Vortrag zur Führung des RC Homburg-Zweibrücken, 11. Dezember 2015

November 16, 2017 | Author: Silke Neumann | Category: N/A
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1 1 Recht. Gesetz. Freiheit Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt...

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„Recht. Gesetz. Freiheit - 200 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken“ Ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt Zweibrücken und der Siebenpfeiffer-Stiftung Homburg in Kooperation mit dem Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken und der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Schirmherr: Prof. Dr. Gerhard Robbers, Justizminister Rheinland-Pfalz Vortrag zur Führung des RC Homburg-Zweibrücken, 11. Dezember 2015 Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken, eine Wiege der deutschen Demokratie Charlotte Glück

Vorbemerkungen: Ablaufplanung: Aufgrund der Gruppengröße zuerst im Herzogsaal ein ca. 25-minütiger Einführungsvortrag, dann besteht die Möglichkeit durch die Ausstellung zu gehen. Zur Ausstellung, die in Kooperation mit der Siebenpfeiffer-Stiftung entstand, gibt es ein Begleitbuch, das die Thematik vertieft. Es kostet 15.- € und ist an der Museumstheke erhältlich - ein schönes Weihnachtsgeschenk für jemanden, der sich für Regionalgeschichte interessiert. Die Ausstellung wurde von Anfang an so konzipiert, dass sie auch ohne die wertvollen Exponate, die nur im Museumsraum gezeigt werden können, im öffentlichen Raum gezeigt werden kann. 2016 wird die Ausstellung nach Landau, Kaiserlautern, Rastatt, Frankenthal und Neustadt wandern. 2017 hoffentlich auch noch nach Berlin, Mainz, Koblenz und München. Liebe Freundinnen und Freunde, lassen Sie mich mit einem Zitat von Heinrich Heine beginnen: “Von Rheinbayern sollte die deutsche Revolution ausgehen. Zweibrücken war das Bethlehem, wo die junge Freiheit, der Heiland, in der Wiege lag und welterlösend greinte. Neben dieser Wiege brüllte manches Öchslein, das späterhin, als man auf seine Hörner zählte, sich als ein sehr gemütliches Rindvieh erwies. Man glaubte ganz sicher, dass die deutsche Revolution in Zweibrücken beginnen würde, und alles war dort reif zum Ausbruch. Aber, wie gesagt, die Gemütlichkeit einiger Personen vereitelte jenes polizeiwidrige Unterfangen.” Heinrich Heine, 1840 Heinrich Heine beobachtete aus seinem Pariser Exil die politische Stimmung in Zweibrücken vor und während des Hambacher Festes anscheinend sehr genau. Gilt doch heute diese Großdemonstration von über 30.000 Bürgerinnen und Bürgern an Pfingsten 1832 vor der Schlossruine von Hambach als erster Höhepunkt der deutschen Demokratiebewegung. Heine wusste, dass der Schauplatz bei Neustadt eher zufällig war. Die Vorgeschichte zum Hambacher Fest spielte sich weiter im Westen des bayerischen Rheinkreises ab, dem König Ludwig I. erst 1838 den romantischen Namen Pfalz gab: in Homburg – am heute saarländischen Dienstsitz von „Landcommissär“ (heute Landrat) Philipp Jakob Siebenpfeiffer – und vor allem in Zweibrücken, dem Standort des Berufungsgerichtes für das linksrheinische

 

