrepublik.

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Brunnenstrasse/Wedding

Bernauer Strasse/Wedding

„Tränenpalast“/GÜ Friedrichstrasse

Zimmerstrasse/Mitte

Hinterlandmauer

Vorderlandmauer

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1 Vorderlandmauer als eigentliche Grenze bzw. Betonfertigteilwand nach West-Berlin, 3,75 Meter hoch,(teilweise mit Betonrolle, die beim Überklettern keinen Halt bieten sollte) 2 Signalanlagen am Boden, die bei Berührung Alarm auslösten 3 Kraftfahrzeugsperrgräben und Panzersperren, aus kreuzweise verschweißten Eisenbahnschienen 4 Kolonnenweg, zur Grenzpostenablösung 5 Lichtertrasse zur Ausleuchtung des Kontrollstreifens 6 Grenzwachtürme (1989 insgesamt 302 Stück) mit Suchscheinwerfern 7 Kontrollstreifen (KS), immer frisch geeggt, zur Spurenfeststellung, der auch von den Grenzsoldaten nicht betreten werden durfte. 8 Kontaktzaun aus Streckmetall, mit Stachel- und Signaldraht bespannt 9 Hinterlandmauer aus Beton oder Streckmetallzaun, zwischen 2 bis 3 m Höhe, Vor allem im Innenstadtbereich übernahmen Häuserwände (oft Brandmauern), die Funktion der Hinterlandmauer. Teilweise begann das „DDR-Grenzgebiet“ als unzugängliches „Sperrgebiet“ bereits vor der Hinterlandmauer.

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mauerfall

Die visuelle Präsenz der Bilder von der Berliner Mauer schließt deren Überwindung am 9. November 1989 ein. Am 17. Oktober wird Erich Honecker im SED-Politbüro gestürzt. Sein Nachfolger Egon Krenz kündigt eine "Wende" an, doch die Kundgebungen gegen die SED breiten sich nun in der gesamten DDR aus. Hunderttausende Menschen fordern freie Wahlen, die Zulassung von Oppositionsgruppen und Reisefreiheit. Und am 9. November fällt schließlich die Mauer..., sie war durchlässig geworden. Hupend, strahlend, ungläubig bewegten sich Hunderte zu Fuß, in Trabis von Ost nach West - wenige Wochen zuvor noch 32

unvorstellbar. Der offizielle Abriß der Mauer begann am 13. Juni 1990 in der Bernauer Straße durch 300 DDR-Grenzsoldaten und wurde von 600 Pionieren der Bundeswehr vollendet, die mit 13 Bulldozern, 55 Baggern, 65 Kränen und 175 Lastwagen ausgerüstet waren. Bis auf sechs Abschnitte, die als Mahnmal erhalten wurden, war die innerstädtische Mauer bis November desselben Jahres abgerissen. Der Rest verschwand bis November 1991. Die Betonblöcke wurden zerkleinert und vor allem zum Straßenbau verwendet. 250 Mauerteile wurden zwischen 10 000 und 150 000 DM versteigert.



„Mit der gleichen Gründlichkeit, mit der sie die Mauer 28 Jahre lang bewacht hatten, gingen die DDR-Grenztruppen nun bei ihrem Abriss zu Werk. Schon am 30. November 1990 meldeten sie Vollzug.“ Jürgen Ritter

„ 33

Experiment III

Spurensuche in Berlin

Spurensuche Grenzraum

Etappe I Etappe II

Etappe III

Westberlin

Ostberlin

36

Mit dem Wissen um die deutsch-deutsche Geschichte bietet uns Berlin die passende Kulisse als Forschungsgebiet für eine Spurensuche. Die Suche setzt 20 Jahre nach dem Mauerfall ein, um Relikte der Grenzanlagen und Zeichen der 40jährigen Teilung inmitten der Stadt aufzuspüren. Das Thema der „Grenze“ ist in der Hauptstadt fest verankert. Ein Grund, weshalb wir den Fokus auf die Spuren der Vergangenheit in Berlin richten. Wir wollen Orte, an denen wir vielleicht schon häufiger waren, einmal in diesem speziellen Kontext, ganz bewußt betrachten und anders wahrnehmen. Durch diesen Perspektivwechsel versprechen wir uns einen Blick für die Geschichten, die eine Stadt erzählt. Dabei geht es nicht um bloße Zahlen und Fakten, sondern viel mehr um das genaue Hinschauen. Dazu betrachten wir zunächst die Grenzanlage selbst, indem wir sie als einen Raum nachvollziehen, der sich aus dem Zwischenraum von Vorder- und Hinterlandmauer ergeben hat. Bei unserer Tour entlang der Grenze beschränken wir uns auf das innere Stadtgebiet. Wir starten an der Wolankstrasse in Wedding/Pankow und enden an der Sonnenallee in Neukölln/Treptow. Unsere Dokumentation der Bestandsaufnahme gliedern wir in 3 Etappen. Für jede von ihnen spielen die gleichen Fragen eine Rolle: Wie klar ist der Grenzraum noch ablesbar? Auf welche Relikte der Sperrzone stoßen wir und welche Atmosphäre vermitteln sie uns heute? Welchen Umgang pflegt die Stadt mit ihnen?

Doch ebenso wie der Grenzraum selbst, gehören zu einer Vergegenwärtigung des Grenzthemas in Berlin auch die zwei Seiten links und rechts der Mauer. Die beiden Hälften haben sich zu zwei unterschiedlichen Welten entwickelt, in denen die Menschen entsprechend ihrer Lebensart, Ideologie, Mode und Möglichkeiten den Alltag verlebten. Sie haben Häuser gebaut, Bäume gepflanzt, eben das Stadtbild geprägt und dabei ihre Spuren hinterlassen. Die Zeit der Parallelwelten ist nun schon zwei Jahrzehnte vorbei. Bezirke sind fusioniert und haben sich neu definieren müssen. Wir begeben uns auch hier auf die Spurensuche. Als Ergebnis geht es uns weniger um die konkrete Verortung von Relikten und Restidentitäten, sondern viel mehr um das Vermitteln eines Gesamtbildes. Dazu suchen wir vermehrt nach typischen alltagskulturellen Themen. Nach Orten, die durch die Wende ihre ursprüngliche Funktion verloren oder wieder zurückgewonnen haben. Wir fragen uns, ob man tatsächlich einen Unterschied bemerkt, wenn man in Ost- oder Westberlin unterwegs ist? Wie fühlen sich diese beiden Städte an? Oder ist ein Prozess der „Gleichmacherei“ eingetreten? Fühlt man die Vergangeheit noch über Materialien, Gerüche und Farben etc...? All` diese Fragen stellt man sich im Alltag in der Regel nicht. Nun wollen wir ihnen bewusst nachgehen. Mit dem Fahrrad, einem Stadtplan und dem Fotoapparat machen wir uns in Berlin auf die Suche nach Antworten.

Brachfläche

Etappe I vom: S-Wolankstrasse/Pankow

Brachfläche Mauerreste???

Grenzgebäude

Kirschblüten GÜ Bornholmer Strasse

Hinterlandmauer

Asphaltfläche

bis zum: Kanzlerviertel/Mitte

Hinterlandmauer gebaute Grenzmauern

Brachfläche

abweichende politische Grenze

Brachfläche

Markierung der Spuren im Luftbild

01

Hinterlandmauer Hinterlandmauer

Markierung der Spuren im Fotokatalog

Vorderlandmauer

Brachfläche GÜ Chausseestrasse Brachfläche Hinterlandmauer

Kapelle Todesstreifen Vorderlandmauer

Wachturm Hinterlandmauer

Hinterlandmauer

GÜ Invalidenstrasse Brachfläche Brachfläche Doppelpflasterstein Hinterlandmauer Doppelpflasterstein

37

Brachfläche

Doppelpflasterstein

Mauer

gebaute Grenzmauern

Doppelpflasterstein

Doppelpflasterstein

GÜ Oberbaumbrücke

Hinterlandmauer

Hinterlandmauer

Sperrzone

Brachfläche

GÜ Heinrich-Heine-Strasse

Brachfläche

bis zur: Oberbaumbrücke/Kreuzberg

Brachfläche

Brachfläche

Brachfläche

Markierung der Spuren im Fotokatalog

Brachfläche

Markierung der Spuren im Luftbild

Vorderlandmauer

abweichende politische Grenze

Hinterlandmauer

vom: Kanzlerviertel/Mitte

Aussichtplattform

38 GÜ Friedrichstrasse

01

Doppelpflasterstein

Vorderlandmauer

Etappe II

Etappe III Brachfläche

Mauer

von der: Oberbaumbrücke/Kreuzberg

Hinterlandmauer

Wachturm Wagenburg

Hinterlandmauer

bis zum: Teltowkanal/Neukölln gebaute Grenzmauern

Brachfläche

Brachfläche Brachfläche

Brachfläche Brachfläche

Kirschblüten

abweichende politische Grenze Markierung der Spuren im Luftbild

01

Sperrzone

Markierung der Spuren im Fotokatalog

Sperrzone Sperrzone Sperrzone Sperrzone Vorderlandmauer

Hinterlandmauer Sperrzone

GÜ Sonnenallee Sperrzone Brachfläche

Sperrzone Sperrzone

Sperrzone

39



“Mit dem Fahrrad durch die Stadt... Unter den Linden entlang, über den befreiten Pariser Platz, durchs Brandenburger Tor. Und schon ist man im Westen. Und hat`s gar nicht richtig gemerkt. Nur an einem Gefühl in mir. Die Freude, die mitten durchs Herz geht.Diese Freude verfliegt nicht, so oft ich auch mit dem Fahrrad über eine Grenze fahre, die längst keine mehr ist. Das ist eine tägliche Tour durch mein Leben in Berlin, durch das, was mir die Stadt nie hat langweilig erscheinen lassen in 20 Jahren des Wandels. Die Veränderung ist in jedem Stein und in jeder Lücke zu sehen.” “Geteilte Träume - Meine Eltern, die Wende und ich”, Romanauszug von Robert Ide



Spurensuche Grenzraum

02

01

03 Hier ist die Schneise, die der Todesstreifen schlug noch deutlich zu erkennnen. Schulzestrasse/Pankow

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Stapel von Betonplatten auf ehemaligem Sperrgebiet. Vermutlich Mauererreste? Brehmestrasse/Pankow

Brachfläche zwischen Brehmestrasse (ehem. Osten) und Steegerstrasse (ehem. Westen) Pankow

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05 Leerstehender Grenzsicherungsstützpunkt auf der Brachfläche zwischen Brehmestrasse (ehem. Osten) und Steegerstrasse (ehem. Westen) Pankow Wollankstrasse/Pankow

Spaziergängerweg entlang des ehem. Grenzverlaufes, Kirschbäume als Hinweis Norwegerstrasse/Pankow

Reste der Hinterlandmauer ohne jeglichen Verweis Bornholmerstrasse/Prenzlauer Berg

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19 Asphaltierte Brachfläche mit Markierungen des ehemaligen Grenzübergangs Bornholmerstrasse/Prenzlauer Berg

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Reste der ehemaligen Hinterlandmauer mit angrenzender Bebauung Schwedter Strasse/Prenzlauer Berg

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Sperrzone bei Gleisdreieck, heute mit einer neuen Verbindungsbrücke von der Gleimstrasse zum Mauerpark /Prenzlauer Berg

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12 In ihrer ganzen Länge war die Strasse geteilt; die Häuser im Osten geräumt und die Fenster zugemauert, heute Brachfläche Bernauer Strasse/Prenzlauer Berg

Gedenkstätte Bernauer Strasse 1:1 konservierter Todesstreifen mit der Kapelle der Versöhnung Bernauer Strasse/ Prenzlauer Berg

Wachturm am Kieler Eck im Wohnviertel einer von drei erhaltenen Wachtürmen von insgesamt 302 Kieler Strasse/Mitte

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Reste der Hinterlandmauer, Zeuge der innerstädtischen Grenze durch Berlin Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal/Mitte

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Doppelpflasterstein durch die Innenstadt Schiffbauerdamm/Mitte

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Brachfläche beim Humboldthafen Invalidenstrasse/Mitte

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16 Doppelpflasterstein eingelassen im Weg durch h das Kanzlerviertel/Mitte Kanzlerviertel/

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17 Ein Element der Vorderlandmauer im öffentlichen Potsdamer Platz/ entlichen Raum auf dem d Mitte

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Für Touristen: überinszenierter, ehemaliger Grenzübergang “Checkpoint Charlie” Friedrichstrasse/Mitte

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Reste der ehemaligen Vorderlandmauer Kapelle-Ufer/Mitte

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Brachfläche in der Innenstadt Kommandantenstrasse/Mitte

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Ehemaliger Todesstreifen, heute innerstädtische Brachfläche Alte Jakobsstrasse/Mitte

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24 22 Brachfläche genutzt von Kleingewerbe und einem Lidl m Li dl Heinrich-Heine-Strasse/Mitte

Eingelassene Doppelpflastersteine in der Strasse verweisen auf den Verlauf der ehem. Vorderlandmauer im Stadtraum Leuschnerdamm/Kreuzberg

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Gestaltete Parkanlage, ehemalige Sperrzone Bethaniendamm /Kreuzberg

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27 Informationstafel (Parkanlage) zur Teilung Berlins, Mauerbau und Öffnung der Grenze Bethaniendamm/Kreuzberg

Mit Fall der Mauer besetzte Aussichtsplattform (Westen) umfunktioniert als Wohnhaus Bethaniendamm/Kreuzberg

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Brachfläche am östlichen Spreeufer, mit alter Fabrikhalle, genutzt als Discothek h Schillingsbrücke/Friedrichshain

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29 Mauerreste der Hinterlandmauer bei der Schillingsbrücke/Friedrichshain

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Mauerreste am westlichen Spreeufer genutzt von einer Mülldeponie Köpenickerstrasse/Kreuzberg

Blick vom Gewerbegelände auf die Hinterlandmauer im Osten “East-Side-Gallery” 1,3 km Köpenicker Strasse/Kreuzberg rasse/Kreuzberg

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33 31

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Aussichtsplattform vom westlichen Spreeufer auf die Spree, ehemalige Sperrzone Brommystrasse/Kreuzberg

Oberbaumbrücke, wieder passierbar, nur noch ein Schild verweist auf die ehemalige Funktion des Grenzüberganges Oberbaumbrücke/Kreuzberg/Friedrichhain

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34 Zaun der Grenzsicherung am Spreeufer auf der Rückseite der Arena Eichenstrasse/Treptow

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Fundament eines Wachturms vom Typ BT9 auf Kaimauer im Osthafen Oberbaumbrücke/Friedrichshain

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35 Wachturm im Schlesischen Busch, wird temporär von Künstlern genutzt Puschkinallee/Kreuzberg

AEG Gelände, ehemalige Halle des Omnibusbahnhofes Puschkinallee/Kreuzberg /Kreuzberg

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38 Hinterlandmauer am Schlesischen Busch (Parkanlage) Puschkinallee / Kreuzberg

Informationsschilder zur Teilung Berlins, Mauerbau und Grenzöffnung, der Initiative “Geschichtsmeile Berliner Mauer” Am Flutgraben/ Treptow

Hinweisschild zum “Berliner Mauerweg” markiert eine Fahrradroute entlang der ehemaligen Vorderlandmauer durch Berlin Schlesische Strasse/Kreuzberg

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41 Hinweis auf den “Berliner Mauerweg” Richtung Görlitzer Park Puschkinallee/Treptow

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Pfosten der Grenzgebietsmarkierung an der Bouchéstraße/Tre Bouchéstraße/Treptow

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Brachfläche Brachfläche im Wohngebiet, zum Teil mit einem “Lidl” überbaut Heidelberger Strasse Ecke Treptower Strasse/Treptow

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45 “Grenzübergang Sonnenallee” von einer Künstlerin inziniert, sonst keine Spuren vor Ort Sonnenallee/Neukölln

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Treppe der Grenzübergangsstelle ‚Düker‘ Sonnenallee/Neukölln

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Britzer Grenzübergangsstelle für Schiffe ‚Düker‘, Uferbeer Zweigkanal; ehemalige Gre festigung/Neukölln /N köll

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Analyse Grenzraum Unsere Spurensuche entlang des ehemaligen Grenzraumes stellte sich mitunter als schwierig heraus. Der konkrete Verlauf der Mauer war nicht immer eindeutig auszumachen. An vielen Stellen konnte uns jedoch die Beschilderung des “Berliner Mauerweges” eine Orientierung bieten. Vor allem in der Innenstadt waren uns Doppelfplastersteine, eine vom Tiefbauamt Kreuzberg angeregte Initiative, eine große Hilfe. Sie markieren den Verlauf der Grenze als eine Linie. Allerdings war die Berliner Mauer keine bloße Linie, sondern bestand aus Vorder- und Hinterlandmauer (VLM + HLM) und dem Raum dazwischen. Deshalb irritierten uns oftmals besprühte Mauerreste, die lediglich in der Nähe dieser Pflastersteine lagen. Eine Zuordnung oder Kommentierung dieser verstreuten Mauerstücke fand nicht statt.

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Im geteilten Berlin waren insgesamt 302 Wachtürme um Westberlin postiert, davon lagen 186 im Stadtgebiet. Auf unserer Route enlang der Mauer sind wir nur noch auf zwei dieser Wachtürme gestoßen. Sie sind die einzigen, die innerhalb Berlins nicht abgerissen, sondern sogar unter Denkmalschutz gestellt wurden. Einer liegt inmitten der Wohnanlage “Kieler Eck”, nahe des Schifffahrtskanals und fungiert als Gedenkstätte für Günter Litfin, dem ersten Opfer der Berliner Grenzanlage (gescheiterter Fluchtversuch über die Spree). Der andere Wachturm befindet sich an der Puschkinallee in der Parkanlage “Am Schlesischen Busch” und wird im Sommer für Kunstprojekte der “Kulturfabrik am Flutgraben” genutzt.

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Mauerreste sind vereinzelt entlang der gesamten Strecke aufzufinden. In der Regel ungeschützt, Wind und Wetter ausgesetzt, verrotten sie langsam. Nur wenige stehen mittlerweile unter Denkmalschutz. Mehrheitlich wird ihnen keinerlei Beachtung geschenkt. Ausser mit den Originalen der VLM: an der 1,3 km langen East-Side-Gallery, denen innerhalb des Kunstprojektes “Parlament der Bäume” am Schiffbauerdamm; mit den Originalen der HLM: auf dem Invalidenfriedhof, am Nordbahnhof (etwa 400 m) und dem gesamten Todesstreifen Bernauer Strasse, sowie mit den rekonstruierten Bruchteilen am Potsdamer Platz (VLM), findet kaum ein Umgang statt. Das verwundert, besonders wenn man die Bornholmer Strasse, Puschkinallee oder Schillingsbrücke passiert, wo größere, zusammenhängende Teile der HLM stehen.

Die unzugängliche Leere des Todesstreifen wurde über die Jahrzehnte von der Natur überwuchert. Heute existieren viele dieser Flächen noch im Sinne einer Brache. Sie liegen an Brandwänden und zwischen Strassenzügen, auf Grundstücken inmitten der Stadt und verwahrlosen. An diesen Stellen eröffnet sich zumindest ein stückweit die Möglichkeit, die Dimension der Schneise, die sich brutal durch ganz Berlin zog, exemplarisch wahrzunehmen.

Insgesamt gab es 25 Grenzübergangsstellen (GÜSt) rund um Berlin, wovon 6 in der Innstadt lagen. Auf unserer Tour müssen wir jedoch feststellen, dass es keine Spuren der ehemaligen Kontrolleinrichtungen gibt. Auch die Strassen erwecken heute den Eindruck, als wären sie nie getrennt gewesen. Lediglich eine Gedenktafel gibt Hinweise auf die Geschichte des Ortes, das Ausmaß dieser Grenzposten wird dabei jedoch nicht spürbar. Ein charakteristisches Merkmal für einige der ehemaligen Grenzübergänge (GÜ) bilden heute Brachflächen. Diese Brache ist am GÜ Heinrich-Heine-Strasse von einem Lidl belegt, auf der am GÜ Chauseestrasse hat sich eine Tankstelle niedergelassen und am GÜ Invalidenstrasse soll sie in eine „Wohnanlage am Humboldthafen“ umgewandelt werden. Am GÜ Bornholmer Strasse scheint die Zeit stehengeblieben. Grenzposten und Kontrollhäuschen sind zwar verschwunden, die originale Asphaltfläche mit ihren Strassenmarkierungen liegt jedoch bisher unberührt, allerdings sehr verwahrlost da. Direkt daneben haben sich Skater aus dem Sand der Brache eine Halfpipe gebaut. Der GÜ Sonnenallee ist durchzogen von einem langgestreckten Grünzug durch Neuköln, der GÜ Oberbaumbrücke ist wieder zum festen Teil der Infrastruktur geworden, um Friedrichshain und Kreuzberg zu verbinden. Eine Aussnahme bzgl. der heutigen Nutzung und Selbstdarstellung ist der GÜ Friedrichstrasse. Im Stadtzentrum entwickelt er sich als “Haus am Checkpoint Charlie” zum thematischen Vermittler der Teilungsgeschichte Berlins. Diese Form der konsumfreudigen Touristenattraktion umfasst das private “Mauermuseum” und die Inszenierung “Soldaten vor dem Kontrollhäuschen” für das persönliche Erinnerungsfoto.

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In den Randgebieten von Berlin (Etappe I + II) ist der ehemalige Todesstreifen zum Teil mit Kirschbäumen gestaltet. Sie geben zur Zeit der Kirschblüte einen eindrucksvollen Hinweis auf den Grenzraum. Der spezielle Reiz dieser Geste, einem Geschenk Chinas, liegt in der Tatsache, dass der Grenzraum nur für einen beschränkten Zeitraum im April/Mai sichtbar inszeniert wird.

47

Parallelwelten

Westberlin

Ostberlin

Fläche

481 km²

403 km²

Einwohner

2,012 Mio

1,284 Mio

Die Spree

vom Wannsee zum Schiffbauerdamm

vom Schiffbauerdamm zum Müggelsee

Sektoren (BSZ)

amerikanisch, französisch, britisch

sowjetisch

Stadtbezirke

Charlottenburg, Kreuzberg, Neukölln, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Steglitz, Tempelhof, Tiergarten, Wedding, Wilmersdorf, Zehlendorf

Friedrichshain, Hellersdorf, Hohenschönhausen, Köpenick, Lichtenberg, Marzahn, Mitte, Pankow, Prenzlauer Berg, Treptow, Weißensee

Funkturm (1924–1926) 146,78 m 52° nördlicher Breite, 13° östlicher Länge

Fernsehturm (1965-1969) 368,03 m 52,5° nördlicher Breite, 13,4° östlicher Länge

Zentrum Ku`damm

Zentrum Alexanderplatz

Hauptbahnhof: Zoologischer Garten

Hauptbahnhof: Ostbahnhof

Zoo (1844) 35 Hektar

Tierpark (1955) 160 Hektar

Flughafen Tegel (1948)

Flughafen Schönefeld (1946)

Freie Universität (1948) Zehlendorf

Humboldt Universität (1810) Mitte

Wannsee und Grunewaldturm

Pionierpalast und Plänterwald

Parallelwelten im Wettstreit

Parallelwelt Ost

Parallelwelt West Spuren Ostberlin Spuren Westberlin ehemalige Grenze ehemaliger

Einrichtungen

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Intershop, Verschluß von Aussichtsplattformen gen Osten, Geisterbahnhöfe, Pas- U-Bahn-Tunneln und der sierscheinstellen, stillgelegter Kanalisation im Grenzgebiet, Bahnhof Nollendorfplatz zum Flohmarkt umgenutzt

1 Grenzübergang 1 2 3 4 5 6

7 8

Bornholmer Str./Bösebrücke (nur für West-Berliner und Bürger der BRD) Chausseestr./Reinickendorfer Str. (nur West-Berliner) Invalidenstr./Sandkrugbrücke (nur West-Berliner) Bahnhof Friedrichstr. (Tränenpalast) Checkpoint Charlie/Friedrichstr. (nur Ausländer und Diplomaten) Heinrich-Heine-Str./Prinzenstr. (nur Bürger der BRD) Oberbaumbrücke (nur West-Berliner) Sonnenallee (nur West-Berliner)

es

Märkisch Viertel

1

n

Flughafe

Marzahn

2

rplatz

3

Alexande

4

urm

Fernseht

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Ostbahnh

ät

Universt Zoo

Funkturm

ch Zo ol og is Garten

er

5

Tierpark

6

7

Kudamm

8

tät Universi

49 n

Flughafe



“Der Westen. Das war die Leerstelle meiner Kindheit, die ich mit aufgeschnappten Anekdoten und kurzen Blicken vom Fernsehturm zu füllen versuchte. Mit dem Mauerfall habe ich diese Leerstelle in mir gefüllt, es gab damals - ich war 14 - eigentlich nichts Wichtigeres für mich. Ich fuhr mit der S-Bahn zu jeder Station im Westteil, stieg aus und sah mich um - sogar am Westhafen, an dem mir nichts westlich vorkam. Mich faszinierten damals die Schöneberger Wochenmärkte mit ihrer bunten Kleinteiligkeit, die Spandauer Eckkneipen in denen es Bierdeckel aus aller Welt gab. Vor allen Dingen faszinierten mich die Menschen: ihr selbstbewußter und scheinbar nicht zweifelnder Umgang mit sich selbst. Das Weitläufige fand ich spannend, das Offene. Das wollte ich auch entdecken, so wollte ich auch werden. Heute gibt es diese Leerstelle nicht mehr in mir. Vielleicht auch, weil es den Westen in Berlin gar nicht mehr gibt. Genau weiß ich das nicht, ich erspüre ihn jedenfalls nicht. Ich wüsste nicht, wo das alte West-Berlin zu erschmecken und zu erriechen wäre. Ich erahne es nur, wenn es mich zur Berlinale mal in den Zoopalast verschlägt, auf dem irgendein leichter Staubschleier liegt, der nicht wegzuputzen geht.” “Geteilte Träume - Meine Eltern, die Wende und ich”, Romanauszug von Robert Ide



Spurensuche Westberlin

Aus Waschbeton gefertigte Grunstücksmauer

Mehrfamilienhäuser einer Großraumsiedlung mit gelben Kacheln verkleidet

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Individuelle Form- als auch Farbgestaltung einer Wohnsiedlung, das Fluchttreppenhaus verläuft über den Balkon

Hochhauskomplex einer Großraumsiedlung, 24 Stockwerke, Blick auf die Balkone des Fluchttreppenhauses

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Axel Springer Verlagsgebäude

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Aufwendige Eckbalkongestaltung eines Mehrfamilienblocks

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Exponierte Atelierwohnung auf einem Hochhaus, sehr farbenfroh gestaltet

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Klassische, farbige Wandfliesen im Querformat in U-Bahn-Stationen

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Die wohl bekannteste “Glas-Fassade” eines Kirchbaus, im Zentrum Westberlins

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Glassplitter in einer aufwendigen Betonstruktur

Glasfassade mit hoher Reflektionsrate

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Dynamische Balkongestaltung

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Fassade der Amerika-Gedenkbibliothek, eine Spur der Besatzungsmacht

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Karstadt-Fassade

Eingangsberecih einer Diskothek, deren Zeit längst vorbei ist

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Mauer im Öffentlichenraum, Begrenzung eines Spielplatzes

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Reste der Mauer oder doch nur Graffiti an einer beliebigen Betonmauer?