Bayern. Ich werde im Folgenden der Einfachheit halber immer von der Pfalz sprechen, auch wenn der Begriff erst 1838 eingeführt wurde - und natürlich beinhaltet der Begriff in der bayerischen Zeit, in der wir uns in der nächsten Stunde bewegen, auch den heutigen Saarpfalzkreis. Es ist die Zeit, in der es zwischen unseren Clubstandorten keine trennende Grenze gab. Heinrich Heine kannte die Akteure und ihre liberalen Ideen, sah das politische Potential, das sich an diesem bedeutenden Gerichtsstandort entwickelt hatte. Er war ein aufmerksamer Beobachter, jedoch versagte – meines Erachtens – sein Scharfsinn bei der Suche nach den Gründen, warum es trotz liberaler Aufbruchsstimmung in Zweibrücken nicht zur Revolution kam, Es war nämlich nicht die „Gemütlichkeit“ der liberalen Wortführer, die er hier voller Ironie erwähnt, sondern das starke Rechtsempfinden der Juristen im Umfeld des pfälzischen Appellationsgerichtes in Zweibrücken, das verhinderte, dass das Hambacher Fest keine kurzfristigen Erfolge für die Demokratisierung der deutschen Lande brachte. Mittlerweile hat es sich ja, vor allem durch die Aktivitäten der Siebenpfeiffer-Stiftung, herumgesprochen: Die deutsche Freiheitsbewegung hatte in den Jahren 1830-32 in der Region Zweibrücken-Homburg ihr Zentrum. In Bubenhausen, seit 1926 ein Stadtteil von Zweibrücken, wurde am 29. Januar 1832 im Rahmen eines Festessens zu Ehren des Zweibrücker Rechtsanwaltes Friedrich Schüler der „Deutsche Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse“ gegründet. Diese erste freie Presseorganisation in Deutschland bereitete das Hambacher Fest vor. Es wurde vor allem von Juristen im Umfeld des Zweibrücker Gerichtes getragen, die fest im bestehenden französischen Recht verankert waren, das in der napoleonischen Zeit, als das linke Rheinufer zu Frankreich gehörte, eingeführt worden war. Es waren Juristen, die die „Rheinischen Institutionen“, die der Pfalz 1816 beim Anschluss an Bayern garantiert worden waren, gegen immer wieder stattfindende Übergriffe der Regierung verteidigten. Die Liberalen waren also in ihrem Verhalten eher bewahrend, d.h. wertkonservativ, als revolutionär. Sie wünschten eine Parlamentarisierung des politischen Systems, an einen gewaltsamen Umsturz der Staatsordnung dachten nur wenige. Als einen typischen Vertreter der engagierten, liberalen Richterschaft am Zweibrücker Appellationsgericht möchte ich hier beispielhaft Theodor Hilgard nennen. Zum Verdruss der radikaleren Demokraten beschwor er immer wieder die „Heiligkeit der Gesetze“, die es einzuhalten gelte. Er meinte natürlich die „Rheinischen Institutionen“, das fortschrittliche französische Recht. Als die bayerische Regierung diese in der Pfalz geltenden Gesetze brach und sogar Juristen an das Zweibrücker Gericht schickte, die dieser Gesetze unkundig waren, entschied sich Hilgard schweren Herzens, aber konsequent, gegen jede Anpassung und wanderte seinen Kindern zuliebe in das freiere Illinois aus. Man kann hier durchaus Parallelen zu 1933 sehen. Auch damals waren für die meisten Juristen die Gesetze unumstößlich, schließlich war in ihren Augen die Macht der NS-Regierung auf legalem Weg übertragen worden. Nur waren es jetzt nicht die modernen rheinischen Institutionen, sondern Gesetze, die in eine menschenverachtende Parteidiktatur führten. Aber ich möchte hier natürlich nicht zu stark in die Rechtsphilosophie abdriften – bleiben wir bei der Geschichte. Bayern und Pfalz: ein Staat – zwei Rechtssysteme Der Wiener Kongress hatte 1815 – also vor 200 Jahren – nach dem Sturz Napoleons die Neuordnung Europas nach dem Prinzip der Legitimität zum Ziel. Er beschloss aus dynastischen Gründen den Anschluss der faktisch seit 1797 zu Frankreich gehörenden linksrheinischen Pfalz an das Königreich Bayern. Der aus der wittelsbachischen Linie PfalzZweibrücken stammende erste bayerische König Max Joseph garantierte unter dem Einfluss seines begabten Ministers Maximilian von Montgelas bei seiner Regierungsübernahme am 30. 2

 