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Individuelle Formgestaltung von Balkonen

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Monotonie aus Waschbeton im Westen

Eingangsbereich eines ehemaligen Kinopalastes

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Klassischer Jägerzaun in einer Reihenhaussiedlung

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Mosaik auf einem Spielplatz im Westen

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U-Bahnwaggon

Besprühte Backsteinmauer als Absperrung einer Schule

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Das alte Theaterschiff im Urbanhafen

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Eingangsbereich eines Hochhauskomplexes

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Eine Großraumsiedlung - kein linearer Block, sondern ein geschwungenes Band

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Einst war es das bedeutenste Einkaufscenter in Berlin, heute stehen die meisten Geschäfte leer

Das Marmorhaus, der Inbegriff von Kinokultur für jeden Westberliner. Allerdings ist die Ära der langen Kinonächte passé- stattdessen gibt es hier nun Klamotten von der Stange.

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Beliebteste und bekannteste Imbissbude Westberlins

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Fassadengestaltung, in der die Fugen tief blicken lassen.

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Ein Relikt der manuellen Verkehrszählung im Zentrum Westberlins

Die Steigerung von Element und Addition

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Eigentlich ist ja da Funkturm der Hochpunkt Westberlins, viel öfter sieht man jedoch den Mercedes-Stern in Bewegung.

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Das Premiere-Kino - der richtig große, rote Teppich wird mittlerweile aber woanders ausgerollt.

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Einmal mehr...

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Die “Uhr der fließenden Zeit”, eine moderne Wasseruhr im Berliner Europa-Center, war ein wichtiges Ausflugsziel.

Ein weiterer Zeuge längst vergangener Kinokultur, ebenso durch einen Klamottenladen ersetzt.

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Die neusten Filme aus Hollywood, ausgestellt in alten Schauvitrinen auf der Flaniermeile.

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Stillgelegtes Kopf-Bahnhofsgebäude aus Backstein, der ehemalige Görlitzer Bahnhof ist heute eine Kulturkneipe.

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Altbauwohnung mit orginal Ladenschriftzug

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Elementierung, pastelle Töne und der Balkon des Fluchttreppenhauses

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Kultkneipe für Jazzliebhaber - eine bekannte Adresse unter Westberlinern.

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Das Zapf-Umzugsunternehmen hat sich eine unbeglichene Rechnung in Form einer Leninstatue auszahlen lassen .

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Holzschaukelpferd auf dem Spielplatz

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Analyse Westberlin Die erste und wahrscheinlich wichtigste Feststellung dieser Tour ist, dass es uns um ein vielfaches schwerer gefallen ist, Relikte in Westberlin als in Ostberlin auszumachen. Auf dem Weg durch diesen Teil fiel nämlich vor allem eines auf: Alles ist überall anders! Die Vielfalt der Bewohner, des Klientels innerhalb der Stadtviertel scheint irgendwie größer zu sein als im Osten. Diese “Individualität”, die uns so gewöhnlich vorkommt, erschwert ein stückweit das Zusammensetzen eines charakteristischen Bildes. Außerdem hat man das Gefühl, dass es sich nur über den Vergleich zum Osten aufbauen kann. Vielleicht ist es aber auch einfach die Erkenntnis, dass die westliche Welt eben diejenige ist, die nach der Wende weiter existierte. Hier leben wir heute. Möglicherweise fällt es deshalb so schwer ein klares Bild zu fokussieren. spur_teilung.jpeg

Doch bei genauerem Hinsehen und einer ambitionierten Suche gibt es auch hier Spuren zu entdecken. Am Halleschen Tor zum Beispiel sind Zeichen für das Leben mit einer Besatzungsmacht erkennbar: die Amerika-Gedenkbibliothek. Und auf dem gleichen Grundstück befindet sich eine der ehemals 5 Passierscheinstellen in Berlin, die einen Auszug des Lebens der Westberliner mit der Grenze beschreiben. In dem kleinen, braun-beigen Bungalow am Waterlooufer holte man sein Visum für den Besuch Ostberlins ab. Heute zeugt nur noch eine Metallinschrift am Eingang und ein Foto im Schaukasten von dieser Zeit. Ein afrikanischer Kulturverein nutzt den renovierungsbedürftigen Bau nun für seine Zwecke. Auf einen weiteren Bungalow der gleichen Bauart und ursprünglichen Funktion stößt man am Leopoldtplatz. Auch er beherbergt heute eine soziale Einrichtung für den Bezirk Wedding.

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Ein Phänomen, was sich heute leider nicht mehr ablesen läßt, befand sich auf dem U-Bahnhof Nollendorfplatz. Der obere Bahnsteig der damaligen U1 war von 1971-1993 stillgelegt und zu einem Flohmarkt umfunktioniert worden. Bahnsteig und Waggons dienten als Verkaufsfläche. Heute verkehrt dort wieder die U2. Ungehindert von Relikten befährt sie diese Station und lässt die Erinnerungen an die einstige Eigenart verblassen. Ebenfalls wieder voll funktionstüchtig sind heute die ehemaligen Geisterbahnhöfe. Die Mauer trennte nicht nur die Stadt in Ost und West, sondern auch die Strecken der Verkehrsmittel. Auf den Stadtplänen in Ostberlin verschwanden die Linien im Westen. Der gesamte Westteil der Stadt wurde ausradiert - zumindest auf den Karten. Manche Züge aus dem grauen Westen fuhren dagegen unter der Erde mitten durch Ostberlin - die Nord-Süd-Linien mussten den Ostberliner Bezirk Mitte passieren. Aus den Lautsprechern der S2 (heute S1) und der U-Bahnlinien U6 und U8 tönte “Letzter Bahnhof in Berlin-West!”. Danach fuhren sie ohne Halt durch sozialistisches Gebiet, in Schrittgeschwindigkeit vorbei an verlassenen “Geisterbahnhöfen”. Die muffigen, kaum beleuchteten Schächte wurden von Grenztruppen bewacht. Anhalten oder gar Ein- und Aussteigen war verboten.

Ein spezielles Phänomen in Westberlin waren sogenannte Aussichtsplattformen. Sie waren aus Stahl oder Holz gefertigt, vielfach entlang der Berliner Mauer postiert und ermöglichten den einseitigen Blick von West nach Ost. Diese Touristenattraktion verschwand natürlich mit dem Mauerfall. Lediglich am Mariannenplatz erinnert das „Baumhaus an der Mauer“ noch daran. Von den meisten als kreuzberg-typische Skurilität wahrgenommen, besetzt dieses Baumhaus die genaue Position einer ehemaligen Aussichtsplattform. Ob diese jedoch die Unterkonstruktuion für die genagelte Hütte stellt, bleibt uns verborgen. Auch die Wagenburg in direkter Nachbarschaft ist ein Relikt der Vergangenheit und verdeutlicht, wie viel näher die Westberliner der Mauer kamen und wie sie mit ihr gelebt haben. Noch auf politischem DDR-Hoheitsgebiet trennten sie nur wenige Meter von der VLM.

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Gropiusstadt und das Märkische Viertel sind die westlichen Vertreter der Großraumsiedlung und damit die Analogie zum Osten. Wie jeder weiß: auch im Westen gibt es Großtafelbauweise in massiger Dimension. Allerdings, im Unterschied zu Ostberlin, liegen diese eher am Stadtrand und sind bei weitem nicht so flächendeckend groß angelegt.

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Der Ku`damm steht auch heute wieder für die Berliner Shoppingmeile. Aber das, was ihn zur Zeit der Teilung ausgemacht hat, ist verschwunden. Alte, legendäre Leuchtreklamen wurden durch LED-Leinwände auf den Stand der Technik gebracht, die ausgeprägte Kinokultur um den Breitscheidtplatz wurde verdrängt. Hinterlassene Werbeschilder am Marmorhaus, Royalpalast und Gloriapalast sind die letzten Zeugen dieser Epoche. Das Europacenter und MiniCity stehen nicht nur in ihrer Bedeutung leer da.

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“Wie der Osten aussah, weiß ich dagegen noch genau - oder besser, ich erspüre es heute noch in Kleinigkeiten, die sich vor mein Auge schieben, weil sie geblieben oder gar verschwunden sind. Zum Beispiel wenn ich den silbernen Vorhang im Kino International an der Karl-Marx-Allee sehe, wenn ich die “Ketwurst” mit ihrer dünnen Ketchupsoße an S-Bahnhof Schönhauser Allee koste, wenn ich am Flughafen Schönefeld die alten Anzeigetafeln sehe, die früher den Zielort “Leningrad” anzeigten, auch wenn ich ein “urst” höre, das noch jemand sagt. Zuletzt lief ich durch den Plänterwald und sah im früheren Freizeitpark im Wald das Riesenrad vor sich hinrosten, auf dem ich einst die Leichtigkeit schätzen lernte. Das komische bei einem solchen Anblick ist das gewühlte Gefühl, das er in mir auslöst: Die Freude, mit der ich mich an diese Leichtigkeit erinnere.”



“Geteilte Träume - Meine Eltern, die Wende und ich”, Romanauszug von Robert Ide

Spurensuche Ostberlin

Fassadengestaltung an der Brandwand eines Plattenbaus

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Komode aus DDR Zeiten in typischer Holzfurnier-Optik

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Pionierpalast “Ernst Thälmann” mit einer eigenen Pioniereisenbahn. Ein Pionierhaus - typische Freizeiteinrichtung in der DDR

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Stecksystem für Balkone / Fertigbauteile

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Aus Waschbeton hergestellte Sitzmöbel

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Eingangstür des FEZ, Türgriffe noch im orginalen Design

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Klassische Strassenlaterne, findet man in ganz Ostberlin bzw. Ostdeutschland

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Beleuchtung von Grenzsicherheitspunkten

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Waschbeton - gängiges Material für die Gestaltung von Stadtmobiliar im öffentlichen Raum

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Platzgestaltungselement im städtischen Raum

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SEZ, Sport-und Erholungszentrum im Zentrum Ostberlins, nur die Strassenfassade hat einen neuen Anstrich bekommen

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Klassisches Fugenbild der Gehwegplatten im Osten

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“Plaste” ein gängiges Material für moderne Formen

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Gebäudeverkleidung mit Kacheln in den unterschiedlichsten Farben

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Leuchtschrift - eine Seltenheit in der DDR

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Farbige Wandbemalung um von dem monotonen Grau der Fassaden abzulenken

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Repräsentativ für diese Zeit sind in Form gegossene Betonfertigteile, hier eine Eule.

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Wenn es schon kein echten Bohnenkaffee für jeden zu kaufen gibt, wird wenigsten einer an die Fassade montiert.

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Fassade eines Repräsentativbaus mit aufwendiger Gestaltung

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Waschbeton, das wohl am häufigsten verwendete Material in Ostdeutschland

Gängiges Material für vielerlei, auch Mülleimer

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Ein Zaun mit dreidimensionaler Tiefe als optische Trennwand

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Punkthochhaus mit 18 Geschossen, einer Fassade aus Waschbetonelementen und Balkonplatten mit Mauerwerksriemchen

Hochhausreihe, steht heute unter Denkmalschutz, eine klassisches, homogenes Fassadenbild

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Die Wandbemalung an einer Turnhalle unterstreicht wie sehr der Staat sich für eine sportliche Gesellschaft engagiert hat.