April 1816 die Gültigkeit der französisch-rheinischen Gesetze und Rechtseinrichtungen. – Montgelas hegte damals die Hoffnung, dass sich diese innerhalb kurzer Zeit auf Gesamtbayern übertragen lassen würden. Leider wurde er aber schon im folgenden Jahr entmachtet und konnte seine Pläne nicht mehr verwirklichen. Die Sonderstellung der Pfalz wurde dann in der Verfassung von 1818 noch einmal ausdrücklich bekräftigt. Die Errungenschaften der Französischen Revolution konnten so bei uns erhalten bleiben und von hier aus im Laufe des 19. Jahrhunderts ihren Siegeszug zur Demokratisierung des Justizwesens in Gesamtbayern, weiterer deutscher Staaten und schließlich des deutschen Kaiserreiches antreten. Neben der entschädigungslosen Aufhebung der adligen Privilegien sowie der Grund- und Leibherrschaft, war es vor allem die napoleonische Rechtsreform, die in den an die Französische Republik angeschlossenen Gebieten langfristig nachwirkte. Wesentliche Bausteine der Reform waren die Einführung von fünf modernen Gesetzbüchern, von denen der Code Civil sicher das berühmteste ist, da in ihm die in der französischen Revolution erkämpften Grundrechte verankert waren, außerdem die Unabhängigkeit der Gerichte von der Regierung, ganz im Sinne der Gewaltenteilung, die Gleichheit vor dem Gesetz, das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren, die Staatsanwaltschaften, die Geschworenengerichte im Strafprozess sowie die Friedensgerichte als unterste Instanz der Gerichtsbarkeit. Das Appellationsgericht des bayerischen Rheinkreises im Vormärz Zweibrücken verdankt den Sitz des heutigen OLG seinen guten Beziehungen zu König Maximilian Joseph von Bayern, der hier einige Jugendjahre am Hof seines Onkels Christian IV. verbracht hatte. Wohl als kleine Entschädigung dafür, dass er Speyer aufgrund der zentralen Lage zum Verwaltungssitz des Bayerischen Rheinkreises gemacht hatte, verlagerte er das am 15. August 1815 in Kaiserslautern konstituierte Berufungsgericht zum 1. August 1816 nach Zweibrücken. Hier lebten und arbeiteten fortan die besten Juristen der Pfalz. Richter und Anwälte waren im französischen Recht ausgebildet und verteidigten es gegen die sich häufenden Eingriffe der bayerischen Regierung. Man kann davon ausgehen, dass der bayerischen Regierung gar nicht so recht bewusst war, was die in der Pfalz bestehende Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Richter, in der Praxis bedeutet. Es war aber natürlich auch sicher nicht ganz einfach für den Regierungspräsidenten in Speyer, wenn er den ersten Gerichtspräsidenten, Rebmann oder Birnbaum, übrigens beide ehemalige Jakobiner, Weisungen schickte und diese sie einfach mit Verweis auf ihre Unabhängigkeit ignorierten. Der Wortführer der liberalen Bewegung, der Jurist Philipp Jakob Siebenpfeiffer, stand wahrlich nicht allein, als er ab 1830 mit seinen kritischen Schriften für die im Code Civil verankerte Pressefreiheit stritt und dafür mit der Entlassung aus seinem Amt als „Landcommissär“ abgestraft wurde. Er bewegte sich in einem von liberal gesonnenen Juristen geprägten Milieu, das durch private und berufliche Kontakte, durch ähnliche Herkunft, Ausbildung, Erfahrungen und Anliegen, einen intensiven intellektuellen Austausch pflegte und gemeinsame Ideen für eine freiheitlichere Staatsform entwickelte. In diesem Milieu liegen die Gründe dafür, dass sich gerade Zweibrücken – nicht nur nach Heine – zu einer Wiege der deutschen Demokratie entwickelte. Die liberalen Juristen Zweibrückens gehörten zwei unterschiedlichen Generationen an. Die erste Generation der Richter und Anwälte am Appellationsgericht war noch in herzoglichen Zeiten aufgewachsen, hatte die Französische Revolution in jungen Jahren erlebt und die von Napoleon durchgeführte Rechtsreform begrüßt. Zu dieser älteren Generation gehörten der erste Präsident des Appellationsgerichtes, Andreas Georg Friedrich Rebmann, sein

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Nachfolger Johannes Birnbaum sowie die Gerichtsräte Christian Sturz und Ludwig Hoffmann, der Mitherausgeber der Erstausgabe von Siebenpfeiffers kritischer Zeitung “Rheinbayern”. Rebmann war bei der Übernahme der Pfalz durch Bayern maßgeblich daran beteiligt, dass die "Rheinischen Institutionen" hier erhalten werden konnten. Er hatte wohl auch einigen Einfluss auf die Stellenbesetzungen am Appellationsgericht. Bei der Eingliederung nach Bayern hatte es keine politischen Säuberungen gegeben, evt. weil man noch nicht an die Endgültigkeit der territorialen Entscheidungen glaubte, Max Joseph hätte ja lieber die rechtsrheinischen kurpfälzischen Gebiete an Bayern angegliedert, aber vor allem auch, weil man bei der rechtlichen Sonderstellung der Pfalz weiterhin im französischen Recht geschulte Beamte brauchte. Die Mitglieder des Appellhofes im Jahre 1816 waren fast alle schon in der französischen Zeit im Gerichts- oder Verwaltungsdienst gewesen und machten aus ihrem Eintreten für die bewährten „Institutionen“ keinen Hehl. Appellationsgerichtsrat Christian Sturtz, in napoleonischer Zeit Unterpräfekt von Zweibrücken, hatte z. B. die Zivilcourage, einen Rechtsstreit mit der bayerischen Regierung um seine noch ausstehenden Gehälter aus der napoleonischen Zeit auszufechten. Als ihn die bayerische Regierung an Frankreich verwies, argumentierte er sehr modern, losgelöst von jedem dynastischem Denken: Da er weder Koch noch Kammerherr Napoleons gewesen sei, sondern der damals legitimen Regierung gedient habe, sei deren Rechtsnachfolger, das Königreich Bayern, nun auch sein Schuldner. Solche aufrechten Positionen, die zudem den Staat Geld kosteten, waren natürlich für die bayerische Regierung höchst unbequem. Dennoch wurden erst ab Januar 1832, als sich die Auseinandersetzung zwischen der liberalen Opposition und der Regierungspolitik zuspitzte, die neu einzustellenden Richter gutachterlich auf ihre politische Zuverlässigkeit überprüft, was allerdings zu Lasten ihrer Kompetenz ausfiel. Im Hambach-Jahr 1832 wurde die Hälfte der Appellationsgerichtsräte mitsamt dem Gerichtspräsidenten Birnbaum abgelöst. Ein bis zwei Generationen jünger waren die liberalen Zweibrücker Appellationsgerichtsräte Georg Ludwig Maurer, Theodor Hilgard und Karl Friedrich Heintz, sowie die Anwälte Friedrich Schüler, Christian und August Culmann, Joseph Savoye, Ferdinand Geib, Daniel Pistor und Gustav Adolph Gulden. Sie waren alle erst nach der Französischen Revolution geboren, mit dem französischen Rechtssystem aufgewachsen, hatten die „Codes“ studiert, verteidigten sie nun gegen alle Angriffe und hofften auch, dass sich dieses fortschrittliche Recht auf den Gesamtstaat Bayern ausdehnen ließe. Der bedeutendste, vielfach noch unterschätzte Kopf im Umfeld des Appellationsgerichtes war vermutlich der Advokat Friedrich Schüler, der neben den beiden Juristen und Publizisten Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth an der Gründung des „Pressvereins“ maßgeblich beteiligt war. Es war übrigens das Zweibrücker Appellationsgericht das dem Verein zum Durchbruch verholfen hatte. Es hatte am 14. April 1832 Wirth nach einmonatiger Verhaftung wegen Pressevergehens freigesprochen. In ihrer Urteilsbegründung betonten die Richter das Recht der Journalisten auf Notwehr, um verfassungswidrige Angriffe auf die Pressefreiheit zurückzuweisen. Der Freispruch wurde zwei Tage später als Flugblatt in 60.000 Exemplaren verbreitet und stieß auf große Resonanz. Der Pressverein war nun durch das Gericht legitimiert, zahlreiche Pfälzer traten daraufhin in den Verein ein. Seinen provisorischen Vorstand bildeten drei am Zweibrücker Appellationsgericht zugelassene Anwälte: Friedrich Schüler, Joseph Savoye und Ferdinand Geib. Diese Drei hatten sich bereits 1829 geweigert, an der Audienz teilzunehmen, die König Ludwig I. anlässlich seiner viel bejubelten Rheinreise in Zweibrücken für die Mitglieder Appellationsgerichtes gab und damit ihrer republikanischen Gesinnung deutlich Ausdruck 4