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14m hohe und 12m breite Bronzestatue von Ernst Thälman mit einem Gewicht von 50 Tonnen

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Sport spielte in der ehemaligen DDR eine überragende Rolle

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Mauerwerkswand mit mosaikhaftem Farbspiel

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Klassisches Erscheinungsbild von Turnhallen und Kaufhallen, sie haben immer dieses Trapezdach, in ganz Ostdeutschland zu finden

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Fussbodenbelag in klassischen, gedeckten Tönen

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Grundstücksmauer aus geometrischen Betonformteilen

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Trennelemente im öffentlichen Raum, an einer Einkaufsstrasse

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Repräsentatives Erscheinungsbild von Wohngebäuden, ursprünglich graue Waschbetonfassaden.

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Eine Grundschule aus Waschbetonteilen und Riemchen

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Gegossener Beton an Stirnseite Plattenbau

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Überdimensionierte Statuen zur Verkörperung des Regimes

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Mosaike zur Fassadengestaltung

Hintereingang von Typenbauten

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Einfachste Funktionsgebäude erhalten eine aufwendige Fassadengestaltung

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Stecksystem aus Wachbetonteilen für eine Stadtzonierung

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Raumerweiterungshalle, teleskopartige Ausziehhalle für temporäre Verkauf- und Verantstaltungsorte

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Ornamentik!

der meist gewählte Treffpunkt Ostberlins

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Betonfertigbauteile mit Stahlankern für Strassen

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Und noch ein Trapezdach, aber diesmal für ein Gaststättengebäude

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Analyse Ostberlin Die Hinterlassenschaften und Relikte aus der Zeit der Teilung sind im Stadtbild in vielerlei Hinsicht deutlicher als im Westen. An jeder Ecke trifft man auf die “Platte”, ein Trapezdach oder Waschbeton. In der Innenstadt inmitten von Altbauten oder noch extremer am Stadtrand tauchen diese Typenbauten auf: Oberschulen, Grundschulen, Kindergärten, Polikliniken, Punkthochhäuser und Wohnblöcke als immer wiederkehrender Gebäudetypus. spur_typenbau.jpeg

Aufgrund seiner einprägensamen Form sticht das Trapezdach, als besonderes Relikt dieser Epoche, unter den Typenbauten hervor. Kaufhallen und Turnhallen tragen dieses als Dachkonstruktion und sind sogar direkt neben der Museumsinsel zu lokalisieren. Eine entkernte Variante findet sich direkt neben einem Stück HLM in der Parkanlage “Am Schlesischen Busch”. spur_material.jpeg

Auch die vielseitige Verwendung von Waschbeton ist charakteristisch und bemerkenswert häufig zu entdecken. Am eindrucksvollsten verkörpert diese “Mode” sicherlich der Ernst-Thälmann-Park, der noch heute im Originalzustand ein wirkliches Gefühl für diese verloren gegangene Welt vermittelt. Dort lassen sich Mülleimer, Pflanzkübel, Tischtennisplatten, Sitzmöbel, Mauern und natürlich Typenbau-Fassaden aus Waschbeton aufspüren. In den meisten anderen Gebieten hat sich die Sanierungswelle bereits so weit ausgebreitet, dass lediglich Kubatur und Dimension an die sozialistische Bauart erinnert. Balkonplatten werden mit moderneren, verspielten Brüstungselementen ausgetauscht. Die Aussenwand wird mit bunt gestrichenem WDVS nachgedämmt. In einigen Fällen wird sie auch schlichtweg übermalt, ohne tatsächlich den Wohnstandard zu verbessern.

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Im alten und neuen Zentrum Ostberlins, um den Alexanderplatz und die Karl-Marx-Allee, lassen sich derzeit interessante Beobachtungen machen. Noch lange nach der Wende konnte man hier die wohl repräsentativsten Zeugnisse des sozialistischen Städtebaus und damit Relikte dieser Ära wahrnehmen. Heute stößt man allerdings auf die ersten Ergebnisse der Neuplanungen der Berliner Mitte. Der Palast der Republik ist bereits abgerissen, es folgt das Gebiet nördlich des Fernsehturms, wo sich das Haus des Reisens, Haus der Mode, etc. befinden. Eine seltsame Atmosphäre hat sich in diesen Strassen breit gemacht: Leere, Bauzäune, keine Menschenseele, aber beeindruckende Fassaden und Details. Und daneben: die Prachtstrasse der DDR, die Karl-Marx-Allee. So etwas sieht man im Westteil einfach nicht. Eine Promenade formt sich aus gefliesten Plattenbauten und später dem “Zuckerbäckerstil”. Die Kinos “International” und “Kosmos” gehören fest zu diesem Esemble und spiegeln das einstige Kulturerlebnis wieder. So viele Spuren, wie man im Berliner Osten entdecken kann, so viele Relikte sind bereits verschwunden. Denkmäler, wie die Leninstatue am heutigen Platz der Vereinten Nationen zählen dazu, aber auch eine Vielzahl von Typenbauten und natürlich die Intershops. Das waren Läden, in denen Ostdeutsche für wertvolles Westgeld Westprodukte einkaufen konnten. Mit der Wiedervereinigung verflog ihre Notwendigkeit. Nun war plötzlich jede “Kaufhalle” ein Westproduktelager, die Ostprodukte verschwanden schnell und unbemerkt. Und 20 Jahre später liegen genau diese Produkte als Neuauflage wieder im Regal jedes zweiten Supermarktes, sogar außerhalb der ehemaligen DDR.

Ornamente und Mosaike sind ein weiteres bezeichnendes Mittel für Ostberlin und seinen Charakter. An Fassaden, Grundstücksmauern und Hauseingängen kann man unterschiedlichste Variationen dieser Methode der Diffenrenzierung und Gestaltung im öffentlichem Raum finden. Genauso ausgeprägt scheinen Wandmalereien zum Schmuck der Stirnseiten von Typenbauten verwendet worden zu sein. Diese Designelemente verschwinden im Zuge von Sanierungen jedoch auch immer mehr. spur_freizeit.jpeg

Zu den wichtigsten Freizeiteinrichtungen Ostberlins gehörten der Pionierpalast “Ernst-Thälmann” - heute FEZ - in der Wuhlheide, das Sport-und Erholungszentrum SEZ im Friedrichshain und der VEB Kulturpark Plänterwald in Treptow. Gegenwärtig haben nur noch das FEZ und Teile des SEZ geöffnet. Aber sie haben nicht annähernd so viel Bedeutung, wie vor der Wende. Aus dem feierlichen Pionierpalast ist eine “Hüpfburg” geworden. Im stillgelegten Wellenbad des SEZ, stehen nun Fitnessgeräte auf dem Beckengrund. Die Fahrgeschäfte des einzigen Vergnügungsparks der DDR sind von der Natur überwuchert. spur_sprache.jpeg

Aber nicht nur materielle Dinge gingen verloren. Auch eine Sprache, im Sinne eines spezifischen Vokabulars aus Abkürzungen, sozialistischen Eigennamen und anderen Begrifflichkeiten wurden ausgetauscht. Insgesamt wurden nach der Wende 71 Strassen, 12 U+SBahnhöfe und zahlreiche Schulen in Ostberlin umbenannt. Diese Umbenennungen wurden Anfang der 90er Jahre vorgenommen und sind bis heute gültig. Ein Hinweis dazu im öffentlichen Raum existiert nicht.

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Fazit/Spurensuche Das Bedürfnis der Menschen kurz nach dem Fall der Mauer 1989/90 war groß dieses „verhasste“ Bauwerk, für viele der Inbegriff für staatliche Überwachung und Kontrolle, so schnell wie möglich los zu werden. Scheinbar konnte nur der permanente und weitgehend vollständige Mauerabbruch (psychologisch und politisch), als eine Art emotionaler Befreiungsschlag, die Unumkehrbarkeit des historischen Prozesses garantieren. Andererseits erkannten Denkmalschützer, Museumsleute und Historiker, dass die Berliner Mauer mit der Überwindung, ihrem Abriss und dem Verschwinden zu einem ungewollten Denkmal wurde. Sie traten dafür ein, Mauerreste als notwendige zeitgeschichtliche Zeugnisse einer gerade erst überwundenen Epoche anzuerkennen und nicht alle Spuren der Mauer restlos zu beseitigen. Der Beschluss vom 2. Oktober 1990 des Berliner Magistrats, zumindest die Grenzmauerabschnitte an der Bernauer Strasse, der Niederkirchstrasse und am Invalidenfriedhof unter Denkmalschutz zu stellen, reagiert auf diese Bemühungen. Mit dem historischen Abstand der heutigen Perspektive ist es unmöglich, sich in diese besondere Situatuion hineinzuversetzen. Aus diesem Grund wollen wir uns auch nicht der Frage nach anderen Möglichkeiten des Umgangs mit dem Abriss der Mauer zu Beginn der 90er Jahre hingeben. Unser Blickfeld fokussiert die Gegenwart. Die Analyse

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des Grenzraums zeigt, dass Mauerreste und andere Relikte noch vorhanden sind. Einige davon befinden sich in einem konzeptionellen Projektzusammenhang. Einer Vielzahl wird jedoch keine Beachtung geschenkt. Ob es sich dabei um mittlerweile vergessene Elemente handelt oder ein anderer Grund zu ihrem Fortbestand existiert, ist nicht ersichtlich. Dieser nicht vorhandene Umgang ist für uns einerseits unverständlich, andererseits sehen wir aber auch ein Potenzial darin, aus dem wir schöpfen wollen. Dabei verstehen wir Grenzrelikte als Zeitzeugen einer Epoche, die für ganz Europa steht, und die Spuren der Parallelwelten als Zeitzeugen der geteilten Stadt Berlin. In einer Gesellschaft, die um kritische Erinnerungskultur bemüht ist, erstaunt uns jedoch wie unbedarft man 20 Jahre nach der Wende plötzlich mit Relikten umgeht, die für Berlin zum Symbol geworden sind. Beispielsweise müssen Teile der East-Side-Gallery der städtebaulichen Neuplanung des Spreeufers weichen. Der denkmalgeschützte Tränenpalast wird unsensibel verbaut. Der Palast der Republik ist schon abgerissen und die Gebäude nördlich des Alexanderplatzes werden folgen. Mit derartigen Ereignissen begründen wir unsere Motivation eine spezifische Auseinandersetzung mit der Gegenwart der Vergangenheit anzuregen, um Spuren innerhalb des Berliner Stadtbildes ins Bewußtsein zurückzuholen und sich für ihre Bedeutung zu sensibilisieren.

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Wie haben Sie die Stadt erlebt, den Potsdamer Platz, den Bezirk Mitte und die Mauertrasse? ...fragt Hubertus Siegert

Kurz nach dem Mauerabriß wurde schon deutlich, daß es sich nicht um eine intellektuelle Vereinigung handelt. Es war schon meine Kritik auf der IBA, daß nicht das bestehende Berlin als Ausgangspunkt der Diskussion genommen wurde, sondern das alles nur zum Vorwand für die Ausradierung der Mauertrassen genommen wurde – und damit der Geschichte der Mauer und damit der Geschichte Berlins. Ich war eigentlich entsetzt, daß diese Qualität der Stadt, die ich immer als sehr besonders empfunden habe, die für mich das Essentielle der Identität war, daß gerade das bei den Intellektuellen so auspoliert war und ganz unverschämt vernichtet wurde. ...antwortet Rem Koolhaas

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diskurs Bewegt und schockiert, überrascht und entäuscht zugleich kamen wir von unserer Spurensuche in Berlin nach Hamburg zurück. Die Eindrücke dieser Tour wirkten lange Zeit nach und haben so unseren Blick für vieles nachhaltig geprägt. Der gegenwärtige Umgang der Hauptstadt mit den Relikten der ehemaligen Grenzanlage lässt vieles offen: Fragen, Zugehörigkeiten und Bedeutungen. Zu vieles - für unser Empfinden. Diese Zustände stoßen bei uns auf Unverständnis und gleichzeitig formulieren sie indirekt einen Handlungsbedarf. In unserem Vorhaben fühlen wir uns bestärkt: Berlin braucht weitere und vor allem auch andersartige Maßnahmen. Interventionen, die sich mit der Grenze und ihrer Bedeutung nicht nur auf dokumentarische, aufklärerische oder gedenkende Weise auseinandersetzen, sondern vielmehr im Sinne eines aktiven Denkzeichens. Dazu ist uns ein weiterer Diskurs wichtig, in dem es um Themen der Erfahrbarkeit, wie Erinnern, Erleben, Reflektieren und Wahrnehmen geht, denn die Relikte aus der Vergangenheit der Stadt sind unmittelbar mit den Erinnerungen und Assoziationen der Menschen veknüpft.