 

verliehen. Landkommissär Philipp Jakob Siebenpfeiffer hatte damals noch Lobgedichte auf den König verfasst. Ob er damals wirklich noch große Hoffnungen in dessen Reformwillen setzte, lässt sich nicht sagen. Seine Hinweise auf die außerordentliche wirtschaftliche Not in der Pfalz waren bis zu diesem Zeitpunkt beim König auf jeden Fall ohne Resonanz geblieben. Der Landauer Assisen- (Schwurgerichts-) Prozess, 1833 Den Wortführern der liberalen Bewegung wurde ihr Mut zur freien Meinungsäußerung zum Verhängnis: Bereits wenige Tage nach dem Hambacher Fest begann die bayerische Regierung mit der Verfolgung und Verhaftung der Wortführer, die sich jedoch teilweise rechtzeitig ins rettende Ausland absetzen konnten. Das Gerichtsverfahren ließ über ein Jahr auf sich warten, es fand schließlich auf Anordnung der Regierung im Juli und August 1833 in der Garnisonstadt Landau statt, weil diese am Gerichtsstandort Zweibrücken Unruhen befürchtete. Der Landauer Assisenprozess, in dem Siebenpfeiffer, Wirth sowie die weiteren Beschuldigungen ihre politischen Vorstellungen noch einmal ausführlich darstellen konnten, fand enormes öffentliches Interesse. Die Verteidiger präsentierten sich als kompetente Verfechter der „Rheinischen Institutionen“. Die Verhandlungen wurden von Franz Xaver Gabelsberger wortgetreu stenographiert und von dem Zweibrücker Drucker Georg Ritter aktuell veröffentlicht, allerdings fielen viele Passagen der Zensur zum Opfer. Der von den Geschworenen gefällte Freispruch versetzte die Pfälzer in Begeisterung, zeigte er doch, dass man hier nicht aufgrund seiner Meinungsäußerung wegen Hochverrats verurteilt werden konnte. Über diesen bedeutenden Prozess haben wir Ihnen einen kleinen Trickfilm produziert. Er soll all das veranschaulichen, was am pfälzischen Prozesswesen so revolutionär neu gewesen ist: ein mündliches, öffentliches Verfahren, in dem Anklage und Verteidigung klar getrennt sind, die Richter den Prozess zwar leiten, aber die Geschworenen das Urteil sprechen. Wie fortschrittlich dies die Zeitgenossen empfanden beschreibt der protestantische Pfarrer und Reiseschriftsteller Friedrich Blaul 1838 nach dem Besuch einer Gerichtssitzung in Zweibrücken (aus: „Träume und Schäume vom Rhein“): „…Es ist etwas Großes um die freie Rede vor den Richtern und vor allen, welche dabei zugegen sein wollen; ein unvergleichliches Recht, Stirne gegen Stirne mit seinem Gegner und den Richtern zu stehen und sich gegen jeden Einwurf sogleich zu verteidigen. Wie vieles wird hier klar, was bei dem schriftlichen Verfahren, das … der Öffentlichkeit entbehrt, dunkel bleiben muß! … für einen Triumph der Menschheit würd´ ich es halten, wenn die öffentliche Rechtspflege und namentlich das Geschwornengericht in aller Welt eingeführt wäre.“ Es gab allerdings auch Zeitgenossen, denen die Öffentlichkeit der Verhandlungen gar nicht gefallen wollte, die die Würde des Gerichtes beschädigt sahen. Anselm Feuerbach, dem Begründer der modernen Staatsrechtslehre, waren z.B. beim Besuch einer Schwurgerichtsverhandlung in Zweibrücken „die biertrinkenden, sich an Käse und Wurst erquickenden Zuhörer, die strickenden Zuhörerinnen, die unbezähmbare Unruhe der Pfälzer Krischer während der Verhandlungen“ ein Dorn im Auge.   Erscholl im Landauer Assisenprozess auch der Freispruch, so siegte letztendlich doch der König. Er klagte die Redner von Hambach anschließend wegen Beleidigung vor einem Zuchtpolizeigericht an, das harte Zuchthausstrafen verhängte. Einigen gelang die Flucht, aber sie waren nun zum Leben im Exil gezwungen. In Zweibrücken kehrte die schon sprichwörtliche Ruhe des Biedermeiers ein. In Zeiten von Reaktion und Denunziantentum wagte es kaum einer mehr, demokratisches Gedankengut zu äußern.