... wie war das noch? 66

erinnern Erinnern ist die Fähigkeit, Vergangenes im Gedächtnis zu behalten und es in bestimmten Situationen wieder abzurufen. Aber so etwas wie ein Organ namens Gedächtnis gibt es nicht. Dieselben Netzwerke von Neuronen, die die gegenwärtigen Sinneseindrücke verarbeiten, speichern auch die Eindrücke aus der Vergangenheit. Auch psychologisch betrachtet ist Erinnern und Erleben beinahe dasselbe. Es genügt, an die Vergangenheit zu denken, schon tauchen wir in sie ein. Eine Erinnerung besteht aus Splittern von Bildern, Gerüchen und Gefühlen. An jedem unserer Erlebnisse sind manchmal Tausende von Neuronen beteiligt, deren Aktivität von spezielleren Gehirnzellen koordiniert wird. Als Taktgeber im Gehirn sorgen diese dafür, dass die vielen gespeicherten Einzelinformationen wieder ein Gesamtbild ergeben. Erinnern und Raum stehen ohne Zweifel in einer engen, wechselseitigen Beziehung. Kehrt man z.B. in jene Gegend zurück, in der man die Kindheit verbracht hat, werden Erinnerungen lebendig, die zwar in einem schlummerten, derer man sich aber vielleicht Jahrzehnte lang nicht bewußt war. Und kommt man dort mit ehemaligen Freunden zusammen, werden plötzlich gemeinsame Erlebnisse gegenwärtig. Man tauscht Erinnerungen aus, die unvermittelt die Vergangenheit zur Gegenwart werden lassen. Erinnerungen werden also durch die Wahrnehmung von Orten, in denen das Gedächtnis ruht, aktualisiert.



“Erinnerung ist zu einem hohlen Schlagwort geworden.” Massenmedien wie Fernsehen, Film und Zeitung, aber auch Bücher nutzen Anlässe wie das 20-jährige Jubiläum des Mauerfalls um die deutsche Erinnerungskultur zu beeinflussen. Auf Dauer können sie aber auch zur Übersättigung und zum “Abstumpfen” der Menschen führen. Die Bedeutung der Medien für die Erinnerung wird an dieser Stelle deutlich. Dem Bild wird die größte Macht zugeschrieben sich ins Gedächtnis einzugraben. Erinnerungskultur bezeichnet die Gesamtheit von Verhaltensweisen und sozialer Umgangsformen einer Gesellschaft, Teile der Vergangenheit im Bewusstsein zu halten und gezielt zu vergegenwärtigen. Im Vordergrund stehen dabei die kollektiven wie subjektiven Wahrnehmungen historischer Zusammenhänge aus einer aktuellen Perspektive und weniger die Darstellung von historisch-objektivem Wissen. Markant für eine Kultur des Erinnerns ist, dass kollektive Wahrnehmungen die subjektiven Wahrnehmungen prägen. Einfluss auf die Erinnerungskultur haben gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Verhältnisse und Probleme. Ausdruck findet gerade die öffentliche Erinnerungskultur in einem vielfältigen Spektrum von Initiativen und Herangehensweisen. Dazu gehören in erster Linie die Archivierung von Informationen, deren wissenschaftliche Aufarbeitung und letztendlich die öffentliche Dokumentation sowie sonstige mediale Darstellung. Ne-

ben diesen eher ereignisabhängigen Formen spielen auch Gedenkstätten, Gedenktage und Denkmäler eine größere Rolle. Die Erinnerung, die uns beschäftigt, ist die kollektive unserer Generation. Geschichten über die Geschichte, die in der Familie, Schule, in Filmen und Büchern kundig erzählt werden. Momente, die man aufgrund des Alters nur begrenzt selbst miterlebt hat. Es sind fremde Bilder von Orten, Ereignissen und Stadt, mitunter auch medial vermittelte, die man unbewußt mit den eigenen Erinnerungen verschmelzen lässt. Durch die Vermischung der privaten, subjektiven Erinnerungswelt mit den öffentlichen, objektiven Erinnerungsbildern entsteht ein kollektiver Erinnerungsraum. Wir sind, was wir erinnern. Wir erinnern, was wir erleben, und das Erlebte kommunizieren wir. So ist das narrative Element auch ein wichtiges um Geschichte mit Leben zu füllen, ein anderes Verständnis zu bekommen und ein Dialog als kleines Puzzlestück für eine Auseinandersetzung anzusehen. Um in den „Schuhkarton“ der Erinnerungen abzutauchen, den ein jeder hat, bedarf es jedoch eines Anstoßes. Kleine Sequenzen des Lebens liegen darin verborgen und wollen wiedergefunden werden. Was bleibt, ist die Erinnerung.



Schon Friedrich Nietzsche hat zu der Frage wie viel Geschichte der Mensch brauche gesagt: Nicht zuviel, nicht zu wenig. Zuviel Geschichte schade dem Lebendigen, zu wenig nehme ihm die Würde. Aleida Assmann

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wahrnehmen In einer Großstadt wie Berlin werden die Sinne mit Reizen überflutet. Man läuft durch die Stadt, meist die selben Wege, zur Arbeit, zu Freunden oder in den Supermarkt und nimmt dabei seine Umgebung kaum noch wahr. Unsere Umwelt gerät in der Regel schnell aus dem Blick der alltäglichen Wahrnehmung. Beim Bewegen durch die Stadt wenden wir gewohnheitsmässig persönliche Wahrnehumgs- und Handlungsfilter an, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind. Diese Filter helfen uns, das Ausmaß der von aussen kommenden Informationen zu begrenzen und zu reflektieren. Sie bestimmen, welche Informationen überhaupt verarbeitet und wie diese Informationen in unserem Hirn sortiert werden. Sie sind also eine Art Brille, die wir aufsetzen und durch die wir unsere Umwelt wahrnehmen. Sie bestimmen das, was wir nachher als unsere eigenen Realität verstehen und vertreten.

Die Wahrnehmung verläuft generell immer nach dem gleichen Muster: Aufnahme, Auswahl, Verarbeitung (z. B. Abgleich mit Vorwissen), Interpretation. Dies bedeutet für die Art und Weise wie wir uns im Alltag räumlich orientieren, einen immer wiederkehrenden Prozess an gleichen bzw. ähnlichen Bildeindrücken ausgeliefert zu sein, man stumpft ab. Um der Quantität der Eindrücke entgegenzuwirken, muss man den persönlichen Wahrnehmungs-Filter um einen neuen Wahrnehmungsvertiefer ergänzen. Wir entdecken so, dass manches, sonst Unbeachtetes, sich als Einzigartiges entpuppen kann. In einem konzentrierten Augenblick, in einem Ausschnitt liegt die Attraktion der Stadt. Genauso ist es mit den vielen unbeachteten Spuren der Vergangenheit, die uns an jeder Ecke begegnen, mal mehr, mal weniger gut sichtbar.

Neuer Filter

Realitä

t

Persön licher Filter

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reflektieren Um Berlin mit seiner Geschichte und den Relikten der Zeit auch für andere unseres Alters wieder sichtbar zugänglich zu machen, müssen die Spuren (Orte, Plätze, Materialien...etc.) mit einer Kodierung, einem neuen Layer versehen, um dadurch wieder lesbar zu werden. Je nachdem wie der Raum gedacht, beschrieben oder in Szene gesetzt wird, rückt er in einen neuen Kontext, das gewöhnliche Bild verschwindet und ein Neues entsteht. Der Fokus des Betrachters ist gelenkt und somit geschärft. Dadurch können sowohl unbekannte als auch bereits bekannte Orte neu und mit allen Sinnen entdeckt, dem „Genius Loci“, dem Geist des Ortes, nachgegangen und neu interpretiert werden. Mit Hilfe dieser Etikettierung bilden sich spezifische, individuelle Raumbilder aus, die den jeweiligen Ort anders verstehen lassen. Das selber “Erleben”, “Sehen”, “Hören”, “Tun” bewirkt einen persönlichen Bezug und ermöglicht das alte Bild zu überspeichern. Wir machen neue Erfahrungen, die wieder zu neuen Erkenntnissen führen. Diese reflektieren wir und sie eröffnen uns wiederum eine neue Perspektive, eine neue Wahrnehmung. Diese wiederum...



Vergangenheit

Gegenwart

Zukunft

Wir verstehen nicht Verstehen, es entzieht sich uns, entschlüpft uns, denn wir merken nicht das Unglaubliche, das Rätselhafte, das Erstaunliche, das Wunderbare, das in alltäglichem Gespräch und Reflexion vor sich geht. Erst wenn dieser Strom von Selbstverständlichkeit gestört wird, stehen wir staunend vor diesem Wunder. Heinz v. Foerster

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mome

nte

geschichten

orte

Gegenwart der Vergangenheit wörter

he

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emotion

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Experiment IV gelebt Idee:

erlernt

Die Idee liegt in der kleinsten kommunikativen Keimzelle. Zwei Personen, in diesem Fall wir und die Fortsetzung über Freunde und Kollegen, tauschen sich über ihre Vergangenheit aus. Eine Assoziationskette wird losgetreten, eine nicht endende, fortlaufende Geschichte.

Versuchsaufbau:

Fr ag en

Karten als Hilfestellung

Erinnerungsstücke

Kamera, damit wir das Gespräch nicht beeinflussen, aber dennoch mitbekommen

„W“ Probant aus der BRD

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gelebt gelebt

Intention:

“Gegenwart der Vergangenheit“ - ein Dialog über Kindheitserinnerungen. Wir fragen uns, wieviel weiß man über die andere Seite? Hierbei geht es uns nicht um faktisches Wissen, sondern um subjektive Erinnerungen, Geschichten und Emotionen, die unserer Ansicht nach ebenso einen Teil der Ausseinandersetzung darstellen. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es, was hat man sich zu erzählen? Welche Impulse sind von nöten, was könnte ein Anlass sein sich über seine Erinnerungen auszutauschen, damit ein Dialog ensteht?

2 Schuhkartions, 1 x DDR, 1 BRD

„O“ Probant aus der ehemaligen DDR

DIALOG

„Fragen“ „Gemeinsamkeiten“ „Antworten“ „Unterschiede“ „Erinnerungen“ „Emotionen“

Dialog

Auswertung:

Wir haben das Experiment an 2 Versuchspaaren getestet, die ihr Gegenüber jeweils kannten. Daraus sind 2 Filme entstanden, die wir bezüglich unserer Fragestellungen ausgewertet haben. Impulsgeber und Gespächsgrundlage waren unsere

eigenen „Erinnerungsboxen“. Sie unterstützten zwischen beiden Paaren das Entstehen einer lebendigen und ungezwungenen Unterhaltung. Das gegenseitige Interesse am Austausch über die unterschiedlichen Vergangenheiten machte sich vor allem durch die vielen Fragen und Antworten bemerkbar. Meist wurden die Erinnerungsstücke aus beiden „Boxen“ zusammen begutachtet, wobei dem „W“ vieles aus der „O-Box nicht bekannt war, andersherum hingegen schon. Damit erklärt sich, dass in beiden Fällen die grösseren Gesprächsanteile beim „O“ lagen. Die Erzählungen der „W‘s“ waren meist sehr unterschiedlich und gezeichnet von einem individuellen Lebensstil. Bei den „O‘s“ waren mehr Parallelen zueinander festzustellen. In den Gesprächen kamen häufig ähnliche Beschreibungen von Situationen des alltäglichen Lebens vor. Diese Prinzip funktioniert auf kleinster Ebene, für Freunde und Familie, allerdings schließt dieser Versuchsaufbau „Unbekannte“ aus. Um auch diese involvieren zu können, bedarf es eines freieren, größeren Rahmens, der einen Dialog zulässt.