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Die Reaktionszeit 1833-1848 In der folgenden Zeit der Reaktion verminderte eine gezielte Personalpolitik an den pfälzischen Gerichten das von ihnen ausgehende Konfliktpotential mit der bayerischen Regierung. Außerdem schaffte es diese - durch das Mittel der Urlaubsverweigerung für Beamte -, dass lange kein Jurist unter den pfälzischen Landtagsabgeordneten war. Erst als 1845 wieder drei Juristen aus der Pfalz die Landtagsopposition verstärkten, verschärfte sich der Kampf für die Ausweitung der bewährten pfälzischen Institutionen auf den Gesamtstaat Bayern wieder. Vom Paulskirchen-Parlament zum Pfälzischen Aufstand 1848/49 Den politischen Kurswechsel brachte jedoch nicht die Parlamentsarbeit, sondern der Druck, den seine Liebesaffäre mit der Tänzerin Lola Montez auf den König aufgebaut hatte. Im „Ministerium der Morgenröte“ 1847 wurde der Pfälzer Georg Ludwig Maurer, der seit seiner Zeit als Appellationsgerichtsrat in Zweibrücken (1819-23) die pfälzischen Institutionen verfochten hatte, Justizminister. Da er bereits nach wenigen Monaten wieder entlassen wurde, konnte er sein Reformwerk nicht vollenden. Die Justizreform wurde jedoch einige Monate später von dem Zweibrücker Appellationsgerichtsrat Karl Friedrich Heintz fortgeführt, der im Zuge der Märzrevolution 1848 für knapp ein Jahr bayerischer Justizminster wurde. Er setzte mit dem Grundlagengesetz vom 4. Juni 1848 die Märzforderungen im Bereich der Justiz, die in ganz Deutschland nun angestrebt wurden und die nichts anderes als die pfälzischen Institutionen waren, für Bayern um. Allerdings ließ die Realisierung der beschlossenen Justizreformen teilweise noch lange auf sich warten. Auch die einheitliche Gesetzeskodifikation wurde verschoben. Ebenso wie im Vorfeld des Hambacher Festes setzten die Zweibrücker Juristen 1848/49 ihre Hoffnung auf die Parlamentarisierung, d. h. auf die Beschlüsse der durch freie Wahlen legitimierten Deutschen Nationalversammlung. Der Wahlkreis Zweibrücken wurde in der Frankfurter Paulskirche zwar von dem radikalen katholischen Geistlichen Franz Tafel vertreten, außer ihm waren aber vier Juristen aus dem liberalen Milieu Homburgs und Zweibrückens dort als Abgeordnete vertreten: Wirth, Schüler, August Culmann und Gustav Adolph Gulden. Der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche war es nach einjähriger Debatte gelungen, eine freiheitliche Verfassung für ein geeintes Deutsches Reich zu formulieren – so wie es „die Hambacher“ 1832 schon gefordert hatten. Da der zum Kaiser eines geeinten Deutschen Reiches bestimmte preußische König Friedrich Wilhelm IV. sich weigerte, die von dem gewählten Parlament formulierte Verfassung umzusetzen, gab es vielerorts Aufstände. Die Pfalz erklärte sich im Mai 1849 zur Republik und unabhängig von Bayern. Bereits am 5. Mai 1849 beschloss das Zweibrücker Gericht, kein strafgerichtliches Verfahren gegen die Mitglieder des am 1. Mai in Kaiserslautern gegründeten Landesverteidigungsausschusses einzuleiten. Es begründete seine Entscheidung damit, dass im ganzen Land die Rechtsverbindlichkeit der von der Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung anerkannt werde und bei der Einleitung eines Verfahrens gegen den Landesverteidigungsausschuss, der ja die bayerische Regierung zur Anerkennung der Paulskirchenverfassung zwingen sollte, mit Unruhen zu rechnen sei. Daraufhin schloss König Maximilian II. alle Zweibrücker Gerichte für vier Wochen. Erst nach Niederschlagung des bewaffneten Aufstandes durch preußische Truppen begann der Zweibrücker Generalstaatsprokurator mit seinen Ermittlungen. Wieder folgte - wie nach dem Hambacher Fest - ein langwieriger Prozess gegen die Aufständischen, wobei die meisten Anklagen einfach aus Kapazitätsgründen fallen gelassen werden mussten.