[...] Die letzten Tage unserer Kindheit sind wie Türen in eine andere Zeit”, schreibt Jana Hensel (Autorin “Die Zonenkinder”). “Eine Zeit, in der die Dinge des Alltags allesamt andere Namen hatten. In der selbst die Ostsee unerreichbar fern war, Paris nur ein Traum und die Potraits von Honecker und Lenin an der Klassenzimmerwand so unveränderlich erschienen, wie das Testbild im Fernsehen. Heute sind die Türen in jene “Märchenzeit” fest verschlossen, denn lange Zeit wollte niemand an sie erinnert werden. Und all die Gegenstände aus dem Museum der Kindheit verzeihen nicht, dass sie so lange schamhaft verborgen wurden.[...] Volker Weidermann



vom denkmal... Den Begriff „Denkzeichen“ verwendet man heute, um damit auch verbal zu verdeutlichen, dass eine künstlerische Gestaltung zur Erinnerung über die klassischen Denkmalvarianten hinausgehen müsse. Der Begriff des „Denkzeichens“ hat sich für jene Orte eingebürgert, deren historische Schichten unkenntlich geworden sind. Auf dem Wege einer künstlerischen Installation als Interpretation oder mit Informationsangeboten versuchen Denkzeichen verlorene Geschichte wieder kenntlich werden zu lassen. Der Begriff drückt die Distanz zwischen der Geschichte und der Gegenwart aus. Dort, wo die ursprünglichen historischen, räumlichen und biografischen Zusammenhänge verloren gegangen sind, kann eine künstlerische Gestaltung nur ein Zeichen für etwas anderes sein und auf das Vergessene und Gewesene verweisen. Sie sind damit gewissermaßen Stellvertreter für das, was nicht mehr ist. Dennoch kann das Denkzeichen gegenüber dem traditionellen Denkmal eine selbstbewusstere Aussageform wählen. Die Gestaltung verlässt hierbei die allein illustrierend-dienende Funktion und entwickelt vielmehr ein selbständiges bildkünstlerisches Angebot. Das schließt aber dennoch mit ein, dass ein Denkzeichen auch über die Fähigkeit zur Integration in bestehende

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städtische oder räumliche Strukturen verfügt oder diese als eine Ansatzfläche für einen künstlerischen Eingriff nutzt. Die künstlerischen Denkzeichen der Gegenwart verhalten sich denkmalskritisch gegenüber den Mahnmals- und Denkmalsgestaltungen der 1970er und 1980er Jahre, die noch versuchten in bildhaft-illustrierender Weise Geschichte zu erzählen. Demgegenüber setzt das Denkzeichen voraus, dass eine bildkünstlerische Gestaltung keine Geschichte erzählen und auch kein fehlendes Wissen ersetzen kann. Statt notdürftiger Rekonstruktion von Geschichte stellt es eine selbstbewusste, subjektiv aufgefasste Interpretation eines Ortes und seiner Bedeutung dar. Durch ihren bildnerischen Bezug zum Ort und zum Ereignis offenbaren sie eine zeitliche Distanz, schreiben aber keine Lesart vor. Sie sind ein Angebot, das angenommen werden kann, dem Betrachter aber die eigentliche Erkenntnisarbeit überlässt. Mit den Mitteln der visuellen Irritation und der Aufhebung optischer Gewohnheiten oder als Fremdkörper versuchen sie vielmehr, die Neugierde des Betrachters zu wecken, Denkanstöße zu geben und Fragen zu stellen ohne die Antworten vorweg zu nehmen.

Robert Musil forderte – allerdings in satirischer Form – im Hinblick auf die Konkurrenz von Kunst und Reklame: Mit einem Wort, auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehn und sich die Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen. Annette Tiez



zum denkzeichen

Titel: Opfer der Blutwoche Verfasser: Patricia Pisani Realisierung: Berlin-Köpenick, 2002 Anlass: Wettbewerbsbeitrag zu einer Denkmalanlage zur Köpenicker Blutwoche Stop, vorsicht, freie Fahrt. 34 beschriftete Ampeln an den Kreuzungen von Parkwegen.

Titel: Unbekannt Verfasser: Unbekannt Realisierung: Berlin Anlass: Unbekannt

Plakatierte Sicherungskästen mit Bildern von Fassaden bereits abgerissener DDR-Bauten.

Herkömmliche Ampeln haben die Funktion, den Verkehrsfluss durch Farbsignale zu regulieren. Diese Signalfarben werden als Sinnbild und Aussageträger verwendet und sind zeitlich zugeordnet nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. An den fünf Eingängen der Hauptwege sind Ampeln mit Farb-Wort Zuordnungen aufgestellt und fungieren für die Besucher als „Legende“ oder Schlüssel für die Interpretation der in der Denkmalanlage dargestellten Zeitebenen. Die Worte erscheinen alternierend als Gegensatzpaar. Jedes Gegensatzpaar wiederholt sich in der Anlage zweimal. Die gelben Lichtkreise bleiben leer und lassen so Platz für die eigenen Gedanken der Betrachter.

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umbenannt...! Nichts ist wichtiger für die symbolische Landschaft einer Stadt als ihre Straßen, Monumente, Denkmäler, Gedenktafeln, Plätze und Gebäude. Eine allgegenwärtige Umgebung, die sich in der Anschrift auf Briefumschlägen wiederfindet. Dies alles sind Bestandteile der individuellen und kollektiven Identiät. Straßennamen machen eine Stadt im eigentlichen Sinne erst »lesbar«. Stadtpläne mit Straßenbezeichnungen sind Orientierungshilfen. Die darin verzeichneten Straßennamen können auch für jene zu Identifikatoren werden, die eine Stadt bloß aus der Ferne, gleichsam virtuell, wie einen imaginären Raum durchschreiten und sich ihn anzueignen versuchen. Die Gesamtheit der Straßennamen bildet eine Geschichte, mit der man sich identifizieren soll. Die Stadt erzählt somit ihre eigene Geschichte. Gedächtnisspuren. Sie schweben wie Folien hinter den Gebäuden und treten mit Hilfe einer Spurensuche allmählich in den Vordergrund. Mit der Konstruktion kollektiver nationaler Identitäten gehören Strassennamen zu jenen Codes, die immer wieder vereinnahmt bzw. instrumentalisiert wurden. Wichtige politische Umbrüche wie Revolutionen oder politische Systemwechsel brachten es immer mit sich, daß durch die Umbenennung von Straßen und Plätzen alte Erinnerungsweisen durch neue ersetzt wurden. Die DDR gab sich zum Beispiel ein neues symbolisches Netz von Strassennamen, mit dem sie ihre Identität als sozialistischer Staat festigen wollte. Sie tilgte alle Spuren von Strassennamen der Nazis, distanzierte

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sich von der preußischen und militaristischen Tradition der deutschen Geschichte und stellte die Arbeiterbewegung in den Vordergrund. In der gleichen Art und Weise wurden nach der Wende wiederum die Spuren des SED-Regimes überschrieben. In Ostberlin sind nach 1990, neben zahlreichen Schulen und Plätzen, insgesamt 71 Strassen und 12 U+S Bahnhöfe umbennant worden. Aber auch Gebäude, die mit ganz bestimmten Erinnerungen belegt sind, werden bewußt verändert oder sogar abgetragen, weil sie entweder den konkreten gesellschaftlichen Erwartungen nicht mehr entsprechen oder neuen politischen Idealen zu widersprechen scheinen. Künstler gestalteten mit Stein, Stahl, Glas und Malerei in der ganzen DDR die Giebelwände, Plätze, Kindergärten, Betriebskantinen, Trafohäuschen, Unterführungen, Schwimmhallen und die Hauseingänge von Neubausiedlungen. Mit diesen Eigenarten verbinden Menschen prägende Erinnerungen, Geschichten und Emotionen. Doch was passiert, wenn Sanierung, Abriss und Neubau, sowie die Umbenennung zahlreicher Strassen einen vertrauten Ort plötzlich derartig übermalen, dass alles an ihm fremd wirkt? Was bleibt, ist dann oft nur noch die Erinnerung. Das wollen wir festhalten. Wir können uns vorstellen, mit Themen wie die der umbenannten Strassen mittels eines Denkzeichens umzugehen, um Unwissende darauf hinzuweisen und Unsichtbares sichtbar zu machen.

Die ehemalige DDR wird bis heute nach und nach von den Zeichen ihrer Geschichte `gesäubert´. Es ist wie ein Sog, der alles fortnimmt, und die meisten Menschen lassen es geschehen. Sie halten diese Zeichen nicht fest, die sie nie so recht als die ihren angesehen haben. Annette Leo



71 strassen - 12 bahnhöfe Adele-Sandrock-Str. Erich-Wichert-Str. [1987-1992] Alt-Friedrichsfelde Straße der Befreiung [1975-1992] Am Plumpengraben Straße des NAW [1960-1991] Behmstr. Helmut-Just-Str. [1960-1993] Berliner Allee Klement-Gottwald-Allee [1953-1991] Blumberger Damm Otto-Buchwitz-Str. [-1992] Breite Str. Johannes-R.-Becher-Str. [1971-1991] Carola-Neher-Str. Erwin-Kramer-Str. [1986-1992] Cecilienstr. Albert-Norden-Str. [1984-1992] Danziger Str. Dimitroffstr. [-1995] Dorotheenstr. Clara-Zetkin-Str. [-1995] Ella-Kay-Str. Franz-Dahlem-Str. [1984-1993] Engeldamm Fritz-Heckert-Str. [1951-1991] Erich-Kästner-Str. Waldemar-Schmidt-Str. [1986-1992] Erieseering Hans-Loch-Str. [-1992] Ernst-Barlach-Str. Fritz-Große-Str. [1985-1992] Ernst-Bloch-Str. Albert-Schreiner-Str. [1986-1992] Geithainer Str. Leisinger Str., Riesaer Str. [-1992] Gendarmenmarkt Platz der Akademie [1950-1991] Gensinger Str. Werner-Lamberz-Str. [1979-1992] Havemannstr. Erich-Glückauf-Str. [-1992] Heinrich-Grüber-Str. Hönower Str. [-1991] Hermann-Hesse-Str. Kurt-Fischer-Str. [1951-1992] Huronseestr. Hans-Loch-Str. [-1992] Jägerstr. Otto-Nuschke-Str. [1958-1991] Johanna-Tesch-Str. Jenny-Matern-Str. [1962-1991] Kleeblattstr. Richard-Günther-Str. [1960-1991] Kniprodestr. Artur-Becker-Str. [1974 - 1995] Landsberger Allee Leninallee [1950-1992] Lilli-Henoch-Str. Wilhelm-Florin-Str. [-1993] Lily-Braun-Str. Wilhelm-Koenen-Str. [1986-1992] Louis-Lewin-Str. Paul-Verner-Str. [1987-1992] Luisenstr. Hermann-Matern-Str. [1971-1991] Lustgarten Marx-Engels-Platz [1951-1991] Margarete-Sommer-Str. Werneuchener Str. [1896-1993] Mark-Twain-Str. Richard-Staimer-Str. [1987-1992] Markgrafenstr. Wilhelm-Külz-Str. [1968-1991] Märkische Allee Heinrich-Rau-Str. [-1991] Maxie-Wander-Str. Fritz-Selbmann-Str. [1986-1992] Mehrower Allee Otto-Winzer-Str. [-1992] Michiganseestr. Hans-Loch-Str. [-1992] Mittweidaer Str. Riesaer Str. [-1992] Möllendorffstr. Jacques-Duclos-Str. [1976-1992] Neue Grottkauer Str. Heinz-Hoffmann-Str. [1986-1992] Nossener Str.Gerhart-Eisler-Str. [1987-1992] Ontarioseestr. Hans-Loch-Str. [-1992] Otto-Braun-Str. Hans-Beimler-Str. [1966 - 1995] Pastor-Niemöller-Platz Kurt-Fischer-Platz [1951-1992] Peter-Huchel-Str. Alexander-Abusch-Str. [1986-1992] Petersburger Platz Kotikowplatz [1982-1991] Petersburger Str. Bersarinstr. [1947-1991]

Platz der Vereinten Nationen Leninplatz [1950-1992] Poelchaustr. Karl-Maron-Str. [-1992] Radickestr. Peter-Kast-Str. [1960-1991] Raoul-Wallenberg-Str. Bruno-Leuschner-Str. [-1992] Rathausstr. Marx-Engels-Forum [1983-1991] Rheinpfalzallee Siegfried-Widera-Str. [1976-1995] Rheinsteinstr. Fritz-Schmenkel-Str. [1976-1992] Rüdersdorfer Str. Babeufstr. [1989-1991] Rudolf-Ditzen-Weg Majakowskiweg [1951-1994] Schivelbeiner Str. Willi-Bredel-Str. [1971-1993] Schützenstr. Reinhold-Huhn-Str. [1966-1991] Sewanstr. Hans-Loch-Str. [-1992] Strelitzer Str. Egon-Schultz-Str. [1966-1991] Taubenstr. Johannes-Dieckmann-Str. [1971-1991] Treskowallee Hermann-Duncker-Str. [1961-1992] Vincent-van-Gogh-Str. Erich-Correns-Str. [1986-1992] Waldheimer Str. Döbelner Str., Leisniger Str. [-1992] Weißenseer WegHo-Chi-Minh-Str. [1976-1992] Wilhelmstr. Otto-Grotewohl-Str. [1981; -1993] Wuhletalstr. Henneckestr. [-1992]

Eberswalder Str. (U-Bhf) Dimitroffstr. [1950-1991] Greifswalder Str. (S-Bhf) Ernst-Thälmann-Park [1990] Hackescher Markt (S-Bhf) Marx-Engels-Platz [1960, 1990] Kaulsdorf-Nord (U-Bhf) Albert-Norden-Str. [1990] Louis-Lewin-Str. (U-Bhf) Paul-Verner-Str. [1990] Mehrower Allee (S-Bhf) Otto-Winzer-Str. [1983, 1990] Mohrenstr. (U-Bhf) Otto-Grotewohl-Str. [1990] Neue Grottkauer Str. (U-Bhf) Heinz-Hoffmann-Str. [1990] Poelchaustr. (S-Bhf) Karl-Maron-Str. [1983, 1990] Raoul-Wallenberg-Str. (S-Bhf) Bruno-Leuschner-Str. [1983, 1990] Weberwiese (U-Bhf) Marchlewskistr. [1960, 1990] Zinnowitzer Str. (U-Bhf) Nordbahnhof [1990]

impuls literatur

Unsere eigene Herangehensweise übertragen wir als Umgangsform auf ein Gesamtkonzept. Die Spurensuche und der Dialog waren für uns die wichtigsten Erfahrungsmomente in der Auseinandersetzung und Aneignung des Themas. Das Entdecken, Erleben, Erinnern, Wahrnehmen, Reflektieren und der gegenseitige Austausch, hat unsere Arbeit von Grund auf geprägt. Insofern ist es naheliegend, dass wir diese Aktionsweisen für ein Projekt, das von und an unsere Generation gerichtet ist, aufgreifen, modifizieren und weiterverwenden. In der Hoffnung, dass sich diese davon mitgerissen fühlt, wollen wir so auf unseren anderen, generationsspezifischen Umgang mit der „Gegenwart der Vergangenheit“ hinweisen. Die bestehende Auseinandersetzung mit der deutschdeutschen Geschichte findet auf vielschichtigen