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Der lange Weg zur Demokratie in Deutschland Mit der Flucht der Akteure und der anschließenden repressiven Politik wurde die demokratische Bewegung für lange Zeit unterbrochen. Die von den Hambachern geforderte deutsche Einheit wurde erst 1871 durch Bismarck mit Hilfe eines Krieges gegen Frankreich verwirklicht, nicht auf parlamentarischem Weg, wie es die Hambacher erhofft hatten. Die erste demokratische Verfassung Deutschlands ließ bis zur Weimarer Verfassung von 1919 auf sich warten. Sie wurde 1933 durch den Nationalsozialismus beendet, der trotz der großen demokratischen Tradition auch von den Juristen am Pfälzischen Oberlandesgericht mitgetragen wurde. Womit wir wieder bei Heinrich Heine angekommen wären. Er sah – mit Blick auf die Homburger und Zweibrücker Liberalen – bereits 1832 fast seherisch und sehr pathetisch den langwierigen Demokratisierungsprozess in Deutschland voraus.

"Es ist leicht vorauszusehen, daß die Idee einer Republik, wie sie jetzt viele deutsche Geister erfaßt, keineswegs eine vorübergehende Grille ist. Den Doktor Wirth und den Siebenpfeiffer und Herrn Scharpff und Georg Fein ... und Grosse und Schüler und Savoye, man kann sie festsetzen, und man wird sie festsetzen; aber ihre Gedanken bleiben frei und schweben frei, wie Vögel, in den Lüften. Wie Vögel nisten sie in den Wipfeln deutscher Eichen, und vielleicht ein halb Jahrhundert lang sieht man und hört man nichts von ihnen, bis sie eines schönen Sommermorgens auf dem öffentlichen Markte zum Vorschein kommen, großgewachsen, gleich dem Adler des obersten Gottes, und mit Blitzen in den Krallen. Was ist denn ein halb oder gar ein ganzes Jahrhundert? Die Völker haben Zeit genug, sie sind ewig; nur die Könige sind sterblich …" Heinrich Heine, 1832 Führte das unterschiedliche Rechtssystem im Vormärz zur Eskalation zwischen der bayerischen Regierung und der Pfalz, so wurde das pfälzische Gerichtswesen Jahrzehnte später zum Vorbild für andere Staaten. 1862 wurden die noch ausstehenden Teile des pfälzischen Justizwesens auf Ganzbayern übertragen, 1871 vieles für das Gesamtreich übernommen. Die pfälzischen Institutionen sind aus dem modernen Rechtsstaat nicht mehr wegzudenken. Französisches Recht hielt seinen Einzug über Zweibrücken in das demokratische Deutschland. Das Zweibrücker Oberlandesgericht ist das älteste moderne Gericht in Deutschland – es hatte damit in diesem Jahr allen Grund zum Feiern!

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