GETEILTE TRÄUME ZONENKINDER S,M,L,XL WIR WOLLEN IMMER ARTIG SEIN DER KLEINE BRUDER DAS DDR SAMMELSURIUM DIE OSTDEUTSCHEN ALS AVANTGARDE EXPERIMENTAL TRAVEL WAS VON DER DDR BLEIBT

DAS LEBEN DER ANDEREN NOVEMBERKIND DIE GRENZE GOODBYE LENIN MATERIAL SONNENALLEE DAMALS IN DER DDR HALT ZONENGRENZE WIR SIND DAS VOLK

institute DDR MUSEUM ROTES ANTIQUARIAT PLÄNTERWALD INVALIDENFRIEDHOF BILDARCHIV BERLIN PARLAMENT DER BÄUME GEDENKSTÄTTE BERNAUER STRASSE TOPOGRAFIE DES TERRORS KUNST IN DER DDR

www DIE ENDLICHKEIT DER FREIHEIT BERLIN PIRATEN STADTBLIND BERLIN DEINE GESCHICHTE RECONSTRUCTING THE WALL HEIKONAUTEN HART AN DER GRENZE KD_MAUERBERLIN_LINKS STIFTUNG AUFARBEITUNG

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WIR

experiment: “Grenzdialog” “Spurensuche” “Gegenwart der Vergangenheit” “Grenzen im Alltag”

methoden: Denkzeichen/Stolpersteine Einbindung der Stadt Zweckentfremdung Aktive Aneignung

Ebenen statt. Museen, Mahnmale, Archive, Gedenktafeln und Dokumentationenzentren liefern uns sinnvolle und notwendige Informationen, suggerieren jedoch auch die Abgeschlossenheit einer längst vergangenen Geschichte. Dabei sind in ganz Berlin Spuren der verhältnismäßig jungen, eigenen Geschichte zu finden, an denen man die Lebensart, Spannungen und Kulturen noch erspüren kann. Warum also diese einsammeln, aus dem Kontext reißen und in ein Museum verfrachten. Unser Beitrag soll den Betrachter nicht zum konsumieren zwingen, sondern involvieren und selber zum Akteur und damit zu einem weiteren Impulsgeber werden lassen. Ein Netzwerk aus verschiedensten Impulsen entsteht. Für unser Vorhaben ist der Effekt des Selber Erlebens, womit neben dem Sehen und Hören auch

EVENTS

FILM

MAHNMAL

FORUM

PRESSE

das Bewegen und Darauf-reagieren gemeint ist, ein wichtiges Element. Unser Ziel ist es einen neuen Impuls zu setzen, der darauf abzielt, Leuten in unserem Alter einen Zugang zu dieser Thematik zu verschaffen und zu einem Austausch zu animieren. Ein solcher Dialog ist in der Lage das “Wissen” über die andere Seite zu ergänzen. Über persönliche Geschichten, Emotionen, Farben und Gefühle leisten wir einen Beitrag, den ein Museum oder andere Institutionen nicht leisten können. Durch diese wahrscheinlich an vielen Stellen verzerrte Wahrnehmung der Geschichte mag eine Ungenauigkeit entstehen, doch im Abgleich über den Dialog ergibt sich wieder ein größeres Bild.

RADIO

MUSEUM

DENKMAL

KULTUR

MUSIK LITERATUR

POLITIK

ARCHIVE KUNST

THEATER

JUBILÄUM

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ausblick Jeder speichert im Laufe seines Lebens eigene Geschichtserfahrungen ab. Dabei nimmt jeder andere Ausschnitte der Wirklichkeit wahr und integriert sie auf eigene Weise in seine subjektive Lebenswelt. Deshalb können sich Erfahrungen, Erinnerungen, Emotionen, Farben, Worte, Orte... einzelner Personen überschneiden, unterscheiden, ergänzen und vervollständigen. Allerdings schlummern viele dieser Eindrücke in uns, ohne dass man sich ihrer bewußt ist. Aber wenn man sie nicht aktualisiert, gehen sie verloren. Dem wollen wir entgegenwirken, indem wir die Wahrnehmung für Orte schärfen, in denen das Gedächtnis ruht. Dabei ist jedoch weniger entscheidend, ob es sich um authentische Orte der eignenen Biografie handelt. Mittels gezielter Setzungen an für uns prägnanten Raumsituationen, Kodierungen und lesbaren Layern können in unserer Generation Assoziationen hervorgerufen werden, die Erinnerungen freisetzen. Die Subjektivität und emotionale Ebene, mit der wir umgehen, birgt für uns eine entscheidende Qualität. Sie ist unmittelbar und das macht den Unterschied zu den bestehenden

“ 78

Umgangsformen aus. Dies mag den Eindruck einer verzerrten, ostalgischen Sichtweise provozieren. Doch es ist in unseren Augen keine Verharmlosung, da sich die Überlagerung einer Vielzahl von persönlichen Geschichten an eine objektive Sichtweise annähern kann. Nur wenn die vermeintlich oder tatsächlich positiven Erinnerungen den unzweifelhaft grauenvollen Fakten gegenüber gestellt werden, wird es gelingen den Charakter der Zeit oder Vergangenheit objektiv zu vermitteln. Unter unserem Projekt stellen wir uns einen fokussierten, kommunikativen Erfahrungsraum vor, der in Berlin verteilt ist. Er soll aus Orten, Impulsen, einer Szenerie und der Bewegung bestehen, in denen eine Auseinandersetzung verschieden stark geprägter Menschen unseren Alters stattfinden kann. Ihre speziellen Erinnerungen und die Relikte bzw. Restidentitäten der Stadt Berlin wollen wir bewusst oder gar neu miteinander verknüpfen.



Denn zunächst einmal ist davon auszugehen, dass Erinnerungen mit der Zeit verblassen oder ganz verschwinden. Insbesondere dann, wenn sie selten oder nie abgerufen werden, weil die neuronalen Verbindungen, die die Erinnerungen im Gehirn repräsentieren, im Fall ihrer Nichtinanspruchnahme offenbar schwächer werden und sich schließlich auflösen.

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05

t p e konz

konzept Unser Projekt gleicht einer Reise. Eine Wahrnehmungsreise durch Berlin, die sich auf den Spuren der Vergangenheit bewegt. Die Grenz- und Raumerfahrung findet unmittelbar, d. h. in unserem Fall mit dem Fahrrad statt. Mittels einer Route rücken wir Relikte des geteilten Berlins in einen neuen Kontext. In der Hoffnung, für unsere Generation einen andersartigen Dialog enstehen zu lassen, verknüpfen wir die Gegenwart und Vergangenheit über das Erleben der Stadt wieder stärker miteinander. Eine elementare Rolle spielt der Akteur selbst: Hinschauen, Hinhören und Hinterfragen sind gefordert. Das Reisen und das “Event”, als typisches Werkzeug unserer Generation, gebrauchen wir demnach ganz bewusst. Die Route hat eine klare Richtung, indem sie in 3 Sequenzen gegliedert ist: dem Grenzraum, West- und Ostberlin. Auch ein Start- und ein Zielort definieren sich darüber. Innerhalb einer Sequenz wird die Be-

wegung und das Tempo der Route durch Stops (Aktionsfelder) an Relikten unterbrochen.

Die Tour initiiert das kurze „Aufleuchten“ der Eigenarten und Qualitäten der Parallelwelten - eine Momentaufnahme - weshalb wir unsere Intervention zeitlich begrenzen. Die temporäre Funktion erscheint uns sehr wichtig, da unser Eingriff nicht als Denkmal, sondern als Denkzeichen verstanden werden soll. Die Problematik der vorherrschenden Sanierungsund Abrisswelle Berlins, untermauert diese Argumentation. Viele der Restidentitäten, auf die wir heute hinweisen, werden schon in einem Jahr übermalt und vernichtet sein, so dass unsere Route ihre Berechtigung verlieren würde. Genauso wie sich die Stadt durch ihre Bewohner wandelt, unterliegt auch die Auseinandersetzung mit dieser Thematik einem permanenten An- und Abgleichungsprozess. Wir verstehen uns nicht als Denkmalschützer. Für uns zählt viel mehr die “Jetztzeit”, im Sinne einer Bestandsaufnahme, die die eigene Generation auf die vorhandenen Originale/Restidentitäten aufmerksam macht.

AKTEUR ZIEL

START

STOP

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STOP

STOP

010

2 B-tour

verortung Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Treptow (Osten) als auch Kreuzberg (Westen) sind beliebte Stadtteile Berlins, in denen sich Leute unseren Alters aufhalten. Bereits vorhandene Strukturen wie eine belebte Kneipen-, und Kulturszene sind entscheidende Faktoren, weshalb wir uns im Rahmen unseres Projektes auf diese Bereiche Berlins beschränken.

Mitte Das historische Zentrum zog nach der Wiedervereinigung viele Künstler an und wurde später luxussaniert. Heute zeigt es sich als wilde Mischung aus renovierten Wohnhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, DDR Plattenbauten und moderer Architektur. Das Scheunenviertel ist ein Touristenmagnet voller internationaler Flagshipstores, in den Nebenstraßen aber liegen attraktive Läden und Restsaurants.

Prenzlauer Berg Viele Häuser in diesem einst maroden Arbeiterkiez des 19. Jahrhunderts sind resteuriert und werden zum großen Teil von jungen Kreativen mit kleinen Kindern bewohnt. Die Szene konzentriert sich um die Knaackstraße und den Kollwitzplatz. Hier kann man in unzähligen Secondhandläden shoppen oder seine Zeit in einem der vielen Cafes verbringen.

Kreuzberg Der ehemalige Kiez linker Punks und Anarchisten hat sich seit der Wiedervereinigung radikal gewandelt, seinen charakteristischen Mix der Kulturen jedoch bewahrt. Im Sommer kann man hier wunderbar faulenzen, essen und ausgehen, vor allem rund um die Schlesische Straße und Oranienstraße.

Friedrichshain Den ersten Eindruck prägen sechsspurige Straßen zwischen kommunistischen Monumentalbauten, schlechte Kunst auf Resten der ehemaligen Mauer und riesige Baustellen. Einmal in die Seitenstraßen um den Simon-Dach-Str. eingetaucht, stößt man jedoch auf kleine Cafes, Bars, Läden mit Retromöbeln und Restaurants.

Alt-Treptow ... hat sich vom Industrie- zum Dienstleistungsstandort entwickelt. Das zeigen die Treptowers, die mit 31 Stockwerken höchsten Bürohauser Berlins. Daneben ragt die Wasserstatue “Molecule Man” von Jonathan Borofsky 30 Meter hoch aus dem Wasser der Spree. In der ARENA Treptow, einem ehemaligen Omnibus-Betriebshof, finden heute Kulturveranstaltungen statt. Das Bade- und Saunaschiff hat sich zur Attraktion in der Spree entwickelt. 88

start Den Start verstehen wir als Schlüssel und Zugangsort zur “Gegenwart der Vergangenheit”. Deshalb ist es wichtig, dass er im ehemaligen Grenzraum liegt und Relikte der Sperrzonte trägt, die wir zur atmosphärischen Einstimmung nutzenn können. An dieser Stelle erfährt man, worum es uns geht und unter welchem Fokus die Reise durch Berlin verläuft. Als Akteur legt man seinen persönlichen Wahrnehmungsfilter ab und einen Neuen auf - der Blick ist geschärft. Hier am Start erhält man sein Fahrrad mit Equipment sowie eine Anleitung und die Tools für die Tour, ohne die eine Spurensuche nicht möglich ist.

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Das Fahrrad+Equipment: - unser Fortbewegungsmittel - bietet eine unmittelbare Erfahrungstour - schnell und unkompliziert - individuelle Strecke möglich, auch Schleichwege und Brachflächen - Tempowechsel für unterschiedliche Wahrnehmungsintensitäten - Navigationssystem zur Orientierung in Berlin, mit dem Bezug zur Grenze. - HInweise über GPS an den Akteur möglich - Stauraum für die Tools

ter me

GPS

Tools: - spezielle Werkzeuge die von uns für diese Tour entwickelt werden - wichtig für die Stops und selbst entdeckte Orte - Filter/Layer zum wahrnehmen und erinnern - zum markieren, erkennen, entdecken, abspeichern, sichtbar machen, erfahren, fokussieren und aneignen

Anleitung: - Wo soll ich hin? Was soll ich tun? Wen kann ich fragen? ...alle notwendigen Antworten finde ich hier (mein Mentor)

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route Die Route ist für einen Sommer das bewegliche Werkzeug unseres Projektes. Etwas mit eigenen Augen sehen, aktiv in die zwei Welten abtauchen, den Grenzraum vergegenwärtigen, die Wahrnehmung für Spuren schärfen, das „Drumherum“ selbst Erleben, Erinnerungen zulassen, darum geht es bei der Route. Die Route ist in 3 Sequenzen gegliedert, die ein Szenario bilden, weshalb die Reihenfolge entscheidend für die Erfahrbarkeit ist. Die erste führt durch den ehemaligen Grenzraum. Diese Sequenz steht ganz bewußt am Anfang der Route. Sie vertieft das Grenzthema, sensibilisiert und schafft eine Informationsgrundlage. Durch die abstrakte Vergegenwärtigung der Grenzanlage anhand des hinterlassenen Stadtbildes, wird sich der Teilnehmer der Dimension des Zwischenraumes bzgl. Verlauf und Querschnitt bewußt. Durch die Parallelität von Vorder- und Hinterlandmauer kann der Akteur innerhalb dieser Sequenz zwischen zwei Wegen wählen. Zudem realisiert er das Links und Rechts der Mauer und begreift, dass zu einer Grenze auch immer zwei Seiten gehören. Diese sind Resultat und Konsequenz zugleich und gehören damit genauso zur Aneignung und Vergegenwärtigung dazu. Die zwei Seiten sind als zwei Welten Gegenstand der darauffolgenden Sequenzen. Die Route führt den Akteur als nächstes durch Westberlin. Vielleicht fällt es ihm schwer die Wahrnehmung für Restidentitäten zu schärfen, alles wirkt so „normal“ wie immer. Die Erkenntnis stellt sich jedoch spätestens mit der dritten Sequenz beim Teilnehmer ein. Und genau darauf zielt unsere Absicht bzgl. einer klaren Richtung der Route ab. In dem Moment, wo man den Osten über seine Plattenbauten, Waschbetonelemente und Denkmalreste gezielt kennenlernt, ihn greifen kann, wird man auch den Westen greifen können. Vielleicht ist er dann immernoch nicht mit Worten zu beschreiben, aber mit einem Gefühl. Durch den direkten Vergleich von Ost zu West entsteht ein klares Bild. 90

...ohh ziel 6 grenzübergang bornholmerstr.

Bornholmerstrasse

grenzübergang ?????

5

Ernst-Thälmann Park

Platz der Vereinten Nationen

1

Nollendorfplatz

grenzübergang bornholmerstr.

4

stop Hier sind wir die Impulsgeber. In Form von Denkzeichen, Informationsvermittlung und Hinweisen inszenieren wir einzelne Orte. Dadurch lassen wir die Akteure an den Ergebnissen unserer Spurensuche teilhaben. Dieses Prinzip kann vom ihnen auch an anderer Stelle auf ein eigenständiges Forschen und Entdecken der Stadt übertragen werden. Die Stops liegen alle innerhalbe der 3 Sequenzen und erfüllen immer folgende Kriterien: - sie weisen in irgendeiner Art Restidentitäten auf - Tempowechsel: vom Fahrrad absteigen, im Schritttempo geht es weiter - Tools kommen zum Einsatz - Regeln zur spezifischen Ortserkundung sind anzuwenden -Man wird selbst aktiv

methode/prinzip Zweckentfremdung: Bei den ausgewählten Stationen handelt es sich um Fundstücke unserer Spurensuche. Wir rücken sie in einen neuen Kontext, indem wir sie nicht unter ihrer eigentlichen Funktion und Nutzung betrachten. Details, Farben, Materialien...etc. stehen hier im Fokus des Betrachters. Transitorte werden zu Treffpunkten, Wohngebäude zu Aussichtplattformen... dadurch eröffnet sich dem Akteur eine neue Perspektive und hebt sonst Unbeachtetes hervor. Dieses Prinzip der Zweckentfremdung und Aneignung kodiert Orte und macht Unsichtbares Sichtbar. Die Teilnehmer unserer Route bewegen sich gegen den Strom des eigentlichen Rhythmuses der Stadt. Sie folgen einer Spur, die sonst niemand wahrnimmt.

wo? Einbindung der Stadt: Informationen erhält man von uns über die Tools und Anleitungen. Genauso wichtig ichtig ist uns aber, dass der Akteur die Stadt und ihre Möglichkeiten als lebendige Wissensquelle in die Route oute intergriert. Imbissbuden werden zu Infopoints. Hier er trifft man auf “Orginal-Berr liner”, die man jederzeit zur Rate ziehen kann. Außerr dem wollen wir mit Funktionsgegenständen ktionsgegenständen spielen, die zur Stadt gehören und d unsere Route gestalten. Denkzeichen/Stolpersteine: teine: Wir wollen nicht wie das klassische Museum Wissen vermitteln, sondern vielmehr ehr an gezielten Stellen zum Nachdenken anregen, das as Prinzip eines Denkzeichens anwenden.

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ziel Ebenso wie der Start liegt auch das Ziel im ehemaligen Grenzraum und trägt Relikte der Grenzanlage. Das Ziel hat jedoch innerhalb unseres Konzeptes eine essentiellere Bedeutung. Durch die Impulse auf der Route entsteht am Ende beim Teilnehmer der Bedarf nach einem Austausch, wo er seine “Fundstücke”, dies können Fragen, Emotionen, Bilder, Erinnerungen, Antworten...etc. sein, los werden kann. Hier soll dem “Grenzdialog” ein spezieller Raum eröffnet werden, der als Auffangbecken für all` die gewonnenen Eindrücke dient. Mittels einer symbolartigen Umkehrung reaktivieren wir diesen Grenzorte und lassen aus einer ehemaligen Sperrzone einen Treffpunkt werden. Unter Treffpunkt verstehen wir eine Plattform, die kulturell, atmosphärisch und funktional ist. Somit ist dies ein “Event” für einen Sommer, das dem Teilnehmer auch außerhalb der Route eine Auseinandersetzung anbietet.

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der westen...muss man sich anschauen!

...COOL ...

beliebter treffpunkt im osten...

MEIN LIEBLINGS

STEHT DA

„grenzdialog“

EINFACH

ZOOPALAST...

RUM!

sportzen trum in Os tberlin

ebenen

Zeit

Sequenz

grenzraum start

westberlin

ostberlin ziel

Elemente

Tempo

Impuls Tour

Impuls Akteur

+

+

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idee

Legende START / ZIEL GRENZRAUM

ROUTE

STOP WESTBERLIN

AKTEUR

STOP OSTBERLIN

WEGWEISER

STOP GRENZRAUM

EHEMALIGE GRENZE

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grenzdialog

1

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START

ZIEL

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LOS GEHT’S

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ACH SO!

DRÜBEN

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2 grenzraum

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ECHT? JA!

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6 0st

SCHON VORBEI?

quellen romane “Zonenkinder”, Jana Hensel, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2002 “Die Zonenkinder”, Tom Kraushaar (Hrsg.), Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2004 “Geboren am 13. August – Der Sozialismus und ich”, Jens Bisky, Rowohlt Verlag, Berlin 2004 “Geteilte Träume - Meine Eltern, die Wende und ich”, Robert Ide, Verlagsgruppe Random House, München 2007 “Der kleine Bruder”, Sven Regener, Eichborn AG, Frankfurt/Main 2008

sachbücher “Grenzen - Topographie, Geschichte, Architektur”, Leonardo Benevolo, Benno Albrecht, campus Verlag, Frankfurt/Main, New York 1995 “S, M, L, XL” Oma, Rem Koolhaas and Bruce Mau, The Monacelli Press, Inc. New York 1995 “acting in public”, Raumlabor Berlin, jovis Verlag, Berlin 2008 “Die Ostdeutschen als Avantgarde”, Wolfgang Engler, Aufbau Verlag, Berlin 2002 “Geteilte Ansichten - Erinnerungslandschaft deutsch-deutsche Grenze”, Maren Ullrich, Aufbau Verlag, Berlin 2006 “Die Grenze - eIn deutsches Bauwerk”, Jürgen Ritter, Peter Joachim Lapp, Christoph Links Verlag, Berlin 1997 “Vom kritischen Gebrauch der Erinnerung”, Thomas Flierl, Elfriede Müller (Hrsg.), Karl Dietz Verlag, Berlin 2009 “Das DDR-Sammelsurium”, Franziska Kleiner, Piper Verlag, München 2008 “Was vo der DDR blieb”, Franziska Kleiner, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2009 “Wir wollen immer artig sein... Punk, New Wave, Hip Hop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990”, Ronald Galenza, Heinz Havemeister (Hrsg.), Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2005 “Im Raume lesen wir die Zeit - über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik”, Karl Schlögel, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2006 “Kommunikative Planung - Leistungsfähigkeit und Grenzen am Beispiel nachhaltiger Freiraumpolitik in Stadtregionen”, Heidi Sinning, Leske + Budrich, Opladen 2003 “Grenzüberschreitungen-Grenzziehungen - Implikationen für Innovation und Identität”, Ariane Berthoin Antal, Sigrid Quack (Hrsg.), Edition Sigma, Berlin 2006 “Grenzen der Enträumlichung - Weltstädte, Cyberspace und transnationale Räume in der globalisierten Moderne”, Daniela Ahrens, Leske + Budrich, Opladen 2001 “Ernst-Thälmann-Park 1983-1986”, Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für Bauwesen (Hrsg.), Bauinformation DDR, Berlin 1986

reiseliteratur “Wallpaper City Guide - Berlin Deutsche Ausgabe”, Tony Chambers, Phaidon, Berlin 2007 “Berliner Luft - Vom Zuchtbetrieb für Zierfische zur Currywurst am Alex”, Benjamin Tafel, Dennis Orel, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern Ruit 2004 “The Lonely Planet Guide to Experimental Travel”, Rachael Antony, Joel Henry, Lonely Planet Publications, London “750 Jahre Berlin - Stadt der Gegenwart, lese- und Programmbuch zum Stadtjubiläum”, Ulrich Eckhardt (Hrsg.), Ullstein, Berlin 1986 “Anders Reisen - Planbuch Berlin - Stadtplan mit Kurzinfos”, Zitty (Hrsg.), Rowohlt Taschenbuch Verlag, Berlin 1987 “Berlin Erfahren”, Ernst Luuk, Informationszentrum Berlin, Berlin 1984 “Berlin für junge Leute” Ernst Luuk, Informationszentrum Berlin, Berlin 1981 “Berlin - Haupstadt der DDR, Tourist Stadtführer-Atlas”, Klaus Wiese, VEB Tourist Verlag, Berlin/Leipzig 1979

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zeitungen/zeitschriften/schriftenreihen “Grenzgänge - Fotos für die Pressefreiheit”, Reporter ohne Grenzen e. V., taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin 2004 “Die Berliner Mauer - vom Sperrwall zum Denkmal”, Anke Kuhrmann, Schriftenreihe des Nationalkomitees für Denkmalschutz, Bonn 2009 “Die Berliner Mauer - Monument des Kalten Krieges”, Hans-Hermann Hertle, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007 “Über die Grenze”, Matthias Sauerbruch (Hrsg.), Wolfgang Kil, Daniel Libeskind, Holger Kleine, Institut für Städtebau und Architektur an der TU Berlin, Berlin 1998 “Trügerisches Rot”, Essay von Zsuzsa Breier, 20.03.2009, Die Welt “Alltag eines vergangenen Staates in 22 Kapiteln - DDR-Führer - Das Buch zur Dauerausstellung des DDR Museum”, Robert Rückel, DDR Museum Verlag, Berlin 2008 “Gegen Vergessen - für Demokratie: Historisches Erinnern als Aufgabe der politischen Bildung am Beispiel von Mauerbau und Mauerfall”, Melanie Piepenschneider “KunStstadtRaum 21 Kunstprojekte”, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin “Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer: Dokumentation, Information und Gedenken. “Denkzeichen - eine Dokumentation”, Foto/Graphik, Galerie Käthe Kollwitz von Pat Binder

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berliner-mauer-dokumentationszentrum.de bbr.bund.de berlin.de/mauerdialog film: gorbitzfilm.de neuland-denken.de berlin/stadtführungen/spiele: berlin-timebandits.de/spielanleitung.html stadtspiele-verlag.de drifting-underground.com visitberlin.de/kultur erinnern/wahrnehmen: www.d-a-s-h.org/dossier/11/08_medien.html erinnerungskultur.com mjrichter.de/blog ddr/kindheit/produkte: berlin-kindheitundjugend.de heinrichdubel.de/1_voe/11_westberlin.html intershop2000-berlin.de planetddr.de/kita.htm projekte/initiativen/kunst: artnode.se/artorbit/issue4/i_koolhaas/i_koolhaas.html kd-mauerberlin.de

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